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Auch die Frauen gingen hin und beobachteten, wie ihre Söhne zu Männern wurden, denn dazu waren sie von Geburt an bestimmt gewesen.
An jenem Morgen putzte sich Selija noch viel schöner als sonst heraus, hängte sich so viel Schmuck um, wie nur Platz war; die Sonne schien wohltuend, sie wusste, was für ein Tag heute war, also zeigte sie sich nicht störrisch und versteckte sich nicht hinter den Wolken.
Sie musste Bentis bereitmachen, Gondas hatte es schon angeordnet, die Männer warteten. Aber nichts lief nach Plan, die merkwürdigsten Dinge geschahen. Bentis saß auf seinem Bett und weigerte sich, es zu verlassen, die Augen standen hervor, die Pupillen waren geweitet, er sprach bald mit sich selbst, bald mit wer weiß wem, mit Wesen, die kein anderer sah, den Lebenden gab er keine Antwort, als wären sie gar nicht da. Er rupfte und zupfte an seinen Kleidern, als wären sie voller Pferdehaar, doch das waren sie nicht. Manchmal schrie er, als wäre er außer sich, rief laut, dass Käfer über die Wände krabbelten, doch wo sollten die in einer so sauberen Hütte herkommen? Alle sahen sich um, versuchten die nicht vorhandenen Uferfeuchtkäfer, Schnellkäfer und Waldmaikäfer totzuschlagen, aber was hätten sie denn totschlagen sollen, wenn da nichts war?!
Alle waren so mit der Käfersuche beschäftigt, dass sie gar nicht sahen, wie Bentis sich auszog, nackt über die Felder lief und dabei wer weiß was herumschrie, während seine leicht angeschwollene Männlichkeit, die er nicht nur nicht verbarg, sondern ganz offen zur Schau stellte, hin und her baumelte. Das war schon für einen einfachen Mann eine unerhörte Schamlosigkeit, ganz zu schweigen vom Sohn des Anführers. Gondas schickte gleich mehrere seiner Männer aus, um ihn einzufangen, sie wurden Bentis schon nach kurzer Zeit habhaft, fesselten ihn mit Stricken und bedeckten ihn ein wenig, auch wenn der sich nach Kräften wehrte, sich schreiend hin und her wand und sogar zu beißen versuchte. Sie schleppten ihn nach Hause, schlossen ihn ein, verbarrikadierten die Tür, einige der Männer blieben als Wache zurück.
Fast drei Tage brachte Bentis in diesem Wahn zu, erst dann schlief er ein. Wer nichts gesehen hatte, schwieg, und wer es gesehen hatte, machte den Mund nicht auf, denn Gondas war gut, aber wenn er in Wut geriet, konnte er einen eigenhändig mit dem Speer durchbohren, bevor man auch nur einen Mucks von sich gab, da kannte er kein Erbarmen.
Die Gäste gingen auseinander, beluden ihre Wagen mit Gondas’ Geschenken, schlugen sich die Bäuche voll und zechten, ohne sich groß zu wundern, Soldaten bekamen ja noch ganz anderes zu Gesicht. Der Sohn des Anführers, na und? Beim Sterben sind alle gleich.
»Gib ihm Wasser«, hieß die Alte mit den Wolfsbissen am Bein Selija.
Selija gab ihm immer mehr Wasser und hörte nicht auf damit, bis Bentis wirklich zur Ruhe kam und dann genas, danach war er wieder ganz der Alte.
9. Regen
Als sie sich um Bentis keine Sorgen mehr machen musste, bemerkte Selija, dass mit ihr selbst etwas nicht stimmte. Sie war schwanger. Vielleicht hatte sie ja zu wenig vom Gebräu der Alten getrunken, oder er hatte nicht gewirkt, oder vielleicht hatte die verfluchte Hexe ihn auch zu schwach zubereitet. Selija war schwanger, also musste sie es noch einmal versuchen.
Selija griff zum Tongefäß mit dem Tollkirschensud, den sie aus Vorsicht zur Seite gestellt hatte, jetzt würde sie ihn ganz austrinken, wer weiß, was dann kam, vielleicht würde sie vom Wahn heimgesucht über die Felder rennen, laut schreien und um sich schlagen, den Regen herbeirufen, was sonst hätte die Kraft, alles auszuwaschen, bis man sie einfing, fesselte und einsperrte, doch vielleicht wäre sie ja dann losgeworden, was sie nicht wollte.
Der Krug war leer. Bis auf den letzten Tropfen ausgetrunken, so hatte es Selija es gewollt. Aber warum hatte das, was für das eine Kind bestimmt war, ein anderes getrunken?
10. Tränen
Ich bin gar nicht Glesum, mein Name ist Blindė. Ich wurde in einen anderen Stamm hineingeboren, der auch zu den Ästiern gehört, aber das weiß hier niemand und das ist gut so. Ich schweige, sage zu keinem ein Wort, damit niemand merkt, wie ähnlich einander unsere Sprachen sind. Wir wohnen noch weiter weg vom Meer, das weiß ich, denn auch unsere Männer fahren zuweilen an die Küste für Bernstein, aber nicht so oft wie Gondas – wir wohnen weiter weg, es ist nicht einfach für uns, die Küste zu erreichen und den anderen Händlern zuvorzukommen. Wir leben nicht schlecht, auch ohne Bernstein, bauen Weizen an und haben Vieh, dazu Bienen, die uns Honig und Wachs gaben, die tauschen wir gegen römisches Geld und andere Reichtümer ein, die die Bernsteinhändler von dort mitbringen, wir haben von allem genug, sogar mehr als genug.
So hätte ich denn dieses wunderbare Leben gern weitergeführt, aber ich war hässlich, sah anders aus als die anderen, braunes Haar, braune Augen, niemand wollte ein solches Mädchen, alle schubsten mich herum, aber Essen bekam ich, über zu viel Arbeit konnte ich auch nicht klagen, ich musste nur Eicheln einsammeln für die Schweine, in härteren Wintern auch für die Menschen, das war’s schon. Aber mein Name war scheußlich, man sagte, da sei eine Frau gewesen, sehr fruchtbar, sie habe aus jedem beliebigen Körperteil gebären können, sogar aus den Beinen und Armen, und so habe sie die Göttermutter aus Wut in eine Salweide verwandelt, in unserer Sprache Blindė, grün, aber unfruchtbar. Man sagte, wer so hässlich wie ich sei, brauche keine Kinder, die Abscheulichkeit müsse mit mir enden, aber was wusste ich Kind denn schon?
Ich hätte immer so weitergelebt, vielleicht nicht ganz so wunderbar, doch als ich im Wald umherstreifte und nach Eicheln oder wer weiß was Ausschau hielt, ich weiß selbst nicht mehr, wonach, vergaß ich mich völlig, es regnete Bindfäden, da spürte ich plötzlich, dass mich jemand an den Haaren packte, ich schrie laut: »Na und, schrei doch, so viel du willst, wer wird schon auf so eine Vogelscheuche hören, da rein, in den Wagen und fertig.«
Es waren mehrere Wagen, eine ganze Kolonne, ich fuhr zum ersten Mal irgendwohin, wer sollte mich auch herumkutschieren, der Wagen war aus Holz, er holperte so, dass ich mich übergab, bis man mich so mit Fäusten und Füßen bearbeitete, dass ich mich beruhigte. Die anderen Wagen waren vollbeladen mit Sachen und blickfest zugedeckt, nur in einige ganz hinten – wie kleine Häuschen mit Gittern – hatte man ebenso unglückselige Schmutzfinken wie mich gepfercht, nur hübschere. Die meisten davon Frauen und Kinder, die konnten sie leichter einfangen, unterwegs kamen Männer hinzu, die die Wagen anzugreifen versuchten, die wurden eingefangen, gefesselt und landeten bei uns.
Wir fuhren lange durch die Gegend, die Sonne ging auf, die Sonne ging unter, Tag für Tag, die Sprache der Menschen wechselte immer wieder, man gab uns ein wenig zu essen und zu trinken, wir durften abwechselnd auf dem Wagenboden schlafen, der Wagen ratterte und holperte, bis wir vergaßen, wer wir waren und wo wir herkamen.
Als die Straßen langsam besser wurden, fest und aus Stein, erreichten wir das Land der Krieger und Händler, man hieß uns aussteigen, wir stanken, waren voller Schmutz, man musterte uns von oben bis unten, befahl uns zu schweigen und uns um Kreis zu drehen; dann tauschte ein dickbäuchiger Mann mit einem glänzenden Ring am Finger mich gegen Geld ein, mich und noch ein paar hübschere Frauen, ich weiß gar nicht, warum er mich, so hässlich und klein, zusammen mit ihnen nahm.
Die Fahrt ging weiter, diesmal dauerte sie nicht ganz so lange, wir gelangten in eine riesige Stadt (später sagte man mir, sie heiße Aquileia, doch damals war mir das egal, Hölle ist Hölle, wie immer du sie auch nennen magst), eine, wie ich sie mir nicht einmal im Traum vorgestellt hätte. Man ließ mich an einer Mauer frei, vor einem Tor – weißes zweistöckiges Haus, rotes Dach, das Wasser schoss in Strahlen empor und fiel in große Becken hernieder, nicht nur auf dem Hof, sondern auch in den Gemächern, auf den Innenhöfen spazierten Vögel, große mit farbigen Schwanzfedern herum; dazu kamen die allerschönsten Bäume, Sträucher und Blumenbeete, hübsch zu allen möglichen Figuren zurechtgeschnitten, die Wände im Inneren mit Bildern von Mensch und Natur bemalt; dazu andere Bildnisse aus Stein, wie echt, ein Großteil des Daches fehlte, da war ein Loch, durch das so viel Sonnenlicht hereinstrahlte, dass alles im Inneren funkelte, während der Himmel sich überall im Wasser spiegelte. Ein buntes Farbenspiel wie im wundersamsten Traum – Mosaike an den Wänden und am Boden, farbenfrohe Stoffe – und auch die Stühle ganz weich, die Betten mit unzähligen weichen Stützen.
Ich war hin und weg, konnte keinen Schritt mehr gehen, man musste mich mit Gewalt von dort wegzerren. Ich erlangte meine Fassung wieder, gewöhnte mich an alles, wenn niemand es sah, weinte ich noch, ganz leise, um nicht aufzufallen, ich hatte doch ein paradiesisches Leben. Meine Arbeit bestand darin, der Dame des Hauses die Kleider bereitzulegen und ihr beim Anziehen zu helfen. Das war es auch schon. Meine Herrin besaß von allem im Überfluss, ganze Zimmer waren vollgestellt und -gehängt, der Schmuck fast ausnahmslos aus Gold, in separaten Kästchen verstaut. Sie pflegte sich schön zu machen und für den ganzen restlichen Tag zu verschwinden, vergnügte sich mit Frauen und Männern, war frei, so sehr es ihr Herz begehrte, hatte vom Vater ein Vermögen geerbt und gab es nach eigenem Gutdünken aus, ihr Mann konnte nur zusehen und schweigen.
Ich half ihr beim Anziehen der Tunika, immer aus Seide, leuchtende Farben und bestickt, mit zwei Gürteln, die ich ihr umband, einen um die Taille, den anderen unter der Brust hindurch, um ihre Figur stärker zu betonen. Zuvor band ich ihr noch ein Stoffband eng um die Brust, das ihre Brüste in Form brachte und anhob. Dazu Schuhe, Goldschmuck, das Haar wickelte ich mit einer glühend heißen Zange zu Locken, dann ging meine Herrin. Bei ihrer Rückkehr war sie fröhlich und nicht selten beschwipst vom Wein, dann zog ich sie aus, das war’s, tagsüber hatte ich frei.
Ich dachte mir allen möglichen Schabernack aus – probierte die Kleider der Herrin an, versuchte die Pfauen einzufangen, plantschte insgeheim in den Schwimmbecken; die Bilder, Skulpturen und Wandbehänge habe ich bis heute vor Augen, so oft und so lange bestaunte ich sie. Wenn ich von allem genug hatte, ging ich zur Tür meines Herrn und horchte, der alte Kaufmann hatte stets Gäste, die Getreide und Flachs aus Ägypten, Saphire aus Taprobane, Seide aus China oder ästischen Bernstein zum Verkauf hierherbrachten. Diese Länder klangen in meinen Ohren wie Zaubersprüche, aber ich wusste damals schon, dass es auf der Welt eine Vielzahl davon gibt, und ich gab mir Mühe, sie mir zu merken, für den Fall, dass ich einmal dorthin gelangte.
Besonders mochte ich in die Thermen, auch dort half ich meiner Herrin beim Aus- und Ankleiden. Ich warf den Kopf in den Nacken und schaute lange zur Decke, die allerschönsten Zeichnungen, nur so hoch oben, dass man sie kaum sehen konnte, Säulen und ein Marmorboden, seht nur, da rutscht ein Tollpatsch aus und fällt hin, denn rundum ist nichts anderes als Dampf. Meine Herrin trug dort nur einen Lendenschurz und die Brüste stützende Stoffbänder, während ich die Tunika anbehielt – mich hat noch niemand nackt gesehen, so hässlich, wie ich bin. Obwohl, hier in Aquileia sah ich gar nicht so hässlich aus, hier lebten alle möglichen Menschen, schwarze und noch schwärzere, sogar ihre Haut war schwarz, und schneeweiße wie zu Hause, sogar solche wie ich. Aber wem oft genug gesagt wird, er sei hässlich, der ist es auch, der wird nicht schön, nur weil er am anderen Ende der Welt gelandet ist.
11. Blut
Nackt hatte mich auch mein Herr nicht gesehen. Julianus, er sah nicht sehr oft vorbei, immer erst bei Einbruch der Dämmerung, wenn meine Herrin sich wer weiß wo herumtrieb und noch nicht von dort zurückgekehrt war. Er warf mich aufs Bett, beim ersten Mal begriff ich gar nicht, was jetzt kommen würde, er knetete mich nur, Blut, immer mehr Blut, ich dachte schon, das würde nie mehr aufhören; der Herr wand sich, das Tier, soll er doch verrecken, später hörte ich auf zu denken, lag mit geballten Fäusten da, weinte lautlos und ohne Tränen, biss mir die Lippen wund, jedes Mal, das hörte nicht auf, wie sehr ich mich auch immer an die ganze Abscheulichkeit gewöhnt hatte.
Doch eines Tages, gegen Abend, ich sah mich nach meiner Herrin um, sie konnte nach Hause kommen, sie hatte mich wie immer geheißen, sie an der Tür abzuholen, ich schlurfte herum und wartete, ließ Kieselsteine durch die Luft fliegen, neckte die Hunde – jemand packte mich an den Haaren, schon wieder an diesen verfluchten Locken, nicht umsonst hasste ich sie so sehr, packte mich und hob mich auf einen Wagen. Ich schrie nicht, ich hatte mir schon vor langer Zeit abgewöhnt zu schreien, um Hilfe zu bitten oder zu beten, ich wusste, es würde so kommen, wie es kommen musste, nichts zu machen, nichts zu erflehen, du musst nehmen, was du bekommst. »Du wirst meine Glesum sein«, sagte er, was soll’s, ich bin schon ganz anderes gewesen.
Dieser Mann, Gondas, brachte mich wieder in einem Wagen weg, ohne Gitter, wie einen Menschen, wie seine ermatteten Krieger, die längste Zeit wusste ich nicht, wohin, vielleicht ja nach Hause, ihre Sprache ähnelte der unseren sehr, und sie sahen auch aus wie unsere Männer mit ihren Wildschweinamuletten auf der Brust. Ich schwieg, als hätte man mir den Mund gestopft; es ist stets besser zu schweigen, bis man weiß, was auf einen zukommt, und es kommt, wie es kommt, meist schlecht, also schwieg ich. Der Wagen rüttelte und schüttelte wieder, Holzräder, aber wenigstens lagen auf dem Boden ein wenig Stroh und Pelze. Wir fuhren erneut sehr lange, die Sonne ging auf und unter, immer wieder, er fütterte mich wie eine Prinzessin, rührte mich selbst nicht an, die Krieger hielten überhaupt großen Abstand. Als ich völlig durchgerüttelt war und mich ausgekotzt hatte vor lauter Schaukeln, erlaubte man mir auszusteigen. Ich fühlte mich wirklich wie zu Hause – die Bäume und Häuser und Menschen wie bei uns, sie sahen mich nur böse an, als wäre ich freiwillig hier, als wäre ich zu Besuch, wo mich niemand wollte, alle sahen in mir so etwas wie ein Scheusal, ein von der Göttermutter gesandtes Ungemach. Nur Gondas nicht, obwohl er dem Alter nach hätte mein Vater sein können, noch schön und stark, ich sah, dass er gut zu mir wäre.
Er kam zu mir, als er mir ein Haus gebaut hatte, ziemlich weit weg von den anderen, nur für mich, und obwohl auch er ein Tier war, hatte sein Blick einen anderen Ausdruck, irgendwie sanft, und auch die Hände waren sanft, er gab sich Mühe, mich nicht zu verletzen. Er fand mich nicht hässlich, streichelte immer wieder mein Haar und sagte: »Du bist meine Glesum.« Schon gut, ich werde sein, was du willst, habe ich denn eine Wahl?
12. Milch
Selija war schwanger, die verfluchte Kaulquappe in ihrem Bauch strampelte schon. Gut, dass man den Bauch noch nicht so gut sah, Selija schien zugenommen zu haben, nicht mehr. Gondas war auf Handelsreise, zwischen Aufbruch und Rückkehr vergingen jeweils Monate. Selija blieb genug Zeit, um alles in Ordnung zu bringen. Diese Göre kam ihnen nun wirklich gar nicht gelegen, sie brauchten überhaupt keine Kinder außer Bentis, alles sollte einst ihm gehören. Sie wusste, es würde ein Mädchen, Mütter wissen das immer. Die Leute schauten sich nicht öfter als sonst nach ihr um, es gehörte sich ja auch gar nicht, die Dame des Anführers anzustarren – auch an ihren Schmuck hatten sich längst alle gewöhnt; zudem war gerade Frühling, da arbeiteten alle, denen es nicht an Kraft fehlte, auf den Feldern, pflügten, säten, die Tiere würden bald Junge bekommen. Selija konnte nach Belieben faulenzen und sich verstecken bis zu jenem Tag.
Mag er nur schneller kommen, dann ist alles vorbei. Niemand sollte erfahren, dass dieses Kind dahin verschwinden musste, von wo es gekommen war. Womit hatte sie das verdient? Die Göttermutter hatte ganz sicher etwas durcheinandergebracht.
Selija schlich sich heimlich in den Wald davon, watete durch das dichteste Gestrüpp, kletterte hinauf, wo sie nur konnte, vielleicht würde sie ja herunterfallen, beugte und streckte sich, vielleicht würde es ja vor der Zeit herauskommen. Sie tat das so lange, bis genau das geschah, ein stechender Schmerz, das Fruchtwasser floss ab, Selija packte ein junges Bäumchen, riss die Blätter ab, winselte: »Komm schon raus, du wirst mich noch umbringen!«, manchmal sind die Kinder so, sie sterben nicht nur selbst, sondern nehmen gleich auch ihre Mutter mit, solche Geschichten kursierten in rauen Mengen.
Selija zitterte am ganzen Leib, sie hatte sich ausgezogen, um die Kleider nicht mit Blut zu beflecken, der Schmerz ließ bald nach, bald brachte er sie wieder fast um den Verstand. Wer weiß, wie lange es dauerte, Selija ermattete, die Tiere des Waldes kamen und sahen nach, rührten aber nichts an, denn sie begriffen, was da vor sich ging, das waren doch die allereinfachsten Dinge.
Sogar die Alte mit den Wolfsbissen am Bein schaute vorbei. Sie sagte kein Wort, starrte Selija nur mit zur Grimasse verzerrtem Gesicht an. »Was willst du denn, was geht dich das an? Geh deines Weges, nichts darf wohl ohne dein Wissen geschehen, so aufsässig … Ich sollte dir ins Gesicht spucken, aber dazu fehlt mir die Kraft.« Und überhaupt, wir sollten sie loswerden, diese Alte, sie ist völlig unnütz, steckt nur überall ihre Nase hinein, und dann erzählt sie auch noch der Göttermutter wer weiß was über sie selbst. »Wart nur, ich komme schon wieder zu Kräften, dann hat dein Stündchen geschlagen, ich flöße dir deinen eigenen Trunk ein, dann fault dir die Zunge ab, oder streiche dich mit einer Salbe ein, sodass du dich bei lebendigem Leib häutest. Ich bin kein Wolf, mich wirst du nicht so schnell los, von mir genest man nicht. Schade, dass ich so schwach bin, sonst würde ich es dir hier und jetzt zeigen, du würdest ins Verderben stürzen, noch bevor du deine Gedärme aufsammeln könntest.«
Selija erwachte von einem Fiepen, die Alte mit den Wolfsbissen am Bein war weg, niemand war mehr da, nur ein blutiges kleines Knäuel zwischen den Beinen. Ein Mädchen, natürlich, das Mädchen, ihr Kind. So winzig, klitzeklein, voll Blut, so schwach. Es winselte leise, so leise, als wollte es sich verstecken und nicht um etwas bitten. Selija hob es mit einer Hand auf, vorsichtig, musterte es, ja, da waren die Hände und auch die Füße, das Mädchen blinzelte, so warm, schnappte nach Luft, schwach, nach Kräften, das kleine Geschöpf der Götter und der Erde, Selija konnte sich nicht sattsehen, mit welcher Kraft es sich am Leben festkrallt, dieses noch so winzige Seelchen, der Schmetterling, das Frühlingswunder.
Selija schnitt mit einem eigens dazu mitgebrachten Messer die Schnur durch, die sie verband, legte das Mädchen vorsichtig ins Gras, wartete, bis der Rest herausfiel; seit der Geburt von Bentis wusste sie, wie sehr der Körper sich reinigt, putzte mit feuchtem Gras die Beine und wischte das Blut ab, zog ihre Kleider wieder an. Ihr war leicht schwindlig, das Mädchen lag ruhig da und wartete. Selija riss ein dickes Grasbüschel aus, noch ein wenig, presste das Gras fest zusammen und drückte den Knäuel auf das Gesicht des Mädchens. Sie musste ihn gar nicht allzu fest draufdrücken, das Mädchen fuchtelte ein wenig mit den winzigen Armen, zuckte und wurde dann ganz ruhig. Das war es auch schon. Jetzt musste sie es nur noch in Leinen wickeln und gut verstecken.
»Da, sieh nur, du altes Weib! Du hast mir nicht geholfen, also habe ich die Sache selbst in die Hand genommen, wer von uns ist jetzt die Stärkere? Altes Weib, du sagst, das sei der Wille der Göttermutter, man könne sie nicht in jedem Fall umstimmen? Sieh nur, da liegt er jetzt, dieser Wille, eingewickelt in Leinen, ohne zu weinen und zu atmen.«
Selija trug das Bündel noch etwas weiter, in den dichten Wald hinein, steckte es tief in einen Haufen Zweige und ließ es, ohne sich umzudrehen, ohne jemanden zu verfluchen oder jemandem zu danken, zurück, ging, den weißen Bernstein an ihrem Hals festhaltend, den weißen Milchtropfen mit dem kleinen braunen Kreuz, wie aus geronnenem Blut.
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