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Oben herum hatte ihre Freundin heute eine transparente blaue Bluse an, darunter einen sicherlich sündhaft teuren Spitzen-BH, ebenfalls in Blau.
»Du, Servus, meine Liebe, bis Samstag, gell, endlich werden wir schlank, ich koche zehn harte Eier ab, kein Problem. Genau, Eier und Gurkensaft, wird gemacht. Du, ich muss Schluss machen, mein Chef will mich sprechen. Servus, bis Samstag.« Augenrollend legte Birgit auf, setzte sich an ihren Schreibtisch, hob die klingelnden Füße auf den Tisch und schaute Katharina vorwurfsvoll an.
»Sorry, Birgit, ich weiß, ich habe dich völlig grundlos angepfiffen, ich war müde und sauer, weil ich den Samstag nicht für Svenja habe. Übrigens, was hast du am Samstag vor mit Eiern und Gurken?«
Birgits Blick wurde freundlicher. Seit ihrer Scheidung gehörte das Ausprobieren neuer Ernährungsmodelle zu ihrem Leben. Vorher hatte es für Arnulf recht monothematisch Fleisch geben müssen, mal in Schweinsbraten-, mal in Fleischpflanzl-Form. Birgits Figur hatte das nicht gutgetan.
»Das frage ich mich auch. Die Mausi, mit der ich auf der Fortbildung zur Internetrecherche war, die hat Figur-Probleme. Sie hat mich überredet, am Samstag einen Entschlackungstag einzulegen – mit harten Eiern und Gurken –, angeblich der letzte Schrei der Ernährungslehre. Wenn du mich für Sonderschichten brauchst, mir ist jede Ausrede recht.«
»Birgitchen, ich hätte tatsächlich eine Idee.«
»Sprich und nenn mich nie mehr Birgitchen.«
»Was hältst du von einer Undercover-Recherche auf Lukas Adelhofers Beerdigung? Du gibst dich als Robert-Adelhofer-Fan aus und versuchst irgendwie, dich unters Volk zu mischen und zu hören, was geredet wird. Ich kann das nicht machen, mich kennen die Leute und sagen nichts. Und wenn, dann das, was sie demnächst in ›Fakten‹ lesen wollen.«
Birgit zog die frisch gezupften Augenbrauen hoch, nahm ihre Schuhe vom Schreibtisch, rückte den Rock zurecht, erhob sich und ging ernst auf Katharina zu.
Im nächsten Moment fiel sie ihr um den Hals und rief: »Geile Idee. Endlich kann ich mein ganzes Repertoire ausspielen. Ich gehe als Modell ›trauernde Katzenberger‹, ich habe noch ein paar schwarze Schuhe mit kleinen rosa Herzchen vorne auf der Spitze, und dieses schwarze, tief ausgeschnittene Kleid, ich werde …«
»Ich merke, wir verstehen uns.« Katharina grinste und sah die Beerdigungsszene genau vor sich.
»Du machst einen Schlachtplan und wir reden am Freitag, okay?«
»Okay, Chef«, strahlte Birgit und versuchte unter heftigem Glöckchenklingeln ihre Hacken aneinanderzuschlagen.
Als sie in der Tür war, drehte sich Katharina noch mal um und sagte grinsend: »Das mit dem Autogramm habe ich gestern nicht geschafft. Kannst du dir jetzt selbst holen. Nein, musst du sogar – aus rein professionellen Gründen natürlich.« Birgit zeigte einen Stinkefinger und nahm huldvoll klingelnd an ihrem Schreibtisch Platz.
»Obermann, Kripo Rosenheim.«
»Grüß Gott, Frau Obermann, mein Name ist Katharina Langenfels von ›Fakten‹ aus München. Ich arbeite an einer Serie über Robert Adelhofer.«
»Sie Arme«, kam die spontane Antwort und Katharina war die Frau umgehend sympathisch.
»Es könnte aus der ›Vom Bauernbub zum Starmoderator‹-Story plötzlich ein Krimi geworden sein. Deswegen rufe ich an.«
»Ich fürchte, Sie werden mehr über die unappetitlichen Sendungen des noch lebenden Herrn Adelhofer schreiben müssen als über den Tod des Bruders. Aber bevor ich mehr sage, Frau Langenfels, ich kenne und schätze Ihre Artikel. Die Medell-Sache – Hut ab. Drum verlasse ich mich darauf, dass das, was ich Ihnen erzähle, zunächst unter uns bleibt. Und Sie nur das schreiben, was ich freigebe. Einverstanden?«
»Einverstanden, Frau Obermann, ich kenne die Regeln und halte mich grundsätzlich daran.«
»Gut«, kam es sachlich zurück. »Nach allem, was wir bisher wissen, war es Selbstmord. Und damit zwar eine Story, die Herr Adelhofer vermutlich noch in seiner Sendung auswalzen wird, aber hoffentlich nichts für ein seriöses Blatt wie ›Fakten‹.«
»Das mit dem Selbstmord ist verbrieft?«
»Wir haben keinerlei Hinweise auf Fremdeinwirkung gefunden. Stattdessen ein Büchlein im Zimmer von Lukas Adelhofer, in dem er seinen Selbstmord exakt beschreibt.«
»Bitte?«
»Ja, er hat ziemlich perverse Kurzgeschichten geschrieben, in denen sich ständig Menschen umbringen. Einer davon genau so, wie er es tatsächlich gemacht hat.«
»Und diese Geschichten stammen wirklich von Lukas Adelhofer?«
»Es ist eindeutig seine Handschrift, wir haben es mit anderen Dokumenten verglichen. Sein Freund, der uns überhaupt den Hinweis gegeben hat, dass Lukas Adelhofer sich in der Scheune befinden könnte, hat von Depressionen und Selbstmordgedanken berichtet. Ansonsten legt der Rest des Zimmers ebenfalls nahe, dass es niemand bewohnte, der Spaß am Leben hatte. Seine Eltern hatten keinen Zutritt. Wenn Lukas wegging, hat er zugesperrt. Das hat mir seine Mutter erzählt. Arme Frau übrigens, völlig am Ende.«
»Wie muss ich mir Lukas’ Zimmer vorstellen?«
»Na ja, totales Chaos, altes, benutztes Geschirr, Stapel von Zeitungen und Zeitschriften, verschimmelte Lebensmittel. Ich würde es als Zimmer eines Messies beschreiben.«
»Und die Beerdigung ist definitiv am Samstag?«
»Bis heute Abend haben wir das Ergebnis der Obduktion. Wenn die nichts an unserem bisherigen Ermittlungsstand verändert, geben wir die Leiche frei. Auf Wunsch der Familie findet dann am Samstag um 11 Uhr die Trauerfeier statt.«
Katharina verabschiedete sich in Gedanken vom gemütlichen Samstag mit Svenja.
Nina Obermann fuhr fort: »Wenn Sie mich am Samstag nicht dort sehen, haben wir den Fall ad acta gelegt. Sie können mich trotzdem gern kontaktieren, falls Sie noch etwas brauchen. Würde mich freuen, Sie persönlich kennenzulernen. Ausgezeichnete journalistische Arbeit ist man heutzutage nicht mehr gewöhnt.«
»Danke, Frau Obermann.« Wieder konnte Katharina nicht glauben, wie bekannt sie durch die Medell-Geschichte geworden war. Fans bei der Polizei zu haben, konnte jedenfalls nicht schaden. »Eine Frage hätte ich noch. Wer ist der Freund, der Ihnen den Hinweis auf die Scheune gegeben hat?«
»Das darf ich Ihnen leider wirklich nicht sagen, verstehen Sie sicher, Frau Langenfels. Ich kann ihn fragen, ob ich seine Kontaktdaten rausgeben darf. Rufen Sie mich einfach nach der Beerdigung noch mal an, falls wir uns nicht sehen. Ich muss, Servus, Frau Langenfels.«
Katharina legte mit dem guten Gefühl auf, dass sie mit Frau Obermann eine verlässliche Ansprechpartnerin hatte.
Weniger gute Gefühle holten sie sofort bei dem Gedanken an das ein, was sie als Nächstes vor sich hatte. Ihr Alter Ego tauchte in ihrem Kopf auf und meckerte oberlehrerinnenhaft: »Du bist Mutter, Katharina Langenfels, vergessen? Du bist nicht die Zwischenstation in Svenjas Leben, wo sie übernachtet und morgens ein hektisches Müsli zusammengerührt bekommt. Wie stellst du dir das vor? Findest du, dass du eine gute Mutter bist?«
Katharina nahm trotzig den Hörer in die Hand, fand, dass sie einen guten Plan hatte, und wählte Olivers Nummer.
»Hallo, wie geht’s?«
»Zu meinem Druck im Kopf kommen noch Schmerzen im Analbereich. Wenn ich morgens auf der Toilette bin, kannst du dir überhaupt nicht vorstellen, wie das …«
»Äh, Oliver, bitte keine Details …«
»Mein Gott, bist du empfindlich, jeder zweite Deutsche hat Hämorrhoiden, da wird man doch drüber reden dürfen. Wobei ich das in meinem Fall gerne checken lassen möchte, es fühlt sich nicht harmlos an. Ich habe morgen sowieso in der Uniklinik den Kernspintermin wegen meiner Nebenhöhlen. Meinst du, die könnten bei der Gelegenheit gleich untenrum auch nachschauen?«
Katharina versuchte, ruhig zu bleiben, sonst konnte sie ihren geplanten Vorstoß vergessen. »Nein, Oliver, ich vermute, das wird nicht gehen. Um den Darm anzuschauen, macht man eine Darmspiegelung, keine Kernspintomografie. Aber ehrlich gesagt, wegen Hämorrhoiden, ich weiß nicht, überleg’s dir vielleicht noch mal. Als Privatpatient kriegst du schnell eine, wenn du es wirklich willst.«
»Ich denke drüber nach. Nächste Woche geht es nämlich nicht, da bin ich montags beim Hautkrebsscreening, Mittwoch beim Osteopathen und irgendwann muss ich mich um meine Klienten kümmern.«
»Klar, Oliver, verstehe ich. Sag mal, was würdest du von einem richtig schönen Ausflug am Samstag halten? Svenja, du und ich? Es ist ewig her, dass wir das zuletzt gemacht haben. Vorschlag: Wir fahren mit meinem Auto an den Chiemsee, Fraueninsel fände ich zum Beispiel toll. Wir gehen baden, lecker essen und abends zurück. Hast du Lust?«
»Hm, gute Idee, Chiemsee, Dampferfahrt auf die Fraueninsel, Schweinsbraten im Biergarten, danach Apfelstrudel …«
Katharinas Plan schien aufzugehen. Frauenchiemsee war Olivers zweite Heimat. Vielleicht würden sie ihm irgendwann ein ambulantes OP-Zentrum dort einrichten, dachte sie und sagte: »Spitze, ich freu mich.«
»Katharina?«
»Ja?« Katharina versuchte unbedarft und entspannt zu klingen, voller Vorfreude auf den samstäglichen Ausflug.
»Wie lange kennen wir uns?«
»Unser Kennenlerntag war der 15. September, erster Schultag Grundschule. Also vor Ewigkeiten. Du mit deiner weiß-blau rautierten Schultüte neben mir in der Bank, wie könnte ich es vergessen.«
Kein Kichern am anderen Ende der Leitung, stattdessen: »Findest du nicht, dass es an der Zeit wäre, mir gleich reinen Wein einzuschenken, wenn ich auf Svenja aufpassen soll?«
Katharina spürte, wie sie rot wurde. Ertappt. Er hatte recht. »Weißt du, du musst es mir überhaupt nicht schmackhaft machen, mit Svenja Zeit zu verbringen, weil ich sie liebe wie meine Tochter. Und ich helfe dir auch gerne. Sei in Zukunft einfach ehrlich.«
Oliver sprach so ernst, dass sich in Katharinas Hals ein riesiger Kloß bildete. »Oliver, es tut mir leid. Das ist lieb von dir. Woher weißt du …«
»Dass du auf Adelhofers Beerdigung musst? Das habe ich mir gedacht. Richtig getippt?«
»Ja«, kam es kleinlaut von Katharina.
»Na, wunderbar. Wir fahren zu dritt an den Chiemsee, du gehst zwischendrin jemanden unter die Erde bringen. Solange ich nicht mit muss, alles gut. Vielleicht bin ich sowieso der Nächste, zu dessen Beerdigung du gehst. Während wir telefonieren, habe ich einen Druck in der Brustgegend.«
»Olli, wann warst du im Fitnessstudio diese Woche?«
»Vorgestern.«
»Und: Seilzug? Mit mehr Gewicht, als dir guttut?«
»Hm, sonst verliere ich kein Gramm Fett.« Jetzt war er der Kleinlaute.
»Du hast Muskelkater, Oliver Arends, nicht die Vorboten eines Herzinfarkts.«
Erleichterung am anderen Ende: »Stimmt, du hast recht – Besuch beim Kardiologen gespart. Sofern die Untersuchungsergebnisse morgen mich nicht zu einer sofortigen OP zwingen, könnt ihr mich am Samstag um 9 Uhr abholen. Ich muss auflegen. Meine neue Klientin wartet.«
»Danke, Oliver.« Katharina schmatzte einen Kuss durch den Hörer und legte lächelnd auf. Vor einiger Zeit hatte Oliver einen Freispruch für einen jungen Mann aus dem Rockermilieu erwirkt. Dessen Kumpels wollten ihm einen Mord anhängen, den sie in Wahrheit gemeinschaftlich selbst begangen hatten. Seitdem wurde Oliver von Anfragen aus dem »anderen« Milieu Münchens regelrecht überschüttet. Aktuell verteidigte er eine junge Prostituierte, die ihrem Kunden den Penis abgeschnitten hatte – weil er sie vorher mehrfach brutal geschlagen und misshandelt hatte. Bei der letzten Attacke war sie vorbereitet und im Besitz eines Messers gewesen.
Vielleicht kamen daher Olivers hypochondrische Schübe, überlegte Katharina. Bisher war zwar nichts passiert, aber die Gegenseite seiner Klienten verhielt sich vermutlich wenig zimperlich. Andererseits war Oliver schon als Kind ängstlich gewesen, in seinem Job dagegen extrem cool.
Darüber musste sie irgendwann in Ruhe nachdenken. Jetzt war Adelhofer dran. Katharina verbrachte den restlichen Tag damit, wie mit RG besprochen, den ersten Artikel über Adelhofer für die morgige Ausgabe von »Fakten« zu schreiben. Hauptinhalt: ihr exklusives Treffen mit dem Fernsehstar nach der Pressekonferenz und das abrupte Ende, weil er zu seinem toten Bruder musste. Damit würde sie die weiblichen Adelhofer-Fans für die Serie interessieren. Exklusive Gespräche mit ihrem Helden würden sie vermutlich auch gern führen. Sie kündigte weitere Hintergrundinformationen für die nächsten Folgen an und hoffte, dass sie die bekommen würde.
Donnerstagvormittag,
»Monaco TV«, München
»Richtig, die Leiche ist freigegeben … Sie dürfen fotografieren … Nein, während der Trauerrede nicht … Nein, die Gesichter der Eltern nicht groß. So viel Respekt werden sogar Sie aufbringen können, Herr Riebelgeber. Halten Sie sich an Robert, der ist das gewöhnt … Ja, der Pfarrer hat sich mit dem Begräbnis einverstanden erklärt. Nein, der Selbstmord steht dem nicht entgegen. 11 Uhr am Samstag, alles klar … ›Ich freue mich‹ finde ich unpassend, Herr Riebelgeber … Ob die Lesereise stattfindet, kann ich Ihnen derzeit noch nicht sagen. Wiederhören.« Entnervt knallte Achim Wedel den Hörer auf und reckte Robert Adelhofer das Victoryzeichen entgegen. »Geschafft, sie werden alle kommen. Die ›Abendausgabe‹, der ›Münchner Tageskurier‹, die ›Post der Frau‹, ›Szene‹, sogar die Tussi von ›Fakten‹.«
»Und wer wird mir den Tipp mit der Sendung geben?« Robert Adelhofer fläzte in dem roten Ledersessel, den ihm die Mitarbeiter seiner Produktionsfirma zur 200. Sendung geschenkt hatten. Ihm gegenüber saß Wedel an Roberts riesigem Schreibtisch und bewachte Telefon und iPhone. Robert war »in Trauer«, er konnte keinerlei Anrufe persönlich entgegennehmen.
Wedel grinste breit. »Das mache ich mit der Tränendrüsentante von ›Szene‹. Die weiß Bescheid. Sie wird dich am Samstag nach der Beisetzung darauf ansprechen. Dann sind alle Mikrofone und Kameras an. Schließlich wollen die Leute Roberts Tränen haben.«
»Gut, und wann senden wir?«
»Nächste Woche, schließlich trauern wir weiter, nur halt im Fernsehen.« Wedel senkte seine Stimme und fragte betont einfühlsam: »Schaffst du das, Robert? Oder brauchst du noch mehr Zeit?«
Adelhofer zeigte ihm einen Stinkefinger und Wedel grinste.
»Wie sieht unser Zeitplan nach der Beerdigung aus? Ich sollte noch exklusiv mit der Langenfels reden, das ist Publicity für eine neue Klientel, Besseres kann mir nicht passieren.«
»Du sagst deinen Eltern, dass sie eine große, schöne Geschichte über euch zwei Brüder machen will und dass du deshalb nach der Beerdigung noch eine Stunde Zeit brauchst. Danach trinkst du mit Mama und Papa einen Kaffee auf den toten Lukas, wir fahren zurück und du bleibst schön unter Verschluss. Zu viel ›Robert nach der Trauerfeier‹-Bilder können wir nicht gebrauchen.«
»Und die Lesereise?«
Wedels Grinsen wurde breiter. »Verschoben. Wir verkaufen erst mal deine Biografie und aus Trauer um deinen Bruder entfällt die Lesereise. Die machen wir für die zweite Auflage mit der Aktualisierung zu Lukas’ Tod. Sie werden uns garantiert die Bude einrennen.«
Adelhofer nickte zustimmend. »Und wer schreibt die Aktualisierung? Ich bin für ein neues Vorwort, exklusiv von mir verfasst.«
Wedel war begeistert. »Super, Robert, ich sehe, wir verstehen uns.«
Donnerstagvormittag,
Redaktion »Fakten«, München
Als Katharina Adelhofers Nummer auf ihrem Display sah, beschloss sie, erst abzuwarten, und hörte sich die Nachricht auf ihrer Mailbox an:
»Guten Tag, Frau Langenfels, Achim Wedel hier von Herrn Adelhofers Management. Im Auftrag von Herrn Adelhofer, der sich verständlicherweise derzeit außerstande sieht, selbst Termine zu vereinbaren, folgende Anfrage: Es ist von großem Interesse für die gesamte Familie Adelhofer, einem herausragenden Printmedium ein Exklusivinterview zu den traurigen Ereignissen dieser Woche zu geben. Herr Adelhofer würde sich freuen, wenn ›Fakten‹ das wäre. Sagen Sie mir bitte baldmöglichst Bescheid, ob Ihre Zeitschrift Interesse hat. Schönen Tag noch.«
Herr Wedel konnte auch seriös, stellte Katharina trocken fest. Tatsächlich schien sie die bereits in »Fakten« angekündigten Exklusivinformationen zu bekommen, perfekt.
Katharina griff zum Telefonhörer. Obwohl ihr Chef nur zwei Büros weiter saß, zog sie es grundsätzlich vor, ihn anzurufen.
»Frau Langenfels«, kam RGs Stimme aus dem Hörer. »Was macht happy Robert?«
»Oh, happy ist er vielleicht gerade nicht, Herr Riesche-Geppenhorst, ›beautiful Robert‹ nennen ihn die Kollegen eigentlich.«
Das Schweigen am anderen Ende der Leitung bedeutete nichts Gutes. Daher redete Katharina einfach schnell weiter: »Äh, es geht um Folgendes: Achim Wedel, der Manager von Adelhofer, will uns das Exklusivinterview nach der Beerdigung geben. Machen wir das?«
»Frau Langenfels«, tönte es vom anderen Ende, »Herr Wedel fragt direkt bei ›Fakten‹ an. Das heißt, die wollen seriöse Berichterstattung und keinen erfundenen Schwachsinn. Klar machen wir das.«
»Okay, Herr Riesche-Geppenhorst, das sehe ich genauso.«
»Falls sie nach Geld fragen, werden wir eine Lösung finden. Glaube ich aber eigentlich nicht. Die wollen an die Guten ran und Adelhofer und sein Manager werden auch ohne unser Geld in St. Moritz wedeln gehen. Viel Erfolg, Frau Langenfels.« Kichernd wegen seiner gelungenen Pointe legte RG auf.
Im gleichen Moment hörte Katharina ein leises Klingeln und es klopfte an ihre Bürotür. Birgit betrat mit ihren Klingglöckchen-Schuhen das Büro ihrer Freundin.
»Frag mich bitte, wie geil das ist, was ich herausgefunden habe.«
»Birgit, was hast du Geiles herausgefunden?«, fragte Katharina weisungsgemäß.
Wenige Sekunden später starrte sie auf die Fotos, die ihre Freundin ihr auf den Schreibtisch geknallt hatte.
Samstagvormittag,
Breitbrunn am Chiemsee
»Ziemliche Silikon- und Botoxdichte, würde ich sagen.« Die geschmacklose Bemerkung, die Horst Riebelgeber Katharina am Grab von Lukas Adelhofer meinte, ins Ohr flüstern zu müssen, wurde begleitet von dem feinen Schweißaroma, das Riebelgeber stets umgab. Seine persönliche Note wurde noch durch eine kräftige Knoblauchfahne unterstützt, die dafür sorgte, dass Katharina nach einem knappen »hm« angewidert den Kopf wegdrehte.
Inhaltlich hatte Riebelgeber allerdings vollkommen recht.
Nach Einheimischen sah es hier nicht aus. Und immerhin standen nach Katharinas Schätzung rund 200 Menschen in einer riesigen Traube um das offene Grab von Lukas Adelhofer – weibliche Menschen zumeist. Bei der Trauerfeier in der Kirche war Katharina bereits aufgefallen, dass viele der Anwesenden weiblich und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht wegen des Toten gekommen waren – sondern, um mit beautiful Robert zu weinen und sich nach der Beerdigung vielleicht in Trauer mit ihm zu vereinen.
Die Auswahl an bizarren Begräbnis-Outfits legte solche Gedanken nahe. Tief dekolletierte schwarze Korsagen, engste schwarze Miniröcke über Netzstrumpfhosen, Stöckelschuhe, in denen die Füße der Trägerinnen fast senkrecht standen.
Birgit passte bestens dazu. Sie hatte sich unter die anderen Fans gemischt und trug ein kleines Schwarzes, bei dem das Adjektiv »klein« wörtlich zu nehmen war. Dazu schwarze Lack-Stilettos mit einer grünen Spitze aus Krokodilimitat und eine Strumpfhose mit schwarzen Kreuzen – wohl eine Referenz auf die Beerdigung.
Zumindest eine Frau auf dieser Beerdigung war nicht aufreizend gekleidet.
Es musste Roberts und Lukas’ Mutter, Rosa Adelhofer, sein. Katharina hatte sie auf Fotos in Homestorys der verschiedenen Klatschblätter gesehen. Sie schaute traurig in die Kamera und versuchte freundlich zu lächeln, was aber missglückte. Im Moment stand sie – den Kopf tief nach unten gebeugt – vor dem offenen Grab und klammerte sich an die Rose, die sie ihrem Sohn gleich als letzten Gruß auf den Sarg werfen würde. Ihr Gesicht konnte Katharina nur von der Seite sehen. Insgesamt wirkte die komplett in Schwarz gekleidete Gestalt gefasst. Kein Schluchzen war von ihr zu hören, kein Beben der Schultern zu sehen. Sie schien die ganze Trauer mit der Rose zu teilen, die sie in den Händen hielt – und anscheinend nicht ins Grab werfen wollte.
Die Grabrede des Pfarrers war gerade zu Ende. Jetzt würden Angehörige und Trauergäste vor den Sarg treten und sich von dem Toten verabschieden. Offenbar sollte Rosa Adelhofer die Erste sein. Sowohl Robert, der links von ihr stand, als auch Roberts und Lukas’ Vater Max rechts von ihr versuchten, sie mit kleinen Stupsern dazu zu bewegen, die Zeremonie zu beginnen. Rosa schien das nicht zu bemerken. Sie war offenbar völlig in sich versunken.
Irgendwann entschloss sich Robert, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Er trat vor und warf seine Rose auf den Sarg. Anschließend erwies er seinem toten Bruder durch eine kurze Verbeugung die letzte Ehre und gab seinem Vater ein Zeichen, das Gleiche zu tun.
Anschließend unternahmen beide einen letzten Versuch, Rosa Adelhofer vom Grab wegzuholen – vergeblich. Sie zeigte keinerlei Reaktion auf das, was ihr Mann und Sohn ins Ohr flüsterten, blieb vor dem Sarg stehen, den Kopf gesenkt, die Rose fest in der Hand.
Schließlich gaben Robert und Max auf und traten zur Seite, um den anderen Trauergästen den Zugang zum Grab zu ermöglichen.
Es begann eine langwierige, stumme Prozession zum Sarg. Anschließend kondolierte jeder und jede Anwesende Robert und seinem Vater. Katharina stellte fest, dass die Blicke vieler Damen alles andere als traurig wirkten, wenn sie Robert die Hand schüttelten. Der selbst war entweder tatsächlich bewegt oder er spielte seine Rolle sehr gut. Er stand mit Tränen in den Augen an der Seite seines gramgebeugten Vaters. Max Adelhofer schaute zu Boden und erwiderte jeweils kurz und mechanisch jeden Händedruck. Robert hatte für diesen Anlass den Designer-Anzug mit dunkler Tracht getauscht und trug wie sein Vater eine dunkelbraune Lederhose, schwarze Haferlschuhe und einen grauschwarzen Trachtenjanker.
Katharina und Riebelgeber hatten sich inzwischen eingereiht in die Kondolierenden.
Ein absurdes Bild, dachte Katharina, wie die beiden Männer dastanden, Hände schüttelten und Rosa Adelhofer den Lebenden den Rücken kehrte.
Nun war sie an der Reihe und drückte zuerst die feuchte Hand von Max Adelhofer. Der alte Mann blickte weiterhin starr vor sich auf den Boden.
Roberts Hand war angenehm trocken, warm, ein fester, selbstsicherer Händedruck.
Genauso selbstsicher wie unpassend schaute Robert Katharina tief in die Augen, während sie »mein Beileid« murmelte. Er beugte sich vor und flüsterte ihr ins Ohr: »In 20 Minuten im Jesusstüberl im Adler.« Katharina nickte kurz und trat zur Seite.
Die Trauergesellschaft löste sich langsam auf, ein Leichenschmaus war nicht vorgesehen. »Nach der Trauerfeier bitten wir Sie, die Privatsphäre der Familie Adelhofer zu akzeptieren« – das stand in den Todesanzeigen, die Katharina am Morgen in zahlreichen großen Tageszeitungen gelesen hatte. Dies hielt allerdings diverse tief dekolletierte Damen nicht davon ab, mit »Robert, Robert«-Rufen die Aufmerksamkeit des trauernden Bruders zu gewinnen. Manche streckten ihm sogar Autogrammkarten und Stift entgegen. Robert lächelte gequält in Richtung seiner Fans und flüsterte ein »heute nicht«. Achim Wedel besorgte den Rest und schickte die Frauen bestimmt weg. Adelhofer näherte sich unterdessen den wartenden Fotografen und Journalisten.
Max Adelhofer ging mit gesenktem Kopf in Richtung Parkplatz. Dass seine Frau mitkommen würde, hatte er wohl aufgegeben.
Die stand nach wie vor am Grab und hielt ihre Rose fest umklammert. Katharina tat sie unendlich leid. Aus einem spontanen Impuls ging sie auf die alte Frau zu und flüsterte ihr ins Ohr: »Über Ihre Rose würde sich der Lukas bestimmt am meisten freuen, Frau Adelhofer.«
Rosa Adelhofer schaute kurz zu Katharina und der Hauch eines Lächelns zog über ihr Gesicht. Sofort fiel sie in ihre vorige Haltung zurück, den Blick aufs Grab gerichtet, die Rose fest in der Hand.
Katharina ging lustlos zu dem Journalistenpulk hinüber, der sich um Robert und seinen Manager drängte.
Riebelgeber hatte es bis nach vorne zu beautiful Robert geschafft und Katharina stellte sich vor, welche Gerüche sich mit Adelhofers edlem Parfum mischten.






