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Dieses Modell ist spätestens seit der Entscheidung der Briten für einen Brexit und der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA, beides im Jahr 2016, erschüttert worden. Die darauffolgenden Trump’schen Handelskriege, allen voran mit der konkurrierenden Weltmacht China, haben auch die österreichischen Außenhändler mit Handelszöllen und anderen Beschränkungen konfrontiert.
Mit der Corona-Krise bekommt die Exportwirtschaft zusätzliche Hürden in den Weg gestellt. Erst war es die Abriegelung chinesischer Provinzen und Häfen, die ab Februar 2020 zur massiven Störung der transkontinentalen Lieferketten geführt hat. Dann erfolgten Reisebeschränkungen zu und von den hauptbetroffenen Ländern, zuletzt auch innerhalb Europas und Richtung USA. Der Nachschub an Vorprodukten kam auf breiter Front ebenso ins Stocken wie der grenzüberschreitende Einsatz von Personal. De facto war der Flugverkehr für drei Monate völlig stillgelegt. Für eine Erholung wird er Jahre benötigen.
Die Krise hat mit Sicherheit auch negative Seiten der weltweiten Arbeitsteilung aufgezeigt. Aus Kostengründen haben wir die Globalisierung in wichtigen Bereichen übertrieben. Dass die Produktion von Wirkstoffen für bestimmte Medikamente in China und Indien konzentriert ist, ist eine Fehlentwicklung. Für den Pandemiefall muss die schnelle und sichere Verfügbarkeit von Schutzkleidung und -masken sowie von Beatmungsgeräten sichergestellt werden. Das geht wahrscheinlich nur, wenn die Herstellung versorgungskritischer Produkte wieder näher an die Abnehmerländer gebracht wird.
Und ja, das Tempo früherer Globalisierungswellen hat die Welt überfordert: Laut Philip Coggans lesenswerter Welt-Wirtschaftsgeschichte More sind allein zwischen 1996 und 2000 die ausländischen Direktinvestitionen weltweit um 40 Prozent pro Jahr gestiegen. Damit kamen Kapital, Menschen und Interessen in bisher ungekanntem Ausmaß in Bewegung. Diese Überhitzung hat im Zusammenspiel mit der Deregulierung des weltweiten Finanzsektors und seiner Casino-Gesinnung direkt in die große Weltfinanzkrise von 2008 geführt.
Dennoch dürfen wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Dass die neue Chefökonomin der Weltbank, Carmen Reinhart, von Covid-19 als „letztem Sargnagel der Globalisierung“ spricht, klingt dramatisch. Das Ende ist aber noch lange nicht besiegelt. Vor allem: Die Globalisierung zu beerdigen hieße, den Wohlstand, wie wir ihn kennen, zu beerdigen.
Es hat in der Geschichte immer schon Handelsbeziehungen gegeben, die weit über die Region hinaus gereicht haben: Salzstraßen, Weihrauchstraßen, Bernsteinstraßen, Seidenstraßen. Mit der Seeschifffahrt und später der Luftfahrt hat sich diese Entwicklung intensiviert. Inzwischen sind wir im „Global Village“ angekommen. Es gab auch immer wieder das Gegenkonzept der Autarkie, das von der Sowjetunion praktiziert wurde, von Nehru in Indien oder von Mao in China. Dieses Gegenkonzept hat verlässlich in Mangel und Armut geendet.
Die Corona-Krise hat uns gezeigt, wie verletzlich wir sind, wenn wir die Grenzen auch nur vorübergehend schließen. Was wären wir ohne den Tourismus mit den zuletzt über 150 Millionen Nächtigungen pro Jahr, von denen 113 Millionen ausländischen Gästen zu verdanken sind? Was ohne die Möglichkeiten, unser Holz oder unsere Maschinen zu exportieren? Rund die Hälfte unserer Wirtschaftsleistung hängen an den Ausfuhren und am Tourismus. Wollen wir auch 50 Prozent unserer Arbeitsplätze opfern?
Rohstoffarme Binnenländer wie die Schweiz oder Österreich sind von der Globalisierung, und dazu gehört auch die europäische Integration, abhängig. Ohne Erholung der Weltwirtschaft haben es kleinere Länder schwerer, wieder auf die Beine zu kommen. Wir müssen deshalb darauf achten, dass wir gleichzeitig auf multilateraler Basis die Re-Globalisierung sicherstellen und nicht den Fehler de-globalisierender und isolationistischer Renationalisierung begehen, wie sie Nationalpopulisten inzwischen mehrerer Couleurs propagieren. Eine solche Entwicklung würde vor allem Europa gefährden, das in seine Einzelteile zerfallen würde. Wenn wir mehr Abschottung wollen, dann werden wir von unserem Wohlstand und von unserem Wohlfahrtsstaat Abschied nehmen müssen.

2020 stehen wir – allerdings auf einem wesentlich höheren Wohlstandsniveau – vor einer ähnlich schwierigen Situation wie nach dem Kriegsende vor 75 Jahren. Noch sind die endgültigen Auswirkungen des Corona-Flächenbrandes nicht in ihrer Gesamtheit abzusehen, doch eines ist klar: Weder im Alltagsleben noch in der Wirtschaft können wir zum bislang Gewohnten zurückkehren.
Die zahlreichen Hilfspakete, die geschnürt wurden, können wahrscheinlich das Schlimmste verhindern, wenn sie denn nur ausbezahlt würden – doch den wirtschaftlichen Rückgang können sie nicht aufhalten. Die vor uns liegenden Jahre werden langsameres Wachstum, möglicherweise zum Teil höhere Inflation und deutlich mehr Arbeitslose bringen, aber auch ein geändertes Reise- bzw. Urlaubs- und Konsumverhalten. Die Produktionsformen der Unternehmungen werden sich wandeln, um das Risiko zu engmaschiger Lieferketten und zu knapper Lagerhaltung sowie der damit verbundenen Verwundbarkeit zu reduzieren. Krisenpläne und -einrichtungen werden ebenso erhöhte lokale Aufmerksamkeit finden wie die Versorgung mit kritischen Medikamenten oder Schutzausstattungen. Roboterisierung, Künstliche Intelligenz, Blockchain und 3D-Druck werden verstärkt zur Anwendung kommen. Insgesamt wird sich die digitale Transformation beschleunigen, unter anderem im Bildungsbereich.
Eine weitere Lehre aus der aktuellen Krise: Es gibt Bereiche, aus deren Verantwortung sich der Staat nicht verabschieden und die er nicht einfach den Marktgesetzen überlassen darf. Sicherheit, Bildung, vor allem der Gesundheitsbereich zählen dazu. Der Staat als größtmögliche Risikogemeinschaft hat die Verantwortung, die Rahmenbedingungen für das Wohl seiner Bürgerinnen und Bürger zu gestalten. Natürlich ist jedes einzelne Krankenhaus wie auch das Gesundheitssystem insgesamt verpflichtet, kostenbewusst zu arbeiten; doch letztlich ist es der Sorge um die Bevölkerung verpflichtet, und diese erlaubt eben nicht die alleinige Orientierung an Kostenminimierung.
Psychologisch sind die Folgekosten der Krise noch nicht abschätzbar. Die inzwischen zur „Corona-Generation“ gewordene Generation Z, also die ab den späten 1990er Geborenen, erfährt und erlebt am Beginn ihres Arbeitslebens eine in Unordnung gekommene Welt ebenso wie ganz konkret, am eigenen Leib, den Verlust von Selbstverständlichkeiten: von individuellen Freiheiten und existenzieller Sicherheit. Sie wird es schwerer haben, eine Lehre oder Jobs zu finden – nicht nur die Lehrlinge, auch die Akademiker dieser Generation –, und sie wird geprägt sein von den Schicksalen vieler Unternehmer und Ein-Personen-Betriebe, die aufgeben müssen. Sie erlebt, dass unternehmerischer Mut zum Risiko durch ein Virus und durch zu langsam bereitgestellte Staatshilfe bestraft werden kann und dass der geschützte Sektor sich dagegen als vergleichsweise sicherer Hafen präsentiert. Es ist zu befürchten, dass diese Generation auch in ihrem eigenen Berufsleben vermehrt auf Nummer sicher gehen wird und wenig Neues wagt. Zu den vielen Unternehmen, insbesondere den Start-ups, die zusammenbrechen, werden am Ende jene zu zählen sein, die erst gar nicht gegründet werden. Es wird also noch mehr Unterlasser und noch weniger Unternehmer geben, weniger Gestalter und mehr Verhinderer.

Wie aber kann uns in dieser Situation der Blick zurück in jene Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg helfen, als täglich ums Überleben gerungen werden musste?
Die Frühphase der Zweiten Republik lehrt uns, dass im Angesicht einer existenziellen Krise ideologische Auseinandersetzungen keinen Platz haben, vielmehr Zusammenhalt, Gemeinsinn und Solidarität anstelle polarisierender Selbstinszenierung gelebt werden müssen. Viren und die von ihnen ausgelösten Pandemien sind ebenso wenig nationale Phänomene wie viele andere Herausforderungen, vor denen wir stehen und von denen noch ausführlich die Rede ist. Zu ihrer Bekämpfung braucht es daher neben den notwendigen nationalen Maßnahmen immer auch die internationale Kooperation. Zu den gefährlichen Viren muss auch das Liquiditätsvirus, das Narzissmusvirus sowie das Geiz- und Neidvirus gezählt werden.
Wie wichtig Kooperation und Koordination in Zeiten globaler Krisen ist, beweist ein Blick in die Geschichte eindrücklich. Der Wiener Kongress 1814/15 brachte nach den napoleonischen Kriegen eine neue Weltordnung hervor, in der sich die Großmächte auf Grundprinzipien des Miteinander verständigten – das damals etablierte „europäische Konzert“ war eine Art Vorläufer des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, konnte aber nach einem Jahrhundert die Spannungen zwischen den europäischen Nationen nicht mehr ausgleichen. Während nach dem Ersten Weltkrieg die Pariser Vorortverträge von 1919 in einem Desaster endeten, war die Neuordnung der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg von Erfolg gekrönt.
Selbst nach der Implosion der Sowjetunion und im Angesicht des Aufstiegs Chinas wurde nach den großen externen Schocks des 21. Jahrhunderts die internationale Kooperation gesucht bzw. verstärkt, etwa nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001, nach dem Tsunami im Indischen Ozean im Dezember 2004 oder nach der Finanzkrise 2007/08, als die G20 gegründet wurde.
Noch vor Corona ist diese Solidarität durch Machtansprüche Chinas und Russlands, vor allem aber durch einseitige Schritte der USA brüchig geworden: durch die Kündigung des Pariser Klimaabkommens, des Iranabkommens, der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) und diverser Rüstungsabkommen, durch den Austritt aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Blockade der Welthandelsorganisation (WTO). Die in der Zwischenzeit angezettelten Handels- und Sanktionskriege schaden allen, auch den Urhebern.
So haben wir heute weder eine bipolare noch eine unipolare, aber auch keine multipolare Welt – sondern eine Welt ohne irgendeinen Pol. Damit ist sie aber ohne Führung, die angesichts der gewaltigen globalen Bedrohungen so notwendig wäre. Die USA befinden sich, das wurde in den Wochen der Pandemie und in den riesigen Protestwellen nach einer Serie brutaler Polizeigewalt gegen Afroamerikaner deutlich, in einer Art Kaltem Bürgerkrieg. Sie haben zwar nach wie vor die robustere Wirtschaft, die stärkere Währung, exzellente Forschungseinrichtungen und Universitäten sowie eine zwar bedrohte, aber noch immer unabhängige Justiz: Doch von der Weltordnung haben sie sich abgekoppelt, und es ist fraglich, ob ein bloßer Wechsel des Präsidenten diesen Prozess umkehrt. China und andere Länder wiederum koppeln sich mit einem eigenen Internet auf einer technologischen Ebene ab und gehen mit zunehmender Härte gegen all jene vor, die nicht ihre Vorstellungen akzeptieren. Die digitalen Überwachungsmöglichkeiten schöpft das kommunistische Regime in einem Umfang aus, der noch vor wenigen Jahren unvorstellbar war. Im Fernen Osten und in Osteuropa drohen damit Überwachungsstaaten zu entstehen wie im Westen der Überwachungskapitalismus privater Tech-Giganten.
Vielleicht können die Erfahrungen der Pandemie und der darauffolgenden globalen Wirtschaftsdepression die gefährliche Tendenz zum Auseinanderdriften ja noch umkehren. Was in der Geschichte oft erst nach Kriegserfahrungen gelang, könnte mit dem Corona-Schock in den Knochen gelingen: eine Verständigung auf gemeinsame internationale Spielregeln im Zeichen von Fairness, Solidarität und wechselseitigem Respekt.
Die Finanzkrise 2007/08 hat die Schwächen des internationalen Finanzsystems aufgezeigt. Heute ist das Bankwesen vor allem in Amerika, aber auch in Europa – wenngleich nicht in gleichem Maße – stärker als davor. Auch die Behandlung der Eurokrise 2012 hat Schwächen aufgezeigt, die zum Teil beseitigt wurden. Es muss alles dafür getan werden, dass wir auch aus den Corona-Erfahrungen die richtigen Schlüsse ziehen: für das Bildungswesen, für die Digitalisierung, für die Bekämpfung des Klimawandels, für unsere an die Wand gefahrene Wirtschaft, die robuster für externe Schocks gemacht werden muss, für unsere Rolle in Europa und Europas Rolle in der Welt. Darum soll es in diesem Buch gehen: Um einen Wiederaufstieg im Geist des Zusammenhalts, genau wie vor 75 Jahren. Und um Wachsamkeit, damit die Demokratie nicht langsam stirbt und endet.
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