Es darf gelacht werden Von Männern ohne Nerven und Vätern der Klamotte

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Exkurs: MENSCH, SO’N KINTOPP! EIN FERNSEHKABARETT
Seit dem 21. Dezember 1952 sendete das DDR-Fernsehzentrum Berlin-Adlershof sein Versuchsprogramm werktags von 20:00 bis 22:00 Uhr. In dessen Frühphase herrschte Knappheit an Programmen. Improvisationstalent war gefragt. Als Redakteur für Theater, Film und Literatur war Wolfgang Stemmler im November 1952 ins Fernsehzentrum Berlin-Adlershof versetzt worden und versuchte, aus den vorhandenen bescheidenen Mitteln das Beste zu machen. Am 2. April 1953 erschien aus heiterem Himmel der Schauspieler Ludwig Trautmann (1885 bis 1957) aus West-Berlin und bot Stemmler Stummfilme zum Kauf an, die bei ihm im Keller lagerten. Stemmler griff zu, ersetzte die alten Zwischentitel durch neue, witzigere und ließ den Berliner Schauspieler Gerhard Wollner (von 1975 bis 1978 Sketchpartner in Dieter Hallervordens ARD-Serie NON-STOP NONSENS) im Kostüm und in der Maske eines zeitgenössischen Film-Erklärers die unfreiwillig komischen Stummfilme nach lustigen Texten von Gerhard Rentzsch kommentieren. Für die musikalische Untermalung sorgte Hans-Hendrik Wehding. Der Titel der etwa 25 Minuten langen Sendung lautete MENSCH, SO’N KINTOPP! EIN FILMKABARETT. Wollner präsentierte die Streifen in dem nachempfundenen Admirals-Kinematographentheater und versorgte die Fernsehzuschauer mit Wissenswertem über die ersten Berliner Kinos, die Lage von Filmateliers und den Sitz der Komparsenbörse (Stemmler in: Riedel, S. 79). Das Admirals-Kino bzw. die Admirals-Lichstpiele hatte es noch mindestens bis 1942 in der Berliner Friedrichstr. 101/102 gegeben (Reichs-Kino Adressbuch 1933, S. 313, und 1942, Ostdeutschland/Groß-Berlin, S. 3).
Es entstanden zwei Folgen von MENSCH, SO’N KINTOPP! EIN FILMKABARETT, die an den Montagen 6. und 20. April 1953 gegen 21:30 Uhr zum Schluss des Tagesprogramms gesendet wurden. Zur ersten Sendung druckte die Zeitschrift Unser Rundfunk folgenden Text ab: «Erinnern Sie sich noch an die Filme, die uns heute so unfreiwillig komisch anmuten? Sie heißen ES FIEL EIN REIF IN DER FRÜHLINGSNACHT oder EINE MOTTE FLOG ZUM LICHT. Wir wollen Ihnen heute auch einen solchen Film zeigen, nämlich DIE RACHE DER FRAU SCHULZE. In westdeutschen und West-Berliner Kinos gibt es auch heute noch ‹Kintopp›. Aber sehen Sie sich unser Filmkabarett einmal an. Bitte Platz nehmen, die Herrschaften. Rücken Sie ruhig ein bisschen dichter zusammen. Nur keine Bange. Hier tut keiner dem anderen nischt.» Mit dem «Kintopp» in West-Berliner Kinos könnten Laurel-und-Hardysowie Chaplin-Filme gemeint sein, die seit 1948 in der Tri- und Bizone und dann in der Bundesrepublik liefen.
Über den Inhalt der zweiten Folge ist nichts bekannt. Ein Teil der ersten Folge wurde am 2. September 1953 im Rahmen des Messe-Sonderprogramms zur Leipziger Messe vom 30. August bis 10. September 1953 gesendet. Da ein internationales Publikum in Leipzig weilte, fiel das TV-Programm üppiger aus. Pausen eingerechnet lief es täglich von 9:00 bis manchmal 22:00 Uhr. Nach Unser Rundfunk war die Sendung ein «Super-Gala-Monster-Programm von Wolfgang Stemmler». Aus der ersten Folge von MENSCH, SO’N KINTOPP! stammte DIE RACHE DER FRAU SCHULZE mit Gerhard Wollner. Aus anderen Sendungen wurden KITSCH-AS-KITSCHCAN, HALLO, CHRISTIAN sowie BIANKA MARIA UND DER TRIEFENDE DOLCH (mit Werner Peters) entnommen.
Weitere Folgen von MENSCH, SO’N KINTOPP! haben sich in Unser Rundfunk nicht finden lassen. Der Fernsehdienst des DDR-Fernsehens wurde erst ab 1962 herausgegeben. Ob der 1920 geborene Stemmler Auftritte von Jerven, Althoff oder Martin miterlebt hatte, oder bis Frühjahr 1953 auch solche von Schwier und Elfers, lässt sich nicht nachvollziehen. Jedenfalls war mit MENSCH, SO’N KINTOPP! der Film-Erklärer schon vor den bundesdeutschen Slapstickserien ins Fernsehen gekommen und karikierte vor der ARD-Serie HEUTE LACHT MAN DARÜBER (1962/63) dramatische Stummfilme. Umgekehrt dürften Stemmlers beide Folgen kaum eine Inspiration für Schwier und Elfers gewesen sein. Sie hatten bereits zu ihrem Konzept gefunden. Fernsehgeräte, mit denen man das DDR-Versuchsprogramm im Frühjahr und Spätsommer 1953 im so genannten Zonenrandgebiet hätte empfangen können, waren auch in der Bundesrepublik Deutschland bei einer Bevölkerung von gut 50 Millionen Bürgern noch rar gesät. Nach Angaben der Deutschen Bundespost waren für das Bundesgebiet einschließlich West-Berlin im April 1953 erst 1 524 Fernsehteilnehmer angemeldet. Bis September des Jahres stieg die Zahl auf 3 961 an (http://www.fernsehmuseum.info/fernsehzuschauer-statistiken.html).
CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE
Der jahrelange Zuspruch, dessen Schwier und Elfers sich mit Filmen von Fidelius erfreuten, mündete in den Plan, ihren Auftritt in einem eigens produzierten Film festzuhalten. Schwiers vormalige Kontakte und Mitarbeit ermöglichte 1957 die Realisierung bei der Göttinger Filmaufbau GmbH. An der Kamera stand Karl Schröder, den Schnitt besorgte Caspar van den Berg. CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE war das Ergebnis. Auch darüber befindet sich nichts im Nachlass der Göttinger Filmaufbau GmbH. Der Film ist die Blaupause für das spätere endgültige Format der ersten Staffel von ES DARF GELACHT WERDEN. Verliehen wurde der 87-minütige Film von Kirchners Neue Filmkunst. Die FSK gab ihn am 13. Juni 1957 nach den Bestimmungen des neuen Jugendschutzgesetzes für Kinder ab sechs Jahren frei, «da diese Hampelmänner-Darstellungen sicherlich Kinder und Jugendliche bei weitem mehr als Erwachsene amüsieren werden» (Nr. 14 595). Im Jugendprotokoll des Arbeitsausschusses der FSK wurde weiter ausgeführt: «Der Film ist eine Erinnerung an die Frühzeit des Stummfilms, als er noch in Schaubuden, getragen von den Misstönen eines verstimmten Klaviers und kommentiert von einem seiner Mission bewussten Sprecher über die Leinwand zitterte.»
In CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE macht sich ein kleinstädtisches Publikum der Kaiserzeit abends auf den Weg in eine Gaststätte, in der einige «der schönsten Filme» von Charlie Chaplin, dem «unübertroffenen Meister des Humors», gezeigt werden sollen. Angekündigt wurde das «Attraktions-, Fest- und Galaprogramm […] für die kunstliebenden Bürger unserer Stadt» ähnlich wie auf dem Handzettel für KINTOPP ANNO DAZUMAL mit reißerischen Worten «Lebende Bilder – getreu der Wirklichkeit. Keine Hypnose! Kein Bluff! Keine Suggestion!», das Ganze «vorgeführt und persönlich erläutert von Herrn Wanderschausteller Werner, musikalisch untermalt von Herrn Kapellmeister Konrad». Nach dem Kassieren des Eintritts von «drei Groschen» stellte Schwier, mit Zwirbelschnurrbart, Mittelscheitel-Frisur und Melone, sich und Elfers als Kapellmeister Konrad am Pianoforte vor, «der späterhin noch durch eine komplette Musikkapelle ergänzt» werden soll. Dabei zeigt Schwier auf ein altes Grammophon. Im preußisch-bestimmten, schwadronierenden Tonfall hält er dem zahlenden Publikum zunächst eine kleine Ansprache unter anderem über bleibende Werte, die es mit nach Hause nehmen möge – und da greift ein Taschendieb im Publikum unbemerkt natürlich gleich zu. Denjenigen, die womöglich seine Erläuterungen nicht verstehen, bietet er nach der Vorstellung «gegen ein geringes Entgelt» eine nochmalige Unterrichtung an. Nach einigen Verhaltensmaßregeln («Schießen Sie nicht auf den Pianisten» und «Sorgen Sie [im Dunklen] dafür, dass die Sittlichkeit im Saal gewährleistet bleibt») ist Schwiers sprichwörtlich gewordene Aufforderung festgehalten: «Ich gebe das Zeichen, vorausgesetzt, dass es der Operateur sieht.» Während der Pause waren «Toilettenschlüssel und sonstige Erfrischungen am Büfett» erhältlich.

CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE, 1957: Wanderschausteller Werner

CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE, 1957: Kapellmeister Konrad
Die «Aktualitätenschau» begann mit JUNG-DEUTSCHLAND AUF GELÄNDEÜBUNG, ein Film aus der deutschen Kaiserzeit über vormilitärische Übungen von Zivilisten in der Sommerfrische, die seltsame Südwester tragen. Bei diesem Streifen läuft Schwier zur Hochform auf, ein echter erster Höhepunkt. Nach ihrer Zugverladung beginnen die jungen Männer am Zielort ihren Marsch. «Jung-Deutschland auf dem Marsch. Und wenn Jung-Deutschland marschiert, da gibt es kein Halten mehr, und das nimmt kein Ende. Und das ist ja auch der Grund, weshalb wir allgemein so beliebt sind,» kommentiert Schwier. Dann startet ein abstruses simuliertes Kriegsspiel zwischen zwei Parteien. Man marschiert ins Feindesland ein: «Der schönste Augenblick ist immer der Einmarsch in Feindesland – wie Sie sehen, ist es hier schon mehr ein richtiger Einlauf.» Einige wenige Soldaten in Uniform und mit Fahrrädern unterweisen die Kombattanten: «Achten Sie bitte darauf, dass die Oberste Heeresleitung vollmotorisiert ist. Nur dadurch sind Blitzkriege möglich zu machen!» Man legte eine Meldekette, Vorposten wurden bezogen, Stellungen gebaut: «Wie wichtig diese Stellungen sind, können wir ja gar nicht ahnen, das weiß nur die Oberste Heeresleitung, weshalb wir uns weiter keine Gedanken darum zu machen brauchen.» Natürlich finden sich die Heerscharen in der Schützenlinie wieder, bis zum Sturm geblasen wird und schließlich der Sanitätsdienst das Feld aufräumt. Ein ganzer Trupp kümmert sich um die am Boden liegenden Kämpen: «Auf den Mann kommen bei Jung-Deutschland mindestens fünf bis sechs Sanitäter.» Dazu spielt Elfers ein Potpourri bekannter vaterländischer Lieder wie LIEB VATERLAND, MAGST RUHIG SEIN. Sein musikalischer Einsatz in CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE endet damit.
Die anschließenden Chaplin-Filme sind mit Orchestermusik und Geräuscheffekten unterlegt. Am Ende des ersten Films CHARLIE IM WARENHAUS (THE FLOORWALKER) stehen neben Elfers zwei Musiker am Kontrabass und mit Posaune und erwecken den Eindruck, sie hätten die Orchestermusik gespielt. Nach CHAPLIN ALS FEUERWEHRMANN (THE FIREMAN) und CHAPLIN ALS KULISSENSCHIEBER (BEHIND THE SCREEN) präsentiert Schwier von CHAPLIN ALS NACHTSCHWÄRMER (ONE A. M.) nur die erste Hälfte, weshalb er die Zuschauer informiert: «An dieser Stelle nun, Damen und Herren, muss ich Ihnen die traurige Mitteilung machen, dass es uns infolge der kleinlichen Haltung unserer Gläubiger nicht gelungen ist, auch den zweiten Teil dieses Films zu bekommen.» Dafür aber reicht er als Zugabe und zum «unwiderruflichen» Abschluss des Programms noch den Klassiker CHARLIE CHAPLIN LÄUFT ROLLSCHUH (THE RINK) nach. Danach heißt es auf der Leinwand «Aus».
Wann genau die Premiere von CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE stattgefunden hat, ist nicht klar, da sie in den vier damals erscheinenden Film-Branchenblättern nicht mitgeteilt wurde. Nur das Film-Echo besprach den Film Monate, nachdem er angelaufen war. Wahrscheinlich hat die Uraufführung bald nach der FSK-Freigabe stattgefunden. Die früheste bekannte Kritik stammt aus dem Göttinger Tageblatt vom 30. Juni 1957. Wahrscheinlich wurde der Film am dortigen Sitz des Verleihs uraufgeführt. Die Zeitung lobte Schwiers Auftritt «mit Stehkragen und Schmalztolle» als «Kino im Kino» und befand das «Programm voll Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung». Kinos in anderen Städten meldeten ein «sehr gutes» Geschäft mit dem Streifen (Film-Sonderdienst Ott Nr. 59 vom 22. Juli 1957). In Tübingen spielte er am 3. Juli 1957 (Schwäbisches Tageblatt vom 4. Juli 1957). Danach wurde CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE am 10. August 1957 zur Eröffnung des Münchner Kinos Theatiner Filmkunst gezeigt (Film-Echo Nr. 1 vom 1. Februar 1958). Dieses betrieben Kirchner und Schwier gemeinsam und wurde von Kirchners Ehefrau Marlies geleitet. Sie ist Liesenhoffs Schwester und lernte Schwier während des Zweiten Weltkrieges kennen, als sie nach Stadthagen evakuiert wurde und dort bei seinen Eltern wohnte, um am Ort die Schule besuchen zu können (Interview mit ihr vom 6. Juni 2016). Marlies Kirchner betreibt auch 2020 noch im Alter von 90 Jahren das Kino. 2017 wurde sie zum 60-jährigen Bestehen des Lichtspieltheaters mit der Medaille «München leuchtet – Den Freundinnen und Freunden Münchens» in Silber geehrt.
CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE riss das Publikum offenbar mit und «brachte […] vorzeitig geradezu Oktoberfest-Stimmung in das Theater. Das Lachen nahm kein Ende.» (Werbefaltblätter des Kinos, vorgeheftet vor Der Gildendienst Nr. 49 und 50 vom September und Oktober 1957). In München lief das Programm auch wieder im September des Jahres, wo die dortige Abendzeitung Chaplin als «unvergleich- und unwiederholbar» bezeichnete und das Programm ein «Schmankerl für Feinschmecker» nannte (Film-Sonderdienst Ott Nr. 76 vom 19. September 1957). Auch der EFB besprach CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE (Folge 38 vom 19. September 1957, Nr. 602) (Nr. 41 vom 10. Oktober 1957, Nr. 6 248) und das Branchenblatt Film-Echo (Nr. 81 vom 9. Oktober 1957, S. 1 307) im Monat darauf war von dem Chaplin-Streifen und der Präsentation angetan. Bis mindestens Juli 1958 zog das Programm in bundesdeutschen Städten sein Publikum an, in Köln, Essen, Heidelberg, Eschwege, Aachen, Lüdenscheid, Koblenz, Hamburg, Düsseldorf, Bad Pyrmont und Berlin. Man freute sich über die hervorragenden Chaplin-Filme, besonders aber über die gute Idee, dass Schwier als Erklärer den Kintopp der Kaiserzeit und der Großväterjahre «voller zündender, aktueller Anspielungen» vorführte (Hamburger Echo vom 24. Mai 1958 und Rheinische Post vom 7. Juni 1958). Danach scheinen Schwier und Elfers auch nicht mehr durch Kinos, Filmclubs und Universitäten gezogen zu sein. Im Jahr darauf verließ Schwier den Verleih Neue Filmkunst und wechselte zu Leo Kirchs Beta Film, für die er Japan-Filme akquirierte.
Jahre später trat Schwier, mittlerweile durch ES DARF GELACHT WERDEN bundesweit bekannt geworden, noch einmal mit JUNG-DEUTSCHLAND AUF GELÄNDEÜBUNG in mehreren Städten zur Einstimmung auf das von Atlas verliehene Kinoprogramm mit den Filmen DER SÜNDENBOCK (THE GOAT, 1921), DER MUSTERSCHÜLER (COLLEGE, 1927) und DAS BLEICHGESICHT (THE PALEFACE, 1922) von Buster Keaton auf (Film-Echo/Filmwoche Nr. 49/50 vom 21. Juni 1963). Elfers könnte ihn begleitet haben. Feststellen lässt sich das aber nicht.
1962 wurden aus Fidelius’ Archiv neben einer italienischen «Schaubuden-Moritat» um einen Zirkus-Muskelmann vier klassische Slapstickfilme von Chaplin, Keaton und Harold Lloyd unter dem reichlich unpassenden Titel SAMSON, DER ZIRKUSAKROBAT öffentlich aufgeführt (EFB Folge 2 vom 13. Februar 1962, Nr. 20–22 a). Der FSK hatte nicht das gesamte Programm, sondern nur den italienischen Streifen SANSONE ACROBATA DEL ‹KOLOSSAL› der Turiner Ambrosio Film von 1919, der 33 Minuten lief, für Kinder ab sechs Jahren freigeben (Nr. 24 254). Wie die Streifen präsentiert wurden und ob Schwier und Elfers daran beteiligt waren, geht aus beiden Quellen nicht hervor.
CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE erfuhr eine Förderung durch die Landesbildstelle Berlin. Die dort angesiedelte elfköpfige Filmbegutachtungskommission für Jugend und Schule empfahl den Streifen am 19. Januar 1959 für Jugend- und Schülerfilmclubs und hob hervor, dass Schwiers Kommentar zu Jung-Deutschland auf Geländeübung diesem Film die Würze gebe. Genau damit hatte der Verleih jedoch 1957 und 1958 Schiffbruch bei der Filmbewertungsstelle (FBW) erlitten. Den Anträgen hatte Schwier eine Mappe mit Pressekritiken aus den Jahren 1957 und 1958 beigefügt, in denen Jung-Deutschland auf Geländeübung als gelungene Besonderheit hervorgehoben wurde. Gerade dieser Programmpunkt war der Grund für die FBW, CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE ein Prädikat zu verweigern, das die teilweise oder vollständige Befreiung von der damals üblichen Vergnügungssteuer für Kinobesuche zur Folge gehabt hätte. Die seinerzeit angelegten Akten Nr. 4.149 sind zwar nicht überliefert, die damalige Ablehung ergibt sich jedoch aus der knappen Antwort der FBW vom 10. Januar 1973 auf eine Anfrage des Steueramtes der Stadt Nördlingen. Sie befindet sich in den Akten Nr. 11.388, die 1966 angelegt worden sind, als der Verleih erneut ein Prädikat für CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE beantragte. Nähere Einzelheiten sind indessen unbekannt. Daher lässt sich im Zusammenhang mit anderen Entscheidungen der FBW bis Mitte der 1960er-Jahre wie im Falle von DIE GROSSE LACHPARADE 1962 nur vermuten, dass sie Jung-Deutschland auf Geländeübung samt Schwiers Kommentaren als Fremdkörper beanstandete, der nicht aus der Zeit der Herstellung der an sich filmhistorisch bedeutsamen Chaplin-Filme stammt (vergleiche dazu: Aping, Dick und Doof, S. 355, 356). Damals verlangte die FBW manchen Eingriff in Filme, was ihr den Vorwurf der Zensur eintrug, die nach dem Grundgesetz abgeschafft ist. Heute nimmt die Filmbewertungsstelle eine beratende Funktion ein.
1962 brachte Kirchners Neue Filmkunst CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE, wohl im Fahrwasser von ES DARF GELACHT WERDEN, mit neuer FSK-Zulassung für Kinder ab sechs Jahren noch einmal ungekürzt in die Kinos (Nr. 14.595 a). Im Herbst 1966 ließ der Verleih aber einen weiteren Zulassungsantrag für eine um sieben Minuten reduzierte Fassung folgen (FSK Nr. 14.595 b vom 19. Oktober 1966). Hintergrund war Kirchners parallel gestellter neuer Antrag an die FBW vom 19. September 1966 auf Erteilung eines Prädikates. Kirchner hatte die 1957 und 1958 beanstandeten Teile entfernt. Daraufhin erhielt er für die Kurzfassung von CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE schon einen Tag danach das Prädikat «wertvoll». Es war fünf Jahre gültig (Nr. 11.388). 1968 beantragte Kirchner für seinen Verleih dann auch Prädikate für die einzelnen Chaplin-Filme aus CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE. Die FBW erkannte ihnen Ende Februar/Anfang März 1968 ebenfalls Prädikate zu, teils «wertvoll» und auch «besonders wertvoll». Nach Ablauf ihrer fünfjährigen Geltungsdauer verlängerte die FBW sie auf Kirchners Antrag im März und April 1974 noch einmal um fünf Jahre (Nr. 11.388 a–e).
Aus Anlass von Chaplins 100. Geburtstag erschienen 1989 zwei VHS-Videokassetten mit CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE in ungekürzter Fassung unter dem Titel CHAPLIN JUBILÄUM: LACHPARADE – JUBEL, TRUBEL, SENSATIONEN (Goldenes Videoland, Bestell-Nr. 0773, und Bild am Sonntag Videothek, Bestell-Nr. 5621761). Dafür besaß mittlerweile Leo Kirchs Taurus-Film Video GmbH das Copyright.
Charly Dühlmeyer
Schwiers Auftritte als Film-Erklärer in der Tradition von Walter Jerven und Friedrich Martin in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre haben einen anderen Stadthagener beeinflusst, es Schwier und Elfers gleich zu tun. Karl Wilhelm Dühlmeyer wurde am 5. November 1925 in Stadthagen geboren und sollte nach den Plänen seines Vaters dessen örtliches Textilgeschäft übernehmen. Für den künstlerisch interessierten Karl Wilhelm, genannt Charly, deckte sich das nicht mit seinen Berufswünschen. Schon als Kind fühlte er sich zum Theater hingezogen. Wie Schwier besuchte er in Stadthagen die Volksschule und das Gymnasium. Das Abitur konnte er dort nicht ablegen, weil er 1942 zum Kriegsdienst in die Bretagne einberufen wurde, wo er am 8. Mai 1945 in Kriegsgefangenschaft geriet. 1947 gründete er im Kriegsgefangenenlager Lorient (in der Nähe des U-Boot Hafens) eine Kulturgruppe, die auch Theaterstücke aufführte. Dühlmeyer sehnte sich danach, Schauspieler zu sein. Zeitlebens ein Autodidakt begann er in dem Metier auch ohne Abschluss des Gymnasiums und ohne Berufsausbildung seine ersten Erfahrungen zu sammeln. Da es im Lager keine Frauen gab, mussten im Gefangenentheater Frauenrollen von Männern gespielt werden.
Am Tag der Währungsreform 1948 kehrte Dühlmeyer aus der französischen Kriegsgefangenschaft zurück und trat in Hannover als Chorsänger dem 1947 gegründeten Thalia-Operettentheater bei. Das war der Beginn einer ähnlich selbstbestimmten Nachkriegskarriere wie die von Schwier. Dühlmeyers wohlklingende Gesangstimme und seine schauspielerischen Fähigkeiten ließen ihn schon bald zum Operetten-Buffo aufsteigen, der beim Theaterpublikum sehr beliebt war. 1949 spielte er in Produktionen wie DER VOGELHÄNDLER den Geheimkanzlisten Schnurpel. Es folgten zahlreiche weitere Operetten-Rollen, so Fridolin in DIE ROSE VON STAMBUL, Leiblakei Iwan in DER ZAREWITSCH, Obereunuch in LAND DES LÄCHELNS, Kriminalinspektor Valdivio in CLIVIA, Kunstmaler Seppl in MASKE IN BLAU und Egon von Wildehagen in DER VETTER AUS DINGSDA, um nur einige zu nennen. Hin und wieder führte Dühlmeyer auch Regie (zahlreiche Programmhefte von Ende der 1940er-Jahre bis 1954 im Nachlass).
Im Thalia-Theater lernte Dühlmeyer die Tänzerin Christine Menzel kennen, die er später heiratete. Mit ihr bezog er 1958 in Stadthagen ein eigenes Haus, dessen Dachgeschoss er für seine andere Leidenschaft neben seiner Tätigkeit als Schauspieler zum Studio ausbaute: Film und Filmtechnik. Dort konnte er mit einem 16-mm-Projektor aus einem Vorführraum Filme auf eine Leinwand projizieren. In Zeiten, als es noch keine Filmhochschulen gab, war er auch auf dem Gebiet Autodidakt, sodass er sich unter anderem Kameratechnik selbst beibrachte. Mit seiner Arriflex-Kamera experimentierte er viel. Dühlmeyers Anfänge im Filmwesen war die Schaumburger Monatsschau, abgekürzt SMS. Er produzierte sie fürs Vorprogramm der Kinos in der Stadthagener Umgebung. Sie berichteten zum Beispiel über Einschulungen und Konfirmationen. Da Dühlmeyer sich auch im Stadthagener Filmclub engagierte, besorgte er fürs Kino gute Filme. 1959 gründete er eine Filmfirma zur Herstellung und zum Vertrieb von Filmen aller Art nebst dazugehörigen Werbefotos und Diapositiv-Serien (Bundesanzeiger vom 18. Juni 1959).
Über seinen Bruder Hermann, der das väterliche Textilgeschäft übernahm, lernte er Schwier und dessen Liebe zum Film kennen. Daher wusste er auch um Schwiers und Elfers gemeinsame Auftritte mit Stummfilmen. Man kannte einander und traf sich zu den jährlichen Stadthagener Schützenfesten. Schwier und Elfers gehörten auch zu den Hochzeitsgästen, als Dühlmeyer und Christine Menzel Ende 1956 heirateten (Interview Christine Dühlmeyer vom 26. Mai und 4. August 2015).

Charly Dühlmeyer und Werner Schwier, Schützenfest Stadthagen (Mitte der 1950er-Jahre)
Raritäten aus der Flimmerkiste leben weiter
Als Dühlmeyer sich 1954 bei einer Aufführung von IM WEISSEN RÖSSL in der Rolle des Sigismund Sülzheimer das rechte Knie verletzte und es operiert werden musste, war dies das Ende seiner Bühnenkarriere. Er musste sich nach etwas anderem umsehen. In dieser Situation brachte Schwier ihn als Schauspieler mit komödiantischem Talent und Filmliebhaber auf die Idee, ebenfalls mit Stummfilmen und einem Pianisten in Kinos und Theatern als Film-Erklärer aufzutreten. Und damit begann eine neue Karriere, mit der Dühlmeyer die Präsenz des Kintopps neben Schwier und Elfers verstärkte und schließlich bis 1963 fortführte, als Schwiers TV-Serie ES DARF GELACHT WERDEN in die zweite Staffel ging. Damit gehört auch Dühlmeyer zu den Wegbereitern des endgültigen Formats von Schwiers Serie.
Mittlerweile war Friedrich Martin verstorben, und dessen Witwe Dorothee Martin in Frankfurt a. M. besaß die Filme für das Programm RARITÄTEN AUS DER FLIMMERKISTE im Format 16 mm. Zu ihr nahm Dühlmeyer Kontakt auf. Sie stellte ihm die Filme ihres verstorbenen Mannes zur Verfügung. Ab Jahresbeginn 1955 präsentierte nun Dühlmeyer das Programm (Angaben Dühlmeyers in Handzetteln und gegenüber der Hannoverschen Presse vom 24. August 1957). Sein Pianist während der ersten Vorstellungen war Hellmut Pape, Repetitor und dritter Kapellmeister am Hannoveraner Opernhaus. Bald aber schon löste ihn Hartwig Bernstorf ab, mit dem Dühlmeyer befreundet war. Dühlmeyer, Pape bzw. Bernstorf, Kinobetreiber und Billetteusen/Platzanweiserinnen trugen Kleidung sowie Haartracht aus der Großväterzeit. Die Akteure wurden in einem Ford-T-Modell 1906 «mit Comfort ungeheuren Ausmaßes» chauffiert, das es gerade noch auf 20 km/h brachte (Interview Christine Dühlmeyer und Dühlmeyers Geleitwort im Programmheft UND DAS IST AUCH GUT SO). Wie Jerven hatte Dühlmeyer als Film-Erklärer einen großen Zeigestock dabei und zog kabarettistisch-parodistisch alle Register seines schauspielerischen Könnens. Manchmal spielte er dazu auch eine Drehorgel. Das «kabarettistische Vergnügen» und die umfangreiche «Sonder-Monster-Schau mit schaurig-schönen Dramen» wie VOM BAUERNFÄNGER ZUM VATERMÖDER, SEELISCH GEHEMMT. ROMAN EINES ARZTES und ein Sittengemäldenamens DRAMA AN DER RIVIERA wurden mit Handzetteln, Plakaten, Programmzetteln und Zeitungsannoncen angekündigt. Man tourte durch Volkshochschulen, Volksbildungswerke, Filmclubs, Kulturvereine, Bäder, Filmkunsttheater und Universitäten. Besonders gut kamen die RARITÄTEN AUS DER FLIMMERKISTE in Filmkunsttheatern und kulturellen Einrichtungen an, wie zur Eröffnung des VII. Internationalen Filmtreffens in Bad Ems im Oktober des Jahres. Aber auch in kleinen und mittleren Städten des Bundesgebietes ließen «Wanderschausteller» Dühlmeyer und Bernstorf als «genialer Begleiter auf dem Pianoforte» ihr Publikum bei rund 100 Auftritten über das Jahr 1955 kräftig lachen. Presse, Radio, Fernsehen (NWDR) und die Neue Deutsche Wochenschau berichteten.





