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Um ihre Erscheinung noch farbenfroher zu gestalten, hatte sie heute ihre schulterlangen, schwarz gefärbten Haare mit einer Haarspange nach hinten gesteckt, auf der eine große rote Stoffblume leuchtete. Birgits Gesicht war sorgfältig geschminkt, Rouge und Lippenstift passten zur Haarspange. Während Katharina staunte, hörte sie Birgit streng sagen: »Du ziehst dir bestimmt noch was Anständiges an? Ich meine, diese alte Jeans und das graue Kapuzen-Shirt, das ist vielleicht was für den Spielplatz mit Svenja, aber nicht für die Adelhofer-Pressekonferenz. Der Mann ist schließlich wichtig, was glaubst du, wer da heute alles hingeht? Vielleicht wäre für dich auch einer dabei.«
Katharina verbiss sich jeglichen Kommentar, schaute nur grinsend an sich runter und sagte: »Auf alle Fälle weiß mein Zukünftiger gleich, dass er sich auf eine Frau mit Kind einlässt. Ich bin nämlich tatsächlich in meiner Svenja-Kluft, weil ich mir eigentlich heute mit ihr einen schönen Nachmittag machen wollte.«
»Von mir aus lass die Jeans an, aber zieh oben wenigstens Bluse und Blazer an, du weißt, ich habe reichlich Auswahl.« Tatsächlich hatte Birgit Wachtelmaier im Laufe der Jahre für ihre Freundin eine Art Kleider-Fundus bei sich im Archiv angelegt. Und sie war, wenn es um Katharinas Kleidung ging, geschmackssicher. Sie hatte sie des Öfteren vor peinlichen Auftritten bewahrt. Katharinas oberste Priorität in Sachen Mode war nämlich »praktisch«. Das bedeutete meistens – wie heute – T-Shirt, Hoodie, Jeans, Lederjacke und Sneaker, im Sommer Clogs oder Flipflops.
»Danke, Birgit, bist ein Schatz, ich komme nachher noch vorbei.« Sie warf ihrer Freundin eine Kusshand zu und ging zurück in ihr Büro. Auf dem Weg warf Katharina einen kurzen prüfenden Blick in den Spiegel auf dem Damenklo. Zumindest hatte sie sich heute Morgen noch die Haare gewaschen und, wie ihre Friseurin ihr geraten hatte, lufttrocknen lassen.
»Für Naturlocken das einzig Wahre, sonst stehen sie dir nur kreuz und quer vom Kopf ab«, hatte sie ihr beim letzten Besuch wieder gepredigt, nachdem sie Katharinas Mähne zu einer hübschen, halblang gestuften Frisur geschnitten hatte.
»Für eine junge berufstätige Mutter genau das Richtige, schick und praktisch. Farbe brauchen wir noch keine, du hast ein fantastisches Naturbraun«, hatte Manuela festgestellt und sie zufrieden entlassen.
»Danke für das ›jung‹«, hatte Katharina erwidert, die sich mit Anfang 40 für keine junge Mutter mehr hielt. Aber die Figur ist ganz nett, sprach sie sich Mut zu, als ihr prüfender Blick auf die untere Körperpartie fiel. Die Jeans war glücklicherweise ein neueres Modell einer edlen Marke, die sie sich nach der Medell-Sache gegönnt hatte.
»Der beigefarbene Blazer sieht einfach toll aus zu deinen braunen Haaren und Augen«, hörte Katharina Birgit sagen, wenn sie nachher ihr Pressekonferenz-Outfit bei ihr ausleihen ginge.
Sie wendete sich mäßig interessiert dem Fall Adelhofer zu. »Ein Mann wie ein Erdbeben«, titelte eine große Boulevardzeitung nach Adelhofers erster Fernsehshow. »Die deutsche Antwort auf Robert Redford« nannte eine Modezeitschrift ihr Fotoshooting mit »beautiful Robert«. Katharina grinste bei diesen einfallsreichen Schlagzeilen und schaute sich die Fotos von Adelhofer näher an. Skilehrertyp, dachte sie. Robert Adelhofer sah nicht nur so aus, er war tatsächlich Skilehrer und Bergführer gewesen, als ihn noch niemand kannte. Aus dieser Zeit grinste ihr von den Fotos der typische Vorzeige-Bayer aus dem Alpenvorland entgegen, mit dunkelblonden Locken, braungebranntem Gesicht und schlanker, hochgewachsener Figur. »Mit seinem charmanten Lächeln erobert er jede Frau im Sturm«, sinnierte die »Society«.
Katharina bezweifelte, dass Robert Adelhofer das bei ihr gelingen würde.
Dann kamen die Storys über das Ereignis, das Adelhofer berühmt gemacht hatte. Mit 24 Jahren, am 17. Oktober 2014, war er von Ramsau aus Richtung Watzmann aufgebrochen, dem bayerischen Schicksalsberg, an dem diverse Bergsteiger ihr Leben gelassen hatten. Es war der letzte schöne Herbsttag – für den Tag danach war ein Wetterwechsel angekündigt. Es wären nicht mehr viele Bergsteiger unterwegs. Genau so hatte Adelhofer das geplant. Eingeweiht war nur sein älterer Bruder Lukas, der ihn auf der Tour begleitete. Mit ihm hatte er zwei Jahre vorher eine Watzmann-Überquerung gemeistert, beide Brüder kannten die Gegend gut. Lukas Adelhofer wusste, dass er allein würde zurückgehen müssen. Robert wollte einen Winter lang in den Bergen überleben – ohne Unterstützung, ohne Vorräte, seine persönliche Challenge, wie er später erklärte. Lukas sollte das seinen Eltern mitteilen – ohne zu erwähnen, wo Robert losgelaufen war, und mit dem Hinweis, dass man ihn nicht suchen solle. Es würde ihn sowieso niemand finden, dafür werde er sorgen.
Dass nicht nur die Eltern Adelhofer, sondern einige Wochen später alle großen Boulevardblätter von Adelhofers Challenge erfahren hatten, lag laut Lukas Adelhofer daran, dass Roberts Abwesenheit natürlich aufgefallen war. Er habe sich irgendwann entschlossen, bei Nachfragen von Roberts Challenge zu berichten, um wilden Gerüchten vom Tod in den Bergen vorzubeugen.
Irgendjemand müsse wohl die Presse verständigt haben. Ob das stimmte, war mehr als fraglich. Wahrscheinlicher erschien eine Absprache zwischen Robert und Lukas Adelhofer, nach der Lukas nach einiger Zeit an die Öffentlichkeit gehen würde. Der jüngere Bruder schloss auffallend schnell einen Exklusivvertrag mit einer Klatschzeitung und dem Privatsender »Monaco TV« ab und gab bereitwillig Auskunft über alle Details aus dem Leben von Robert und seiner Familie. Nur wo sich sein Bruder aufhielt und wo er ihn zuletzt gesehen hatte, das verschwieg er beharrlich. Da es keinerlei Anhaltspunkte gab, wie sie an Exklusivfotos von Adelhofer herankommen könnten, sparten sich sogar die hartgesottensten Klatschblätter die Suche nach dem Abenteurer. Stattdessen bekam der interessierte Leser Fotostrecken geliefert vom jungen Bergsteiger aus Breitbrunn am Chiemsee – Robert beim Klettern, Robert als Kind im Kuhstall, Robert als Jugendlicher auf einer Motorradtour durch Oberbayern, Robert beim Knutschen auf einer Party. Nichts war banal genug, es nicht zu zeigen.
Und beautiful Robert traf offenbar einen Nerv: Auf dem Adelhofer-Hof in Breitbrunn stapelten sich die Briefe weiblicher Verehrerinnen, die anboten, den armen Robert nach seiner Challenge aufzupäppeln – spätere Eheschließung nicht ausgeschlossen. Robert Adelhofer war schon berühmt, bevor er fünf Monate später, an einem klaren Märztag, wiederauftauchte. Bergsteiger begegneten am Fuß des Watzmann einer vollkommen ausgemergelten Gestalt, übelriechend, mit langem Haar, langem Bart, langen Fingernägeln – an neun Fingern, an der linken Hand fehlte der Mittelfinger – und vollkommen zerfetzter Kleidung. Der Mann gab an, Robert Adelhofer zu sein, und ließ sich von den Bergsteigern nach unten begleiten. »Der schöne Robert – nur noch Haut und Knochen«, stand unter dem ersten Foto von Adelhofer nach seiner »Wiedergeburt«. Tatsächlich sah er relativ abgemagert aus und das penetrante Siegerlächeln war auf diesem Foto nicht vorhanden. Das sollte sich schnell ändern. Der junge Star zog sich für zwei Wochen auf den Hof seiner Eltern zurück. Währenddessen gab er »Monaco TV« kurze Exklusivinterviews. Deutschland konnte daran teilhaben, wie Robert langsam wieder »beautiful« wurde.
Nach 14 Tagen folgte ein ausführliches Gespräch mit »Monaco TV« und die Presse jubelte: »Robert ist zurück.« Weiterhin verging kein Tag ohne Fotos von Robert Adelhofer in den Zeitungen, meist in Begleitung ständig wechselnder Frauen.
Wie gut, dass es ihn nur einen Finger gekostet hat, dachte Katharina entnervt, während sie sich durch den Wust von Artikeln wühlte, die spannende Themen behandelten wie Roberts Lieblings-Schweinsbraten-Rezept und Roberts Meinung zur Potenzpille Viagra.
Weil Adelhofer sich so gut vermarkten ließ, wurde ihm von »Monaco TV« schnell eine eigene Fernsehshow angeboten. »Krise« hatte von Anfang an top Einschaltquoten und Deutschland diskutierte eine Woche lang über die Frage, ob das für die Sendung gewählte Logo geschmacklos oder progressiv war: Robert Adelhofers Gesicht groß im Hintergrund und vorne Roberts linke Hand, deren Zeige- und Ringfinger das Victoryzeichen formten. Dazwischen deutlich zu sehen: die Narbe des fehlenden Mittelfingers. Und drunter der Slogan: »Krise überleben – bei Robert reden.« Das Konzept der nachmittäglichen Talkshow bestand darin, dass Adelhofer Menschen zu Gast hatte, die entweder in einer Krise steckten oder diese bewältigt hatten. Bei den Gesprächen mit seinen Gästen weinte er gerne auch mal, wenn sich die Gelegenheit bot.
Mit Grausen dachte Katharina an die Sendung zurück, die sie sich einmal angeschaut hatte: Adelhofer hatte eine Frau zu Gast gehabt, deren achtjähriges Kind bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war und die in den Jahren danach drei Totgeburten erlitten hatte. Nachdem ihr Mann sie verlassen hatte, überlebte sie nur mit starken Beruhigungsmitteln und weiteren Psychopharmaka. Adelhofer schaffte es, dass die Frau ihre Gefühle vor dem Fernsehpublikum ausbreitete, und fing schließlich mit den Worten »ich spüre ganz intensiv, wie Sie sich fühlen, das tut weh, so unendlich weh« selbst an zu weinen.
Katharina hatte damals angewidert aus- und nie wieder eingeschaltet.
Aber »Krise« lief inzwischen fast vier Jahre höchst erfolgreich und Deutschland teilte sich in zwei Lager: Robert-Adelhofer-Fans und Robert-Adelhofer-Hasser. Der Sender hatte erreicht, was er wollte. Den 29-jährigen Adelhofer kannten inzwischen 80 Prozent der Deutschen zwischen 10 und 70 Jahren. Und das, obwohl die Sendung nur einmal in der Woche lief, mittwochs von 14 bis 16 Uhr.
Die Quoten hatten sich an diesem Tag derart vervielfacht, dass der Sender »Krise« am liebsten täglich ausgestrahlt hätte. Robert hatte abgewunken.
Clever. Er verbrauchte sich nicht so schnell, dachte Katharina.
Und jetzt die Biografie. Von jeder zweiten Litfaßsäule grinste derzeit Robert Adelhofer und streckte seine verstümmelte Hand ins Bild. Die erste Auflage war schon vor dem Erscheinen ausverkauft, der Verlag kam mit dem Nachdruck kaum hinterher. Das musste als Adelhofer-Background-Wissen reichen, beschloss Katharina und packte ihre Sachen zusammen.
Als sie gerade zur Tür raus wollte, klingelte das Telefon, Birgit:
»Kommst du zum Klamottenwechsel? Ich habe außerdem noch eine nette Randinfo gefunden.«
»Ich war sowieso gerade auf dem Weg zu dir runter.« Katharina überlegte, welche Quelle ihre Freundin angezapft hatte. Birgit hackte sich gern in verschlüsselte Dateien von Polizei oder Staatsanwaltschaft und gab die Infos mit Unschuldsmiene an Katharina weiter. Während sie sich im Archiv in eine braune Seidenbluse und den besagten beigefarbenen Blazer warf und von Birgit durch zustimmendes Nicken das Okay für dieses Outfit bekam, berichtete die Archivarin:
»Im Stehsatz der ›Abendausgabe‹ gibt’s einen Artikel, bisher noch nicht erschienen. Lukas Adelhofer soll völlig abgestürzt sein, alkoholabhängig, arbeitslos, hat wohl erfolglos versucht, in Rosenheim Immobilien zu verkaufen, und vegetiert auf dem Hof seiner Eltern vor sich hin, nimmt Antidepressiva und ist ziemlich am Ende.«
»Ehrlich gesagt, Birgit, finde ich die Tatsache, dass du dich in die Datenbank der ›Abendausgabe‹ eingehackt hast, genauso interessant wie den abgestürzten Lukas, danke für beides!«
Birgit lächelte geschmeichelt. »Dafür besorgst du mir ein Autogramm von beautiful Robert, okay?«
Katharina hatte sich inzwischen ihrer Sneakers entledigt und braune Wildledermokassins angezogen – dazu Daumen hoch von Birgit. Als sie auf ihre Bitte nicht reagierte, setzte Birgit nach:
»Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, dir zu sagen, ich brauche das Autogramm für meine Nichte, aber ich will es für mich, ich schau ›Krise‹ immer. Man kann so schön mitweinen. Und der Adelhofer ist halt ein Sahneschnittchen.« Birgits hellblaue Augendeckel klapperten verlegen auf und ab. Ihr Gesäß rutschte nervös auf dem Bürostuhl hin und her.
»Zum Beispiel neulich diese Frau, die mit zusammengewachsenen Vierlingen schwanger war, die sie hat abtreiben lassen, das war unglaublich, wie cool die das weggesteckt hat. Cooler als ich vor dem Fernseher.«
Katharina grinste. »Ich werde sehen, was sich machen lässt.«
Dienstagmittag,
Breitbrunn am Chiemsee
Das Telefonklingeln hallte durchs ganze Erdgeschoss des Adelhoferschen Bauernhofes und versetzte Rosa Adelhofer in Panik. Seit Roberts Verschwinden in seinem »Bergwinter«, wie der Bub diesen Wahnsinn genannt hatte, kam das Herzrasen bei Rosa immer, wenn sie das Telefon hörte. Gehetzt eilte die stämmige Frau aus der Küche in den Gang, um den Hörer des altmodischen Wählscheibentelefons abzunehmen. Gegen ein tragbares Gerät, das Robert ihr seit Langem schenken wollte, hatte sie sich bisher erfolgreich gewehrt. Sie wollte so wenig wie möglich mit diesem Apparat zu tun und ihn nicht ständig in Reichweite haben. »Adelhofer«, meldete sie sich mit unsicherer Stimme und lauschte in den Hörer, um möglichst schnell zu erahnen, wer dran sein könnte.
»Hallo, Mama, ich bin’s, der Robert.«
»Ah, Robert, Gott sei Dank. Geht’s dir gut, Bub?« Das war seit der Rückkehr ihres Sohnes aus den Bergen jedes Mal ihre erste Frage und Robert reagierte darauf zunehmend ungeduldig: »Bestens, sag mal, der Lukas ist noch nicht da. Weißt du, wann er losgfahren is’?«
Wenn Robert Adelhofer mit seinen Eltern sprach, verfiel er sofort in seinen Heimatdialekt. Dabei hatte er sich den am Anfang seiner Karriere als Fernsehstar hartnäckig abtrainiert. Nur ein leichter bayerischer Einschlag durfte es sein, den liebte die Zielgruppe. Das hatte die Medienforschung von »Monaco TV« herausgefunden.
»Mei, Robert, du weißt es eh, dass ich den Lukas fast nie mehr seh. Der kommt aus seiner Wohnung kaum raus und bei uns schaut er sowieso ned rein. Beim Bettenmachen hab ich eben ausm Fenster gschaut und sei Auto steht ned aufm Hof. Also müsst’ er gfahren sein. Hoffentlich ist ihm nix passiert, meinst, ich sollt’ bei der Polizei anrufen?«
»Na, wart ma noch a bissl, wahrscheinlich hängt er in irgendeiner Kneipn rum, der wird schon noch kommen. Dankschön Mama. Ich komm die Woch’ raus und bring genug Bücher mit, damits die bei den Führungen verkaufen könnts.«
»Is’ recht, Bub, weißt es ja, dass des der Papa macht, ich kann’s ned. Wenn’s halt bloß ned jede Woch glei’ so viel Leut’ wärn, des is’ so ein Lärm, ich mag’s halt gar ned. Aber ich weiß ja, dass es wichtig für dich is’.«
An die wöchentlichen Führungen auf dem Adelhofer-Hof hatte sich Rosa nicht gewöhnt. Wildfremde Menschen besichtigten ihre persönlichen Räume, das Schlafzimmer, in dem sie seit mehr als 40 Jahren schlief und in dem sie ihre beiden Söhne auf die Welt gebracht hatte, die ehemaligen Kinderzimmer von Robert und Lukas, ihre Küche, ihr Wohnzimmer, einfach alles. Robert hatte das nach seinem Bergwinter vorgeschlagen. Und mit der Landwirtschaft auf dem Adelhofer-Hof ging sowieso nichts mehr. Die alten Adelhofers konnten das Geld gut gebrauchen – wobei die Einnahmen Robert bekam und ihnen jeden Monat etwas gab – wie viel, das wusste Rosa Adelhofer nicht. Wie in einem Museum wurden jedenfalls einmal die Woche Schilder aufgestellt, nicht zu besichtigende Räume abgeschlossen und an der Haustür eine provisorische Kasse aufgebaut. Für zehn Euro Eintritt durften die Robert-Adelhofer-Fans einen Blick in sein Geburtshaus werfen, während sich die Mutter des Stars meistens in der Bügelkammer einschloss.
Nachdem Lukas sich zurückgezogen hatte, übernahm Vater Max Adelhofer die Führungen. Am Schluss verkaufte er im Erdgeschoss massenweise Poster von Robert und Pins mit dem Logo seiner Show.
»Mama, jetzt machst dir keine Sorgen wegen dem Lukas, der wird schon auftauchen, er is’ halt einfach nimmer so zuverlässig wie früher. Nachher bei der Pressekonferenz is’ er bestimmt da. Kannst es dir ja im Fernsehen anschauen, wennst magst.«
»Na, Bub, des mach ich lieber ned, weißt, ich mag halt ned an des denken von damals. Bist a guter Bub, ich bin stolz auf dich, wie du des gschafft hast mit dem Fernsehen.«
»Ja, ja, Mama, Servus, bis bald, gell, ich komm die Woch’ runter.«
Unglücklich legte Rosa Adelhofer den Hörer auf die Gabel und ging zurück in die Küche. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Sie wollte zwei Söhne mit netten Schwiegertöchtern, Enkelkinder, die bei ihr auf dem Schoß saßen und ihre Kuchen aßen. Stattdessen blieb ihr nur der Lukas, von dem sie nicht genau wusste, was eigentlich mit ihm los war – bloß, dass er viel trank und nichts mehr mit seinen alten Freunden aus Rosenheim zu tun hatte. Das erzählten sich die Leute beim Bäcker und beim Metzger im Dorf. Lukas selber kam kaum noch zu ihr in die Küche. Sie hörte ihn nur nachts oft. Dann stand er fluchend vor seiner Zimmertür im ersten Stock und bekam den Schlüssel nicht ins Schloss.
Und der Robert lebte sowieso weit weg da in München, arbeitete beim Fernsehen. Anscheinend war er richtig berühmt. Aber ihr Robert war er auch nicht mehr, die beiden Söhne hatten nichts mit den Buben gemeinsam, die früher zu ihr in die Küche gerannt waren und geschrien hatten:
»Mama, Mama, komm, erzähl uns a Gschicht.«
Auf der Bank vor dem Kachelofen saßen sie in die Kissen gekuschelt, Robert hatte sich – teilweise mit Gewalt – den besseren Platz erobert, und Rosa hatte erzählt, was ihr gerade eingefallen war, von Feen und Königen, von Drachen und Helden.
Rosa Adelhofer holte ein Taschentuch aus ihrer Schürze, wischte sich die Tränen ab und begann, einen Kuchen zu backen – wie immer, wenn ihr Leben dunkel war.
Dienstagnachmittag,
München Innenstadt
Danke, Birgit, dachte Katharina, als sie mit einem Glas Champagner in der Hand im gelben Salon des Hotels Bayerischer Hof stand, umgeben von lauter schönen, bestens gekleideten und maßlos wichtigen Menschen. Mit ihrer »Die kann man zu jedem Anlass tragen«-Jeans, dem Blazer und der Seidenbluse war ihr Outfit auf der Skala der auf dieser Veranstaltung vertretenen modischen Offenbarungen zwar relativ weit unten angesiedelt, aber zumindest noch im grünen Bereich. Der gelbe Salon war einer der vielen edlen Räume, die Münchens bekanntestes Luxushotel zu bieten hatte. Schwere gelbe Brokatvorhänge und französische Paneele wirkten auf Katharina wie aus der Zeit gefallen. Eher aus dem Jahr 2019 stammte das an einer Seite aufgebaute und bisher noch völlig unberührte Buffet. Die offizielle Buchvorstellung war zwar seit einer guten halben Stunde vorbei, jetzt wurde es allerdings für die meisten Journalisten erst richtig interessant.
Vorhin hatten sie alle nur dagesessen und Adelhofers kurzen Zitaten aus seinem Buch gelauscht. Glückliche, bayerische Kindertage, eiskalte Nächte in seinem einsamen Bergwinter im Bereich des Watzmann – genauer legte er sich zu seinem Aufenthaltsort nicht fest – und sein einziges großes Lebensziel: die Welt ein kleines bisschen besser zu machen. Das Ganze wurde garniert mit einführenden und abschließenden Worten von Manager Achim Wedel, die so salbungsvoll waren, dass Katharina den Eindruck gewann, Adelhofer solle als Mischung aus dem Papst, Reinhold Messner und Günther Jauch rüberkommen.
Achim Wedels Äußeres hingegen würde nach Katharinas Dafürhalten zu einem Zuhälter passen: blonde gegelte Haare, dicker Siegelring, satinglänzendes rosa Sakko.
Jedenfalls waren Adelhofer und sein Wedel umlagert von einer hin- und herwogenden Blase aus Kameras, Aufnahmegeräten und Mikrofonen. Katharina schaute sich die Hektik aus der Ferne an. Alle wollten die exklusive Aussage, das exklusive Bild. Und letztlich würde am nächsten Tag in jeder Zeitung dasselbe stehen, in jedem Fernsehsender dasselbe Bild gezeigt werden und in jedem Radiosender derselbe O-Ton kommen. Chancen auf die Exklusivstory würden nur die haben, die nachher am Buffet oder noch später nach drei bis vier Gläsern Sekt Adelhofer in ein Gespräch verwickeln konnten. Und genau das würde sie versuchen müssen, überlegte Katharina gerade, als sie das fleischgewordene Hindernis dieses Plans auf sich zusteuern sah. Horst Riebelgeber von der »Abendausgabe«, der Mann für alle Fälle von Münchens größter Boulevardzeitung.
Wenigstens nicht das graue Polyesterhemd, konstatierte Katharina und hoffte, dass der leichte Baumwollanzug, in den sich Riebelgeber zur Feier des Tages geworfen hatte, das Geruchsproblem, das er normalerweise für seine Umwelt darstellte, lindern würde.
»Man merkt eben, wer die echten Profis sind. Nur Anfänger stellen sich in den Pulk«, begrüßte Riebelgeber Katharina und zog das obligatorische karierte Stofftaschentuch aus seiner Hosentasche, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Das Haar klebte ihm fettig am Kopf und Katharina fühlte sich eingehüllt in eine Wolke aus »ungewaschen«, wie sie diese Duftmarke gerne beschrieb.
»Auf die eigentlich interessante Frage kriegen die sowieso keine Antwort«, sagte Riebelgeber mit einer wegwerfenden Geste in Richtung der Kollegen.
»Hm«, murmelte Katharina vage und versuchte, durch ein paar kleine Schritte rückwärts aus Riebelgebers Dunstkreis zu fliehen.
»Du glaubst doch nicht, dass die nur irgendeinem von diesen Lutschern erzählen, wo Lukas Adelhofer heute war. Der Mann hat Robert letztlich berühmt gemacht, hat für ihn Verträge mit Fernsehen und Printmedien abgeschlossen, hat alles für ihn getan und ist heute bei dieser Pressekonferenz nicht anwesend. Da muss ich nachher wohl dem Achim ein bisschen auf die Pelle rücken.«
Armer Achim, dachte Katharina.
»Wenn ich dem sage, was bei uns im Giftschrank für ein Artikel auf Veröffentlichung wartet, wird er bestimmt gesprächiger sein.«
»Was für ein Artikel?«, fragte Katharina scheinheilig und dankte insgeheim bereits Birgits Hacker-Fertigkeiten.
»Das musst du schon selbst recherchieren, der kleine Hinweis vom lieben Horst sollte genügen. Ich werde jetzt was essen.«
Tatsächlich war inzwischen die Journalisten-Fragestunde zu Ende und wurde von der Schlacht ums kalte Buffet abgelöst. Katharina entdeckte Robert Adelhofer bei der Sushi-Station. Ihre eigene Abneigung gegen rohen Fisch musste sie ignorieren. Sie drängelte sich durch das Gewühl, um einen Platz in Adelhofers Nähe zu ergattern. Nachdem sie einer Blondine aus Versehen auf den Fuß getreten war und die daraufhin einen spitzen Schrei ausstieß, hatte Katharina ihr Ziel unfreiwillig erreicht: Alle Umstehenden inklusive Robert Adelhofer drehten sich nach ihr um. Er musterte sie mit einem interessiert-süffisanten Lächeln und steuerte mitsamt seinem Sushi-Teller auf sie zu. »Frau Langenfels, wie schön, ich hatte gehofft, dass Sie kommen würden. Allerdings hätte ich nicht vermutet, dass Sie sich in die Niederungen der Lebensbeichte eines Buben aus den Bergen begeben, als seriöse Journalistin. Freut mich natürlich sehr!«
Adelhofer kannte sie also, vermutlich von der Medell-Sache. Die Blondine warf giftige Blicke zu ihr herüber. Adelhofer sah das und drehte ihr den Rücken zu. »Kommen Sie, Frau Langenfels, das reicht für zwei. Begleiten Sie mich nach nebenan, da haben wir unsere Ruhe.«
Adelhofer steuerte auf eine kleine Tür direkt hinter dem Buffet zu, die von einem Sicherheitsbeamten bewacht wurde. Der ließ ihn sofort durch und verzog keine Miene, als Adelhofer mit einem genuschelten »die Dame gehört zu mir« Katharina hinter sich herlotste.
Die Tür fiel ins Schloss und Katharina befand sich allein mit Robert Adelhofer in einem kleinen Raum, der sie an ihre einstige Lieblingsfernsehserie »Das Haus am Eaton Place« erinnerte. Schwere, braune Ledersessel, ein Kamin mit einem sicherlich nicht billigen Perserteppich davor, riesige Ölgemälde an den Wänden und dieselben Brokatvorhänge wie im Gelben Salon. Es fehlte nur noch der Butler Hudson, der mit würdigem Schritt und einer Kognak-Karaffe in der Hand durch den Raum schritt.
Katharina setzte sich Adelhofer gegenüber in einen der Sessel und lehnte höflich ab, vom Sushi zu probieren. Adelhofer schien das nicht weiter zu stören, er schob sich lustvoll ein Stück rohen Fisch in den Mund.
»Herr Adelhofer, ich arbeite an einer Serie über Sie und es wäre wunderbar …« Katharina kam nicht weiter. Achim Wedel riss die Tür auf und stürzte auf Robert zu. »Hier steckst du. Das gibt’s doch nicht. An dein Handy gehst du auch nicht. Wir müssen sofort fahren.« Nach einem kurzen entnervten Blick Richtung Katharina fixierte er Adelhofer, als würde der sich dadurch hypnotisch aus dem Sessel bewegen.






