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Menschen staunen über Ameisen, die ein Vielfaches ihres Körpergewichts tragen und dabei noch die schwierigsten Wege bewältigen können. Wir Skikinder in unserer schweren Ausrüstung haben Ähnliches geleistet. Nur hat das niemand für etwas Besonderes gehalten.
Erbswurstsuppe und Skiwasser
So stark weiterentwickelt wie das Material hat sich auch die Kulinarik auf den Hütten. Einkehrschwung, das hieß früher aufwärmen, aufs Klo gehen und kleine Karte. Wobei die Selbstbedienung schon damals Standard war und das Balancieren des Tabletts in Skischuhen mehr zur Ausbildung unseres Gleichgewichtssinnes und damit zur Sicherheit auf den Skiern beigetragen hat als jede noch so schwere Buckelpiste.
Wo heute auf zigtausend Metern manchmal sogar zwischen frischer Steinofenpizza, Filetspitzen und aus einer ansehnlichen Weinkarte gewählt werden kann, hieß es damals immer nur: Erbswurstsuppe, Berner Würstel oder Germknödel. Kaum etwas sieht so eklig aus wie Erbsensuppe mit Würstel. Es gibt sie auch ausschließlich auf Skihütten. Kinder hassen sie und Erwachsene essen sie nur deshalb, weil es sie an früher erinnert. Die Erbswurstsuppe dient also von jeher bloß dem Verfestigen von Erinnerungen. Eine ähnliche Funktion erfüllt das Skiwasser. Der verwässerte und völlig unangemessen teure Himbeersaft findet nur auf Skihütten Abnehmer. Ein anderes Phänomen der Skikulinarik: Käsespätzle, Kaspressknödel und Gulaschsuppe. Lauter Gerichte, die alle gesundheitlich positiven Effekte des Bergsports (Bewegung, frische Luft) mit einem Schlag zunichtemachen.
Doch bevor man sich an diesen fragwürdigen kulinarischen Angeboten laben konnte – so hungrig wie ein Skitag macht sonst nur schwere körperliche Arbeit –, mussten wir zuerst einmal einen Platz ergattern. Das begann mit einer schweren Entscheidung: Wohin mit den Latten und den Stöcken? Die Metall- oder Holzständer vor den Hütten waren meist hoffnungslos überfüllt. Wir neigten dazu, einfach die Bindung zu öffnen und die Skier, so wie sie waren, liegen zu lassen. Man wusste ja, wo sie waren. Später allerdings leider nicht mehr so genau.
Wollte man mittagessen, und alle wollten zu Mittag essen, also so gegen halb eins, dann stellte sich die Frage: drinnen oder draußen? Wobei, eigentlich stellte sie sich nicht: War es warm und schön, musste man drinnen sitzen. War es eisig kalt, aß man im Freien. Denn die Hütten an den neuralgischen Punkten waren zu den Stoßzeiten so überfüllt, dass man froh sein musste, überhaupt noch irgendeinen Platz zu bekommen. Und der war immer dort, wo gerade niemand sein wollte. Da wir uns unser Essen selber holen mussten, galt es, sich einen Tisch zu sichern, bevor man sich ums Essen anstellte. Am beliebtesten waren in der Hütte Eckplätze mit Bank, jene vor der Hütte die an der Hauswand. Hatte man einen Platz ergattert, reservierte man ihn mit einem ganzen Haufen an Materialien: Hauben, Handschuhen, Skibrillen, oft auch Anoraks zeugten davon, dass hier nichts mehr zu holen war. Uns Kindern war immer zu heiß oder zu kalt.
Apropos Hütte: Das mit Abstand Gefährlichste am gesamten Skisport waren nicht etwa Fahrten in ungesicherten Tiefschneehängen, Sprünge über nicht einsehbare Schanzen oder waghalsige Schussfahrten – sondern in der Skihütte die Toilette erfolgreich aufzusuchen. Mit geschlossenen Skischuhen versuchten wir die gefliesten, nassen und damit unendlich rutschigen Stufen in den Keller hinunterzusteigen. Hatte man das geschafft, ohne sich den Hals zu brechen, kam der nächste heikle Teil. Unter den verschiedenen wärmenden Schichten etwa jenen Teil herauszuwurschteln, der einem Erleichterung verschaffen konnte. Wer sich hinsetzte, riskierte, dass der obere Teil des Overalls die eklige Nässe am Boden berührte, außer man hatte alles Ausgezogene gekonnt verknotet. Bis dahin klopften dann aber schon zig Wartende an die Klotür.
Auch für unsere Eltern war das Einkehren wenig erholsam. Kaum hatten sie sich hingesetzt, waren wir mit unserem Essen schon fertig und drängten auf den Aufbruch. Vor allem bei schönem Wetter im Freien gab es immer Diskussionen: Die Erwachsenen wollten nach dem Essen gerne noch ein bisschen in der Sonne sitzen und die Augen zumachen. Wir dagegen so schnell wie möglich wieder in die Bindung steigen.
Schneepflug statt Pizzaschnitte
Die Teilnahme am Skikurs war so selbstverständlich wie die täglich frischen Semmeln zum Frühstück. Ein nicht verhandelbarer Bestandteil des Urlaubs, der spätestens nach Erlernen der Grundtechniken sogar Spaß machen konnte. Höhepunkt war neben dem Privileg, als Erster hinter dem Skilehrer fahren zu dürfen, das Mittagessen in der Skischule, bei dem es alles gab, was einem die Eltern auf der Hütte nie kaufen wollten: Pommes, Würstel, Pudding und Eis. Im Winter! Danach durften wir kurz fernsehen, und es lief immer „Tom & Jerry“.
Heute verweigern viele Kinder den Skikurs. Obwohl der Schneepflug inzwischen Pizzaschnitte genannt wird. Und der Parallelschwung Spaghetti. Entweder sind die heutigen Eltern um so viel cooler als unsere oder ihre Kinder haben die für uns so erstrebenswerten Nebenaspekte (Frittiertes, Gummibärchen, Fernsehen) sonst ohnehin im Übermaß zur Verfügung. Zugegeben – glückliche Vierjährige im Skikurs waren damals wohl auch selten. Aber spätestens mit Ende der Volksschule dachte man, man hätte mit dem Skikurs die Eltern abgeschoben und nicht umgekehrt. Schlimm war nur das Skirennen – samt Siegerehrung auf einem Bierkistenpodest –, bei dem immer der gewann, der eigentlich viel schlechter Ski fahren konnte. Das ging aber auch nie mit rechten Dingen zu.
Skifahren war eine ernste Angelegenheit. Die Frage, ob man als Kind überhaupt Ski fahren lernen wollte, stellte sich nicht, sondern nur die Frage nach dem Wann: Kurz bevor man gehen konnte oder erst knapp danach? Wie man diese unabdingbare Kulturtechnik erlernte, war ebenfalls klar vorgegeben: Man wurde möglichst jung in einen Skikurs gesteckt. Denn nur wer schon von klein auf mit dem Wintersport Bekanntschaft machte, stellte sich zum Beispiel mit sechs Jahren nicht mehr die grundsätzliche Frage nach dem Warum.
Unsere eigenen Kinder, die wir offenbar zu spät mit Skiern konfrontiert haben, reagierten fast entrüstet auf das Angebot, bei Affenkälte in Foltermontur den ganzen Tag im Freien zu verbringen. Vor allem da es drinnen gemütlich ist oder der Flug in die Wärme nur die Hälfte dieses grässlichen Skiurlaubs kostet. Diese Frage hat sich uns damals nicht nur mangels leistbarer Fernreisen erst gar nicht gestellt. Wir waren so früh in die Ski-Maschinerie geraten, dass wir ein Teil von ihr geworden waren.
Im Skikurs gab es eine klare Vorgangsweise. Da die Eltern nicht wirklich die Härte hatten, ihre Kinder, die knapp dem Windelalter entwachsen waren, vier Stunden lang weinend über den Zwergerlhang purzeln zu lassen, gab es die Skilehrer. Sie erledigten diesen dreckigen Job mit Lässigkeit. Sie schafften es, Kinder, die aufs Klo mussten, so lange hinzuhalten, bis alle aufs Klo mussten. Tränen zu ignorieren, das Mittagessen als Höhepunkt zu inszenieren, aber auch erste Erfolge mit der gebotenen Ernsthaftigkeit zu würdigen.
Dazu hatte der Skilehrer neben seiner natürlichen Autorität, die ihm seine Könnerschaft auf den Brettern verschaffte, noch eine Methode, die Gruppe zusammenzuschweißen. Heute sagt man dazu „Team building“. Sobald die Kinder in der Früh das erste Mal meist an einem Schild mit einer Disneyfigur versammelt waren, bildeten sie mit angeschnallten Skiern eine Reihe. Dann stellte jeder den rechten Ski senkrecht auf, sodass der Skilehrer unsere Laufflächen sehen konnte. Er sprach die Zauberformel: „Wir begrüßen einander und den neuen Skitag mit einem dreifachen …“ und dann schrien alle drei Mal hintereinander „Ski Heil“. Dasselbe an die jeweilige Tageszeit angepasste Ritual ging vor der Mittagspause und am Nachmittag vonstatten, bevor sich die erschöpfte Gruppe auflöste. Uns kam die Ski-Heil-Brüllerei nie komisch vor, aus heutiger Sicht erscheint sie uns ein wenig befremdlich.
Wir selbst machten als Eltern den Fehler, den Kindern selber das Skifahren beibringen zu wollen. Und obwohl uns heute noch die Oberschenkel und der Rücken brennen, wenn wir daran denken, wie wir mit dem Schleppliftbügel unterhalb der Knie die endlos scheinende Liftfahrt durchgestanden haben, lernten unsere Kinder nie mehr so gut Ski fahren wie wir damals. Das Skifahren ist übrigens eine der führenden „Bruttosportarten“. Das heißt, man verbringt den größten Teil der Zeit mit Anreise, Vorbereitung, Liftfahrten und Nachbereitung. Kleine Kinder pistenfertig zu machen dauert noch einmal so lange. Das macht das „Netto“, also jene Momente, in denen man dann tatsächlich talwärts fährt, so besonders kostbar.
Das Ausschalten des Skilehrers in den ersten Lehrjahren könnte also mitverantwortlich sein für das Ende des Skifahrens als Volkssport.
Aus der Spur ins Gelände
Vom „Lehrplan“ her gab es im Skikurs eine klare Vorgangsweise. Nachdem es gelungen war, nicht mehr ständig im Stehen umzufallen, begann man im flachen Bereich zu rutschen. Als auch das einigermaßen verlässlich ohne Sturz funktionierte, standen wir vor dem größten Problem. Wie bremsen? Dafür war der Schneepflug angeblich das Mittel der Wahl. Aber schwierig zu erlernen. Daher fuhren wir, als wir halbwegs sicher auf Skiern standen, erst einmal eine ganze Zeit lang nur Schuss und kümmerten uns erst ums Bremsmanöver, wenn ein unüberwindbares Hindernis auftauchte. Zäune, Hüttenwände und dergleichen.
Beim Skikurs wurde in der Spur gefahren. Entweder fuhr der Skilehrer voraus, und die Gruppe stand oben an wie an einer Supermarktkasse, um dann einzeln den Hang (möglichst in der Spur des Skilehrers) nachzufahren. Oder man fuhr in einer Schlange den ganzen Hang hinunter. Immer darauf achtend, nicht dem Vordermann hineinzufahren und doch den Bogen an der Stelle hinzubringen, an dem der Skilehrer ihn gemacht hatte. In der Spur nachfahren war allerdings ein bisschen wie Autofahren mit dem Navi. Wenn man es später ohne machen sollte, fand man den richtigen Weg nicht mehr.
Sobald man schließlich eigenständig den ganzen Tag unterwegs war, interessierte einen die Piste selbst eher weniger. Das war die Reaktion auf das ständige In-der-Spur-bleiben-Müssen. Die zwei Dinge mit magischer Anziehungskraft waren Schanzen und das freie Gelände. Schanzen suchten oder bauten wir. Vom Lift aus begutachteten wir jede Kante auf ihre Sprungtauglichkeit hin. Wir waren zwar durchaus risikobereit, aber keine Hasardeure. Es durfte weder Verkehr im Anlauf sein, noch durften im Auslauf Leute herumstehen. So dauerte es oft einen ganzen Vormittag und zig Fahrten rauf und runter, die im Grunde nur den einen richtigen Sprung über die Schanze zum Ziel hatten. Vor allem jene Schanzen, bei denen man im Flachen landete, können wir heute noch in den Knien spüren. Wir sind häufig gestürzt. Neben dem Schanzenspringen waren Hohlwege und Waldwege unsere große Leidenschaft. In Hohlwegen konnte man wie in einer Bobbahn Kurven in der Waagrechten ausfahren, Waldwege waren ein einziger Hindernisparcours. Wenn wir darüber nachdenken, was wir alles gemacht haben, sind wir vielleicht doch froh, dass unsere Kinder ihre Nachmittage vor der Xbox verbringen. Nein, eigentlich sind wir das nicht.
Der Schmerz in den Zehen
Der beste Teil am Skifahren ist – heute wie damals – das Danach. Nichts von dem, was gemeinhin als Après-Ski beschrieben wird, fühlt sich so gut an, wie das Ausziehen der Skischuhe nach der letzten Abfahrt. Das Kribbeln der Beine, die langsam wieder ausreichend durchblutet werden. Der Schmerz in den Zehen, wenn sich die Kälte langsam zurückzieht und das Gefühl zurückkehrt. Die ersten Minuten irgendwo im Warmen, wenn die Heizung zu wirken beginnt und man sich aus dem feuchten Anorak schälen kann und die Wangen zu glühen beginnen. Der große Appetit auf Schokoriegel und Traubenzucker, die nie so gut schmeckten wie nach einem langen Skitag. Daran hat sich wenig geändert.
Das echte Après-Ski, also in Hütten, Bars und Discos in Skischuhen zu tanzen (wenigstens konnte einem niemand auf die Zehen treten) und so lange der Wodka-Feige zuzusprechen, bis der nächste Skitag erst nach Mittag beginnen konnte, blieb uns noch verwehrt.
Ein richtiger Skitag begann mit einem opulenten Frühstück. Im Skiurlaub stimmte der Spruch von der wichtigsten Mahlzeit des Tages, der uns während der Schulzeit das flaue Gefühl im Magen nicht nehmen konnte. Wir aßen, was wir kriegen konnten. Eier in allen Zubereitungsformen und dazu frische, aber meist zähe Semmeln. Marmelade war entweder sehr orange oder sehr rot, sehr süß, und in ihr war kein einziges Fruchtstückchen zu finden. Manchmal sehnen wir uns heute noch nach dieser durch und durch künstlichen Marmelade, während uns ein Cranberry-Wacholder-Weichsel-Aufstrich mit ganzen Fruchtstücken und garantiert ohne Geschmacksverstärker serviert wird.
Der Zeit nach dem Skifahren kam große Bedeutung zu, weil es einen großen Teil des Tages betraf. Denn selbst wenn wir die Liftkarten ausgefahren, die Punktekarte bis auf den letzten Punkt ausgequetscht und mit der letzten Gondelbergfahrt noch einmal ganz hinauf gefahren waren: Es blieb noch jede Menge Tag übrig. Wo heute in jedem Hotel ein Wellnessbereich auf seine Gäste wartet, mussten wir uns, wenn überhaupt, mit dem örtlichen Hallenbad behelfen. Manchmal zogen wir, während sich die Eltern vor dem Abendessen noch einmal hingelegt hatten, unsere Moonboots an – das glatte Gegenteil von Skischuhen, warm und weich und unendlich bequem und noch nicht von Hansi Hinterseer unmöglich gemacht – und spazierten in der Dämmerung durch den Ort. Wir kletterten in den hohen Schneehaufen, die von riesigen Baggern den Winter über aufgetürmt worden waren, um Straßen und Parkplätze freizubekommen. Doch die eigentliche Faszination unserer Skiferienabende lag unter der Erde. Dort war so gut wie immer der Skikeller untergebracht. Da wurden abends noch von fachkundigen Einheimischen die Ski gewachst, von einem alten Bügeleisen tropfte da rosafarbenes oder gelbes Wachs auf die Skier – den Geruch haben wir noch heute in der Nase. Manchmal durften wir beim Abziehen helfen. Und schauten dann noch einmal zu, wie der Besitzer des Hotels die Kanten der Skier schliff. Vor dem alles entscheidenden Abschlussrennen des Skikurses wurde unseren Skiern diese Spezialbehandlung auch zuteil. Wir haben uns wahnsinnig schnell gefühlt, gewonnen haben wir dann trotzdem nicht.
Neben dem Skikeller gab es meist einen Aufenthaltsraum. Je nach Größe der Pension oder des Hotels standen dort nur ein paar Tische und Regale mit diversen Brett- und Kartenspielen, manchmal sogar ein Tischtennis- oder ein Billardtisch. Dort unten verbrachten wir jede freie Minute, quasi als Ausgleich zur vielen frischen Bergluft, die wir tagsüber abbekamen. Unser Highlight waren die ersten Videospielautomaten. Da gab es etwa das legendäre Teletennis, einen schwarz-weißen Fernseher, der in einen Tisch eingelassen war, mit zwei kleinen weißen Strichen, die man mit zwei Knöpfen nach links und rechts lenken konnte. Dazwischen zischte ein winziger weißer Pixelball hin und her. Wir konnten uns, selbst wenn wir nur zuschauen durften, wie andere spielten, kaum losreißen. Später dann gab es auch die ersten Pacman-Spiele, sogar schon mit verschiedenen Farben. So verbrachten wir unsere Tage wechselweise ganz weit oben oder tief unten im Keller.
Zwiebellook und Heckeinstieg
Skifahren früher, das war viel kälter. Der Wunderstoff Goretex war zwar Ende der 1970er-Jahre schon erfunden, aber es dauerte noch lange, ehe er die Sportbekleidung revolutionierte. Die Finger waren klamm in nassen Handschuhen, man fror im Skianzug, der schon nach wenigen Stürzen feucht war und nie mehr trocknete. Skifahren früher, das hieß auch, endlose Schichten an „Untendrunter“ zu tragen. Wir, die Kinder der 70er, haben damals den Zwiebellook erfunden, aber der war nicht leicht und schick, es war ein Gewurschtel, kratzig, und schnürte einem die Luft ab.
Die Skischuhe waren wie Schraubstöcke. Entweder man ließ die Schnallen auf Stufe eins und rutschte im Schuh herum. Oder man zog die Schnallen an, dann war der Schmerz nach kurzer Zeit zwar vorbei, aber nur deshalb, weil wir die Füße gar nicht mehr spürten. Die Skischuhe waren noch so bockig und steif, dass man die Schnallen, wenn man sie einmal unvorsichtigerweise öffnete, weil man sich kurze Erleichterung erhoffte, nicht mehr schließen konnte. Und obwohl wir teilweise zwei Paar Skisocken übereinander trugen, froren wir uns die Zehen blau. Neidisch schauten wir auf die paar wenigen Privilegierten, die geschäumte Skischuhe trugen. Was wir nicht wussten: Wenn sich der Fuß zum Beispiel wegen einer Schwellung während eines Skiurlaubes geringfügig änderte oder es im Frühling sehr warm wurde, drückte nichts mehr als diese Luxusmaßanfertigung.
Bei den Skischuhen galt übrigens: je mehr Schnallen, desto besser. Fünf Schnallen waren zum Beispiel ähnlich attraktiv wie acht Zylinder bei einem Auto. Dann irgendwann kamen einschnallige Skischuhe mit dem sogenannten Heckeinstieg auf den Markt. Die Einschnaller waren ein Zeit lang sehr gefragt: Man konnte mit ihnen hervorragend gehen, aber mangels Halt leider nicht Ski fahren. Der sportliche Aspekt besiegte schließlich die Bequemlichkeit, die Schnallen kehrten zurück.
Auch eine andere kurzzeitig dominierende Erscheinung entpuppte sich als Eintagsfliege: die Parablacks. Vor allem Skifahrer aus dem Osten des Landes befestigten die zwei Aufsätze hinter den Skispitzen und glaubten das Versprechen, damit das Überkreuzen der Skier zu verhindern – man fuhr ja so eng wie möglich. Die Idee der Parablacks war gewinnend, leider scheiterte es an der Umsetzung. Hatte man die Skier einmal überkreuzt, blieben sie dank Parablacks für immer überkreuzt. Die Bindung war natürlich immer möglichst so eingestellt, dass sie beim nun unvermeidlichen Sturz keinesfalls aufging.
Hermann Maier statt Wolfgang Schüssel
Wie man Ski fährt, ist eine Stilfrage, somit geschmacksabhängig. Wobei – eigentlich nicht so ganz. Der Westösterreicher erkannte den Ostösterreicher auf den ersten Blick, speziell den Wintersportler aus Wien: an seinem verkrampften Bemühen, die Beine zusammenzuhalten. Der Parallelschwung war das Maß aller Dinge, aber nicht alle beherrschten ihn. Dieses Kurzschwingen um jeden Preis, egal wie Gelände und Schnee auch beschaffen waren, galt dem Pistenkönig aus dem Osten als Ausweis seiner Meisterschaft, für die Einheimischen war es ein Grund zum Lachen. Genauso wie eine Plakette vom bevorzugten Skiurlaubsort am Autoheck. Die Ost-Wedler wedelten in erster Linie mit den Schultern und dem Hintern, an den Skiern konnte man kaum mehr eine Richtungsänderung wahrnehmen. Aber auch sie lernten dazu. Nach der Jahrtausendwende haben wir diese Form des Skifahrens schließlich noch einmal gesehen, als der damalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel seine Wedelkünste vor der Kamera an die Wähler bringen wollte.
Auch hier müssen wir neidlos zugestehen, dass Carvingskier die Wende zum Besseren brachten und dem guten alten Riesentorlaufschwung, der immer schon der König der Schwünge war, zum Durchbruch verhalfen. Hermann Maier gilt bis heute noch als Vorbild für die Frage, wie das gute Skifahren auszusehen hat. Der Richtungsstreit wurde zugunsten von breitbeinig entschieden. Nur ein paar Verklemmte klemmen immer noch die Beine zusammen.
Unser Feind, der Snowboarder
Zum Skifahren gab es damals grundsätzlich nicht so viele Alternativen. Im Sommer ging man Rad fahren und schwimmen, im Winter rodeln und Ski fahren. Langlaufen war für uns Spazierengehen mit Skiern an den Füßen. Und mit Spazierengehen konnte man uns jagen. Sonst spielten weder die Verlockungen von Computerkonsolen noch die Alternativen von Winterurlaub in warmen Gegenden eine ernsthafte Rolle. Doch wurde uns auch auf der Piste eine wichtige Entscheidung abgenommen. Es gab nur Skier, keine Snowboards. Wo heute Kinder und Jugendliche hin- und hergerissen sind, weil sie sich nicht zwischen Skiern und Snowboards entscheiden können – und oft am Ende beides nicht ordentlich erlernen –, gab es früher keine Alternative. Die größten Exoten waren Skibob- und Telemark-Skifahrer. Aber dass wir unsere Pisten einmal mit einer völlig anderen Spezies würden teilen müssen, war für uns völlig unvorstellbar.
Als die ersten Monoskier auftauchten, amüsierten uns die ungelenken Versuche Einzelner, eine Piste zu bezwingen, ohne die Beine bewegen zu können. Noch waren wir unbesiegbar, wir ahnten nicht, dass die Snowboarder unsere Welt aus den Angeln heben würden. Alles, was wir Skifahrer an Disziplin und Ehrenkodex erlernt hatten, zogen Snowboarder mit provokanter Lässigkeit ins Lächerliche. Uns war etwa eingeimpft worden, wenn dann nur am Pistenrand zu pausieren – im Idealfall fuhr man, ohne anzuhalten, bis zum nächsten Lift – und sich niemals hinter einer Kuppe zu versammeln. Dort war nun ohnehin kein Platz mehr. Wenn den Snowboardern nach Pause war, ließen sie sich wie fette Schmeißfliegen im Schwarm bevorzugt hinter einer Kante mitten auf der Piste nieder und hatten alle Zeit der Welt.
Waren wir ausdrücklich angehalten worden, im unberührten Tiefschnee Spuren dicht an dicht zu setzen, damit auch für andere noch genug unverspurter Hang übrig blieb, pflügten die Snowboarder mit großzügigen Schwüngen quer über den Berg. Um ihn zu markieren, meinten wir und hassten die demonstrative Individualität, die sie unserer Angepasstheit entgegensetzten. Mit den Snowboardern hielt eine Rücksichtslosigkeit, aber auch Unbeschwertheit auf den Bergen Einzug, die beide für uns dort nichts zu suchen hatten. Dennoch beneideten wir sie insgeheim, den Berg so unbekümmert für sich allein zu beanspruchen. Und besser angezogen waren sie obendrein.
Völkl fährt man nicht
So wie ein Franzose heute noch Erklärungsbedarf hat, wenn er ein Auto aus nicht französischer Produktion fährt, mussten es für uns natürlich österreichische Skier sein. Die Devise: Einen Völkl fährt man nicht. Niemals. Den fuhren deutsche Touristen, die sich schlecht benahmen und noch schlechter Ski fuhren. Auch ein Rossignol-Ski war völlig ausgeschlossen. Doch auch heimische Fabrikate signalisierten strenge Fraktionszugehörigkeit. Ein Kästle war ein Skilehrerski (den konnte man nur fahren, wenn man gut genug war), Fischer, Blizzard und Atomic so unterschiedlich wie die Weltreligionen. Und Kneissl blieb immer abgeschlagen. Nur als Franz Klammer mit Kneissl Rennen gewann, kam so manches Weltbild ins Wanken.
Das Material war wichtig. Und es musste uns gehören. Dass ein Leihski auch Vorteile mit sich bringen könnte, hatte sich noch nicht herumgesprochen. Skiausleihen war etwas für Gelegenheitssportler. Wir wünschten uns eine neue Ausrüstung zu Weihnachten und hatten ganz genaue Vorstellungen, welches Produkt es zu sein hatte. Ein Ski musste grundsätzlich möglichst hart und lang sein. Je besser der Fahrer, desto größer die Differenz zwischen Körper- und Skilänge. Jeder Schwung wollte erkämpft sein. Noch immer fühlen wir uns ein bisschen lächerlich, wenn ein Carvingski fünf Zentimeter unter unserem Kinn endet.
Auch die Wahl der Bindung war ein Offenbarungseid. Es gab zwei gängige Modelle: Salomon oder Tyrolia. Während man in die Salomonbindung einfach hineinsteigen konnte, musste man die Tyroliabindung, bevor man mit dem Skischuh hineinsteigen konnte, noch einmal fixieren, dabei gab es eine Variante für den wahren Kenner: die Markerbindung. Unsere Bindung an die Lieblingsmarke hält bis heute an.
Aus der Jethose ins Schneehemd
Das Outfit auf der Piste war natürlich wichtig. Grundsätzlich gab es zwei Skimoden-Philosophien. Die eine war eher am Rennsport orientiert. Man trug eine Jethose, eng anliegend, oft mit gepolsterten Knien und straffen Hosenträgern, die gar nicht notwendig gewesen wären, weil ohnehin nichts mehr rutschen konnte. Oben herum kombinierte man dazu in kalten Monaten einen Anorak, den Osterskilauf bestritt man in Pullover und Jethose, was als besonders schick galt. Zur Jethose passten gut Rennhandschuhe, die ein bisschen höher hinaufreichten als bis zum Handgelenk. Sie waren gepolstert, um sich nicht an den Stangen zu verletzen – obwohl wir natürlich nicht zwischen Stangen fuhren. Zum Rennoutfit gehörten eine Zeit lang auch gebogene Stöcke, die man in der Hocke besonders aerodynamisch unter die Arme klemmen konnte. Zum normalen Skifahren bewährten sie sich allerdings kaum.