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SALA. Er doch eigentlich mehr mit mir als ich mit ihm.
FELIX. Wie meinen Sie das, Herr von Sala?
JOHANNA. Ich versteh' das sehr gut. Es geht Ihnen wohl mit den meisten Menschen so.
SALA. Ähnlich zum mindesten.
JOHANNA. Man merkt das auch an den Sachen, die Sie schreiben.
SALA. Hoff ich. Sonst könnte sie auch wer anderer schreiben.
WEGRAT. Sagte er denn nicht, wann er wieder nach Wien kommt?
FELIX. Ich glaube bald. Aber sehr bestimmt hat er sich nicht ausgedrückt.
JOHANNA. Ich möchte Herrn Fichtner gern wiedersehen. Ich habe solche Menschen gern.
WEGRAT. Was nennst du »solche Menschen«?
JOHANNA. Die immer von weit herkommen.
WEGRAT. Aber als du ihn kanntest, Johanna, kam er doch meistens ganz aus der Nähe ... er lebte ja hier.
JOHANNA. Das ist ja ganz gleichgültig, ob er hier lebte oder anderswo. – Auch wenn er täglich kam, mir war immer, als käm' er von sehr weit.
WEGRAT. Nun ja ...
FELIX. Das hab' ich auch manchmal empfunden.
WEGRAT. Ist es nicht seltsam, wie er durch die Welt jagt, in den letzten Jahren wenigstens?
SALA. Steckt diese Unruhe nicht seit jeher in ihm? Sie waren ja schon auf der Akademie mit ihm zusammen.
WEGRAT. Ja. Und damals mußte man ihn gekannt haben, um ihn wirklich zu kennen. Als junger Mensch hatte er etwas Faszinierendes, Blendendes. Nie hab' ich jemanden gekannt, auf den das Wort »vielversprechend« so zutraf wie auf ihn.
SALA. Nun, er hat doch mancherlei gehalten.
WEGRAT. Aber was hätte er alles erreichen können! ...
DOKTOR REUMANN. Ich glaube, was man hätte erreichen können, das erreicht man auch.
WEGRAT. Nicht immer. Julian war gewiß zu Höherem bestimmt. Was ihm gefehlt hat, war die Fähigkeit, sich zu sammeln, der innere Friede. Er konnte sich nirgends dauernd heimisch fühlen; und das Unglück war, daß er sich auch in seinen Arbeiten sozusagen nur vorübergehend aufhielt.
FELIX. Er hat mir ein paar Skizzen gezeigt, die er in der letzten Zeit gemacht hat.
WEGRAT. Schön?
FELIX. Für mich lag etwas Ergreifendes in ihnen.
FRAU WEGRAT. Warum ergreifend? Was sind's denn für Bilder?
FELIX. Landschaften. Sogar meistens ganz heitere Gegenden.
JOHANNA. Ich habe einmal im Traum eine Frühlingslandschaft gesehen, ganz sonnig und mild, und doch hab' ich über sie weinen müssen.
SALA. Ja, die Traurigkeit steckt in den Dingen oft viel tiefer verborgen, als man ahnt.
WEGRAT. Also er arbeitet wieder? Da kann man sich ja vielleicht was besonderes erwarten.
SALA. Bei jemandem, der einmal ein Künstler war, ist man nie vor Überraschungen sicher.
WEGRAT. Ja, so ist es, Herr von Sala. Das ist eben der große Unterschied. Bei einem Beamten kann man in dieser Hinsicht ganz ruhig sein. Mit heiterer Selbstironie. Der malt jedes Jahr sein braves Bild für die Ausstellung und kann beim besten Willen nicht anders.
DOKTOR REUMANN. Es ist noch sehr die Frage, wer die Welt und die Kunst weiter bringt: Beamte wie Sie, Herr Professor, oder ... die sogenannten Genies.
WEGRAT. O, es fällt mir gar nicht ein, den Bescheidenen zu spielen. Aber was die Genies anbelangt, von denen wollen wir lieber nicht reden. Das ist eine Welt für sich und außerhalb der Diskussion – wie die Elemente.
DOKTOR REUMANN. Da bin ich allerdings durchaus anderer Ansicht.
WEGRAT. Man kann doch nur von den Leuten sprechen, für die es überhaupt Grenzen gibt. Und da find' ich nun freilich: Wer seine Grenzen besser kennt, das ist der bessere Mann. Und in dieser Hinsicht hab' ich gewiß allen Grund, mich hochzuschätzen. – Ist dir denn nicht kühl, Gabriele?
FRAU WEGRAT. Nein.
WEGRAT. Nimm doch das Tuch fester um und laß uns ein wenig Bewegung machen, so weit das hier möglich ist.
FRAU WEGRAT. O ja, gern. – Bitte, kommen Sie, Doktor, nehmen Sie meinen Arm. Sie haben sich um Ihre Patientin noch gar nicht gekümmert.
DOKTOR REUMANN. Ich stehe zur Verfügung.
Die andern gehen voraus, Johanna mit ihrem Bruder, der Professor mit Sala; Doktor Reumann und Frau Wegrat scheinen sich anzuschließen, bis Frau Wegrat plötzlich stehen bleibt.
Sechste Szene
Frau Wegrat, Doktor Reumann.
FRAU WEGRAT. Haben Sie bemerkt, wie seine Augen leuchteten, – Felix' Augen, als man von ihm sprach? Es war eigentümlich.
DOKTOR REUMANN. Menschen von der Art dieses Herrn Fichtner haben gewiß für jüngere Leute etwas Interessantes. Es weht wie ein Duft von Abenteuern um sie.
FRAU WEGRAT den Kopf schüttelnd. Und er hat ihn besucht ... Er ist offenbar nach Salzburg nur gefahren, um ihn wiederzusehen. Er fängt wohl an, sich ziemlich verlassen zu fühlen.
DOKTOR REUMANN. Warum sollte man einen jungen Freund nicht besuchen, wenn man zufällig seinen Aufenthaltsort berührt? Daran find' ich nichts Merkwürdiges.
FRAU WEGRAT. Vielleicht haben Sie recht. Vielleicht hätt' ich die Sache früher geradeso aufgefaßt. Aber jetzt, im Angesicht ... Nein, Doktor, ich will nicht pathetisch werden.
DOKTOR REUMANN. Gegen das Pathos hab' ich nichts, nur gegen den Unsinn.
FRAU WEGRAT lächelnd. Ich danke Ihnen. – Immerhin, ich habe Anlaß, über allerlei nachzudenken. Das ist weiter nicht schwer zu nehmen, lieber Freund. Sie wissen ja, ich habe Ihnen alles nur erzählt, um mit einem klugen und guten Menschen über Vergangenes reden zu können; nicht etwa, um von einer Schuld losgesprochen zu werden.
DOKTOR REUMANN. Glücklich machen ist besser als schuldlos sein. Und da Ihnen das beschieden war, haben Sie selbstverständlich alles gutgemacht ... wenn Sie ein Wort von so phantastischer Albernheit gestatten.
FRAU WEGRAT. Daß ich Sie so reden höre!
DOKTOR REUMANN. Hab' ich nicht recht?
FRAU WEGRAT. Als wenn ich nicht ganz gut fühlte, daß gerade Ihnen wir alle, Betrogene und Betrüger, gleich verächtlich sein müssen.
DOKTOR REUMANN. Gerade mir? ... Was Sie, gnädige Frau, Verachtung nennen, – wenn ich überhaupt etwas davon verspürte – wäre ja doch nichts anderes als maskierter Neid. Oder denken Sie, daß es mir an dem guten Willen fehlte, mein Leben so zu führen, wie ich es die meisten andern führen sehe? Ich habe nur nicht das Talent dazu. Wenn ich aufrichtig sein soll, gnädige Frau – die Sehnsucht, die am tiefsten in mir steckt, ist die: ein Schurke zu sein, ein Kerl, der heuchelt, verführt, hohnlacht, über Leichen schreitet. Aber ich bin durch Mängel meines Temperaments dazu verurteilt, ein anständiger Mensch zu sein – und, was vielleicht noch schmerzlicher ist, von allen Leuten zu hören, daß ich es bin.
FRAU WEGRAT hat ihn lächelnd zugehört. Ob Sie uns auch den wahren Grund erzählt haben, der Sie in Wien festhält ...?
DOKTOR REUMANN. Gewiß. Ich habe wahrhaftig keinen andern. Ich habe nicht das Recht, einen andern zu haben. Reden wir doch nicht weiter davon.
FRAU WEGRAT. Sind wir nicht so gute Freunde, daß ich ruhig über alles mit Ihnen sprechen kann? Ich weiß ja, was Sie meinen. Aber ich glaube, es stände in Ihrer Macht, gewisse Illusionen und Träume aus einer Mädchenseele davonzuscheuchen. Für mich wäre es eine rechte Beruhigung, wenn ich Sie hier zurücklassen dürfte, unter diesen Menschen, die mir alle so nahe sind und die doch alle voneinander nichts wissen, kaum ihre Beziehungen zu einander kennen und dazu bestimmt scheinen, auseinander zu flattern, weiß Gott, wohin.
DOKTOR REUMANN. Wir wollen von diesen Dingen reden, wenn es an der Zeit ist, gnädige Frau.
FRAU WEGRAT. Ich bereue ja nichts. Ich glaube, ich habe nie etwas bereut. Aber ich fühle, daß irgend etwas nicht in Ordnung ist. Vielleicht ist es nur der seltsame Glanz in den Augen von Felix gewesen, der diese Unruhe über mich gebracht hat. Aber ist es nicht sonderbar, – unheimlich beinahe, zu denken, daß ein Mensch wie er mit offenen Sinnen in der Welt umhergehen und nie erfahren soll, wem er das Licht der Welt verdankt?
DOKTOR REUMANN. Wir wollen keine allgemeinen Sätze aufstellen, gnädige Frau. Damit sind die geradesten Dinge so sehr ins Zittern und Schwanken zu bringen, daß es auch die klarsten Augen zu schwindeln anfängt. Aber ich für meinen Teil finde: Eine Lüge, die sich so stark erwiesen hat, daß sie den Frieden eines Hauses tragen kann, ist mindestens so verehrungswürdig als eine Wahrheit, die nichts anderes vermöchte, als das Bild der Vergangenheit zu zerstören, das Gefühl der Gegenwart zu trüben und die Betrachtung der Zukunft zu verwirren. Er geht weiter mit ihr.
Siebente Szene
Johanna und Sala.
JOHANNA. So kommt man immer auf dieselben Stellen. Ihr Garten ist wohl größer, Herr von Sala?
SALA. Mein Garten ist der Wald selbst, – für Leute, die ihre Phantasie nicht durch ein dünnes Gitter behindern lassen.
JOHANNA. Ihre Villa ist schön geworden.
SALA. Kennen Sie sie denn?
JOHANNA. Neulich hab' ich sie wiedergesehen, zum ersten Male wieder seit drei Jahren.
SALA. Vor drei Jahren war ja noch nicht einmal der Grundstein gelegt.
JOHANNA. Für mich ist sie schon damals dagestanden.
SALA. Wie geheimnisvoll ...
JOHANNA. Gar nicht. Erinnern Sie sich nur. Wir haben einmal einen Ausflug nach Dornbach gemacht, die Eltern, Felix und ich. Da haben wir Sie und Herrn Fichtner begegnet, und das war gerade an der Stelle, wo Ihr Haus gebaut werden sollte. Und nun sieht alles geradeso aus, wie Sie es damals geschildert haben.
SALA. Wie kommen Sie denn in diese Gegend?
JOHANNA. Ich gehe jetzt oft allein spazieren, seit Mama krank ist ...
SALA. Und wann sind Sie denn an meinem Haus vorübergekommen?
JOHANNA. Das ist nicht lange her ... Heute.
SALA. Heute?
JOHANNA. Ja. Ich bin ringsherum gegangen.
SALA. So? Ringsherum? ... Haben Sie auch die kleine Tür gesehen, die direkt in den Wald hinausführt?
JOHANNA. Ja. – Aber von dort aus ist das Haus beinahe unsichtbar. Das Laub ist ganz dicht. – Wo mögen denn die römischen Kaiserbüsten sein?
SALA. Die stehen auf Säulen am Eingang einer Allee. Gleich daneben ist eine kleine Marmorbank, und vor der Marmorbank ist ein kleiner Teich angelegt.
JOHANNA nickt. Wie Sie uns damals erzählten ... Und das Wasser schimmert grünlichgrau ... und des Morgens fallen die Schatten der Buchen drüber hin. – Ich weiß. Sie blickt zu ihm auf und lächelt. Beide gehen weiter.
Vorhang.
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