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Schwierige Situationen liebevoll zu bewältigen, ist leichter, wenn wir uns vor Augen führen, dass es genauso lange dauert, das Chaos eines Kindes aufzuräumen, wenn wir wütend sind, wie wenn wir uns über es freuen. Wenn wir dem Kind die Worte ersparen, die Schuldgefühl, Groll und Scham hervorrufen, fühlt es sich wertvoll, geschätzt und gewürdigt. Diese Gefühle, die uns miteinander verbinden, machen unsere Zeit mit Kindern so wertvoll für sie und für uns.
Wenn Sie Ihr Kind um etwas bitten
Manchmal möchten wir ein Kind um etwas bitten – nach dem Duschen das Handtuch aufzuhängen, ein Telefongespräch zu beenden, woanders Krach zu machen oder schmutzige Stiefel auszuziehen, bevor es ins Haus kommt. Die Worte, die wir in diesen Situationen verwenden, können ein Kind beschämen und ihm ein schlechtes Gewissen machen, oder sie können Rücksichtnahme und gegenseitige Fürsorge bewirken. Bis vor kurzem wurden Schuldzuweisung und Beschämung als Werkzeuge der Kontrolle, die keine Fürsorge bewirkten, sondern durch Angst Gefügigkeit erzeugten, eingesetzt. Typische Sätze wie „Wie oft muss ich dir noch sagen…?“, „Was ist los mit dir?“, „Du hast alles verdorben“, „Wenn du nicht… bekommst du was zu hören!“ klingen vielen Leuten noch aus ihrer Jugend in den Ohren.
Bisweilen war die Kontrolle subtiler, und wir fühlten uns verpflichtet, ohne zu wissen warum, etwa wenn Eltern sagten: „Jamie ist so ein liebes Mädchen; ich weiß, dass sie dir helfen wird.“ Wir wurden gelobt, wenn wir die Wünsche unserer Eltern erfüllten, und ignoriert, wenn wir es nicht taten. Uns wurde gesagt, wenn wir unsere Eltern liebten, müssten wir tun, was sie sagten. Wir wurden mit Essen, Lob, Liebe, Privilegien oder Geschenken bestochen und mit einer Vielzahl von Maßnahmen manipuliert. Diese Methoden, uns gefügig zu machen, waren ebenso Instrumente der Kontrolle, nur auf verstecktere Art. Kinder, die auf diese Weise kontrolliert wurden, waren oft verwirrt von dem, das einerseits so sanft und liebevoll wirkte, bei dem sie sich andererseits aber klein, beschämt und nicht authentisch fühlten.
Nachdem Kinder viele Generationen lang so aufwuchsen, dass sie aus Angst heraus das taten, was ihre Eltern sagten, machen wir uns nun endlich dazu auf, Kinder mit derselben Würde, wie wir sie uns für uns selbst wünschen, zu behandeln. Sich von dem alten Konzept, dass man von einem Kind erwartet, das zu tun, was Mutter oder Vater sagen, zu verabschieden, ist nicht einfach. Es verlangt Engagement, ständige Übung und Selbstkontrolle. Vielleicht ist es für Sie am ehesten eine Hilfe, sich eine Minute Zeit zu nehmen, bevor Sie Ihr Kind um etwas bitten, und sich selbst zu fragen: „Wie würde ich (oder würde ich überhaupt) einen erwachsenen Freund darum bitten?“
Nach dem neuen Paradigma sind Kinder nicht verpflichtet, unsere Wünsche zu erfüllen. Sie sind frei, gemäß ihrer eigenen Entscheidung auf unsere Bitten zu reagieren, und wir tun gut daran, ihre Entscheidungen zu respektieren und Rücksicht auf ihre Grenzen und Ambitionen zu nehmen. Es ist unsere Aufgabe, mit Kindern so zu kommunizieren, wie wir es mit unseren erwachsenen Freunden tun würden, ohne zu verstehen zu geben, dass wir von ihnen erwarten zu tun, worum wir sie bitten. Wenn unsere Bitte nicht erfüllt wird, sollten wir das entweder respektvoll akzeptieren oder Verständnis für die Wahl des Kindes zeigen und Möglichkeiten erörtern, wie die Bedürfnisse von allen erfüllt werden können, oder eine Lösung finden, mit der sowohl das Kind als auch wir glücklich sein können.
Bringen Sie Ihre Bitten authentisch vor; tun Sie nicht so, als sollte etwas dem Kind zuliebe geschehen, wenn es in Wirklichkeit Ihnen zuliebe geschehen soll. So sind zum Beispiel Sie es, die sich ein ordentliches Zimmer wünschen, nicht das Kind. Sie wollen lehren, aber das Kind will nicht lernen. Vorzeitiger Unterricht ist wie eine vorzeitige Geburt: Er hat seinen Preis, er verlangsamt den Lernprozess und lässt eine Mauer des Misstrauens zwischen Ihnen und Ihrem Kind entstehen. Haben Sie Vertrauen in die Entwicklungsschritte Ihres Kindes und stellen Sie ehrliche Bitten: „Ich wünsche mir, dass das Zimmer ordentlich ist.“ Ihr Kind kann Ihnen beim Aufräumen helfen oder nicht, jedenfalls wird es von Ihrem Wunsch nach Ordnung erfahren und wird sich später dasselbe für sich wünschen (oder einen Partner finden, der es zu mehr Ordnung bewegt oder der selbst aufräumt, was auch eine Möglichkeit ist).
Gestehen Sie Ihrem Kind Unschuld zu, und überlegen Sie gut, bevor Sie eine Bitte äußern. Wenn Ihr Kleinkind mit matschigen Schuhen ins Haus kommt und über den Teppich geht, ist es sich keines Problems bewusst. Sie können einfach die Tatsachen schildern: „Deine Schuhe sind schmutzig. Lass sie mich dir ausziehen.“ Dann machen Sie den Teppich sauber.
Wenn Sie anfangen, den Teppich sauber zu machen, entscheidet sich das Kleinkind vielleicht, Ihnen zu helfen, aber vielleicht auch nicht. Es spielt keine Rolle, ob es beim Saubermachen hilft. Es zum Helfen zu zwingen oder zu drängen, würde nur Gefühle des Versagens, des Grolls und der Schuld auslösen. Diese schmerzlichen Gefühle lassen einen authentischen Wunsch zu helfen gar nicht erst aufkommen. Wenn unser Kind dagegen zusieht, wie wir saubermachen, und sich selbst dabei gut fühlt, oder wenn es fröhlich weggeht und den Teppich hinterher sauber vorfindet, kann es das, was wir tun, in sich aufnehmen und später die freie Entscheidung treffen, bei unserem Tun mitzumachen. Wenn Ihr Kleinkind seine Hilfe anbietet, lassen Sie sich von ihm helfen, ohne es zu kritisieren, ihm ihrerseits zu helfen oder in seiner Gegenwart hinter ihm her zu wischen. Sie können ihm vorschlagen, den Besen zu holen oder zu helfen, aber vermeiden Sie, es zu lenken, so dass es selbst entscheiden kann, ob es sich beteiligen, zusehen oder weggehen will.
Wenn junge Kinder gemaßregelt werden, sind sie durch die intensiven Gefühle und Wertungen ihrer Eltern oft so verängstigt, dass sie den Inhalt der Aussage überhaupt nicht verstehen. Auch wenn die richtigen Worte in einem etwas scharfen Tonfall oder eine versteckte Anschuldigung mit süßer Stimme vorgebracht werden, ist das für die Gefühle eines jungen Kindes zu überwältigend und lenkt seine Aufmerksamkeit davon ab, zu merken, worum es eigentlich geht. Es ist dann zu sehr damit beschäftigt, sich verletzt oder eingeschüchtert zu fühlen. Doch wenn das Kind spürt, dass der Fluss des Lebens und der Liebe frei fließen kann und dass seine Würde geachtet wird, kann es sich am besten der vielen Gewohnheiten und Bedürfnisse seiner Mitmenschen bewusst werden. Das Kind braucht keine Hilfe, um zu lernen, wie es mit uns zusammenleben soll; was es braucht, ist, dass wir ihm vertrauen und seinem Lernen nicht im Wege stehen.
Wenn Sie nur das „s“ von S.A.L.V.E. beherzigen, wird der Rest ganz von selbst kommen. Sobald Sie dem Geschwätz in Ihrem Inneren auf den Grund gehen oder es an sich vorbeiziehen lassen, ohne ihm Folge zu leisten, können Sie statt Ihrer eigenen Reaktionen Ihr Kind wahrnehmen. Ob Sie eine Bitte äußern oder auf ein Problem eingehen – wenn Sie präsent und frei sind, Aufmerksamkeit zu schenken, werden Sie sich wahrscheinlich in Ihr Kind einfühlen können und wissen, was zu tun ist.
Zurückspulen
„S.A.L.V.E. funktioniert, wenn ich daran denke“, sagt ein zweifelnder Vater. „Aber was ist, wenn ich nicht daran denke, mir Zeit zu nehmen? Wenn ich vor Wut einfach herausplatze?“
Es ist in der Tat nicht einfach, Gewohnheiten zu verändern, und es wird vorkommen, dass Sie in alte Verhaltensmuster zurückfallen. Um sich von einem gewohnheitsmäßigen „Negierer“ in einen „Wertschätzer“ zu wandeln, brauchen Sie Zeit und Übung. Fangen Sie an, indem Sie sich Ihre negierenden Bemerkungen bewusst machen, ohne zu versuchen, sie zu ändern. Schimpfen Sie innerlich nicht mit sich selbst, weil Sie Ihr Kind oder Ihren Partner negiert haben. Liebevolles Handeln zu entwickeln fängt damit an, zu sich selbst freundlich und geduldig zu sein. Ergründen Sie Ihre Gedanken, wenn die Situation vorbei ist. Es ist nur eine Stimme in Ihrem Kopf. Hören Sie sie verklingen und gewinnen Sie einen Augenblick in der Gegenwart. Prüfen Sie ihre Relevanz für den Moment, dann werden Sie klarer sehen. Stellen Sie sich vor, wie Sie ohne diese Stimme sein würden, dann richten Sie den Blick darauf, wie das, was Sie von Ihrem Kind erwarten, vielleicht auf Sie selbst zutrifft, und Sie werden Ihre Liebe zu sich selbst und zu Ihrem Kind spüren.
Durch regelmäßige Übung werden Sie allmählich lernen, Ihre Gedanken mitten im Satz zu unterbrechen und deren Richtung zu ändern. Wenn das geschieht, können Sie Ihren Fehler vielleicht Ihrem Kind gegenüber einräumen, „zurückspulen“ und noch einmal von vorne anfangen.
Wir können lernen, Nutzen daraus zu ziehen, dass wir unbefriedigend verlaufene Szenen noch einmal wiederholen, wie bei einer Theaterprobe. Sie können sogar zu Ihrem Kind sagen: „Spulen wir zurück. Ich spiele die letzte Szene noch mal.“ Mit etwas Übung werden Sie sich rechtzeitig bremsen können, so dass die negierenden Worte unausgesprochen bleiben und Sie sich mit offenem Herzen und wachem Geist Ihrem Kind zuwenden können. So spulte ein Vater, der an einem meiner Workshops teilgenommen hatte, seine Ankunft zu Hause noch einmal zurück.
Als Norm das Haus betrat, waren überall auf dem Boden kaputte Kartons und zerbrochene Buntstifte verstreut. Er fing an, sich über das Durcheinander zu beschweren und zu verlangen, die Kinder sollten sofort alles aufräumen. Miranda, das jüngste Kind, fing zu weinen an, und ihr älterer Bruder Leon sagte: „Aber Papa, wir sind so schön am Spielen.“ „Das ist kein Spiel, all die Kartons und Buntstifte kaputtzumachen“, brüllte Norm… und dann hörte er unvermittelt mit dem Brüllen auf und sagte: „Spulen wir zurück! Lasst mich diese Szene noch mal machen.“ Theatralisch ging Norm rückwärts und verließ das Haus. Dann kam er lächelnd wieder herein. „Hallo, Kinder, wie geht’s euch?“ Er küsste jedes Kind und seine Frau und fuhr fort: „Oh, schau an, was entsteht denn hier?“ Die Kinder erklärten eifrig ihr Spiel, und seine Liebe und sein Interesse waren wiederhergestellt.
Es erfordert Zeit und Übung, eine solche Achtsamkeit zustande zu bringen. Schließlich sind wir alle in einer Kultur aufgewachsen, in der Negieren automatisch geschieht, einer Kultur, die uns gelehrt hat, uns mit den automatischen Worten, die in unserem Inneren ablaufen, zu identifizieren. Wir negieren so gedankenlos, dass unsere Äußerungen nicht einmal dem entsprechen, was wir wirklich denken oder fühlen; wir sind nicht authentisch. Doch es wird Ihnen nicht helfen, wenn Sie sich selbst dafür verurteilen, dass Sie solch menschliche Gedanken haben. Auch Sie sollen noch wachsen; seien Sie liebevoll zu sich selbst. Fangen Sie an, indem Sie eine einfache Abmachung mit sich selbst treffen: Wenn Sie aus der Fassung geraten, sagen Sie nicht die ersten Worte, die Ihnen in den Sinn kommen; diese würden zwangsläufig jemanden negieren und verletzen. Sie können „zurückspulen“, sobald Sie sich ertappen, selbst wenn Sie schon mitten in der Szene oder sogar an deren Ende sind. Es ist nie zu spät, aus einem Albtraum aufzuwachen.
Die negierenden Worte im eigenen Kopf zu hören und zu stoppen, ist die Grundlage dafür, wertschätzend und liebevoll zu kommunizieren. Vielleicht gelingt es Ihnen in den ersten Monaten nur ab und zu, Ihre negierenden Worte zu stoppen, doch mit der Zeit wird es die alte Gewohnheit des Kontrollverlusts und der alten Filme, die Ihr Leben beherrschen, ersetzen.
Wenn Sie je eine neue Sprache, ein Musikinstrument oder eine andere schwierige Fertigkeit erlernt haben, wissen Sie, dass es Zeit und Wiederholung braucht, um irgendetwas zu meistern. Übung führt nicht zu Perfektion, Übung führt zu Beständigkeit. Ihre alten Gewohnheiten sind über viele Jahre eingeübt worden. Lassen Sie Ihr Kind wissen: „Das ist neu für mich. Ich lerne noch.“
Wertschätzung für Unausgesprochenes
Es gibt täglich Gelegenheiten, einem schlecht gelaunten, aggressiven oder mürrischen Kind, das sich sträubt, seine Gefühle in Worten auszudrücken, seine Wertschätzung zu zeigen. In einem Beratungsgespräch erzählte mir Rebecca, eine Mutter, wie es ihr gelungen war, eine Verbindung zu ihrem Kind herzustellen.
Weil Rebecca auffiel, dass ihr Sohn Josh nach der Schule schlecht gelaunt war, sagte sie: „Ich frag mich, wie es für dich ist. Ich weiß noch, wie es war, als ich im fünften Schuljahr war. Ich hab meinen Lehrer gehasst und hatte keine Freunde. Es war so ein unangenehmes Jahr für mich.“ Josh spitzte die Ohren, stellte ein paar Fragen und sagte dann: „Der Lehrer hat heute mit mir geschimpft, und dann haben Rob und Dan mir Grimassen geschnitten und in der Pause nicht mit mir gespielt.“ Rebecca achtete darauf, nicht nach dem Grund des Schimpfens zu fragen und keine Gefühle zu benennen. Stattdessen bemühte sie sich weiter darum, auf neutrale Weise seine Erfahrung zu spiegeln: „Oh, wie blöd.“ Josh merkte, dass seine Mutter ihn verstand, daher fuhr er fort: „Ich hasse diesen Lehrer. Egal, was ich mache, nichts ist ihm gut genug.“ „Du hast getan, was du konntest, und trotzdem hat er geschimpft und dich kritisiert?“, fragte Rebecca.
„Ja“, antwortete Josh, „und wenn er das tut, lachen mich meine Freunde aus. Ich hasse die Schule.“
Rebecca setzte sich neben Josh und legte ihm liebevoll die Hand auf die Schulter. Durch ihre Berührung nahm Josh seine Gefühle besser wahr. Tränen liefen ihm über das Gesicht, während er seiner Mutter weitere Einzelheiten seines Erlebnisses und noch mehr Geschichten davon erzählte, wie er in der Schule und in der Beziehung zu seiner Schwester litt. Hinterher fühlte er sich viel besser, und Mutter und Sohn fühlten sich enger miteinander verbunden und waren bereit, an produktiven Lösungen zu arbeiten.
In den folgenden Monaten beschäftigte sich die Familie mit der Möglichkeit, ob Josh zu Hause unterrichtet werden könnte. Josh wollte in dem Jahr weiter zur Schule gehen, im nächsten Jahr entschied er jedoch, sein Lernen außerhalb der Schule selbst in die Hand zu nehmen.
Für Kinder ist es eine Hilfe zu wissen, dass ihre Eltern auch Zurückweisung, Einsamkeit, Angst und Misserfolg erlebt haben. Als ein Vater anfing, seinem Sohn Erinnerungen aus seiner Kindheit zu erzählen, begann der Sohn ungefähr nach einer Woche aufzutauen.
Kinder kommunizieren immer, selbst wenn sie keine Worte benutzen. Manche Kinder drücken ihre Ängste in Fantasiespielen aus. Diese Ängste können sich auch durch gesteigerte Geschwisterrivalität, Bettnässen, Konzentrationsschwierigkeiten oder die Tendenz, mürrisch oder aggressiv zu sein, äußern. Andere Kinder reagieren, indem sie ihre Gefühle verbergen, sich in ihr Zimmer zurückziehen und ihre Zeit mit schmerzlichem Grübeln verbringen. Man übersieht leicht, dass sie unter genauso heftigen Gefühlen leiden können wie ein reizbares Kind, das sich durch Quengeln, Schlagen oder Schreien ausdrückt.
Sowohl das Kind, das seine Gefühle in Handlungen umsetzt, als auch das Kind, das sich verschließt, müssen ihre Gefühle ausdrücken, um nicht darin gefangen zu bleiben. Wenn man in unausgedrückten Emotionen gefangen bleibt, neigt das Innere dazu, die Geschichte zu einem Drama aufzublasen, was die emotionale Freiheit oft lebenslang behindert. (Werden Sie sich bewusst, dass dort, wo Sie sich ängstlich oder in Ihrer Liebesfähigkeit eingeschränkt fühlen, meist eine unverarbeitete, schmerzhafte Geschichte aus Ihrer Vergangenheit, die damit zusammenhängt, reaktiviert wird.) In späteren Kapiteln werden Sie lernen, wie Sie Ihrem Kind produktive Möglichkeiten bieten können, Gefühle der Hilflosigkeit und anderes Leid herauszulassen. Dieses Kapitel beschäftigt sich mit Wegen, eine Verbindung herzustellen und leichter über schmerzliche Gefühle sprechen zu können.
Kommunikation über Verluste
Wenn Dinge geschehen, die man nicht ändern kann (Tod, Scheidung oder Krankheit), ist eine offene Kommunikation die wichtigste Grundlage, um das Geschehene zu verarbeiten. Wenn ein Kind in seiner inneren Welt einsam ist, sind die Auswirkungen dauerhaft und schmerzlich, weil es sich mit dem Schmerz identifizieren und daraus die Geschichte seines Lebens machen wird. Das Kind muss wissen, dass es richtig ist zu empfinden, was es empfindet, und die Fantasien zu haben, die es hat; indem es diese Gefühle ausdrückt, wird es auch entdecken, dass sie nicht seine Identität sind. Es wird dann in der Lage sein, sein eigenes Ich von dem gedanklichen Prozess, der ihm Schmerz bereitet, zu unterscheiden.
Es ist nicht nötig, ein Kind vor unvermeidlichem Schmerz zu schützen, es ist aber nötig, mit ihm über seine Erfahrungen zu kommunizieren. Eine Mutter sagte mir, dass sie vorhatte, ihrer dreijährigen Tochter erst vom Tod ihrer Katze zu erzählen, wenn sie eine neue Katze für sie besorgt hätte. Nach einem Beratungsgespräch mit mir änderte sie ihre Pläne und berichtete ihrer Tochter am gleichen Tag vom Tod der Katze. Sie hörte zu, wie ihr Kind seine Gefühle ausdrückte, und war überrascht, als das Mädchen keine andere Katze haben wollte.
Finden Sie Zeit, jeden Tag über neue Realitäten zu sprechen. Reden Sie über Ihre Erinnerungen und lassen Sie Ihr Kind wissen, dass Weinen, Erinnern und Sprechen über Gefühle eine normale und gesunde Art ist, mit intensivem Schmerz umzugehen. Wenn ein Kind oder Kleinkind sein Leid in Form von Spiel, auf körperliche Weise oder in Form von Kunst ausdrückt, achten Sie darauf, dass Sie seine Botschaft wahrnehmen und wertschätzen. Es ist jedoch wichtig, dem Ausdruck des Kindes keine Dramatik hinzuzufügen, damit es sich frei entscheiden kann, den Blick nach vorne zu richten, wenn es dazu bereit ist.
Wie man Bedauern ausdrückt, damit sich das Kind versöhnt fühlt
Ein Kind kann sich ebenso wenig wie ein Erwachsener mit der Aussage „es tut mir Leid“ zufrieden geben. Um sich innerlich wieder heil zu fühlen, will es, dass Sie ihm zeigen, dass Sie genau wissen, was es erlebt hat, etwa: „Du hast gerade im Wasser gespielt, als das Schwimmbad zumachte. Du wolltest nicht gehen, da hab ich dich aus dem Wasser geholt.“ Wenn Ihr Kind Ihnen seine Sicht der Dinge geschildert hat, fragen Sie es, wie Sie sich seiner Meinung nach beim nächsten Mal in einer solchen Situation verhalten sollen.
Manchmal entschuldigen sich Eltern, wenn es gar nichts gibt, wofür sie sich entschuldigen müssten. Sie sagen vielleicht: „Es tut mir Leid, aber du kannst diese Süßigkeit nicht haben.“ Dem Kind erscheint es so, dass Papa, wenn es ihm wirklich Leid täte – wenn er wirklich traurig darüber wäre –, nicht darauf beharren würde, ihm die Süßigkeit zu verbieten. Ja, das Kind würde Ihnen gerne Ihr „Leid“ ersparen und die Süßigkeit bekommen. Derartige unaufrichtige Botschaften führen zu Verwirrung; dagegen schaffen Sie Klarheit für Ihr Kind, wenn Sie authentisch sind. Statt ihm zu sagen, was es haben kann und was nicht, was kontrollierend und negierend klingt, verwenden Sie eine persönliche Sprache, die Ihre Entscheidung ausdrückt: „Ich möchte nicht, dass Du diese Süßigkeit isst, weil sie ungesund ist.“ Wenn unsere Kommunikation klar ist, fällt es dem Kind leichter, es zu akzeptieren oder eine klare Bitte vorzubringen: „Kann ich eine gesunde Süßigkeit bekommen?“ Wenn wir etwas getan oder gesagt haben, was wir bedauern, wollen wir das zugeben, doch wenn wir sagen: „Es tut mir Leid, dass ich dir wehgetan habe“, übernehmen wir Verantwortung für die Gefühle des Kindes. Wir mögen zwar bereuen, was wir getan haben, und uns bewusst werden, dass wir Schmerz ausgelöst haben, aber wir müssen dem Kind das Recht und die Würde zugestehen, der einzige Urheber seiner eigenen Gefühle zu sein. Indem wir implizieren, dass wir seine Gefühle ausgelöst haben, geben wir außerdem zu verstehen, dass das Kind schwach sei und keine Verantwortung für seine eigene Reaktion habe. Es lernt dann, sich als Opfer zu erleben und anderen die Schuld an seinen Gefühlen zu geben.
Zwar verfügt Ihr Kind offensichtlich noch über wenig Kontrolle über seine eigenen Reaktionen, aber es ist selbst der Ursprung seiner Gefühle und Handlungen. Wenn wir durch unsere Art zu sprechen deutlich machen, dass die Gefühle des Kindes ihm selbst gehören, wird es emotionale Stabilität gewinnen und seine Reaktionen besser steuern können.
Lassen Sie Ihr Kind selbst entscheiden, wie es reagiert, um ihm keine Gefühle einzureden.
Eine Mutter erzählte mir von ihrer Bestürzung über die Reaktion ihres Sohnes über ein Geschehen, das in ihren Augen eine entsetzliche Katastrophe gewesen war. Der Vater des Jungen hatte das Computerdokument des Kindes gelöscht und gesagt: „Es hatte keinen Namen.“ Er wusste, dass es ein Dokument seines Sohnes war, und zwar eine Geschichte, die das Kind geschrieben hatte. Er hatte sich geärgert, als er ein namenloses Dokument gefunden hatte, und dachte, das Löschen wäre eine Lektion für seinen Sohn.
Als der Junge feststellte, dass seine Geschichte weg war, drückte er seine Bestürzung seinem Vater gegenüber aus, aber er war nicht wütend. Seine Mutter war aufgebracht und fragte: „Wünschst du dir nicht, dein Vater würde sich wenigstens entschuldigen?“
Der Junge war ganz ruhig. „Nein, es macht nichts. Ich schreib die Geschichte noch mal, dann wird sie bestimmt besser.“
„Aber bist du nicht sauer?“, beharrte sie.
„Nur einen Augenblick lang war ich das“, sagte der Junge. „Doch dann wurde mir klar, dass es nutzlos ist, sauer zu sein, da es nichts ändert, also hab ich mir gedacht, dass es eigentlich ganz gut ist.“
Am nächsten Tag sagte der Vater: „Es war ein Fehler von mir, dass ich dein Dokument gelöscht habe. In Zukunft werde ich nichts löschen, ohne vorher zu fragen.“
Der Junge war zufrieden.
Wenn Sie merken, dass etwas, was Sie gesagt oder getan haben, bei Ihrem Kind heftige Gefühle hervorgerufen hat, und wenn Sie die Verletzung wieder gutmachen wollen, benennen Sie das, was geschehen ist, und finden Sie heraus, was Ihr Kind empfindet. Drücken Sie sich einfach und direkt aus: „Ich hab dich angeschrieen. Ich wünschte, ich hätte das nicht getan.“ Vermeiden Sie übertriebene emotionale Worte, damit Ihr Kind die Freiheit hat, authentisch zu sein. Bleiben Sie aufmerksam und lassen Sie Ihr Kind seine eigene Wahrheit herausfinden. Wenn es reden will, hören Sie zu und lassen Sie ihm Ihre Wertschätzung zukommen, aber dramatisieren Sie nicht. Wenn sich Ihr Kind nicht mit Worten ausdrückt, zeigt es Ihnen vielleicht seine Gefühle durch seine Körperhaltung oder indem es mit einer Puppe spielt, malt oder einfach still auf Ihrem Schoß sitzt. Wenn es fertig ist, können Sie Ihre eigenen Gefühle ausdrücken: „Ich bin traurig, weil ich möchte, dass unsere Beziehung von Verständnis und Achtung geprägt ist.“ Dann machen Sie einen Plan für eine bessere Zukunft und teilen es Ihrem Kind mit.
In dem Bemühen, das Übernehmen von Verantwortung für die Gefühle des Kindes zu vermeiden, kann es geschehen, dass Sie einen häufigen Fehler machen und sagen: „Es tut mir Leid, dass du dich schlecht deswegen fühlst.“ Dieser Satz könnte auch bedeuten, dass Sie nichts Falsches gemacht haben und dass nur das Kind mit dem „falschen“ Gefühl reagiert hat. Die Folge davon ist meistens Wut. Beschränken Sie sich darauf zu beschreiben, was geschehen ist, dann kann Ihr Kind Ihnen vertrauen und weiß, dass Ihnen an ihm selbst gelegen ist und nicht nur daran, die Erinnerung an Ihr Verhalten, das Sie bedauern, auszulöschen.
Manchmal haben Sie vielleicht den Eindruck, dass Sie wirklich und absolut im Recht sind und nichts einzuräumen haben. Doch die Verstimmung Ihres Kindes ist der Beweis, dass ein Gesprächsbedarf besteht. Zwar bereuen Sie es nicht, dass Sie Ihr Kind von der Straße weggerissen haben, aber Sie können das Vertrauen untereinander wiederherstellen, indem Sie Ihr schnelles Eingreifen thematisieren und zuhören, wie Ihr Kind seine Erfahrung schildert.
Unsere Fehler zu klären ist kein Gerichtsprozess; es geht nicht darum, Recht oder Unrecht zu haben. Wenn Ihr Kind sich verletzt fühlt, ist sein Gefühl eine reale Erfahrung. Wenn Sie bereuen, was Sie gesagt oder getan haben, haben auch Ihre Gefühle Gültigkeit. Ihr Ziel ist es, eine Verbindung zwischen Ihnen beiden zu schaffen, Klarheit zu gewinnen und das Band des Vertrauens zu erneuern.