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Als die Weiber dies hörten, ließen sie sich nicht lange bitten und sprangen schnell in den Wagen. Ich setzte mich auf den Bock, wendete den Wagen um und zog dem Pferdchen ein paar über: eins, zwei, drei vorwärts! Aber es hört auf mich wie auf den gestrigen Tag! Es will sich nicht vom Fleck rühren, und wenn ich es auch in Stücke schneide. ›So‹, denke ich mir, ›nun verstehe ich schon, was es für Weiber sind … Der Teufel hat mich verführt, mitten im Walde zu halten und mich mit den Weibern in Gespräche einzulassen!‹ … Stellt Euch nur vor: einerseits bin ich im Walde, und es ist so unheimlich still, und die Nacht bricht an, und andererseits habe ich diese beiden Geschöpfe, sozusagen Weibsbilder, bei mir … Meine Einbildungskraft ist so recht im Zuge und spielt auf allen Saiten, und mir fällt die Geschichte von dem Fuhrmann ein, der einmal ganz allein durch den Wald fuhr und auf der Landstraße einen Sack Hafer liegen sah. Als der Fuhrmann den Sack Hafer sah, war er nicht faul, sprang vom Wagen, lud sich den Sack Hafer auf den Buckel, nahm alle seine Kräfte zusammen, schleppte den Sack Hafer zum Wagen und fuhr weiter. Wie er eine Werst gefahren ist, sieht er sich nach dem Sack Hafer um: weg ist der Sack, weg ist der Hafer, eine Ziege liegt in seinem Wagen, eine Ziege mit einem Bärtchen. Er will sie anrühren, da zeigt sie ihm die Zunge, die eine Elle lang ist, lacht wild auf und verschwindet ...
»Warum fahrt Ihr noch nicht?« sagen zu mir die Weiber.
»Warum ich noch nicht fahre? Ihr seht doch«, sage ich, »warum: mein Pferdchen will nicht, es ist nicht in der Stimmung.«
»Zieht ihm doch ein paar mit der Peitsche über«, sagen sie. »Ihr habt doch eine Peitsche!«
»Ich danke euch«, sage ich, »für den Rat, es ist gut, dass ihr mich daran erinnert habt. Leider hat aber mein Pferd vor solchen Dingen keine Angst. Es ist die Peitsche schon so gewohnt wie ich die Armut«, sage ich zu ihnen wie im Scherz, während ich wie im Fieber zittere.
Kurz und gut, was soll ich Euch lange damit aufhalten, ich ließ meine ganze Erbitterung an dem Pferdchen aus. Ich schlug es so lange, bis es mit Gottes Hilfe die Beine rührte. ›Und sie zogen aus von Raphidim ...‹ So fuhren wir durch den Wald auf dem Wege nach Bojberik. Und wie wir so fahren, kommt mir ein neuer Gedanke in den Sinn: ›Ach, Tewje, bist du ein Esel! Die Fallsucht komme über dich! Du warst ein Bettler und bleibst ein Bettler. Was heißt das? Da schickt dir Gott eine solche Begegnung, wie man sie einmal in hundert Jahren erlebt. Warum machst du nicht im voraus aus, was du dafür zu bekommen hast? Von welchem Gesichtspunkte du die Sache auch betrachtest, vom Gesichtspunkte des Gewissens oder der Menschlichkeit, des göttlichen oder des menschlichen Gesetzes, oder ich weiß selbst nicht von welchem Gesichtspunkte, so ist es wirklich kein Verbrechen, wenn du bei einer solchen Gelegenheit etwas verdienst. Warum sollst du den Knochen nicht ablecken, wenn du ihn gefunden hast? Laß dein Pferd halten, du Rindvieh, und sage ihnen soundso, wie Jakob zu Laban gesagt hat: ›Es geht um Rahel, deine jüngere Tochter!‹ Habt ihr bei euch soundso viel, so ist es gut; und wenn nicht, so nehmt es mir nicht übel und steigt aus dem Wagen!‹ Gleich darauf sage ich mir aber: ›Du bist doch wirklich ein Rindvieh, Tewje! Weißt du denn nicht, dass man das Fell des Bären im Walde noch nicht verkaufen darf?‹
»Warum fahrt Ihr nicht ein wenig schneller?« sagen die Weiber und stoßen mich in den Rücken.
»Habt ihr denn«, sage ich, »keine Zeit? Übereilung«, sage ich, »führt zu nichts Gutem!« Ich schaue meine Fahrgäste an: sie sehen wirklich wie Weibsbilder aus; die eine hat ein seidenes Tuch auf dem Kopfe, und die andere eine Perücke; so sitzen sie da, schauen einander an und tuscheln miteinander.
»Ist es noch weit?« fragen sie mich.
»Näher als von hier«, sage ich, »ist es ganz gewiß nicht. Bald«, sage ich, »geht es bergauf, dann bergab, und dann«, sage ich, »geht es wieder bergauf und wieder bergab, und erst dann«, sage ich, »kommt der große Berg. Den müssen wir hinauf und wieder hinunter, und von dort geht schon ein ebener Weg bis nach Bojberik ...«
»Ein Unglücksmensch!« sagt die eine zu der anderen. »Die Cholera!« sagt die andere.
»Ein Sieb voller Elend!« sagt wieder die erste.
»Mir scheint, er ist einfach verrückt!« sagt wieder die andere. ›Natürlich bin ich verrückt‹, denke ich mir, ›wenn ich mich so an der Nase herumführen lasse! ...‹
»Wo soll ich euch abwerfen, meine werten Damen?« sage ich zu ihnen.
»Was heißt«, sagen sie, »abwerfen? Was wollt Ihr damit sagen?«
»Es ist nur so ein Ausdruck«, sage ich, »aus der Fuhrmannssprache! In gewöhnlicher Menschensprache heißt das: wo soll ich euch hinbringen, wenn wir«, sage ich, »mit Gottes Hilfe, heil und gesund und wenn der Herr uns am Leben erhält, nach Bojberik kommen? Es heißt ja: lieber zweimal fragen als einmal irregehen!«
»Ach so, das wollt Ihr wissen! Ihr werdet«, sagen sie, »so gut sein und uns zu der grünen Villa bringen, die am Flusse jenseits des Waldes steht. Kennt Ihr sie?«
»Warum soll ich sie nicht kennen?« sage ich. »Ich bin doch in Bojberik wie zu Hause. Ich möchte so viele Tausende verdienen«, sage ich, »wieviel Bauklötze ich schon hingebracht habe. Bei der grünen Villa«, sage ich, »habe ich erst im vorigen Sommer zwei Kubikklafter Brennholz abgeladen. Damals wohnte dort ein reicher Mann aus Jehupez23, ein Millionär, ein Mann, der vielleicht hunderttausend oder gar zweihunderttausend Rubel hat!«
»Er wohnt auch heuer da«, sagen die beiden Weiber. Sie schauen einander wieder an, tuscheln und lachen.
»Halt!« sage ich; »wenn die Schmerzen der Schwangerschaft wirklich so groß sind, so darf ich doch annehmen, dass ihr in irgendwelcher Beziehung zu ihm steht. Es wäre vielleicht gar nicht so dumm«, sage ich, »wenn ihr euch bemühen wolltet, bei ihm ein Wörtchen für mich einzulegen, dass er mir Arbeit oder eine Stelle verschafft, oder ich weiß selbst nicht was. Ich kenne«, sage ich, »einen jungen Mann, Jßroel heißt er und wohnte nicht weit von unserem Städtchen. Ein großer Taugenichts war er, aber er machte, kein Mensch weiß, wie, seinen Weg. Heute ist er ein einflußreicher Mensch, verdient vielleicht zwanzig Rubel die Woche und vielleicht gar vierzig, – was weiß ich? Andere Leute haben Glück! Was wäre, zum Beispiel, aus dem Schwiegersohne unseres Schächters geworden, wenn er nicht nach Jehupez24 gekommen wäre? Allerdings ging es ihm dort in den ersten paar Jahren sehr schlecht, und er starb beinahe vor Hunger. Aber jetzt – auf mich sei es gesagt, wenn er nur keinen Schaden davon hat! Er ist schon soweit, dass er Geld nach Hause schickt und sein Weib mit den Kindern zu sich nach Jehupez kommen lassen will. Er hat aber kein Wohnrecht[^jeuhpez] in Jehupez. Werdet ihr doch fragen: also wie wohnt er dort? Nun, er quält sich eben ab … Ich sage ja immer«, sage ich, »wenn man lebt, kann man manches erleben. Da ist ja auch schon«, sage ich, »der Fluß und da ist die grüne Villa!« So sage ich und fahre nobel und mit großem Gepolter vor die Villa, so dass die Deichsel beinahe in die Veranda hineinstößt.
Wie man uns sah, gab es gleich Freude und Jubel, einen Lärm und ein Geschrei: »Gott, da ist ja die Großmutter! … Die Mutter! … Tante! … Da seid ihr ja endlich! Gratuliere! … Gott, wo seid ihr gewesen? Den ganzen Tag waren wir ohne Kopf … Überallhin haben wir Reiter ausgeschickt … Wir glaubten schon, Wölfe hätten euch zerrissen … Oder, Gott bewahre, Räuber hätten euch überfallen … Was ist denn passiert?«
»Es ist etwas sehr Schönes passiert: wir haben uns im Walde verirrt, haben uns vielleicht zehn Werst vom Hause entfernt … Plötzlich sehen wir einen Juden ...« – »Was für einen Juden?« – »Einen Unglücksmenschen mit einem Pferd und einem Wagen. … Mit Mühe und Not ließ er sich bewegen, uns mitzunehmen! … Es war entsetzlich!« – »Ganz allein, ohne Begleitung?« – »Das war eine Geschichte, man muß Gott danken ...« Kurz und gut, man brachte auf die Veranda Lampen, deckte den Tisch und schleppte Samowars herbei, Teekannen, Zucker, Eingemachtes, feines Gebäck, frisches Buttergebäck und allerlei Speisen, die teuersten Gerichte, fette Suppen, Braten, Gänsernes, die besten Weine und die feinsten Liköre. Ich stehe abseits und sehe zu, wie die Reichen von Jehupez, unberufen, essen und trinken. ›Man soll seine letzte Habe versetzen‹, denke ich mir, ›und ein reicher Mann werden! Mir scheint, dass das, was hier vom Tische fällt, meinen Kindern für eine ganze Woche bis zum Sabbat genügen würde. Lieber Gott! Es heißt ja, dass du ein guter und großer Gott bist, – warum bekommt dann der eine alles, und der andere nichts? Warum gibst du dem einen Buttersemmeln und dem anderen nichts als Plagen?‹ Und dann sage ich mir wieder: ›Bist doch ein großer Narr, Tewje! Willst du ihn vielleicht belehren, wie er die Welt regieren soll? Wenn er es einmal so haben will, so muß es wohl so sein. Denn wenn es anders sein müßte, so wäre es eben anders. Und warum ist es nicht anders? Nun, weil wir Knechte waren bei Pharao in Ägypten; dazu sind wir ja auch Juden; der Jude muß Glauben und Gottvertrauen haben; erstens muß er glauben, dass es einen Gott auf der Welt gibt; und zweitens muß er auf Den hoffen, der da ewig lebt, dass Er ihm, so Gott will, hilft ...‹
»Halt! Wo ist der Jude?« höre ich plötzlich jemand sagen. »Ist der Unglücksmensch schon weggefahren?«
»Gott behüte!« melde ich mich aus meinem Winkel. »Meint Ihr, dass ich so einfach wegfahren werde, ohne mich zu verabschieden? Friede sei mit Euch!« sage ich. »Guten Abend wünsche ich Euch allen, die ihr da versammelt seid! Wohl bekomm es Euch!«
»Kommt doch her«, sagt man mir. »Was steht Ihr dort im Finstern? Laßt Euch wenigstens anschauen, wir wollen wissen, wie Ihr ausschaut. Wollt Ihr vielleicht einen Schluck Branntwein?«
»Einen Schluck Branntwein? Ach«, sage ich, »wer wird einen Schluck Branntwein ausschlagen? Es steht ja geschrieben: ›Der eine soll leben, und der andere sterben ...‹und Raschi25 übersetzt es so: ›Gott ist Gott, und Branntwein ist Branntwein.‹ Ihr sollt leben!« sage ich und trinke mein Glas aus. »Gebe Gott«, sage ich, »dass Ihr immer reich bleibt und viel Freude erlebt! Juden«, sage ich, »sollen immer Juden bleiben. Gott gebe Ihnen aber«, sage ich, »Gesundheit und Kraft, um alle Plagen und Leiden zu ertragen!«
»Wie heißt Ihr?« fragt mich der Hausherr selbst, ein stattlicher Mann, mit einem Käppchen auf dem Kopfe. »Wo seid Ihr her? Wo wohnt Ihr, was ist Euer Geschäft, seid Ihr verheiratet, habt Ihr Kinder und wieviel?«
»Kinder?« sage ich. »Ich kann mich nicht beklagen! Wenn jedes meiner Kinder«, sage ich, »wirklich eine Million wert ist, wie es mir meine Golde einreden will, so bin ich reicher als der reichste Mann von Jehupez. Leider«, sage ich, »ist aber arm nicht reich, und verschieden nicht gleich, wie es auch geschrieben steht: ›Der da unterscheidet zwischen heilig und alltäglich.‹ – Wenn einer das Geld hat, so geht es ihm gut. Geld haben aber die Brodskij’s, und ich habe Töchter. Und wenn man hat Töchter«, sage ich, »so vergeht das Gelächter. Aber es macht nichts, Gott ist doch der Vater. Er regiert uns, das heißt, er sitzt oben, und wir quälen uns unten. Man rackert sich ab und schleppt Baumklötze – hat man denn die Wahl? Das ganze Unglück kommt vom Essen. Wie meine Großmutter, sie ruhe in Frieden, zu sagen pflegte: ›Wenn das Maul in der Erde läge, könnte sich der Kopf in Gold kleiden!‹ … Nehmt es mir nicht übel«, sage ich, »es gibt nichts Geraderes als eine schiefe Leiter, und nichts Schieferes als ein gerades Wort; besonders«, sage ich, »wenn man einen Schluck Branntwein auf den nüchternen Magen genommen hat.«
»Gebt doch dem Mann etwas zu essen!« sagt der Hausherr, und im Augenblick trägt man mir zahllose Gerichte auf: Fisch und Fleisch, und Braten, und Gänsernes, und Hühner, und Lebern ohne Zahl.
»Wollt Ihr nicht etwas essen?« sagt man zu mir. »Geht, wascht Euch die Hände!«26
»Einen Kranken fragt man, einem Gesunden gibt man! Aber ich danke schön! Einen Schluck Branntwein kann ich noch nehmen; aber ich werde mich doch nicht hier hinsetzen und ein solches Mahl verzehren, wenn Weib und Kinder, sie sollen gesund sein, zu Hause fasten … Wenn ihr aber so gut sein wollt ...«
Sie verstanden mich im Nu, und ein jeder packte mir in den Wagen, was er nur schleppen konnte: der eine – ein Brot, der andere – Fische, der dritte – Braten, der vierte – ein Viertel Gans, der fünfte – Tee und Zucker, der sechste – einen Topf Schmalz, der siebente – einen Topf Eingemachtes.
»Das alles werdet Ihr Eurem Weib und Euren Kindern als Geschenk mitbringen«, sagen sie. »Und jetzt sagt uns, was verlangt Ihr für Eure Mühe und dafür, dass Ihr zwei Seelen aus einer Gefahr gerettet habt?«
»Was heißt«, sage ich, »was ich verlange? So viel ihr mir geben werdet, so viel werde ich nehmen. Wir werden uns schon einigen, wie man sagt, einen Rubel herauf, einen Rubel herunter. Ein ausgetretener Schuh kann nicht noch mehr ausgetreten werden ...«
»Nein«, sagen sie, »wir wollen Eure Ansicht hören, Reb Tewje, habt nur keine Angst, man wird Euch, Gott behüte, nicht köpfen!«
›Was soll ich da tun?‹ denke ich mir. ›Es ist doch wirklich nicht gut: verlange ich einen Rubel, so wird es mich vielleicht später reuen, dass ich nicht zwei verlangt habe. Und verlange ich zwei, so werden sie mich vielleicht für verrückt halten. Womit habe ich auch zwei Rubel verdient?‹
»Drei Rubel!!!« … sage ich plötzlich ohne Überlegung. Alle fangen plötzlich zu lachen an, so dass ich vor Scham in die Erde versinken möchte.
»Nehmt es mir nicht übel«, sage ich, »ich habe es mir nicht überlegt. Ein Pferd hat vier Beine und kann stolpern; um so mehr der Mensch, der nur eine Zunge hat.« ...
Nun lachten sie noch lauter, sie kugeln sich einfach vor Lachen. »Genug schon zu lachen!« sagt der Hausherr und holt aus dem Busen eine große Brieftasche heraus. Und er nimmt aus der Brieftasche – nun, wieviel meint Ihr? – ratet einmal! – einen ganzen feuerroten Zehnrubelschein – so wahr wir beide gesund sein sollen! –, und er sagt zu mir: »Das gebe ich. Und ihr, Kinder, gebt dem Mann aus eurer Tasche, soviel jeder will!«
Kurz und gut, was soll ich lange erzählen, es flogen auf den Tisch Fünfrubelscheine, Dreirubelscheine, Einrubelscheine, – Hände und Füße zitterten mir, ich meinte, ich müßte gleich in Ohnmacht fallen.
»Nun, was steht Ihr so da?« sagt zu mir der Hausherr. »Nehmt doch die paar Rubel und fahrt nach Hause zu Weib und Kindern.«
»Gott gebe euch«, sage ich, »das Zehnfache und das Hundertfache von dem, was ihr mir gegeben habt. Und ihr sollt alles Gute erleben und recht viel Freude!« Und ich scharre das Geld mit beiden Händen zusammen und stopfe es mir, ohne zu zählen, in die Taschen.
»Gute Nacht!« sage ich. »Bleibt gesund und erlebt recht viel Freude an Euren Kindern und Eurer ganzen Familie!« Wie ich aber schon zum Wagen gehen will, sagt zu mir die Hausfrau, das ist die ältere Frau mit dem seidenen Tuch:
»Wartet eine Weile, Reb Tewje; von mir bekommt Ihr noch ein Extrageschenk. Ich schicke es Euch morgen zu: ich habe«, sagt sie, »eine braune Kuh; sie war früher einmal eine wertvolle Kuh und gab jeden Tag vierundzwanzig Glas Milch. Heuer hat sie wohl ein böser Blick getroffen, und sie läßt sich nicht mehr melken, das heißt, melken läßt sie sich wohl, aber sie gibt keine Milch mehr.« ...
»Lange leben sollt Ihr«, sage ich, »und nie im Leben Kummer erfahren! Bei mir wird sich Eure Kuh sowohl melken lassen wie auch Milch geben. Meine Alte ist, unberufen, eine gute Hausfrau und kann aus Nichts Nudeln machen und aus der hohlen Hand einen Brei kochen … Nehmt’s mir nicht übel«, sage ich, »wenn ich ein Wort zu viel gesagt habe. Ich wünsche euch allen gute Nacht und alles Gute, und bleibt gesund«, sage ich.
Ich gehe aus dem Hause und schaue nach dem Pferd – ach und weh ist mir! Ein Unglück ist mir geschehen! Ich schaue nach allen Seiten – das Pferd ist verschwunden!
»Nun, Tewje«, sage ich mir, »man hat dich schon in Behandlung genommen!« … Und es kommt mir eine schöne Geschichte in den Sinn, die ich einmal in irgendeinem Buche gelesen habe: die unsauberen Mächte erwischten einmal einen anständigen Juden, einen Chossid in der Fremde, lockten ihn in einen Palast und traktierten ihn dort mit allerlei Speisen und Getränken; plötzlich verschwanden sie alle und ließen ihn allein mit einem Frauenzimmer zurück. Das Frauenzimmer verwandelte sich sofort in ein reißendes Tier, das reißende Tier in eine Katze, und die Katze in eine Natter … »Paß auf, Tewje, dass dir nicht dasselbe geschieht und dass man dich nicht beschwindelt!«
»Was schleicht Ihr dort herum und was brummt Ihr?« fragt man mich.
»Was ich brumme?« antworte ich. »Ach und weh ist mir!« sage ich, »ich habe einen großen Schaden: mein Pferd ...«
»Euer Pferd«, sagen sie zu mir, »steht im Stall. Bemüht Euch nur in den Stall.«
Ich komme in den Stall und sehe: es stimmt, so wahr ich ein Jude bin! Mein Gaul steht recht vornehm unter den herrschaftlichen Pferden, ist ganz ins Kauen vertieft und frißt Hafer nach Herzenslust.
»Hör nur«, sage ich zu ihm, »mein Kluger, es ist schon Zeit, nach Hause zu fahren! Man darf nicht«, sage ich, »sich so auf das Fressen stürzen: ein Bissen zu viel kann manchmal schaden.« ...
Kurz und gut, es gelang mir mit großer Mühe, den Gaul zu überreden und, mit Verlaub zu sagen, vor den Wagen zu spannen. Und ich fuhr nach Hause, lustig und guter Dinge, und sang im Fahren gar fröhlich das Gebet: ›Melech Eljon‹; auch das Pferdchen war ein ganz anderes geworden, als ob ihm ein neues Fell gewachsen wäre: es wartete nicht mehr auf die Peitsche und lief vorwärts so flink wie ein Lied. Ich kam recht spät in der Nacht nach Hause und weckte mein Weib mit großer Freude.
»Einen guten Feiertag!« sage ich ihr. »Masel-tow, Golde!«27
»Einen wüsten und finsteren Masel-tow28 wünsche ich dir!« sagt sie. »Was bist du so festlich gestimmt, mein teurer Brotgeber? Kommst du denn von einer Hochzeit oder von einer Beschneidungsfeier, mein Goldspinner?«
»Von einer Hochzeit«, sage ich, » und einer Beschneidungsfeier! Warte eine Weile, mein Weib, du wirst bald einen Schatz sehen«, sage ich. »Wecke aber zuerst die Kinder, damit auch sie, nebbich29«, sage ich, »von den Jehupezer Speisen genießen.«
»Bist du toll, oder nicht gescheit, oder närrisch, oder von Sinnen. Denn du redest wie ein Verrückter, auf alle Feinde Zions sei es gesagt!« sagt mir mein Weib und flucht, wie es eben nur ein Weib kann.
»Ein Weibsbild«, sage ich, »bleibt ein Weibsbild. Nicht umsonst sagt König Salomo, dass er unter tausend Weibern kein rechtes gefunden hat. Es ist wirklich noch ein Glück, dass es heute nicht mehr Mode ist, viel Weiber zu haben«, sage ich. Und ich gehe zu meinem Wagen, hole alle die guten Dinge, die man mir eingepackt hat, und stelle alles auf den Tisch. Als meine Leute die Semmeln sahen und den Braten rochen, fielen sie, nebbich30, wie die hungrigen Wölfe über den Tisch her. Sie packten fest zu, ihre Hände zitterten und ihre Zähne arbeiteten, wie es in der Schrift heißt: ›Und sie aßen.‹ – Raschi31 übersetzt es: ›Und sie fraßen wie die Heuschrecken.‹ Tränen traten mir in die Augen ...
»Nun, sag schon endlich«, sagt zu mir mein Weib, »bei wem war denn die Armenmahlzeit oder das Festessen, und warum bist du plötzlich so stolz?« »Habe Geduld, Golde«, sage ich, »bald wirst du alles erfahren. Bereite aber«, sage ich, »zuerst den Samowar; dann wollen wir uns alle um den Tisch herumsetzen«, sage ich, »und ein Glas Tee trinken, so wie es sich gehört. Der Mensch«, sage ich, »lebt nur einmal auf der Welt, und nicht zweimal. Besonders jetzt«, sage ich, »wo wir eine eigene Kuh haben, die vierundzwanzig Glas Milch am Tage gibt. So Gott will, bringe ich sie morgen her.« Nun ziehe ich aus der Tasche den ganzen Pack Banknoten und sage: »Zeige deinen Verstand, Golde«, sage ich, »und rate, wieviel Geld wir da haben?«
Ich werfe einen Blick auf mein Weib – sie ist blaß wie die Wand und kann kein Wort sprechen.
»Gott sei mit dir, liebe Golde«, sage ich, »was bist du so erschrocken? Fürchtest du vielleicht«, sage ich, »dass ich jemand bestohlen oder beraubt habe? Pfui«, sage ich, »du sollst dich schämen! Du bist seit so vielen Jahren schon Tewjes Weib und verdächtigst ihn einer solchen Sache? Närrchen«, sage ich, »das ist koscheres Geld, ich habe es mit eigenen Händen und eigenem Verstand ehrlich verdient. Ich habe«, sage ich, »zwei Seelen aus einer großen Gefahr errettet«, sage ich, »wenn ich nicht gekommen wäre, so weiß Gott allein, was mit ihnen geschehen wäre!« ...
Kurz und gut, ich erzählte ihr die ganze Geschichte, wie Gott mich geleitet hat, vom Aleph32 bis Ssof33. Und dann begannen wir das Geld zu zählen: es waren zweimal achtzehn34 Rubel, und noch ein überzähliger Rubel dazu. Ihr könnt es Euch leicht ausrechnen: es waren genau siebenunddreißig Rubel! … Golde fing sogar zu weinen an.
»Was weinst du«, sage ich, »du närrisches Weib?« »Wie soll ich nicht weinen«, sagt sie, »wenn mir die Tränen von selbst kommen?! Wenn das Herz voll ist«, sagt sie, »gehen die Augen über! So wahr mir Gott helfe«, sagt sie, »mein Herz wußte es schon vorher, dass du mit einer guten Nachricht kommen wirst! Heute nacht«, sagt sie, »erschien mir nach vielen Jahren Großmutter Zeitel – es sei zwischen Lebenden und Toten wohl unterschieden! – wieder im Traume. Ich schlief, und plötzlich sah ich einen Melkkübel; Großmutter Zeitel, sie ruhe in Frieden, hielt den Kübel unter der Schürze verborgen, damit ihn kein böser Blick treffe, und die Kinder schrien: Mutter, gib uns Milch!«
»Greife nicht nach den Nudeln vor dem Sabbat«, sage ich, »teure Seele! Großmutter Zeitel möge ein lichtes Paradies haben«, sage ich, »ich weiß aber nicht, ob wir von ihr etwas haben werden. Doch wenn Gott an uns solch Wunder getan hat, dass wir eine Kuh bekommen, wird er wohl auch dafür sorgen, dass es eine anständige Kuh wird … Gib mir lieber einen Rat, Golde, was wir mit dem Gelde tun sollen!«
»Das wollte ich eben dich fragen«, sagt sie zu mir, »was willst du mit dem Gelde, unberufen, tun, Tewje?«
»Nein, sage du«, sage ich, »was glaubst du, können wir mit einem solchen Kapital, unberufen, anfangen?«
Und wir begannen es uns beide zu überlegen. Wir zerbrachen uns den Kopf und nahmen alle Geschäfte durch, die es nur in der Welt gibt. In jener Nacht handelten wir mit allen Dingen, die man sich nur ausdenken kann: wir kauften ein paar Pferde und verkauften sie dann gleich wieder mit Profit; wir gründeten ein Kolonialwarengeschäft in Bojberik, verkauften alle Waren aus und gründeten gleich darauf ein Schnittwarengeschäft; wir beteiligten uns an einer Waldversteigerung und ließen uns einige Rubel Abstandsgeld zahlen; dann versuchten wir die Fleischsteuer in Anatewka zu pachten und liehen das Geld auf Zinsen aus –
»Du bist verrückt, auf meine Feinde sei es gesagt!« sagt zu mir mein Weib. »Du willst wohl die paar Rubel verlieren, so dass dir nichts als deine Peitsche zurückbleibt?«
»Ist es denn besser«, sage ich, »mit Brot zu handeln und Bankrott zu machen? Sind denn wenig Leute«, sage ich, »beim Weizenhandel zugrunde gegangen? Hast du denn noch nicht gehört«, sage ich, »wie es in Odessa zugeht?«
»Was taugt mir«, sagt sie, »Odessa? Die Väter meiner Väter sind dort niemals gewesen, und meine Kinder kommen auch niemals hin, solange ich lebe und solange mich meine Beine tragen!«
»Was willst du denn?« sage ich.
»Was ich will?« sagt sie. »Ich will, dass du kein Narr bist und keine Dummheiten redest.«
»Wahrscheinlich«, sage ich, »bist du jetzt klug geworden. Man sagt ja auch: Kommt Geld, kommt Verstand, und wenn man vielleicht reich ist, so ist man gewiß klug – So ist es immer!«
Kurz und gut, wir zankten uns einige Mal und versöhnten uns gleich wieder. Schließlich einigten wir uns darauf, dass wir zu der braunen Kuh noch eine zweite Milchkuh hinzukaufen sollten –
Werdet Ihr doch wohl fragen: Warum gerade eine Kuh und kein Pferd? Werde ich Euch darauf antworten: Warum ein Pferd und keine Kuh? Bojberik ist doch ein Ort, wo im Sommer alle reichen Leute von Jehupez auf dem Lande leben; und da die reichen Leute von Jehupez eine vornehme Erziehung genossen haben und gewohnt sind, dass man ihnen alles ins Haus bringt und in den Mund steckt: Holz, Fleisch, Eier, Hühner, Zwiebeln, Pfeffer, Petersilie, – warum soll sich nicht jemand finden, der ihnen jeden Tag Käse, Butter und Sahne ins Haus bringt? Und da die Jehupezer Leute viel vom Essen halten und der Rubel bei ihnen keine Rolle spielt, kann man dabei viel Geld einnehmen und ordentlich verdienen. Wichtig ist nur, dass man ihnen gute Ware liefert; solche Ware, wie bei mir, findet Ihr aber auch in Jehupez nicht! Ich möchte mit Euch zusammen soviel Segen erleben, wie oft mich schon sehr vornehme Leute, auch Christen, gebeten haben, dass ich ihnen frische Ware bringe: »Wir haben gehört«, sagen sie, »Tewje, dass du ein anständiger Mensch bist, wenn du auch ein krätziger Jude bist.« … Wie, glaubt Ihr: bekommt man von Juden je ein solches Kompliment zu hören? Auf alle meine Feinde sei es gesagt! Kein gutes Wort höre ich von unseren Leuten. Ständig schauen sie in fremde Töpfe hinein. Als sie bei Tewje eine Kuh und einen neuen Wagen sahen, zerbrachen sie sich gleich die Köpfe: Wo hat er das her? Handelt vielleicht dieser Tewje mit falschen Banknoten? Oder hat er eine geheime Schnapsbrennerei? … ›Ha-ha-ha!‹ denke ich mir, ›zerbrecht euch nur die Köpfe, Brüder!‹ Ich weiß nicht, ob Ihr es mir glauben werdet – Ihr seid wohl der erste, dem ich die ganze Geschichte erzähle, wie und was und warum ...




