- -
- 100%
- +
Der fünfjährige Jessie kam weinend zu seiner Mutter. Er sagte, sein zwölfjähriger Bruder David habe sein Lego-Auto kaputtgemacht. Jessie konnte das Auto nicht wieder zusammensetzen, und David weigerte sich, es zu reparieren. Linda, die Mutter, ging ins Kinderzimmer und schimpfte mit David, der daraufhin schmollte.
Als Linda mich anrief, sagte sie, sie habe doch Recht gehabt und habe nichts, wofür sie sich entschuldigen müsse. Doch nachdem sie darüber nachgedacht hatte, wie verletzt David gewesen war, wurde ihr klar, dass es bessere Möglichkeiten gab, ihre Gefühle auszudrücken, und dass sie wieder eine Verbindung zu David aufbauen und verstehen wollte, was in ihm vorging.
Beim nächsten Beratungsgespräch erzählte sie mir von ihrem Gespräch mit David.
LINDA: David, ich hab mit Naomi darüber gesprochen, was gestern passiert ist, und mir ist klar geworden, dass ich wünschte, ich hätte deine Bedürfnisse wahrgenommen. Kannst du mir sagen, was du empfunden hast, als ich mit dir geschimpft habe?
DAVID: Oh, nichts.
LINDA: Warst du frustriert, als ich dir vorgeworfen habe, du wärst rücksichtslos und so?
DAVID: Vielleicht. Aber das ist jetzt auch egal.
LINDA: Stimmt. Ich hab zu lange gewartet. Ich möchte aber, dass du weißt, dass ich meine Worte bereue und wünschte, ich hätte mich bemüht, auch deine Sicht der Dinge zu sehen.
DAVID: Ja, ja.
LINDA: Ich merke, du glaubst mir nicht, dass mir das wirklich wichtig ist.
DAVID: Ist es auch nicht.
Linda dachte einen Augenblick nach, dann fuhr siefort: Ich bin traurig, weil es mir sehr wichtig ist, dass man dir zuhört.
David schwieg.
LINDA: Würdest du mir zu verstehen helfen, wie du dich gefühlt hast? DAVID: Okay.
LINDA: Warst du sauer, als Jessie weinend zu mir kam?
DAVID: Ja, sehr. Er ist so eine Heulsuse, und er erzählt nie, was er gemacht hat. Du fällst immer auf sein Geheule rein.
LINDA: Also warst du wütend und hast dir gewünscht, dass ich versucht hätte herauszufinden, was wirklich geschehen war?
DAVID: Ja, oder dass du dich einfach nicht eingemischt hättest. Jessie hat ein paar Legos aus meinem Raumschiff genommen, um den Lastwagen zu bauen, mit dem er spielte. Ich hab ihn gebeten, sie mir wiederzugeben, und gesagt, ich würde ihm aus anderen Legosteinen einen neuen Lastwagen bauen.
LINDA: David, jetzt kann ich verstehen, wie wütend du gewesen sein musst, als ich mich auf Jessies Seite gestellt und mit dir geschimpft habe, ohne überhaupt zu wissen, was passiert war.
Ich bin froh, dass du mir das alles erzählt hast. Ich glaube, beim nächsten Mal werde ich einfach Verständnis für Jessies Gefühle äußern und euch zwei euer Problem alleine lösen lassen.
DAVID: Das wäre gut, Mama.
LINDA: Und wenn ihr Hilfe braucht, um einen Streit zu schlichten, werd ich jedem von euch zuhören und euch helfen, eine Lösung zu finden. Würdest du mich daran erinnern, falls ich es vergesse?
DAVID: Na ja, nicht so gerne, aber okay.
LINDA: Ich werde mir alle Mühe geben, selbst daran zu denken.
Wenn Linda nur gesagt hätte: „Es tut mir Leid, dass ich gestern mit dir wegen der Legos geschimpft habe“, hätte David ihr nicht geglaubt, und das mit Recht. Er hätte noch mehr Wut empfunden. „Sie denkt, wenn sie sagt: ‚Es tut mir Leid‘, macht es das, was sie getan hat, ungeschehen. Das stimmt aber nicht… sie beschützt ihn immer…“, und so weiter – so hätte er seiner sich entwickelnden Lebensgeschichte, die davon handelte, dass er weniger geliebt würde als sein Bruder, noch mehr Kapitel hinzugefügt. Im Gegensatz zu einer Entschuldigung brachte Lindas Weg, mit ihrem Sohn über das Geschehene zu sprechen, sie beide dorthin, wo sie den anderen verstehen konnten und einander liebevoll verbunden waren, und Davids Drama wurde aufgelöst. Manche Eltern erwarten eine „Entschuldigung“ von einem Kind und verurteilen es, wenn es sich nicht oder nicht „richtig“ entschuldigt. Seien Sie stets nur der Herr Ihrer selbst, wachsen Sie an Güte und lernen Sie, Ihr Kind, wo es sich von seiner Fähigkeit, Bereitschaft und Entwicklung her auch befinden mag, zu achten. Wenn Sie ahnen, dass Ihr Kind vielleicht unter einem Schuldgefühl leidet und es nicht wagt, sich Ihnen anzuvertrauen, können Sie ihm seine Last abnehmen, indem Sie das Thema ansprechen und klären. „Fühlst du dich schlecht wegen des verlorenen Schlüssels?“ Hören Sie Ihrem Kind zu und sagen Sie ihm: „Ich lasse einen neuen Schlüssel machen, und der alte taucht bestimmt irgendwann wieder auf. Ich verliere auch schon mal Sachen. Das kann jedem passieren.“ Eine Umarmung oder eine andere liebevolle Geste kann die Anspannung des Kindes lösen.
Wenn Kommunikationswerkzeuge nach hinten losgehen
Manchmal meinen wir dem Kind unsere Wertschätzung und Aufmerksamkeit zu zeigen, doch unsere Worte scheinen es nur abzustoßen. Es gibt ein paar Fehler, die wir begehen können und die zum Widerstand und zur Isolierung des Kindes trotz unserer Wertschätzung und Fürsorge führen. Wir können uns nicht an starre Formeln halten; wir müssen eine Sensibilität für das Naturell des Kindes und ein starkes Gefühl der Achtung und der Freude darüber, wie das Kind im Augenblick ist, entwickeln.
Die menschliche Neigung, aus jedem Konzept ein Kontrollwerkzeug zu machen, ist etwas, vor dem wir ständig auf der Hut sein müssen. Jede Kommunikationsmethode kann als Kontrollinstrument missbraucht werden. Wir können Wertschätzung einsetzen, um Kontrolle zu gewinnen; wir können dadurch manipulieren; wir können sogar diese Kommunikationsfähigkeiten auf respektlose Weise einsetzen und dadurch den Zorn eines Kindes hervorrufen. Kinder spüren, wenn wir sie manipulieren, selbst wenn sie ihr Unbehagen nicht wirklich erklären können. Wenn Sie gar nicht wissen, wie es kommt, dass Ihre Worte Ihr Kind von Ihnen entfernen, denken Sie daran, dass Menschen sich verletzt fühlen, wenn sie spüren, dass ein anderer Kontrolle über ihre Gefühle und ihr Verhalten hat. Sie wollen ihre Autonomie verteidigen. Wahren Sie die Würde des Kindes, indem Sie keine Absichten hegen, das Kind solle so oder so sein. Kommunizieren Sie liebevoll um Ihrer selbst willen, erwarten Sie nichts als Gegenleistung, so dass Ihr Kind frei sein kann, auf seine Art zu empfinden und zu sein. Es kann seine Wut herauslassen oder plötzlich losprusten. Es kann friedlich oder außer sich sein. Es kann sich ausdrücken oder auch nicht. Wenn Sie kein anderes Ziel haben, als eine Verbindung zu Ihrem Kind zu schaffen, und wenn Sie seine Art sich auszudrücken nicht bewerten, ist es weniger wahrscheinlich, dass Sie es herablassend behandeln und kontrollieren; dagegen ist es wahrscheinlicher, dass Sie authentisch und liebevoll sind.
Der erste häufige Fehler besteht darin, dass man ein Kind beleidigt, indem man seine Gefühle äußert (statt danach zu fragen): Ihr Kind läuft ganz trübsinnig durch das Haus, und Sie sagen: „Du bist bestimmt traurig, dass deine beste Freundin in Ferien gefahren ist.“ Vielleicht haben Sie damit Recht, doch die Tendenz, ein Gefühl zu erraten, kann als herablassend wahrgenommen werden.
Stattdessen könnten Sie Feedback anbieten und eine Frage stellen: „Kann ich dich etwas über dich fragen?“ Wenn die Antwort positiv ist und das Kind auf Ihre Initiative wartet, können Sie eine Frage stellen, die sich auf Ihre Beobachtung gründet: „Mir ist aufgefallen, dass du stumm hin und her gehst. Bedrückt dich irgendetwas? Möchtest du darüber reden?“ Kinder sollten wissen, dass ihre innere Welt, ihre Gedanken und Gefühle, nicht das Ziel von Bemerkungen durch ihre Eltern sind. Sie können Ihrem Kind anbieten, Ihnen sein Herz auszuschütten, aber es ist seine Entscheidung, ob es das will oder nicht.
Wenn ein Kind Ihnen seine Einsamkeit, seine Traurigkeit oder sonst etwas, das es bedrückt, anvertrauen will, wird es das tun, wenn es sich Ihres Interesses und Ihrer Liebe sicher ist und weiß, dass Sie ihm zuhören und seine Gefühle ernst nehmen werden, ohne Ratschläge zu geben oder es zu kritisieren. Da es sich in Ihrer Gegenwart sicher fühlt, wird es schließlich darüber sprechen, was es bedrückt. Sie können sich dem Kind anbieten, indem Sie Ihr Interesse und Ihre Bereitschaft, ihm zuzuhören, bekunden: „Ich hab nach dem Abendessen Zeit und kann dir zuhören.“
Wenn dieses Konzept neu für Sie ist und Ihr Kind schon eine Weile schwierige, unausgedrückte Gefühle mit sich herumträgt, brauchen Sie vielleicht die Hilfe eines Beraters, um die Beziehung zu heilen. Gefühle des Schmerzes und der Wut, die man mit sich herumträgt und nicht herauslässt, hemmen das seelische, geistige und körperliche Wohlbefinden des Kindes. Sie können sich auch selbst helfen, Ihrem Kind näher zu kommen, indem Sie jeden Tag einen Prozess der Erforschung Ihrer eigenen störenden Gedanken ablaufen lassen. Schreiben Sie sie auf und durchlaufen Sie den „S-Teil“ von S.A.L.V.E. Prüfen Sie die Gültigkeit oder Relevanz des Gedankens angesichts der Realität; achten Sie darauf, wie Sie sich fühlen und verhalten, wenn Sie dem Gedanken Folge leisten. Stellen Sie sich vor, wie Sie in derselben Situation ohne diesen Gedanken wären, und überlegen Sie, wie sich Ihre eigene Aussage auf Sie selbst beziehen könnte. Wenn Sie durch diese Gedankenerforschung die Fehler erkennen, die Sie gemacht haben, haben Sie die Chance, sich zu entschuldigen und etwas wieder gutzumachen, was das Vertrauen zwischen Ihnen und Ihrem Kind erneuern wird.
Ein weiteres Hindernis ist unsere Tendenz zu denken, wir wüssten, was für das Kind gut ist. Wir sollten den Kindern völlig vertrauen und davon ausgehen, dass sie, wenn sie sich als wertvolle, geliebte, starke Menschen sehen und frei sind, ihre Gefühle und Gedanken auszudrücken, für sich selbst sorgen und ihre Bedürfnisse am besten kommunizieren. Wenn wir Kinder so behandeln, wie wir es bei Erwachsenen tun würden, glauben wir nicht so leicht, dass wir wissen, was sie brauchen. Einen Freund behandeln wir liebevoll, ohne von ihm zu erwarten, dass er sich uns zuliebe ändert, und wenn wir mit einem Freund sprechen, besteht unser Ziel nicht darin, ihn zu lenken.
Wir täten gut daran, Kinder würdevoll zu behandeln, ihre Beschränkungen zu achten und uns ihren authentischen, selbst gewählten Zielen anzuschließen. Wir können zuhören, wenn sie ihre Gefühle schildern, und sie ermutigen, frei von ihren Beschränkungen zu handeln. Wenn Ihr Kind beispielsweise Angst davor hat, etwas vorzuführen, muss es seine Gefühle herauslassen, damit es danach die Freiheit hat, die Vorführung zu schaffen. Lassen Sie sich nicht von seiner Angst anstecken, wenn Sie zuhören, wie Ihr Kind Ihnen seine Ängste und Zweifel schildert; sehen Sie vielmehr im Geiste vor sich, wie die Vorführung ablaufen könnte. Sie helfen ihm dabei, seine Gefühle zu klären, so dass es trotz seiner Bedenken kraftvoll nach vorne blicken oder sich frei und nicht aus Angst gegen die Vorführung entscheiden kann.
Vermeiden Sie es, über die Kommunikationsfähigkeiten anderer zu urteilen, während Sie Ihre eigenen verbessern. Sie könnten versucht sein, Ihren Partner, Ihre Freundin oder Ihr Kind dafür zu kritisieren, dass sie nicht „richtig“ kommunizieren. Vor allem Eltern neigen dazu, einander und ihre Kinder zu bewerten, indem sie sich Lieblosigkeit vorwerfen und sagen: „Du zeigst nicht deine Wertschätzung“, „du drückst kein Gefühl aus“, „du urteilst“ oder „du negierst“.
Urteilende Worte entfernen uns von denen, die wir lieben. Belehren Sie niemanden als sich selbst. Wenn Ihr Partner, Verwandter oder Ihr Kind urteilend oder herabwürdigend spricht, drücken Sie sich authentisch aus, indem Sie ihm sagen, wie Sie sich fühlen, oder versuchen, seine unausgedrückten Gefühle zu erraten. Wenn ein Kind beispielsweise über seine Schwester sagt: „Sie ist so eine Lügnerin“, können Sie ihm eine wertschätzende Frage stellen, etwa: „Möchtest du mir sagen, was passiert ist?“
Wenn Sie ein nicht akzeptables Verhalten missbilligen müssen, ist ebenfalls kein Urteil vonnöten. Sprechen Sie persönlich über sich selbst, nicht in Belehrungen über „richtig“ und „falsch“. Wenn man zum Beispiel sagt: „Es ist falsch zu stehlen“, wird das Kind wahrscheinlich keine Reue empfinden, sondern Scham und Entfremdung. Wenn Sie dagegen sagen: „Als du Süßigkeiten aus dem Geschäft genommen hast, ohne zu bezahlen, war ich traurig und hab mir Sorgen gemacht“, werden diese Worte, die von Ihrer Verletzlichkeit zeugen, Ihren Teenager eher berühren und dazu bewegen, darüber zu sprechen, was ihn zu seinen verzweifelten Taten treibt.
Viele Leute haben Bedenken, diese Methode würde ihnen das Recht nehmen, Moralvorstellungen zu verteidigen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Sie können Ihre Werte überzeugender vertreten, wenn Sie es mit persönlichen Worten tun. Wenn Sie mit dem Finger auf den Beschuldigten zeigen und nur von Falsch und Richtig sprechen, verlieren Sie ihn; er kann Sie dann nicht hören. Wenn Sie dagegen mit persönlichen Worten Ihre Verletzlichkeit zum Ausdruck bringen, wird sich Ihr Kind, Ihr Partner oder Ihre Freundin nicht eingeschüchtert oder entfremdet fühlen, sondern mit Ihnen verbunden und von Ihrer Aussage berührt.
Eine Einführung in die fünf Grundbedürfnisse von Kindern
Das Verhalten Ihres Kindes verstehen
„Es gibt kein richtiges oder falsches Verhalten. Die einzige Entscheidung von Bedeutung ist die zwischen Angst und Liebe.“
Gerald Jampolsky, Ph.D.
Oft rufen mich Eltern an, weil das Verhalten ihrer Kinder sie verwirrt. Sie wollen liebevoll darauf eingehen, stellen aber fest, dass ihnen das nicht gelingt. Viele Eltern wissen bereits, wie man liebevoll kommuniziert, doch sie sagen, sie bringen es nicht fertig, ihr Wissen umzusetzen.
Unsere eigenen Gedanken sind es, die uns daran hindern, das Kind zu verstehen und zu wissen, wie wir darauf eingehen sollen. Was ein Kind tut, ist nicht gut oder schlecht; es ist einfach der Ausdruck seelischer und körperlicher Bedürfnisse oder unschuldiges Spiel. Dennoch bewerten wir im Kopf schnell das Verhalten eines Kindes, und wir reagieren nicht auf das Kind, sondern auf unsere eigenen Interpretationen seines Verhaltens.
Auf einen klaren Wunsch nach der Erfüllung körperlicher Bedürfnisse wie Schlaf, Nahrung oder Wärme einzugehen, erscheint uns leicht. Doch wenn die Bedürfnisse des Kindes seelischer Natur sind oder wenn es sich auf eine Art ausdrückt, die im Widerspruch zu unseren Wünschen steht, erleben wir bei uns selbst vielleicht Reaktionen, die von Verwirrung über Wut bis hin zu Hilflosigkeit und Verzweiflung reichen können. Diese Reaktionen sind nicht authentisch in dem Sinne, dass es sich bei ihnen nicht um ein direktes Eingehen auf das Kind handelt, sondern um alte Gedanken; sie hindern uns daran, das Kind klar zu sehen, wie es in der Gegenwart ist. Diese Gedanken wurzeln in unserer Vergangenheit und werden in die Zukunft projiziert, häufig äußern sie sich in Form von Ängsten hinsichtlich der Entwicklung des Kindes oder unseres Bilds als Eltern.
Anders ausgedrückt, missverstehen wir ein Kind oft, weil wir zu sehr damit beschäftigt sind, auf die automatische Reaktion in unserem Kopf zu hören. Unser Inneres spielt alte Aufzeichnungen ab, und wir als Menschen sind so angelegt, dass wir uns mit dieser inneren Stimme identifizieren. Wir gehorchen der Stimme, die automatisch in unserem Kopf abgespult wird, obwohl sie nicht mit dem, wie wir sein wollen und wie wir wirklich sind, im Einklang steht.
Mit Weisheit und Liebe auf Kinder einzugehen, ist möglich, wenn wir ganz präsent und frei von altem inneren Geschwätz sind. Liebe kann nur in der Gegenwart erfahren werden. Wenn Sie ganz bei Ihrem Kind präsent sein könnten, würden Sie dieses Buch nicht brauchen und auch kein anderes zu dem Thema. Es ist nur unser Inneres, das komplizierte Botschaften sendet. Stellen wir uns vor, ein Kleinkind zieht seinem Babygeschwisterchen ein Spielzeug aus der Hand. Die Mutter hört in ihrem Inneren den Gedanken, das sei gemein oder grob, während das Kleinkind selbst völlig unschuldig handelt. Vielleicht will es spielen, es braucht ein Spielzeug und erkennt noch nicht, dass das Baby auch ein Mensch ist, oder ihm gefällt die Reaktion des Babys, oder es möchte Ihre Aufmerksamkeit. Wenn Sie Ihr Kind wahrnehmen, ohne es in eine Schublade zu stecken oder zu analysieren, können Sie effektiv und friedlich auf es eingehen, wie es in vielen Beispielen in den folgenden fünf Kapiteln gezeigt wird.
Wenn das, was ein Kind tut, bei Ihnen Ärger, Wut oder Schmerz auslöst, könnten Sie versucht sein, das Verhalten zu unterbinden. Doch das funktioniert nicht, und selbst wenn das Verhalten (durch Angst) abgestellt wird, tritt ein anderes an dessen Stelle, welches demselben unerfüllten Bedürfnis entspringt. Ihr Kind ist Ihr Lehrer; wenn Sie sich der Lektion entledigen, indem Sie Ihr Kind zum Aufhören bewegen, verlieren Sie beide. Wenn Sie dagegen den Gedanken, die dazu führen, dass Sie Ihr Kind negieren, auf den Grund gehen, wie Sie es in Kapitel Eins gelernt haben, werden Sie an emotionaler Freiheit gewinnen und in der Lage sein, auf Ihr Kind einzugehen, anstatt bloß auf es zu reagieren. Die Erkenntnis, dass das Kind ein Bedürfnis ausdrückt, kann uns helfen, unsere Zielsetzung zu ändern, so dass es uns nicht mehr darum geht, den Ausdruck des Kindes zu unterbinden, sondern darum, herauszufinden, was es braucht. Wenn wir den Ausdruck des Kindes unterbinden, bleiben wir in unseren alten Verletzungen gefangen und verstehen das Kind nicht. Doch wenn wir erkennen, dass unsere gedanklichen Reaktionen nur alte Aufzeichnungen sind, und deren Gültigkeit und Relevanz prüfen, können wir lernen, wie Prozesse in unserem Inneren ablaufen, und können das Kind dann in der Gegenwart klar sehen.
Mit anderen Worten, das größte Hindernis für unsere Fähigkeit, das Kind zu verstehen, besteht darin, dass wir unsere Gedanken und Ansichten, die automatisch als Reaktion abgespult werden, als Wahrheit oder als nützliche Richtschnur ansehen. Im Lauf der folgenden Kapitel werden Sie lernen, wie Sie Ihre liebevolle Hilfestellung (am Kind orientiert) von Ihren Reaktionen (an Ihnen selbst orientiert) unterscheiden können. Ein klarer Unterschied zeigt sich, wenn man die Folgen betrachtet: Liebevolle Hilfestellung führt zu friedlichen Lösungen und inniger Verbundenheit mit Ihrem Kind, während Reaktionen zu Streit, Ärger und Entfernung voneinander führen.
Oft ist das, was ein Kind tut, einfach die Erfüllung seiner Bedürfnisse, etwa wenn es endlos herumrennt, wie ein Brüllaffe schreit oder das Badezimmer in einen tropischen Regenwald verwandelt. Seine Motivation zu verstehen, macht es leicht, das Kind entweder gewähren zu lassen oder ihm ein Betätigungsfeld zu bieten, das Ihre eigenen Interessen oder das Wohlbefinden anderer nicht beeinträchtigt. Unser inneres Geschwätz, wir könnten die Kontrolle über das Kind verlieren, es könnte sich nicht gut entwickeln, oder andere in unseren Gedanken entwickelte Dramen und Erwartungen behindern unsere Liebe und unser Verständnis für den Ausdruck des Kindes.
Wenn Sie den Blick auf Ihr Kind richten, wird es Ihnen leichter fallen, liebevoll auf es einzugehen. Die fünf emotionalen Grundbedürfnisse, die der Verhaltenssprache eines Kindes zugrunde liegen, sind:
• Liebe
• Freiheit des Selbstausdrucks
• Autonomie und Macht
• Emotionale Sicherheit
• Selbstachtung
Wenn diese Grundbedürfnisse zuverlässig erfüllt werden, bildet diese Erfahrung ein stabiles Fundament, auf dem Kinder ihr Potenzial entfalten und kraftvoll und zufrieden mit sich selbst und mit anderen leben können. Mit anderen Worten, ein Kind, das sich in der Liebe seiner Eltern geborgen fühlt, das sich als wertvoll und autonom empfindet und sich sicher fühlt, ganz es selbst zu sein und sich ganz auszudrücken, wird gedeihen und mit sich selbst und mit Ihnen verbunden bleiben. Dagegen neigen Kinder zu Verhaltensstörungen, Lernschwierigkeiten und anderen Problemen, wenn sie sich emotional unsicher, hilflos oder einsam fühlen.
Die folgenden Kapitel bieten einen Einblick in die vielen Verhaltensweisen, mit denen Teenager, Kinder, Kleinkinder und Babys diese fünf Grundbedürfnisse äußern, und eröffnen bereichernde Möglichkeiten, wie man darauf eingehen kann.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.