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Tatsächlich sehen wir wohl, dass die Prinzipien der Schöpfung dieselben bleiben und sich nicht verändern. Jede Art des Seienden bleibt sie selbst, versucht nicht – und muss das nicht –, etwas anderes zu werden, als sie selbst ist. Zugegeben, einige Arten des Daseins verschwinden, andere entstehen neu. Das geschehe aber, weil die Bewusstseins-Kraft im Universum denen, die zugrunde gehen, ihre Lebensfreude entzieht und sich zu ihrem Vergnügen der Erschaffung anderer zuwendet. Jeder Typus des Lebens besitze aber, solange er besteht, seine eigene Struktur und bleibe trotz geringer Abwandlungen diesem Muster treu. Er sei an sein eigenes Bewusstsein gebunden, könne ihm nicht in ein anderes Bewusstsein entkommen. Er sei durch seine eigene Natur begrenzt, könne diese Schranken nicht überschreiten und in eine andersartige Natur übergehen. Wenn die Bewusstseins-Kraft des Unendlichen das Leben offenbarte, nachdem sie die Materie manifestiert hatte, und das Mental nach dem Leben, so folge daraus nicht, dass sie als nächsten Schritt irdischer Schöpfung weitergehe, um das Supramental zu manifestieren. Denn Mental und Supramental gehörten zu ganz verschiedenen Hemisphären, das Mental zum niederen Zustand der Unwissenheit, das Supramental zum höheren Zustand des Göttlichen Wissens. Diese Welt sei eine Welt der Unwissenheit und nur als solche beabsichtigt. Es müsse keine Absicht bestehen, die Mächte der höheren Hemisphäre in die niedere Daseins-Hälfte herabzubringen oder ihre verborgene Gegenwart hier zu offenbaren. Denn wenn diese überhaupt hier vorhanden seien, dann nur in verborgener Immanenz ohne Kommunikation, nur zu dem Zweck, die Schöpfung aufrecht zu erhalten, nicht aber sie zu vervollkommnen. Der Mensch sei der Gipfel der unwissenden Schöpfung. Er habe das Äußerste an Bewusstsein und Wissen erreicht, dessen er fähig sei. Wenn er darüber hinauszugehen versuche, werde er sich nur in umfassenderen Kreisen seiner eigenen Mentalität bewegen. Denn das sei die Kurve seines Daseins hier, eine endliche Kreisbewegung, die das Mental in ihren Umdrehungen fortträgt, um es wieder zu seinem Ausgangspunkt zurückzubringen. Das Mental könne nicht aus seinem eigenen Zyklus ausbrechen – jede Vorstellung von einer geraden Bewegungslinie oder einem Fortschritt, der vertikal oder horizontal ins Unendliche strebt, sei eine Selbst-Täuschung. Wolle die Seele über das Menschsein hinausgehen, um einen supramentalen oder einen noch höheren Zustand zu erlangen, müsse sie aus diesem kosmischen Dasein entweder in eine Welt oder Sphäre der Seligkeit und des Wissens oder in das ungeoffenbarte Ewige und Unendliche ausscheiden.
Es ist wahr, dass die Wissenschaft jetzt ein evolutionäres irdisches Dasein behauptet. Wenn auch die Tatsachen, mit denen die Wissenschaft umgeht, verlässlich sind, so sind doch die Verallgemeinerungen, die sie wagt, kurzlebig. Einige Jahrzehnte oder Jahrhunderte hält sie an diesen fest. Dann geht sie zu einer anderen Verallgemeinerung, zu einer anderen Theorie von den Dingen über. Das geschieht sogar in der Physik, wo die Tatsachen zuverlässig gesichert und durch das Experiment nachprüfbar sind: In der Psychologie – die hier besonders wichtig ist, denn es handelt sich um die Evolution des Bewusstseins – ist die Instabilität noch größer. Man geht von der einen Theorie zur anderen über, bevor die erste schon gut begründet ist. Es behaupten sich sogar mehrere einander widersprechende Theorien gleichzeitig. Auf diesem Flugsand kann kein gesichertes metaphysisches Gebäude errichtet werden. Die Vererbung, auf der die Wissenschaft ihre Auffassung von der Evolution des Lebens errichtet, ist gewiss eine Macht, ein Mechanismus, um die Art oder die Gattung in unveränderlichem Wesen zu erhalten: Der Hinweis, Vererbung sei auch ein Instrument beständig fortschreitender Variation, ist fragwürdig. Ihre Tendenz ist eher konservativ als evolutionär. Es scheint, sie könne nur unter Schwierigkeiten einen neuen Charakter annehmen, den die Lebens-Kraft ihr aufzuzwingen versucht. Alle Tatsachen zeigen, dass ein Typus innerhalb seiner spezifischen Natur-Gestalt variieren kann. Es ist noch nicht wirklich bewiesen, dass sich die Affenart in den Menschen entwickelte. Hier sehe es so aus, als ob ein dem Affen ähnlicher Typus, der aber immer für sich selbst, nicht für die Affenart charakteristisch war, sich innerhalb der Tendenzen seiner eigenen Natur entwickelt habe und zu dem geworden sei, was wir als Mensch kennen, zum gegenwärtigen menschlichen Wesen. Es ist nicht einmal bewiesen, dass niedere Menschenrassen aus sich die höheren Rassen entwickelt haben. Solche von niederer Organisation und Fähigkeit gingen zugrunde. Man hat aber noch keine Anzeichen dafür, dass sie die heutigen menschlichen Rassen als ihre Nachkommen hinterließen. Dennoch wäre eine solche Entwicklung innerhalb des Typus vorstellbar. Der Fortschritt der Natur von der Materie zum Leben und vom Leben zum Mental mag zugegeben werden. Es gibt aber noch keinen Beweis dafür, dass sich Materie in Leben oder Lebens-Energie in Mental-Energie entwickelte. Allein das könne man zugeben, dass sich Leben in der Materie und Mental in lebender Materie manifestiert hat. Denn es gibt keinen ausreichenden Beweis dafür, dass sich eine Pflanzengattung in ein Tierdasein oder eine Organisation unbelebter Materie in einen lebenden Organismus entwickelt habe. Selbst wenn man später einmal entdecken sollte, dass unter gewissen chemischen oder anderen Voraussetzungen Leben auftritt, wird durch dieses Zusammentreffen nur bewiesen, dass sich unter gewissen physischen Umständen Leben offenbart. Dagegen ist nicht bewiesen, dass gewisse chemische Bedingungen die das Leben aufbauenden Faktoren, seine Elemente oder die evolutionäre Ursache für eine Transformation von unbelebter in belebte Materie sind. Hier existiere, wie überall, jede Stufe des Seienden in sich selbst und durch sich selbst. Sie werde im Einklang mit ihrem Charakter durch die eigene spezifische Energie manifestiert. Die Stufenfolgen über ihr und unter ihr seien weder ihre Ursprünge noch resultierende Folgeerscheinungen, vielmehr Grade der ununterbrochenen Skala der Erden-Natur.
Fragt man, wie all diese verschiedenen Stufen und Typen des Seienden ins Dasein getreten sind, so kann man antworten, sie seien von der Bewusstseins-Kraft in der Materie als ihrer Grundlage durch die Macht der Real-Idee manifestiert worden, die ihre eigenen bedeutungsvollen Formen und Typen für das kosmische Dasein des innewohnenden Geistes gestaltete: In verschiedenen Graden oder Stufen mag die praktische oder physische Methode beträchtliche Unterschiede aufweisen, obwohl eine grundlegende Ähnlichkeit erkennbar sein kann. Die schöpferische Macht mag nicht nur ein, sondern viele Verfahren anwenden, viele Kräfte im Zusammenwirken einsetzen. In der Materie besteht der Prozess in der Erschaffung unendlich kleiner Teilchen, die mit ungeheurer Energie geladen sind. Sie schließen sich nach Plan und Zahl zusammen. Auf dieser ursprünglichen Basis manifestieren sich umfassendere Kleinstkörper. Diese gruppieren sich und schließen sich zusammen, um wahrnehmbare Objekte, Erde, Wasser, Mineralien, Metalle, das ganze Reich der Materie zu bilden. Auch beim Leben fängt die Bewusstseins-Kraft mit unendlich winzigen Formen pflanzlichen Lebens und kleinster Tierwesen an. Sie erschafft ein ursprüngliches Plasma und vervielfältigt dieses. Sie bildet die lebendige Zelle als eine Einheit und andere Arten eines winzigen biologischen Organismus wie Samen oder Gene. Sie verwendet immer dieselbe Methode, zu gruppieren und zusammenzuschließen, um so durch verschiedenartige Verfahren verschiedene lebende Organismen hervorzubringen. Eine ständige Erschaffung von Arten wird sichtbar; das ist aber noch kein zweifelsfreier Beweis für Evolution. Die Arten sind manchmal sehr verschieden. Manchmal sind sie einander nahe und ähnlich, manchmal in der Grundstruktur identisch, aber in Einzelheiten unterschiedlich. Alle haben ihr eigenes Muster. Solch ein Unterschied in den Modellen bei identischer, ursprünglicher, einfacher Grundlage ist das Zeichen dafür, dass eine bewusste Kraft mit ihrer eigenen Idee spielt und dadurch alle Möglichkeiten der Schöpfung entfaltet. Eine ins Dasein gerufene Tierart mag mit einer gleichartigen rudimentären embryonischen oder fundamentalen Grundstruktur, die für alle gilt, anfangen. Bis zu einer gewissen Stufe mag sie Ähnlichkeiten der Entwicklung auf einer oder all ihren Entfaltungslinien befolgen. Es mag auch Arten geben, die eine zweifache, etwa die amphibische, Natur haben, Zwischenglieder zwischen dem einen und einem anderen Typus: Das brauche aber nicht zu bedeuten, dass sich die Arten auseinander, in einer evolutionären Reihe entwickelt haben. Andere Kräfte als jene hereditärer Veränderung mögen am Werk gewesen sein und das Hervortreten neuer charakteristischer Eigenschaften bewirken. Es gibt physische Kräfte wie Nahrung, Lichtstrahlen und andere, die wir erst allmählich kennenlernen. Gewiss gibt es noch weitere, von denen wir noch nichts wissen. Es sind unsichtbare Lebens-Kräfte und dunkle psychische Kräfte am Werk. Diese subtileren Mächte müssen sogar von der physischen Entwicklungstheorie anerkannt werden, um die natürliche Zuchtwahl zu erklären. Wenn die geheime oder unterbewusste Energie in manchen Arten auf das Bedürfnis der Umgebung reagiert, in anderen keine Reaktion hervorbringt und diese nicht überleben lässt, ist das ein deutliches Zeichen für eine variierende Lebens-Energie und -Psychologie, für ein Bewusstsein und eine Kraft, die anders ist als das physische Wirken, das die Variation in der Natur hervorruft. Das Problem der Verfahrensmethode hat noch zu viele dunkle und unbekannte Faktoren, als dass irgendeines der jetzt möglichen Theorie-Gebäude endgültig sein könnte.
In der Manifestation innerhalb der Materie sei der Mensch ein Typus unter vielen ebenso konstruierten Arten, Modell in einer Menge von Modellen. Er sei die am meisten komplexe unter den erschaffenen Arten, besitze den reichsten Bewusstseinsinhalt, die teilnahmsvollste Genialität seiner Struktur. Er sei das Haupt der irdischen Schöpfung, aber er rage nicht über sie hinaus. Genauso wie die anderen habe auch er sein eigenes, ihm eingeborenes Gesetz, seine Begrenzungen, seine besondere Daseins-Weise, svabhava, svadharma. Innerhalb dieser Grenzen könne er sich ausweiten und entwickeln; er könne sie aber nicht überschreiten. Gebe es eine Vollkommenheit, die er zu erlangen habe, so müsse dies eine Vollkommenheit innerhalb seiner Art, seines eigenen Daseins-Gesetzes sein: dessen volles Kräfte-Spiel, freilich unter Beachtung von dessen Art und Maß, nicht im Transzendieren. Das eigene Maß zu überschreiten, in den Übermenschen emporzuwachsen, sich die Natur und Fähigkeiten eines Gottes anzueignen, wäre ein Widerspruch gegen sein Selbst-Gesetz, praktisch nicht durchführbar. Jede Gestaltung und Wesensart habe ihre eigene besondere Weise von Seins-Seligkeit. Mit Recht sei es Ziel des Menschen, des mentalen Wesens, durch das Mental so viel Herrschaft über seine Umgebung, so guten Gebrauch und Genuss von ihr zu suchen, wie er nur könne. Darüber hinauszuschauen, einem höheren Zweck und Ziel des Daseins nachzujagen, danach zu streben, über die mentale Größe hinauszukommen, bedeutet jedoch die Anerkennung eines teleologischen Elements im Dasein, das in der kosmischen Struktur nicht erkennbar sei. Wenn in der irdischen Schöpfung ein supramentales Wesen erscheinen solle, müsse das eine neue, unabhängige Manifestation sein. Genauso wie sich Leben und Mental in der Materie offenbart haben, müsse sich dort auch das Supramental offenbaren. Die verborgene Bewusste Energie müsse die notwendigen Modelle für diesen neuen Grad ihrer Machtmöglichkeiten erschaffen. Es gebe aber in den Verfahrensweisen der Natur kein Zeichen dafür, dass sie so etwas beabsichtigt.
Sei aber eine höhere Schöpfung beabsichtigt, dann könne dieser neue Entwicklungsgrad, dieser Typus oder dieses Modell sich nicht aus dem Menschen entwickeln. In diesem Fall müsste schon eine gewisse Rasse, eine Art oder Gestaltung menschlicher Wesen vorhanden sein, die bereits das Material zum Obermenschen in sich trage, genauso wie das besondere Tierwesen, das sich zum Menschsein entwickelte, schon die wesentlichen Elemente der menschlichen Natur potentiell oder aktuell besessen habe. Eine solche Rasse und Art, einen solchen Typus von Mensch gibt es aber nicht. Bestenfalls gebe es nur spiritualisierte mentale Wesen, die der irdischen Schöpfung zu entfliehen suchten. Wenn aufgrund eines okkulten Gesetzes der Natur solch eine menschliche Entfaltung des supramentalen Wesens beabsichtigt sei, könne das nur von einigen wenigen innerhalb der Menschheit unternommen werden, die sich aus der Rasse herauslösen, um erste Grundlegung für dieses neue Modell menschlichen Wesens zu werden. Es gebe aber keinen Grund für die Annahme, dass sich die ganze Rasse zu dieser Vollkommenheit entwickeln kann. Das könne keine für das menschliche Geschöpf allgemein gültige Möglichkeit sein.
Habe sich der Mensch tatsächlich in der Natur aus dem Tier entwickelt, so zeige, soweit wir sehen können, doch jetzt keine andere Tier-Art Anzeichen für eine Entwicklung über sich hinaus. Sollte es also im Tierreich einen solchen evolutionären Drang gegeben haben, so müsse er völlig zur Ruhe gekommen sein, sobald dieses Ziel durch das Erscheinen des Menschen erreicht war. Bestehe solch ein Drang nach einem neuen Schritt in der Evolution, dass der Mensch über sich selbst hinauskommen muss, dann würde dieser wahrscheinlich wieder in den Ruhezustand zurücksinken, sobald sein Ziel durch das Erscheinen des suprarationalen Wesens erfüllt ist. In Wirklichkeit gebe es aber keinen solchen Drang. Selbst die Vorstellung von einer Fortentwicklung des Menschen sei sehr wahrscheinlich eine Illusion. Gebe es doch kein Anzeichen dafür, dass der Mensch, nachdem er einmal aus der Tierstufe hervorgetreten ist, sich im Verlauf der Geschichte seiner Rasse radikal verändert hat. Er sei höchstens in der Erkenntnis der physischen Welt, in der Wissenschaft, in der Handhabung seiner Umgebung und der Anwendung der verborgenen Gesetze der Natur rein äußerlich und utilitaristisch fortgeschritten. Im Übrigen sei er derselbe geblieben, der er zu den frühesten Anfängen der Zivilisation war. Er offenbare weiter dieselben Fähigkeiten, die gleichen Eigenschaften und Mängel, die gleichen Bemühungen und Irrwege, Erfolge und Enttäuschungen. Wenn es einen Fortschritt gegeben habe, dann in einem Kreislauf, höchstens in einem sich stetig erweiternden Kreis. Der Mensch von heute sei nicht weiser als die alten Seher, Philosophen und Denker. Er sei nicht spiritueller als die großen Suchenden des Altertums, die ersten mächtigen Mystiker. Er sei auch in Kunst und Handwerk den Künstlern und Handwerkern von ehedem nicht überlegen. Die alten, jetzt verschwundenen Rassen zeigten eine ebenso gestaltungskräftige ursprüngliche Originalität, Erfindungsgabe und Begabung im Umgang mit dem Leben. Wenn der moderne Mensch in dieser Beziehung nicht durch wesentlichen Fortschritt, sondern nur an Grad, Horizont und Fülle ein wenig weitergekommen sei, so deshalb, weil er die Errungenschaften seiner Vorläufer ererbt habe. Nichts rechtfertige aber die Vorstellung, er werde sich jemals seinen Weg aus dem Halb-Wissen und der Halb-Unwissenheit heraus bahnen können, die das Gepräge seiner Art ist, oder dass er, auch wenn er eine höhere Erkenntnis entwickelt, je die äußerste Grenze des mentalen Kreises überschreiten könne.
Es sei wohl verlockend und nicht unlogisch, Wiedergeburt als potentielles Mittel einer spirituellen Entwicklung anzusehen, als den Faktor, der sie möglich macht. Vorausgesetzt, Wiedergeburt sei eine Tatsache, so sei es doch nicht sicher, dass das ihre Bedeutung ist. Alle alten Reinkarnations-Theorien nahmen an, es gebe eine ständige Wanderung der Seele vom Tier zum Menschen, aber auch aus den Menschenkörpern in Tierkörper. Das indische Denken fügte die Erklärung durch das Karma hinzu, eine Vergeltung für gutes oder böses Tun, die Frucht vergangenen Wollens und Bemühens. Es gab aber keinen Hinweis auf eine fortschreitende Entwicklung aus der einen in eine höhere Art, noch weniger auf eine Geburt in eine andere Art des Wesens, das noch niemals existierte, sondern sich erst in der Zukunft entwickeln sollte. Gebe es eine Evolution, dann sei der Mensch deren letzte Stufe, weil durch ihn die Ablehnung des irdischen oder verkörperten Lebens und eine Flucht in einen Himmel oder in das möglich sei. Das war das Ziel, das die alten Theorien im Auge hatten. Da unsere Welt hier fundamental und unabänderlich eine Welt der Unwissenheit sei – wenn auch nicht alles kosmische Dasein seiner Natur nach ein Zustand von Unwissenheit ist –, sei diese Flucht wahrscheinlich das wahre Ziel des Zyklus.
Diese Reihe von Schlussfolgerungen besitzt eine beträchtliche Überzeugungskraft und Bedeutung. Darum war es notwendig, sie, wenn auch nur kurz, darzustellen, um sich mit ihr auseinanderzusetzen. Denn wenn auch einige ihrer Voraussetzungen gültig sind, so ist doch ihre Betrachtung der Dinge nicht vollständig, und ihre Schlussfolgerungen sind nicht zwingend. Zuerst können wir ohne große Schwierigkeiten den Einwand gegen das teleologische Element ausschalten, das in die Struktur des irdischen Daseins eine vorausbestimmte Evolution aus der Unbewusstheit zur Überbewusstheit anerkennt, die Entwicklung einer aufsteigenden Ordnung von Wesen mit einem Übergang auf der höchsten Höhe aus dem Leben in der Unwissenheit zu einem Leben im Wissen. Der Einwand gegen einen teleologisch bestimmten Kosmos kann sich auf zwei Gründe stützen: auf eine wissenschaftliche Beweisführung, die von der Annahme ausgeht, alles sei das Werk einer unbewussten Energie, die automatisch durch mechanische Prozesse wirkt und in sich kein Element von Zweck und Ziel enthalten könne, und auf die metaphysische Beweisführung, die von der Auffassung ausgeht, das Unendliche und Universale besitze bereits alles Einzelne in sich. Es könne nichts Unvollendetes haben, das es erst zur Vollendung bringen muss, nichts, was es sich hinzufügen, ausarbeiten, verwirklichen soll. Es könne deshalb in ihm auch kein Element von Fortschritt, kein ursprüngliches oder hervortretendes Ziel geben.
Die Geltung des wissenschaftlichen oder materialistischen Einwandes kann nicht aufrechterhalten werden, wenn es in oder hinter der scheinbar unbewussten Energie in der Materie ein verborgenes Bewusstsein gibt. Selbst im Unbewussten scheint zumindest der Drang einer innewohnenden Notwendigkeit zu bestehen, die Entwicklung von Formen und in den Formen ein sich entwickelndes Bewusstsein hervorzubringen. Man kann wohl annehmen, dieses Drängen ist der evolutionäre Wille eines verborgenen Bewussten Wesens. Sein Antrieb, sich fortschreitend zu offenbaren, ist Beweis für eine ursprünglich der Evolution innewohnende Absicht. Das ist ein teleologisches Element. Es ist nicht vernunftwidrig, das zuzugeben. Denn die bewusste und selbst die unbewusste Neigung entsteht aus einer Wahrheit des bewussten Wesens, das dynamisch geworden und nun darauf aus ist, sich in einem automatischen Prozess der materiellen Natur zur Erfüllung zu bringen. Die Teleologie, das Element von zweckvoller Absicht, in dieser Neigung ist die Übertragung der aus sich selbst wirkenden Wahrheit des Seienden in Begriffe einer aus dem Selbst wirkenden Willens-Macht dieses Seienden. Wenn Bewusstsein vorhanden ist, muss es hier auch eine Willens-Macht geben, und ihre Übertragung ist normal und unvermeidlich. Eine Wahrheit des Seienden, die sich unvermeidlich selbst zur Erfüllung bringt, wäre also die fundamentale Tatsache der Evolution. Aber ein Wille und dessen Zweck und Ziel müssen dann hier wirksam sein als Teil der Instrumentation, als Element in dem sich auswirkenden Prinzip.
Der metaphysische Einwand ist schwerwiegender. Denn es erscheint als selbstverständlich, dass das Absolute in der Manifestation keine andere Absicht haben kann als die tiefe Freude an der Manifestation selbst. Eine evolutionäre Bewegung in der Materie fällt als Teil der Manifestation unter diese allgemeine Feststellung, sie kann nur zur Wonne an der Entfaltung, an ihrer progressiven Ausführung und zu einer zweckfrei aneinandergereihten Selbst-Offenbarung da sein. Eine universale Ganzheit kann auch als etwas in sich Vollständiges angesehen werden. Für eine Ganzheit gibt es nichts, das sie gewinnen oder der Fülle ihres Wesens hinzuzufügen hätte. Aber die materielle Welt hier ist keine integrale Ganzheit. Sie ist Teil eines Ganzen, Stufe in einer Stufenfolge. Sie kann also in sich selbst nicht nur die Gegenwart von unentwickelten, nicht-materiellen Prinzipien oder Mächten zulassen, die dem Ganzen angehören und ihrer Materie involviert sind, sondern auch gestatten, dass dieselben Mächte aus den höheren Stufen des Systems in sie herniederkommen, um hier die mit ihnen verwandten Bewegungen aus der Starrheit einer materiellen Begrenzung zu befreien. Man kann es also als die Teleologie der Evolution ansehen, dass die höheren Mächte der Existenz manifestiert werden, bis das Seiende im Ganzen in der materiellen Welt in den Begriffen einer höheren, spirituellen Schöpfung manifestiert ist. Diese Teleologie fügt keinen Faktor hinzu, der nicht zur Ganzheit gehört. Ihre Absicht ist nur die Verwirklichung der Ganzheit im Teil. Man kann gegen die Anerkennung eines teleologischen Faktors in einer Teil-Bewegung der universalen Ganzheit keine Einwendungen erheben, wenn die Absicht – nicht eine Absicht im menschlichen Sinne, sondern das Drängen einer inneren Wahrheits-Notwendigkeit, die im Willen des innewohnenden Geistes bewusst ist – darin besteht, hier alle Möglichkeiten, die der totalen Bewegung eingeboren sind, vollkommen zu offenbaren. Zweifellos existiert hier alles für die Seligkeit des Seins; alles ist sein Spiel, Lila. Aber auch ein Spiel enthält in sich einen Zweck, der voll durchgeführt werden muss. Ohne die Erfüllung dieses Ziels wäre der Sinn des Spiels nicht voll verwirklicht. Ein Drama ohne Auflösung des Knotens am Ende könnte eine künstlerische Möglichkeit sein – wenn es nur für das Vergnügen existiert, die Charaktere zu beobachten oder sich an den dargestellten Problemen zu erfreuen, ohne dass diese gelöst oder indem sie nur so gelöst werden, dass alles in der Schwebe und allen Zweifeln offen bleibt. Man mag sich vorstellen, das Drama der Erden-Evolution könne diesen Charakter haben. Ebenso aber, und das überzeugt mehr, ist es möglich, dass eine Auflösung der Verwicklungen beabsichtigt oder innerlich vorherbestimmt ist. Ananda ist das geheime Prinzip alles Seienden und die Unterstützung alles Wirkens im Seienden. Aber Ananda schließt nicht die große Freude daran aus, dass eine dem Seienden innewohnende Wahrheit ausgearbeitet wird, die der Kraft oder dem Willen des Seienden immanent ist und in dem verborgenen Selbst-Innesein ihrer Bewusstseins-Kraft aufrecht erhalten wird, der dynamische Vollstrecker all ihrer Aktivitäten und der Kenner ihrer Bedeutung.
Eine Theorie spiritueller Evolution ist nicht identisch mit einer naturwissenschaftlichen Theorie von Formen-Entwicklung und physischer Lebens-Entwicklung. Sie muss auf der eigenen, ihr innewohnenden Rechtfertigung stehen: Sie mag die wissenschaftliche Darstellung der physischen Evolution als Unterstützung oder als eines ihrer Elemente annehmen. Diese Unterstützung ist aber nicht unentbehrlich. Die wissenschaftliche Theorie kümmert sich nur um den äußeren sichtbaren Mechanismus und Prozess, um die Einzelheiten der Durchführung seitens der Natur, die physische Entwicklung der Dinge in der Materie und das Gesetz, nach dem sich Leben und Mental in der Materie entwickeln. Im Licht neuer Entdeckung mag ihre Darstellung der Vorgänge beträchtlich verändert oder gar völlig fallengelassen werden. Das wird aber die selbst-bezeugende Tatsache einer spirituellen Evolution, einer Entwicklung von Bewusstsein, einer fortschreitenden Manifestation der Seele im materiellen Dasein nicht beeinflussen. In ihren äußeren Aspekten kommt die Theorie der Evolution zu folgenden Ergebnissen: In der Stufenfolge des irdischen Daseins gibt es eine Entwicklung von Formen und Körpern, eine fortschreitend vielseitige leistungsfähige Organisation von Materie. In der Materie entsteht Leben, in der lebenden Materie Bewusstsein. Je besser in dieser Stufenfolge die äußere Form organisiert ist, desto fähiger ist sie, ein besser organisiertes, mehr komplexes, befähigtes, entfaltetes oder höher entwickeltes Leben und Bewusstsein zu beherbergen. Hat man einmal die Evolutions-Hypothese aufgestellt und die sie stützenden Tatsachen gesammelt, wirkt dieser Aspekt des irdischen Daseins so überzeugend, dass er unbestreitbar zu sein scheint. Es ist eine zweitrangige, wenn auch an sich interessante und wichtige Frage, nach welchem genauen Mechanismus, nach welcher exakten Genealogie oder chronologischen Reihenfolge der Arten des Wesens dies zustande kam. Man mag die Theorien von der Entwicklung der einen Form des Lebens aus einer vorausgehenden weniger entwickelten Form, von der natürlichen Zuchtwahl, vom Kampf ums Dasein, vom Überleben erworbener Charakter-Eigenschaften akzeptieren oder nicht: Die Tatsache einer aufeinanderfolgenden Schöpfung aufgrund eines in ihr enthaltenen Entwicklungsplans ist der einzige Schluss von primärer Bedeutung. Ein anderer selbst-bezeugender Schluss ist, dass es in der Evolution eine stufenweise notwendige Aufeinanderfolge gibt: zuerst die Entwicklung von Materie, danach die Entwicklung von Leben in der Materie, dann die Entwicklung von Mental in der lebenden Materie. Auf dieser letzten Stufe folgt auf eine Entwicklung zum Tier die des Menschen. Die drei ersten Begriffe dieser Aufeinanderfolge sind zu evident, als dass sie bestritten werden könnten. Man mag darüber debattieren, ob der Mensch auf das Tier folgte oder ob es eine gleichzeitig-ursprüngliche Entwicklung beider gab, wobei dann der Mensch in der Mental-Entwicklung das Tier überholt hat. Man hat sogar die Theorie aufgestellt, der Mensch sei nicht die letzte, sondern die erste und älteste Gattung im Tierreich gewesen. Diese Priorität des Menschen ist eine alte Vorstellung, sie war aber nie allgemein. Sie stammt aus dem Empfinden einer klaren Überlegenheit des Menschen über die irdischen Geschöpfe. Die Würde dieser Hoheit schien eine Priorität der Geburt zu erfordern. Im faktischen Ablauf der Evolution tritt aber der Überlegene nicht als der Frühere in Erscheinung, sondern als der Spätere. Der weniger Entwickelte geht dem höher Entwickelten voraus und ist sein Wegbereiter.