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Manche Frauen fühlen sich von dem Image des harten Kerls angezogen, und manche können es nicht ausstehen. Wählen Sie selbst. Wie wir in Kapitel 5 sehen werden, gibt es Möglichkeiten festzustellen, 000ob ein Mann die Tendenz hat, missbräuchlich zu werden, aber die Kriterien einer sanften oder machohaften Persönlichkeit gehören nicht dazu. (Doch Vorsicht: Wenn ein Mann andere grundsätzlich einschüchtert, passen Sie auf. Früher oder später wird er seine Einschüchterungen gegen Sie richten. Anfangs mag es Ihnen vielleicht ein sicheres Gefühl geben, mit einem Mann zusammen zu sein, der Menschen Angst macht, aber nicht, wenn Sie an der Reihe sind.)
Mythos Nr. 6:
Er verliert die Kontrolle über sich selbst. Er wird einfach wild.
Vor vielen Jahren habe ich eine Frau namens Sheila telefonisch befragt. Sie beschrieb die Wutausbrüche, die mein Klient Michael ihr zufolge regelmäßig hatte: „Er dreht einfach völlig durch, und man weiß nie, wann er so ausrasten wird. Er fängt einfach an, nach allem zu greifen, was da ist, und damit rumzuwerfen. Er schleudert das Zeug überall hin, an die Wände, auf den Boden – es ist einfach ein Chaos. Und er zerschlägt Sachen, manchmal wichtige Dinge. Dann ist es, als ob der Sturm einfach vorbeizieht; er beruhigt sich und geht für eine Weile weg. Später scheint er sich irgendwie vor sich selbst zu schämen.“
Ich habe Sheila zwei Fragen gestellt. Die erste war, wenn Dinge kaputtgingen, gehörten sie dann Michael oder ihr, oder waren es Dinge, die beiden gehörten? Es entstand eine beträchtliche Stille, während sie nachdachte. Dann sagte sie: „Wissen Sie was? Ich bin erstaunt, dass ich nie darüber nachgedacht habe, aber er macht nur meine Sachen kaputt. Ich kann mich nicht erinnern, dass er etwas zerbrochen hat, das ihm gehört hat.“ Als Nächstes fragte ich sie, wer das Chaos aufräumt. Sie antwortete, dass sie das tut.
Ich erklärte ihr: „Sehen Sie, Michaels Verhalten ist nicht annähernd so berserkerhaft, wie es aussieht. Und wenn er wirklich so reumütig wäre, würde er beim Aufräumen helfen.“
Frage 2: Macht er das mit Absicht?
Wenn mir ein Klient erzählt, dass er missbräuchlich wurde, weil er die Kontrolle über sich verloren hat, frage ich ihn, warum er nicht etwas noch Schlimmeres getan hat. Ich sage zum Beispiel: „Sie haben Ihre Partnerin eine verdammte Hure genannt, Sie haben ihr das Telefon aus der Hand gerissen und es durch den Raum geschleudert, und dann haben Sie ihr einen Schubs gegeben, und sie ist hingefallen. Da lag sie vor Ihren Füßen; es wäre ein Leichtes gewesen, ihr einen Tritt an den Kopf zu verpassen. Jetzt haben Sie mir gerade gesagt, dass Sie zu diesem Zeitpunkt ‚völlig außer Kontrolle‘ waren, aber Sie haben sie nicht getreten. Was hielt Sie davon ab?“ Und der Klient kann mir immer einen Grund nennen. Hier sind einige übliche Erklärungen:
„Ich möchte ihr keine ernsthafte Verletzung zufügen.“
„Ich merkte, dass eines der Kinder zusah.“
„Ich hatte Angst, jemand würde die Polizei rufen.“
„Ich könnte sie umbringen, wenn ich das täte.“
„Der Streit wurde laut, und ich hatte Angst, dass die Nachbarn es hören würden.“
Und die häufigste Antwort von allen:
„Mein Gott, das würde ich nicht tun. Ich würde ihr so etwas nie antun.“
Die Antwort, die ich fast nie hörte – ich erinnere mich, dass es in all den Jahren nur zweimal vorkam – war: „Ich weiß es nicht.“
Diese unmittelbaren Antworten nehmen den Ausreden meiner Klienten, sie würden die Kontrolle verlieren, die Glaubwürdigkeit. Während sich ein Mann verbal oder körperlich missbräuchlich austobt, behält sein Geist das Bewusstsein für eine Reihe von Fragen: „Tue ich etwas, was andere Leute herausfinden könnten, sodass ich schlecht dastehe? Tue ich etwas, das mich in rechtliche Schwierigkeiten bringen könnte? Könnte ich selbst verletzt werden? Tue ich etwas, das ich selbst als zu grausam, grob oder gewalttätig erachte?“
Aus der Arbeit mit meinen ersten paar Dutzend Klienten habe ich eine wichtige Erkenntnis gewonnen: Ein Täter tut fast nie etwas, das er selbst als moralisch inakzeptabel betrachtet. Er mag das, was er tut, verbergen, weil er glaubt, andere Menschen würden dem nicht zustimmen, aber er fühlt sich innerlich gerechtfertigt. Ich kann mich nicht erinnern, dass ein Klient jemals zu mir gesagt hätte: „Ich kann das, was ich getan habe, auf keinen Fall rechtfertigen. Es war einfach völlig falsch.“ Er hat immer einen Grund, den er für gut genug hält. Kurz gesagt, das Kernproblem eines Täters ist, dass er eine verzerrte Vorstellung von Richtig und Falsch hat.
Manchmal stelle ich meinen Klienten folgende Frage: „Wie viele von Ihnen haben sich jemals wütend genug auf Ihre Mutter gefühlt, um den Drang zu verspüren, sie eine Schlampe zu nennen?“ Normalerweise hebt die Hälfte oder mehr der Gruppenmitglieder die Hand. Dann frage ich: „Wie viele von Ihnen haben schon einmal diesem Drang nachgegeben?“ Alle Hände fallen nach unten, und die Männer werfen mir entsetzte Blicke zu, als hätte ich gerade gefragt, ob sie vor Grundschulen Drogen verkaufen. Dann frage ich: „Nun, warum haben Sie es nicht getan?“ Jedes Mal, wenn ich diese Übung mache, schießt die gleiche Antwort aus den Männern heraus: „Aber du kannst deine Mutter nicht so behandeln, egal wie wütend du bist! So etwas tut man einfach nicht!“
Der unausgesprochene Rest dieser Aussage, den wir für meine Klienten ergänzen können, lautet: „Aber Sie können Ihre Frau oder Freundin so behandeln, solange Sie einen guten Grund haben. Das ist offensichtlich etwas anderes.“ Mit anderen Worten: Das Problem des Täters liegt vor allem in seiner Überzeugung, dass die Kontrolle oder der Missbrauch seiner Partnerin gerechtfertigt ist. Diese Einsicht hat enorme Auswirkungen auf die Art und Weise der Beratungsarbeit mit Tätern, wie wir im Laufe dieses Buches sehen werden.
Als ich neu in der Beratung von misshandelnden Männer war, kollidierte mein eigener Mythos vom Kontrollverlust immer wieder mit den Realitäten, die in den Geschichten meiner ersten Klienten auftauchten. Kenneth gab zu, dass er immer das Licht dimmte und dann gegenüber Jennifer behauptete, dass sich an der Helligkeit nichts geändert hätte. Er versuchte, ihr so das Gefühl zu geben, verrückt zu sein (ich erinnere mich auch, dass er mir mit seiner offenen Kritik an den anderen Gruppenteilnehmern wegen ihrer mangelnden Sensibilität gegenüber ihren Partnerinnen aufgefallen war, denn er tat dies trotz seines eigenen missbräuchlichen Verhaltens). James erzählte mir, dass er manchmal etwas versteckte, das seine Partnerin dann suchte, wie z. B. ihre Handtasche oder ihre Autoschlüssel, und er darauf wartete, dass sie auf der Suche danach verzweifelte und frustriert wurde, um es dann wieder irgendwo sichtbar hinzulegen und darauf zu bestehen, dass es die ganze Zeit dort gelegen hätte. Mario berechnete die Entfernung von seinem Haus bis zum Supermarkt, und wenn seine Frau berichtete, dass sie tagsüber einkaufen war, überprüfte er den Kilometerzähler ihres Autos, um sicherzustellen, dass sie nirgendwo anders hingefahren war.
Als meine Kollegen David und Carole einmal für eine Konferenz einen Sketch über Missbrauch vorbereiteten, beschlossen sie, ihn zur Probe ihrer Klienten-Gruppe vorzuspielen. Danach überhäuften die Gruppenmitglieder meine Kollegen mit ihren Vorschlägen zur Verbesserung des Sketches, vor allem, was Davids Rolle anging: „Nein, nein, du entschuldigst dich nicht dafür, dass du zu spät nach Hause kommst, das bringt dich in die Defensive, du musst es umdrehen und ihr sagen, dass du weißt, dass sie dich betrügt … Du stehst zu weit von ihr weg, David. Machen Sie ein paar Schritte auf sie zu, damit sie weiß, dass Sie es ernst meinen … Sie lassen sie zu viel reden. Sie müssen ihr das Wort abschneiden und bei Ihren Punkten bleiben.“ Die Kollegen waren verblüfft, wie sehr die Klienten sich der Art ihrer Taktiken bewusst sind und warum sie sie anwenden: In der Aufregung, Feedback zu dem Sketch zu geben, ließen die Männer ihre Fassade als „außer Kontrolle geratene Täter, die nicht merken, was sie tun“ fallen.
Wenn wir uns in diesem Buch die Geschichten meiner Klienten näher ansehen, werden Sie immer wieder beobachten, wie viel Bewusstsein in ihre grausamen und kontrollierenden Handlungen einfließt. Gleichzeitig möchte ich aber auch nicht, dass der Eindruck entsteht, dass misshandelnde Männer bösartig sind. Sie kalkulieren und planen nicht jeden ihrer Schritte – obwohl sie öfter vorausschauend handeln, als man erwarten würde. Es ist nicht so, dass jedes Mal, wenn ein Täter einen Stapel Zeitungen auf den Boden fegt oder einen Becher an die Wand wirft, er sich im Voraus entschlossen hat, diesen Weg einzuschlagen. Um ein passenderes Bild zu erhalten, stellen Sie sich den Täter wie einen Akrobaten in einer Zirkusmanege vor, der zwar bis zu einem gewissen Grad „außer Rand und Band“ gerät, aber nie vergisst, wo die Grenzen sind.
Wenn einer meiner Klienten zu mir sagt: „Ich bin explodiert“ oder „Ich bin einfach durchgedreht“, bitte ich ihn, in Gedanken Schritt für Schritt durch die Momente zu gehen, die zu seinem missbräuchlichen Verhalten geführt haben. Ich frage: „Sind Sie wirklich ‚einfach explodiert‘, oder haben Sie sich an einem bestimmten Punkt entschieden, sich selbst grünes Licht zu geben? Gab es nicht einen Moment, in dem Sie entschieden, dass Sie ‚genug hatten‘ oder ‚es nicht mehr hinnehmen wollten‘, und Sie sich selbst die Erlaubnis gaben, das zu tun, worauf Sie Lust hatten?“ Dann sehe ich ein Flackern des Erkennens in den Augen meines Klienten, und er gibt in der Regel zu, dass es tatsächlich einen Moment gab, in dem er alle Vorbehalte über Bord geworfen hat, um mit der Horror-Show zu beginnen.
Selbst der körperlich gewalttätige Täter zeigt Selbstbeherrschung. In dem Augenblick, in dem zum Beispiel die Polizei vor dem Haus vorfährt, beruhigt er sich meist sofort, und wenn die Beamten eintreten, spricht er in einem freundlichen und vernünftigen Ton mit ihnen. Wenn die Polizei eintrifft, findet sie fast nie einen laufenden Kampf vor. Ty, ein körperlich Gewalttätiger, der jetzt andere Männer berät, beschreibt in einem Trainingsvideo, wie er aus seiner Wut ausstieg, sobald die Polizei vor dem Haus vorfuhr, und Süßholz raspelte: „Ich erzählte ihnen, was sie getan hatte. Dann schauten sie zu ihr, und sie war diejenige, die völlig außer Kontrolle war, weil ich sie gerade erniedrigt und in Angst versetzt hatte. Ich sagte zur Polizei: ‚Sehen Sie, ich bin nicht derjenige‘“. Ty schaffte es mit seinem ruhigen Auftreten und seiner Behauptung, sich nur selbst verteidigt zu haben, wiederholt, der Verhaftung zu entkommen.
Mythos Nr. 7:
Er ist voller Wut. Er muss lernen, mit seiner Wut umzugehen.
Vor einigen Jahren durchlebte die Partnerin einer meiner Klienten ein Martyrium, weil ihr zwölfjähriger Sohn (aus einer früheren Ehe) für mehr als achtundvierzig Stunden verschwunden war. Zwei Tage lang war Mary Beths Herz kurz vor dem Zerspringen, während sie durch die Stadt fuhr, um ihren Sohn zu suchen. Voller Panik rief sie alle an, die sie kannte, und gab das Foto ihres Sohnes bei der Polizei, in Zeitungen und Radiosendern ab. Sie schlief kaum noch. Währenddessen begann ihr neuer Ehemann Ray, der in einer meiner Gruppen war, langsam innerlich zu kochen. Gegen Ende des zweiten Tages explodierte er schließlich und schrie sie an: „Ich habe es so satt, von dir ignoriert zu werden! Es ist, als würde ich gar nicht existieren! Fick dich ins Knie!“
Wenn Menschen zu dem Schluss kommen, dass Wut zu Misshandlungen führt, verwechseln sie Ursache und Wirkung. Ray hat sich nicht missbräuchlich verhalten, weil er wütend war; er wurde wütend, weil er missbräuchlich war. Missbrauchende Männer haben Einstellungen, die Wut erzeugen. Ein nicht-missbräuchlicher Mann würde nicht erwarten, dass seine Frau sich in einer so schweren Krise emotional um ihn kümmert. Vielmehr würde er sich darauf konzentrieren, wie er sie unterstützen kann, und versuchen, das Kind zu finden. Es wäre zwecklos, Ray beizubringen, eine Auszeit zu nehmen, in Kissen zu schlagen, einen zügigen Spaziergang zu machen oder sich auf tiefes Atmen zu konzentrieren, denn sein Denkprozess wird ihn bald wieder wütend machen. In Kapitel 3 werden Sie sehen, wie und warum die Haltung eines Täters ihn wütend macht.
Wenn ein neuer Klient zu mir sagt: „Ich bin wegen meiner Wut in Ihrem Programm“, erwidere ich: „Nein, sind Sie nicht, Sie sind wegen Ihres missbräuchlichen Verhaltens hier.“ Jeder wird wütend. Tatsächlich erleben die meisten Menschen zumindest gelegentlich Zeiten, in denen sie überaus wütend sind, was in keinem Verhältnis zum eigentlichen Ereignis steht oder über das hinausgeht, was gut für ihre Gesundheit ist. Manche bekommen dadurch Geschwüre, Herzattacken oder Bluthochdruck. Aber sie misshandeln ihre Partner deswegen nicht zwangsläufig. In Kapitel 3 werden wir einen Blick darauf werfen, warum misshandelnde Männer dazu neigen, so wütend zu sein – und warum ihre Wut zugleich nicht wirklich das Hauptproblem ist.
Der explosive Wutausbruch des Missbrauchstäters kann Ihre Aufmerksamkeit von all der Respektlosigkeit, Verantwortungslosigkeit, dem Gerede über Sie, der Lüge und anderen missbräuchlichen und kontrollierenden Verhaltensweisen ablenken, die er selbst dann zeigt, wenn er gerade nicht wütend ist. Ist es Wut, die so viele Missbrauchende dazu bringt, ihre Partner zu hintergehen? Führt die Wut eines Täters dazu, dass er jahrelang die Tatsache verschweigt, dass eine frühere Freundin untergetaucht ist, um von ihm wegzukommen? Ist es eine Form von Explosivität, wenn Ihr Partner Sie unter Druck setzt, Ihre Freundschaften aufzugeben und weniger Zeit mit Ihren Geschwistern zu verbringen? Nein. Vielleicht kommen seine lautesten, offensichtlichsten oder einschüchterndsten Formen des Missbrauchs zum Vorschein, wenn er wütend ist, aber sein tiefer liegendes Muster ist die ganze Zeit aktiv.
Mythos Nr. 8:
Er ist verrückt. Er ist psychisch krank; er sollte sich medikamentös behandeln lassen.
Wenn sich das Gesicht eines Mannes in Bitterkeit und Hass verzerrt, sieht er ein wenig unzurechnungsfähig aus. Wenn sich seine Stimmung von jetzt auf gleich von freudig erregt zu angriffslustig ändert, scheint seine geistige Stabilität Fragen aufzuwerfen. Wenn er seine Partnerin beschuldigt, dass sie vorhabe, ihm etwas anzutun, wirkt er paranoid. Es ist kein Wunder, dass die Partnerin eines misshandelnden Mannes den Verdacht hegt, dass er psychisch krank ist.
Dennoch ist die große Mehrheit meiner Klienten im Laufe all der Jahre vom psychologischen Standpunkt aus „normal“ gewesen. Ihr Verstand arbeitet logisch, sie verstehen Ursache und Wirkung und sie halluzinieren nicht. Ihre Wahrnehmung der meisten Lebensumstände ist ziemlich präzise. Sie haben gute Arbeitszeugnisse, sind gut in der Schule oder im Ausbildungsprogramm, und niemand außer ihren Partnerinnen und Kindern denkt, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Ihr Wertesystem ist krank, nicht ihre Psyche.
Vieles von dem, was bei einem Täter als verrücktes Verhalten erscheint, funktioniert bei ihm tatsächlich gut. Wir haben bereits Michael kennengelernt, der nie seine eigenen Sachen zerbrochen hat, und Marshall, der seinen eigenen Eifersuchtsvorwürfen nicht glaubte. Auf den folgenden Seiten werden Sie viele weitere Beispiele für die Methode finden, die hinter dem Wahnsinn des Täters steckt. Sie werden auch erfahren, wie verzerrt seine Sicht auf seine Partnerin ist – was ihn emotional gestört erscheinen lassen kann – und was die Ursache für diese Störungen ist.
Jüngste Forschungsergebnisse zeigen, dass selbst bei körperlich Gewalttätigen die Rate psychischer Erkrankungen nicht hoch ist. Mehrere meiner brutal misshandelnden Klienten wurden psychologisch untersucht, und nur bei einem von ihnen wurde eine psychische Erkrankung festgestellt. Gleichzeitig gehörten einige meiner Klienten, die ich wirklich für psychisch krank gehalten habe, nicht unbedingt zu den gewalttätigsten. Die Forschung deutet darauf hin, dass die extremsten Gewalttäter – diejenigen, die ihre Partner bis zur Bewusstlosigkeit würgen, ihnen Waffen an den Kopf halten, sie stalken und töten – eine erhöhte Anzahl an psychischen Erkrankungen aufweisen. Es gibt jedoch keinen speziellen psychischen Gesundheitszustand, der typisch für diese extremen Schläger ist. Sie können eine Reihe von Diagnosen haben, darunter Psychose, Borderline-Syndrom, manische Depression, antisoziale Persönlichkeit, Zwangsstörung und andere. (Und selbst unter den gefährlichsten Tätern gibt es viele, die keine eindeutigen psychiatrischen Symptome irgendwelcher Art aufweisen.)
Wie können all diese verschiedenen psychischen Erkrankungen so ähnliche Verhaltensmuster verursachen? Die Antwort ist, dass sie es gar nicht tun. Psychische Erkrankungen verursachen ebenso wenig missbräuchliches Verhalten wie Alkohol. Was passiert, ist vielmehr, dass das psychische Problem des Mannes mit seinem missbräuchlichen Verhalten interagiert und eine unberechenbare Kombination bildet. Wenn er zum Beispiel schwer depressiv ist, kann er aufhören, sich über die für ihn negativen Folgen seines Handelns Gedanken zu machen, was die Gefahr erhöht, dass er sich zu einem schwerwiegenden Angriff auf seine Partnerin oder seine Kinder entschließt. Ein psychisch kranker Täter hat zwei verschiedene – aber miteinander verbundene – Probleme, genau wie der Alkoholiker oder Drogenabhängige.
Das Standardwerk für psychiatrische Erkrankungen, das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV), enthält keine Erkrankungen, die gut auf missbräuchlich handelnde Männer zutreffen. Einige Kliniker erweitern eine der Definitionen, um sie auf missbrauchende Klienten anzuwenden, z. B. auf eine „intermittierende explosive Störung“, sodass die Versicherung seine Therapie übernimmt. Dennoch ist diese Diagnose fehlerhaft, wenn sie allein auf der Grundlage seines missbräuchlichen Verhaltens gestellt wird. Ein Mann, dessen destruktives Verhalten sich in erster Linie oder gänzlich auf eine Paarbeziehung beschränkt, ist ein Missbrauchstäter, kein psychiatrischer Patient.
Zwei letzte Punkte zur psychischen Erkrankung möchte ich noch anfügen: Erstens höre ich gelegentlich Aussagen über einen gewalttätigen Missbrauchstäter wie: „Er muss verrückt sein, wenn er glaubt, er käme damit durch.“ Aber leider stellt sich oft heraus, dass er damit durchkommen kann, wie wir in Kapitel 12 erörtern, sodass sein Glaube keineswegs eine Wahnvorstellung ist. Zweitens habe ich ein paar Berichte über Fälle erhalten, in denen sich das Verhalten eines Täters eine Zeit lang verbesserte, weil er von einem Psychiater verschriebene Medikamente genommen hat. Sein allgemein missbräuchliches Verhalten hörte nicht auf, aber die verheerendsten oder erschreckendsten Verhaltensweisen haben nachgelassen. Medikamente sind jedoch keine langfristige Lösung, und zwar aus zwei entscheidenden Gründen:
1. Die Missbrauchstäter lassen sich nicht gerne medikamentös behandeln, weil sie zu egoistisch sind, um die Nebenwirkungen zu ertragen, ganz gleich, wie sehr die Verbesserung ihren Partnerinnen zugutekommt. Fast immer hören sie nach einigen Monaten mit der Medikation auf.Das Medikament kann dann als weiteres Mittel für den psychischen Missbrauch eingesetzt werden. Beispielsweise kann der Täter die Einnahme seiner Pillen einstellen, wenn er wütend auf seine Partnerin ist, weil er weiß, dass sie dadurch nervös und ängstlich wird. Oder wenn er sie auf dramatische Weise angreifen will, kann er sich absichtlich eine Überdosis verabreichen, um so eine medizinische Krise auszulösen.
2. Es gibt bisher kein Medikament, das aus einem Täter einen liebevollen, rücksichtsvollen und geeigneten Partner macht. Es können nur die Spitzen seines absolut schlechtesten Verhaltens gelindert werden – wenn das überhaupt möglich ist. Wenn Ihr missbrauchender Partner Medikamente einnimmt, sollten Sie sich bewusst sein, dass Sie dadurch nur Zeit gewinnen. Nutzen Sie die (friedlichere) Zeit, um Unterstützung für Ihre eigene Heilung zu bekommen. Beginnen Sie damit, eine Beratungsstelle für misshandelte Frauen zu kontaktieren.
Mythos Nr. 9:
Er hasst Frauen. Seine Mutter oder eine andere Frau muss ihm etwas Schreckliches angetan haben.
Die Vorstellung, dass misshandelnde Männer Frauen hassen, wurde durch Susan Forwards Buch „Liebe als Leid. Warum Männer ihre Frauen hassen und Frauen gerade diese Männer lieben“ populär gemacht. Dr. Forwards Beschreibungen von misshandelnden Männern sind die genauesten, die ich gelesen habe, aber in einem Punkt irrt sie sich: Die wenigsten Missbrauchenden hassen Frauen. Sie haben oft enge Beziehungen zu ihren Müttern, Schwestern oder Freundinnen. Eine ganze Reihe von ihnen ist in der Lage, erfolgreich mit einer weiblichen Chefin zusammenzuarbeiten und ihre Autorität zu respektieren, zumindest nach außen hin.
Respektlosigkeit gegenüber Frauen ist unter missbrauchenden Männern sicherlich weit verbreitet, wobei die Einstellung dieser Männer gegenüber Frauen in einem Kontinuum anzusiedeln ist. Es gibt Männer, die mit den meisten Frauen recht konstruktiv umgehen können (solange sie nicht eng mit ihnen verbunden sind), bis hin zu solchen, die allgemein frauenfeindlich sind und die meisten Frauen, denen sie begegnen, mit Überlegenheit und Verachtung behandeln. Grundsätzlich denke ich, dass die Einstellung meiner Klienten, dass ihre Partnerinnen für ihre Bedürfnisse zuständig sind, sie selbst es aber nicht wert sind, ernst genommen zu werden, sich in der Tat darauf überträgt, wie sie andere Frauen, einschließlich ihrer eigenen Töchter, betrachten. Wir werden jedoch in Kapitel 13 sehen, dass die Missachtung, die misshandelnde Männer oft allgemein gegenüber Frauen zum Ausdruck bringen, eher von ihren kulturellen Werten und Voraussetzungen herrührt und nicht ihren persönlichen Erfahrungen als Opfer von Frauen geschuldet ist. Einige missbrauchende Männer benutzen die Ausrede, dass ihr Verhalten eine Reaktion auf eine solche Opfererfahrung sei, weil sie sich in die Lage versetzen wollen, Frauen für den Missbrauch durch Männer verantwortlich zu machen. Hier ist es wichtig, auf Forschungsergebnisse hinzuweisen, die zeigen, dass Männer, die misshandelnde Mütter haben, nicht dazu neigen, besonders negative Eigenschaften gegenüber Frauen zu entwickeln, aber dass Männer, die misshandelnde Väter haben, dies tun. Die Missachtung, die misshandelnde Männer ihren weiblichen Partnern und Töchtern gegenüber zeigen, wird oft von ihren Söhnen übernommen.
Während also eine kleine Zahl missbrauchender Männer Frauen hasst, zeigt die große Mehrheit eine subtilere – wenn auch oft recht allgegenwärtige – Einstellung der Überlegenheit oder Verachtung gegenüber Frauen. Andere wiederum zeigen überhaupt keine offensichtlichen Anzeichen von Problemen mit Frauen, bis sie in einer ernsthaften Beziehung sind.
Mythos Nr. 10:
Er hat Angst vor Intimität und dem Verlassenwerden.
Misshandelnde Männer sind oft eifersüchtig und besitzergreifend, und ihr zwanghaftes und destruktives Verhalten kann eskalieren, wenn ihre Partnerinnen versuchen, sich von ihnen zu trennen. Einige Psychologen haben sich dieses Muster flüchtig angeschaut und sind zu dem Schluss gekommen, dass Missbrauchende eine extreme Angst vor dem Verlassenwerden haben. Aber viele Menschen, Männer wie Frauen, haben Verlustängste und können vor Panik, Herzschmerz oder Verzweiflung aus der Bahn geworfen werden, wenn sie von einem Partner verlassen werden. Wenn die panische Reaktion eines Menschen auf das Verlassenwerden zu Drohungen, Stalking oder Mord führen würde, befände sich unsere gesamte Gesellschaft in einem Kriegszustand. Doch Morde von Partnern nach einer Trennung werden fast ausschließlich von Männern begangen (und es gibt fast immer eine Missbrauchs-Vorgeschichte vor der Trennung). Wenn die Angst vor dem Verlassenwerden zu Misshandlungen nach der Trennung führt, warum sind die Statistiken dann so einseitig? Haben es Frauen viel leichter mit dem Verlassenwerden als Männer? Nein, natürlich nicht. (Die wirklichen Ursachen für die extremen Verhaltensweisen, die manche Missbrauchstäter nach der Trennung anwenden, werden wir untersuchen.)