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Die Mythen über Missbrauchstäter
1. Er wurde als Kind misshandelt.
2. Seine frühere Partnerin hat ihn verletzt.
3. Er misshandelt diejenigen, die er am meisten liebt.
4. Er behält seine Gefühle zu sehr für sich.
5. Er hat eine aggressive Persönlichkeit.
6. Er verliert die Kontrolle.
7. Er ist zu wütend.
8. Er ist psychisch krank.
9. Er hasst Frauen.
10. Er hat Angst vor Intimität und davor, verlassen zu werden.
11. Er hat ein geringes Selbstwertgefühl.
12. Sein Chef misshandelt ihn.
13. Er ist schlecht in Kommunikation und Konfliktlösung.
14. Es gibt ebenso viele misshandelnde Frauen wie misshandelnde Männer.
15. Sein misshandelndes Verhalten ist für ihn genauso schlimm wie für seine Partnerin.
16. Er ist Opfer von Rassismus.
17. Er hat ein Alkohol- oder Drogenprobleme.
Mythos Nr. 1:
Er wurde als Kind misshandelt, und er braucht deswegen eine Therapie.
Die Partnerinnen meiner Klienten glauben meist, dass die Wurzeln des missbräuchlichen Verhaltens des Mannes in der Misshandlung zu suchen sind, die er selbst erlitten hat, und viele Experten teilen dieselbe Fehleinschätzung. Ich höre Erklärungen in der Art von:
„Er beschimpft mich mit all diesen schrecklichen Namen, weil es das ist, was seine Mutter ihm angetan hat.“
„Sein Vater war meist wütend auf ihn und schlug ihn mit einem Gürtel, und wenn ich jetzt mal wütend werde, flippt er einfach aus und fängt an, Sachen durchs Haus zu werfen. Er sagt, das liege daran, dass er tief im Inneren eigentlich Angst vor meiner Wut hat.“
„Seine Stiefmutter war eine Hexe. Ich habe sie kennengelernt, sie ist bösartig. Und jetzt hat er wirklich etwas gegen Frauen.“
Frage 1: Liegt es daran, dass er als Kind misshandelt wurde?
Mehrere Forschungsstudien haben die Frage untersucht, ob Männer, die Frauen missbräuchlich behandeln, tendenziell Überlebende von Kindesmissbrauch sind, doch dieser Zusammenhang hat sich als nicht stichhaltig erwiesen. Andere Vorhersagen, weshalb Männer gegenüber Frauen wahrscheinlich missbräuchlich sind, haben sich als weitaus zuverlässiger herausgestellt, wie wir sehen werden. Vor allem Männer, die anderen Männern gegenüber gewalttätig sind, waren als Kinder oft Opfer von Misshandlungen – aber bei Männern, die Frauen angreifen, ist der Zusammenhang viel weniger klar. Die einzige Ausnahme bilden jene Täter, die Frauen gegenüber brutale körperliche Gewalt anwenden oder Furcht einflößend sind; bei ihnen zeigt sich oft, dass sie als Kinder selbst misshandelt wurden. Mit anderen Worten, eine schlechte Kindheit führt nicht dazu, dass ein Mann zu einem Täter wird, aber sie kann dazu beitragen, einen misshandelnden Mann besonders gefährlich zu machen.
Wäre missbräuchliches Verhalten das Produkt einer emotionalen Verletzung in der Kindheit, könnten die Missbrauchstäter ihr Problem durch Psychotherapie überwinden. Aber es ist praktisch noch nicht vorgekommen, dass ein misshandelnder Mann infolge einer Therapie substanzielle und dauerhafte Veränderungen in seinem Muster der Misshandlungen vorgenommen hat. (In Kapitel 14 werden wir die Unterschiede zwischen Psychotherapie und einem speziellen Missbrauchsprogramm erläutern, weil letzteres manchmal gute Ergebnisse bringen kann.) Er kann andere emotionale Schwierigkeiten überwinden, er kann Einsicht in sich selbst gewinnen, aber sein Verhalten setzt er fort. Tatsächlich wird es in der Regel schlimmer, wenn er die Therapie dazu benutzt, neue Entschuldigungen für sein Verhalten und raffiniertere Argumente zu entwickeln, um zu beweisen, dass seine Partnerin psychisch instabil ist, sowie kreativere Wege zu finden, um ihr das Gefühl zu vermitteln, für sein emotionales Leid verantwortlich zu sein. Misshandelnde Männer sind manchmal Meister herzerweichender Geschichten und machen vielleicht die Erfahrung, dass Berichte über Misshandlungen in der Kindheit eine der besten Methoden sind, um Mitleid zu erregen.
Für einige misshandelnde Männer ist der Ansatz, die Schuld auf die Kindheit zu schieben, aus einem anderen Grund zusätzlich attraktiv: Indem er sich darauf konzentriert, was seine Mutter falsch gemacht hat, kann er einer Frau die Schuld für seine Misshandlung von Frauen geben. Diese Erklärung kann auch der misshandelten Frau selbst zusagen, denn sie ergibt Sinn, was sein Verhalten angeht, und bietet ihr jemanden, auf den sie gesichert wütend sein kann – denn wütend auf ihn zu werden, wirkt sich immer schlecht für sie aus. Die Gesellschaft im Allgemeinen und die Psychologie im Besonderen sind oft auf diesen Zug aufgesprungen, anstatt sich den harten Fragen zu stellen, die missbräuchliches Verhalten gegenüber der Partnerin aufwirft. Die Misshandlung von Frauen durch Männer ist so weit verbreitet, dass man, wenn man nicht irgendwie den Frauen die Schuld geben kann, gezwungen ist, eine Reihe unbequemer Fragen über Männer und über weite Teile der männlichen Denkweise zu stellen. Daher mag es bequemer erscheinen, das Problem einfach der Mutter des Mannes vor die Füße zu legen.
Die Klienten, die ausgiebig an Therapie- oder Behandlungsprogrammen wegen Drogenmissbrauch teilgenommen haben, klingen manchmal selbst wie Therapeuten – und einige wenige waren es tatsächlich auch –, wenn sie die Begriffe der Populärpsychologie oder der Lehrbuchtheorie übernehmen. Ein Klient versuchte, mich zu intellektuellen Debatten zu verleiten mit Kommentaren wie: „Nun, Ihre Gruppe folgt einem kognitiven Verhaltensmodell, das erwiesenermaßen Grenzen hat, um ein so tiefes Problem wie dieses anzugehen.“ Ein missbrauchender Mann, der in der Sprache der Gefühle bewandert ist, kann seiner Partnerin das Gefühl geben, verrückt zu sein, indem er jede Auseinandersetzung in eine Therapiesitzung verwandelt, bei der er ihre Reaktionen unter ein Mikroskop legt und sich selbst die Rolle zuweist, ihr „zu helfen“. Er kann ihr z. B. die emotionalen Probleme „erklären“, die sie verarbeiten muss, oder er kann ihre Realität analysieren, weil sie „fälschlicherweise“ glaubt, dass er sie misshandelt.
Ein missbrauchender Mann schmückt vielleicht sein Leiden aus der Kindheit aus, wenn er entdeckt hat, dass es ihm hilft, sich der Verantwortung zu entziehen. Das National District Attorney’s Association Bulletin berichtete über eine aufschlussreiche Studie, die an einer anderen Gruppe destruktiver Männer durchgeführt wurde: an Missbrauchstätern von Kindern. Der Forscher fragte jeden einzelnen, ob er selbst als Kind sexuell missbraucht worden sei. Stolze 67 Prozent der Probanden sagten ja. Der Forscher teilte den Männern dann jedoch mit, dass er sie einem Lügendetektortest unterziehen und ihnen dieselben Fragen erneut stellen werde. Die Zahl der bejahenden Antworten fiel plötzlich auf nur noch 29 Prozent. Mit anderen Worten: Missbrauchstäter jeglicher Art sind sich meist bewusst, wie weit sie damit kommen, wenn sie sagen: „Ich missbrauche, weil mir dasselbe angetan wurde.“
Obwohl der typische misshandelnde Mann bemüht ist, ein positives öffentliches Image aufrechtzuerhalten, trifft es zu, dass einige Frauen missbrauchende Partner haben, die für alle unangenehm oder einschüchternd sind. Was ist mit diesem Mann? Sind seine Probleme die Folge der Misshandlung durch seine Eltern? Die Antwort lautet sowohl ja als auch nein; es hängt davon ab, über welches Problem wir sprechen. Seine Feindseligkeit gegenüber der Menschheit mag aus der Grausamkeit seiner Erziehung herrühren, aber er missbraucht Frauen, weil er ein Missbrauchsproblem hat. Die beiden Probleme hängen zusammen, sind aber unterschiedlich.
Ich sage nicht, dass Sie kein Mitgefühl für das Leid Ihres Partners in seiner Kindheit haben sollten. Ein missbrauchender Mann verdient dasselbe Mitgefühl wie ein nicht missbrauchender Mann, nicht mehr und nicht weniger. Aber ein nicht-misshandelnder Mann benutzt seine Vergangenheit nicht als Vorwand, um Sie zu misshandeln. Mitleid mit Ihrem Partner kann eine Falle sein, wenn Sie sich dadurch schuldig fühlen, weil Sie sich seiner Misshandlung widersetzt haben.
Manchmal sage ich zu einem Klienten: „Wenn Sie so in Kontakt mit Ihren Gefühlen aus Ihrer missbräuchlichen Kindheit sind, dann sollten Sie wissen, wie sich Missbrauch anfühlt. Sie sollten in der Lage sein, sich daran zu erinnern, wie erbärmlich es war, grundlos niedergemacht und in Angst versetzt zu werden und gesagt zu bekommen, dass der Missbrauch Ihre eigene Schuld sei. Sie sollten deswegen eher weniger dazu neigen, eine Frau zu misshandeln, und nicht mehr, nachdem Sie es selbst durchgemacht haben.“ Sobald ich diesen Punkt anspreche, hört er in der Regel auf, seine schreckliche Kindheit zu erwähnen. Er will nur dann auf seine Kindheit aufmerksam machen, wenn er sie als Ausrede benutzt, sich nicht zu verändern, nicht aber, wenn es ein Grund ist, sich zu ändern.
Mythos Nr. 2:
Seine frühere Partnerin hat ihn schrecklich misshandelt, und jetzt hat er als Folge davon ein Problem mit Frauen. Er ist ein wunderbarer Mann, und nur wegen ihr ist er jetzt so geworden.
Wie wir bei Fran in Kapitel 1 gesehen haben, kann die bittere Vorgeschichte eines Missbrauchstäters durch seine emotionale Zerstörung vonseiten seiner Ex-Frau oder -Freundin einen starken Einfluss auf seine gegenwärtige Partnerin haben. Meist erzählt der Mann seine Geschichte in der Version, dass seine Ex-Partnerin ihm das Herz gebrochen habe, indem sie ihn betrogen hat, vielleicht mit unterschiedlichen Männern. Wenn Sie ihn fragen, wie er es herausgefunden hat, antwortet er, dass „jeder“ davon wusste oder dass seine Freunde es ihm erzählt haben. Vielleicht sagt er auch: „Ich habe sie selbst dabei erwischt, wie sie mich betrogen hat“, aber wenn man ihn drängt zu erzählen, was er tatsächlich gesehen hat, stellt sich oft heraus, dass er nichts gesehen hat, oder dass er sie spät in der Nacht mit einem Kerl reden oder in seinem Auto fahren sah, „deswegen wusste ich es“.
Er kann andere Wunden beschreiben, die er von einer früheren Partnerin davongetragen hat: Sie hat versucht, ihn zu kontrollieren; sie wollte ihm keine Freiheit lassen; sie erwartete, dass er sie von vorne bis hinten bedient; sie hetzte die Kinder gegen ihn; aus reiner Rachsucht „ließ sie ihn sogar verhaften“. Was er beschreibt, sind normalerweise seine eigenen Verhaltensweisen, aber er schreibt sie der Frau zu, sodass er das Opfer ist. Auf diese Weise kann er bei seiner neuen Partnerin Sympathien gewinnen, vor allem weil so viele Frauen – leider – wissen, was es heißt, misshandelt zu werden, sodass sie Empathie für seine erlittene Qual haben.
Der misshandelnde oder kontrollierende Mann kann eine Fülle von Ausreden aus seinen früheren Beziehungen ziehen und zum Beispiel dafür verwenden, dass er die Freundschaften seiner jetzigen Partnerin kontrolliert und sie beschuldigt, ihn zu betrügen: „Es liegt daran, dass meine Ex-Partnerin mich so schlimm verletzt hat, indem sie mich so oft betrogen hat, und deshalb bin ich so eifersüchtig und kann dir nicht vertrauen.“ Oder dafür, dass er einen Tobsuchtsanfall bekam, als sie ihn bat, er möge hinter sich aufräumen: „Meine Ex-Partnerin hat jede meiner Bewegungen kontrolliert, und so macht es mich jetzt wütend, wenn ich das Gefühl habe, dass du mir sagst, was ich tun soll.“ Oder aber dafür, dass er eigene Affären hat oder nebenbei andere Liebesinteressen verfolgt: „Letztes Mal wurde ich so verletzt, dass ich jetzt wirklich Angst davor habe, mich zu binden, und deshalb möchte ich mich weiterhin mit anderen Menschen einlassen.“ Er kann zu jeder seiner kontrollierenden Verhaltensweisen eine passende Ausrede erfinden.
Ich empfehle folgenden Grundsatz zu beachten, wenn ein wütender oder kontrollierender Mann Behauptungen über Ex-Frauen in seinem Leben aufstellt:
Wenn es eine Ausrede für sein missbräuchliches Verhalten Ihnen gegenüber ist, ist es eine Verzerrung
Ein Mann, der in einer Beziehung mit einer Frau wirklich misshandelt wurde, würde diese Erfahrung nicht nutzen, um damit davonzukommen, dass er jemand anderen verletzt hat.
Betrachten Sie die Situation für einen Moment von der anderen Seite: Haben Sie jemals gehört, dass eine Frau behauptet, der Grund, warum sie ihren männlichen Partner ständig misshandelt, seien die erlittenen Misshandlungen durch einen Ex-Partner? Diese Ausrede ist mir in den über dreißig Jahren, in denen ich auf dem Gebiet der Misshandlung tätig bin, noch nie begegnet. Sicherlich habe ich Fälle erlebt, in denen Frauen Schwierigkeiten hatten, einem anderen Mann zu vertrauen, nachdem sie einen Missbrauchstäter verlassen hatten, aber es gibt einen wichtigen Unterschied: Ihre früheren Erfahrungen mögen erklären, wie sie sich fühlt, aber sie sind keine Entschuldigung dafür, wie sie sich verhält. Und dasselbe gilt für einen Mann.
Wenn einer meiner Klienten eine frühere Beziehung für sein gegenwärtiges grausames oder kontrollsüchtiges Verhalten verantwortlich macht, hake ich mit einigen Fragen nach: „Hat Ihre Ex-Partnerin jemals gesagt, dass sie sich von Ihnen kontrolliert oder eingeschüchtert fühlt? Wie sieht sie die Geschichte? Haben Sie jemals in der Wut die Hand gegen sie erhoben oder hat sie jemals eine einstweilige Verfügung erwirkt?“ Wenn er mit seinen Antworten fertig ist, weiß ich normalerweise, was passiert ist: Er hat auch diese Frau misshandelt.
Es ist in Ordnung, Mitgefühl mit einem Mann wegen seiner schlechten Erfahrung mit einer Ex-Partnerin zu haben, aber in dem Moment, in dem er das Erlebnis als Vorwand benutzt, um Sie zu misshandeln, hören Sie auf, irgendetwas zu glauben, was er Ihnen über diese Beziehung erzählt. Erkennen Sie die Ausrede stattdessen als Zeichen dafür, dass er Probleme im Umgang mit Frauen hat. Spüren Sie seine Ex-Partnerin auf und sprechen Sie so bald wie möglich mit ihr, auch wenn Sie sie hassen. Ein Täter kann eine Partnerin nach der anderen misshandeln, wobei er jedes Mal glaubt, dass allein die Frau Schuld an den Problemen hat und dass er das eigentliche Opfer ist.
Ganz gleich ob er sich als Opfer einer Ex-Partnerin oder seiner Eltern darstellt, das Ziel des Täters – wenn auch vielleicht unbewusst – ist es, mit Ihrem Mitgefühl zu spielen, damit er sich nicht mit seinem Problem auseinandersetzen muss.
Mythos Nr. 3:
Er misshandelt mich, weil er so starke Gefühle für mich hegt. Menschen verursachen denen, die ihnen am meisten am Herzen liegen, den größten Schmerz.
Ausreden dieser Art tauchen in meinen Gruppen für misshandelnde Männer häufig auf. Meine Klienten erzählen: „Niemand sonst regt mich so auf wie sie. Ich verliere manchmal einfach den Verstand, weil ich so starke Gefühle für sie habe. Die Dinge, die sie tut, tun mir wirklich weh, und niemand sonst kann mir so unter die Haut gehen.“ Missbrauchende können diese Rationalisierung erfolgreich bei ihren Partnerinnen, Freunden und Verwandten anwenden. Denn es steckt ein Körnchen Wahrheit darin: Menschen, die wir lieben, können uns tieferen Schmerz zufügen als jeder andere. Aber was hat das mit Missbrauch zu tun?
Der Missbrauchstäter möchte, dass wir folgende einfache, aber fehlerhafte Formel akzeptieren:
„Gefühle verursachen Verhalten“
„Wenn Menschen sich verletzt fühlen, schlagen sie aus Vergeltung auf jemand anderen ein. Wenn sie sich eifersüchtig fühlen, werden sie besitzergreifend und vorwurfsvoll. Wenn sie sich kontrolliert fühlen, schreien und drohen sie.“ Stimmt’s?
Falsch. Jeder Mensch geht mit Verletzungen oder Ressentiments individuell um. Wenn Sie sich beleidigt oder schikaniert fühlen, greifen Sie vielleicht nach einem Schokoriegel. Unter den gleichen Umständen breche ich vielleicht in Tränen aus. Eine andere Person kann ihre Gefühle schnell in Worte fassen und die Misshandlung direkt ansprechen. Auch wenn unsere Gefühle die Art und Weise beeinflussen können, wie wir uns verhalten wollen, werden unsere Verhaltensentscheidungen letztlich eher durch unsere Einstellungen und Gewohnheiten bestimmt. Wir reagieren auf unsere emotionalen Verletzungen auf der Basis, wie wir uns selbst sehen, wie wir über die Person denken, die uns verletzt hat, und wie wir die Welt wahrnehmen. Nur bei Menschen, die schwer traumatisiert sind oder an schweren psychischen Erkrankungen leiden, ist das Verhalten von Gefühlen bestimmt. Und nur ein winziger Prozentsatz misshandelnder Männer hat diese Art schwerer psychischer Probleme.
Es gibt noch andere Gründe, die Ausrede „Liebe verursacht Missbrauch“ nicht zu akzeptieren. Erstens behalten sich viele Menschen ihr bestes Verhalten und ihre freundlichste Behandlung ihren Lieben vor, auch für ihre Partnerinnen und Partner. Sollten wir den Gedanken akzeptieren, dass diese Menschen ihre Liebe weniger stark empfinden oder weniger Leidenschaft haben als ein Missbrauchstäter? Das ist Unsinn. Außerhalb meines Berufslebens habe ich im Laufe der Jahre viele Paare kennengelernt, zwischen denen Leidenschaft und Spannung herrschte und die sich gegenseitig gut behandelten. Aber leider gibt es in unserer Gesellschaft eine breite Akzeptanz der unguten Vorstellung, dass Leidenschaft und Aggression miteinander verwoben sind und dass ein gemeiner verbaler Schlagabtausch und explosionsartige Ausbrüche der Preis sind, den man für eine Beziehung bezahlt, die aufregend, tief und sexy ist. Beliebte Liebesfilme und Seifenopern verstärken dieses Bild manchmal noch.
Die meisten misshandelnden Männer haben außer zu ihren Ehefrauen oder Freundinnen enge Beziehungen zu anderen Menschen. Meine Klienten können tiefe Zuneigung für einen oder beide Elternteile, ihre Geschwister, einen guten Freund, eine Tante oder einen Onkel empfinden. Misshandeln sie diese auch? Kaum. Es ist nicht die Liebe oder tiefe Zuneigung, die ihr Verhaltensproblem verursacht.
Mythos Nr. 4:
Er unterdrückt seine Gefühle zu sehr, und dann bauen sie sich auf, bis er platzt. Er muss mit seinen Gefühlen in Berührung kommen und lernen, sie auszudrücken, um diese explosiven Vorfälle zu verhindern.
Meine Kollegen und ich bezeichnen diese Ansicht über Männer als „Druckkessel-Theorie“. Der Gedanke ist, dass ein Mensch nur ein gewisses Maß an angesammeltem Schmerz und an Frustration ertragen kann. Wenn er nicht regelmäßig entlüftet wird – wie bei einem Schnellkochtopf –, dann ist ein schweres Unglück vorprogrammiert. Dieser Mythos klingt wahr, denn wir alle wissen, dass viele Männer zu viele Emotionen in sich aufstauen. Da die meisten Täter männlich sind, scheint es zu passen.
Aber das tut es nicht, und hier ist der Grund dafür: Die meisten meiner Klienten unterdrücken ihre Gefühle nicht in besonderem Maße. Tatsächlich bringen viele von ihnen ihre Gefühle stärker zum Ausdruck als einige nicht-misshandelnde Männer. Anstatt alles in sich hineinzuschaufeln, neigen sie zum Gegenteil: Sie haben eine übertriebene Vorstellung von der Wichtigkeit ihrer Gefühle. Die ganze Zeit sprechen sie über ihre Gefühle – und leben sie aus –, bis ihre Partnerinnen und Kinder erschöpft sind, weil sie das alles mit anhören müssen. Die Gefühle eines Täters sind wahrscheinlich beides: zu groß und auch zu klein. Sie können das ganze Haus ausfüllen. Wenn er sich schlecht fühlt, denkt er, dass das Leben für alle anderen in der Familie aufhören sollte, bis jemand sein Unwohlsein in Ordnung bringt. Die Lebenskrisen seiner Partnerin, die Krankheiten der Kinder, die Mahlzeiten, die Geburtstage – nichts anderes ist so wichtig wie seine Gefühle.
Es sind nicht seine Gefühle, zu denen der Täter eine zu große Distanz hat, sondern es sind die Gefühle seiner Partnerin und die Gefühle seiner Kinder, um die es geht. Das sind die Gefühle, über die er so wenig weiß und mit denen er „in Kontakt treten“ muss. Meine Aufgabe als Berater von Missbrauchstätern besteht oft darin, die Diskussion weg von den Gefühlen meiner Klienten und hin zu seinen Gedanken (einschließlich seiner Einstellung gegenüber den Gefühlen seiner Partnerin) zu lenken. Meine Klienten versuchen immer wieder, den Ball in den Bereich zurückzubringen, der ihnen vertraut und angenehm ist, wo ihre innere Welt das einzige ist, was zählt.
Seit Jahrzehnten bemühen sich viele Therapeuten, misshandelnden Männern zu helfen, sich zu verändern, indem sie sie anleiten, ihre Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken. Leider nährt diese wohlmeinende, aber fehlgeleitete Herangehensweise tatsächlich die Fokussierung des Täters auf sich selbst, was eine wichtige Triebkraft für seine Misshandlungen ist.
Ein Grund, warum Sie versucht sein könnten, die „Druckkessel-Theorie“ zu akzeptieren, ist, dass Sie vielleicht beobachten, dass das Verhalten Ihres Partners einem Muster folgt. Er zieht sich immer mehr zurück, sagt immer weniger und seine Stimmung scheint sich allmählich von einem leisen Brodeln zu einem sprudelnden Kochen zu entwickeln, bis sie sich in einem Ausbruch von Schreien, Herabsetzungen und Gemeinheiten entlädt. Es wirkt wie eine emotionale Explosion, daher nimmt man natürlich an, dass es eine ist. Aber die wachsende Spannung, der Druck, der sich in seinen Gefühlen aufbaut, wird in Wirklichkeit durch sein mangelndes Einfühlungsvermögen in Ihre Gefühle und durch eine Reihe von Einstellungen angetrieben, die wir später untersuchen werden. Außerdem explodiert er, wenn er sich selbst die Erlaubnis dazu gibt.
Mythos Nr. 5:
Er hat eine gewalttätige, explosive Persönlichkeit. Er muss lernen, weniger aggressiv zu sein.
Kommt Ihr Partner normalerweise mit allen anderen außer Ihnen einigermaßen gut aus? Ist es ungewöhnlich für ihn, andere Menschen zu beschimpfen oder sich mit Männern körperlich anzulegen? Wenn er Männern gegenüber aggressiv wird, hat es dann in der Regel etwas mit Ihnen zu tun, z. B. wenn er einem Mann gegenübersteht, von dem er glaubt, dass er Sie abcheckt? Die große Mehrheit der misshandelnden Männer ist eher ruhig und in den meisten Beziehungen vernünftig, die nicht im Zusammenhang mit ihren Partnerinnen stehen. Tatsächlich beschweren sich die Partnerinnen meiner Klienten ständig bei mir: „Wie kommt es, dass er zu allen anderen so nett ist, mich aber wie Dreck behandelt?“ Wenn es das Problem eines Mannes wäre, eine „aggressive Persönlichkeit“ zu haben, wäre er nicht in der Lage, diese Seite seiner selbst nur für Sie zu reservieren. Viele Therapeuten haben im Laufe der Jahre versucht, missbrauchende Männer auf ihre sensiblere, verletzlichere Seite zu lenken. Aber die traurige Realität ist, dass viele sanfte, sensible Männer ihre Partnerinnen bösartig – und manchmal auch gewalttätig – misshandeln. Die zwei Seiten des Täters bilden einen zentralen Aspekt des Rätselhaften.
Die gesellschaftliche stereotype Vorstellung vom Täter als einem relativ ungebildeten Arbeiter trägt zur Verwirrung bei. Die fehlerhafte Gleichung lautet: „Misshandlung ist gleich muskelbepackter Höhlenmensch, was wiederum der Unterschicht entspricht.“ Zusätzlich zu der Tatsache, dass dieses Bild ein unfaires Stereotyp von Männern aus der Arbeiterklasse ist, übersieht es auch den Fakt, dass ein Mann mit Berufs- oder Hochschulbildung etwa der gleichen Wahrscheinlichkeit unterliegt, Frauen zu misshandeln wie jeder andere. Ein erfolgreicher Geschäftsmann, ein Hochschulprofessor oder ein Segellehrer wird vielleicht weniger wahrscheinlich das Image eines harten Kerls mit Tätowierungen am ganzen Körper annehmen, kann aber dennoch ein Albtraum-Partner sein.
Stereotypen im Hinblick auf Klasse und Ethnie erlauben es den privilegierteren Mitgliedern der Gesellschaft, dem Problem des Missbrauchs auszuweichen, indem sie so tun, als sei es das Problem von anderen. Ihr Denken geht etwa so: „Es sind diese Bauarbeiter, die nie aufs College gegangen sind, es sind diese Latinos, es sind diese Straßengangster – sie sind die Missbrauchstäter. Unsere Stadt, unsere Nachbarschaft, ist nicht so. Wir haben hier keine Macho-Männer.“
Aber Frauen, die mit Misshandlungen leben, wissen, dass es die Täter in jeglicher Gestalt und in allen gesellschaftlichen Schichten gibt. Je gebildeter ein Täter ist und je mehr Knoten er im Gehirn einer Frau zu knüpfen weiß, desto besser kann er sie dazu bringen, sich selbst die Schuld zu geben, und desto geschickter kann er andere Menschen davon überzeugen, dass sie verrückt ist. Je gesellschaftlich einflussreicher ein Täter ist, desto wirksamer kann sein Missbrauch sein – und desto schwieriger kann es sein, ihm zu entkommen. Zwei meiner ersten Klienten waren Harvard-Professoren.