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Eng verbunden mit dem Mythos von der Verlustangst ist die Vorstellung, dass misshandelnde Männer „Angst vor Nähe“ haben. Damit versucht man zu erklären, warum die meisten Täter nur ihre Partnerin misshandeln und meist männlich sind. Nach dieser Theorie setzt der Täter sein wiederholt auftretendes grausames Verhalten ein, um seine Partnerin davon abzuhalten, ihm emotional zu nahezukommen, ein Verhalten, das in der psychologischen Fachsprache als ‚Näheregulierung‘ bezeichnet wird.
Aber diese Theorie hat mehrere Lücken. Erstens haben missbrauchende Männer ihre schlimmsten Ausbrüche gewöhnlich nach einer Periode zunehmender Spannung und Distanz, nicht in den Momenten größter Nähe. Manche halten ihre emotionale Distanz die ganze Zeit über aufrecht, sodass die Beziehung nie nahe genug kommen kann, um Ängste vor Intimität auszulösen, die sie haben könnten; dennoch geht der Missbrauch weiter. Auch in einigen Kulturen, in denen keine Erwartung an Nähe zwischen Ehemännern und Ehefrauen besteht, in denen die Ehe nichts mit einer echten emotionalen Verbindung zu tun hat, tritt die Misshandlung von Ehefrauen ebenso massiv auf. Und schließlich gibt es viele Männer, die starke Ängste vor Nähe haben, die ihre Partnerinnen aber dennoch nicht misshandeln oder kontrollieren, denn sie haben keine missbrauchende Geisteshaltung.
Mythos Nr. 11:
Er leidet unter geringem Selbstwertgefühl. Er muss sein Selbstbild stärken.
Frage 3: Liegt es daran, dass er an sich selbst leidet?
Eine misshandelte Frau neigt dazu, wertvolle Energie darauf zu verwenden, ihren misshandelnden Partner zu unterstützen und sein Ego zu pflegen, in der Hoffnung, dass sein nächster Ausbruch abgewendet werden kann, wenn er nur genügend Streicheleinheiten bekommt. Wie gut funktioniert diese Strategie? Leider nicht sehr gut. Man kann einen Missbrauchstäter nur für kurze Zeiträume im Zaum halten. Wenn man ihn lobt und sein Selbstbild stärkt, kann Ihnen das etwas Zeit verschaffen, aber früher oder später wird er wieder dazu übergehen, auf Sie loszugehen. Wenn Sie versuchen, das Selbstwertgefühl eines Täters zu verbessern, wird sein Problem tendenziell noch schlimmer. Ein Missbrauchender erwartet, dass man sich um ihn kümmert, und je mehr positive Aufmerksamkeit er erhält, desto mehr fordert er ein. Er wird nie den Punkt erreichen, an dem er zufrieden ist, an dem ihm genug gegeben wurde. Vielmehr gewöhnt er sich an die luxuriöse Behandlung, die er erhält, und er wird bald seine Forderungen nur noch verstärken.
Meinen Kollegen und mir ist diese Dynamik durch einen Fehler bewusst geworden, den wir in den ersten Jahren unserer Arbeit mit misshandelnden Männern gemacht haben. Einige Male baten wir Klienten, die in unserem Programm hervorragende Fortschritte gemacht hatten, sich im Fernsehen interviewen zu lassen oder mit einer Gruppe von Gymnasiasten zu sprechen, weil wir dachten, die Öffentlichkeit könne davon profitieren, einen Missbrauchstäter in seinen eigenen Worten über sein Verhalten und seinen Veränderungsprozess sprechen zu hören. Aber wir stellten fest, dass jedes Mal, wenn wir einem Klienten öffentliche Aufmerksamkeit ermöglicht hatten, er innerhalb weniger Tage danach einen schlimmen Ausbruch hatte, bei dem er seine Partnerin misshandelte. Er fühlte sich wie ein Star, wie ein neuer Mensch, und sein Ego wuchs enorm von all der Aufmerksamkeit, die man ihm geschenkt hatte. Zu Hause ging er dann mit Anschuldigungen und Beschimpfungen auf seine Partnerin los. Daher mussten wir aufhören, unsere Klienten zu öffentlichen Auftritten mitzunehmen.
Der Mythos vom geringen Selbstwertgefühl lohnt sich für einen Missbrauchstäter, denn er bringt seine Partnerin, seinen Therapeuten und andere dazu, sich ihm emotional zuzuwenden. Stellen Sie sich die Privilegien vor, die ein missbrauchender Mann erlangen kann: Er bekommt die meiste Zeit seinen Willen, seine Partnerin reißt sich ein Bein aus, um ihn bei Laune zu halten, damit er nicht explodiert, und verhält sich so, wie es ihm gefällt. Obendrein bekommt er noch Lob dafür, was für ein toller Kerl er ist, und jeder versucht, ihm dabei zu helfen, sich besser zu fühlen!
Natürlich kann ein Täter reumütig oder beschämt sein, nachdem er seine Partnerin brutal oder furchterregend behandelt hat, besonders wenn ein Außenstehender gesehen hat, was er getan hat. Aber diese Gefühle sind eine Folge seines missbrauchenden Verhaltens, nicht die Ursache. Je weiter die Beziehung fortschreitet, neigt der misshandelnde Mann dazu, sich mit seinem eigenen Verhalten wohler zu fühlen, und das Gefühl der Reue lässt nach, erstickt unter der Last seiner Rechtfertigungen. Er kann unangenehm werden, wenn er nicht ständig Komplimente, Bestätigung und Ehrerbietung erhält, die er zu verdienen glaubt, aber diese Reaktion basiert nicht auf Minderwertigkeitsgefühlen. Die Realität ist in der Tat eher das Gegenteil, wie wir sehen werden.
Denken Sie einen Moment lang darüber nach, wie das erniedrigende und schikanierende Verhalten Ihres Partners Ihr Selbstwertgefühl verletzt hat. Haben Sie sich plötzlich in eine brutale und explosive Person verwandelt? Wenn ein geringes Selbstwertgefühl für Sie keine Entschuldigung dafür ist, missbräuchlich zu werden, dann gilt das auch für ihn.
Mythos Nr. 12:
Sein Chef misshandelt ihn, sodass er sich ohnmächtig und erfolglos fühlt. Er kommt nach Hause und lässt es an seiner Familie aus, denn das ist der einzige Ort, an dem er sich mächtig fühlen kann.
Ich nenne diesen Mythos „Chef misshandelt Mann, Mann misshandelt Frau, Frau misshandelt Kinder, Kinder schlagen Hund, Hund beißt Katze“. Das Bild, das dadurch entsteht, scheint plausibel, aber zu viele Teile passen nicht zusammen. Hunderte meiner Klienten waren beliebte, erfolgreiche, gut aussehende Männer und nicht diese Unterdrückten, die einen Sündenbock für ihre inneren Qualen suchten. Einige der schlimmsten Täter, mit denen ich gearbeitet habe, standen ganz oben auf der Management-Leiter – ohne einen Chef, dem man die Schuld geben kann. Je mehr Macht diese Männer in ihrem Job haben, desto mehr Fürsorge und Unterwerfung erwarten sie zu Hause. Mehrere meiner Klienten haben mir das gesagt: „Ich bin es gewohnt, den Leuten bei meiner Arbeit zu sagen, wo es langgeht, daher habe ich Probleme, aus diesem Modus herauszukommen, wenn ich zu Hause bin.“ Während also einige Täter die Ausrede des „gemeinen Chefs“ benutzen, benutzen andere das Gegenteil.
Der wichtigste Punkt ist folgender: In all den Jahren meiner Arbeit auf dem Gebiet der Misshandlung hatte ich noch nie einen Klienten, dessen Verhalten sich zu Hause positiv veränderte, weil sich seine Arbeitssituation zum Besseren entwickelt hat.
Mythos Nr. 13:
Er hat schlechte Kommunikations-, Konfliktlösungs- und Stressmanagement-Fähigkeiten. Er braucht Nachhilfe.
Ein missbrauchender Mann ist nicht unfähig, Konflikte nicht-missbräuchlich zu lösen; er ist nicht willens, dies zu tun. Die Kompetenzdefizite von Missbrauchenden waren Gegenstand einer Reihe von Untersuchungen, und die Ergebnisse führen zu folgender Schlussfolgerung: Täter verfügen über normale Fähigkeiten zur Konfliktlösung, Kommunikation und Selbstbehauptung, wenn sie sich dafür entscheiden, diese einzusetzen. In der Regel überstehen sie stressige Situationen am Arbeitsplatz, ohne jemanden zu bedrohen; sie bewältigen ihre Anspannung, ohne zu explodieren, wenn sie z. B. Thanksgiving mit ihren Eltern verbringen; sie trauern offen gemeinsam mit ihren Geschwistern über den Tod eines Großelternteils. Aber sie sind nicht bereit, diese Art von Themen in nicht-missbräuchlicher Weise anzugehen, wenn es um ihre Partnerin geht. Sie können einen misshandelnden Mann mit den innovativsten New-Age-Fähigkeiten ausstatten, damit er seine tiefen Gefühle zum Ausdruck bringen, aktiv zuhören und Win-Win-Verhandlungen führen kann, doch dann wird er nach Hause gehen und sein missbräuchliches Verhalten fortsetzen. Im folgenden Kapitel werden wir sehen, warum.
Mythos Nr. 14:
Es gibt genauso viele misshandelnde Frauen wie misshandelnde Männer. Misshandelte Männer sind unsichtbar, weil sie sich schämen, sich mitzuteilen.
Es gibt mit Sicherheit einige Frauen, die ihre Partner schlecht behandeln, sie bewerten, beschimpfen und versuchen, sie zu kontrollieren. Die negativen Auswirkungen auf das Leben dieser Männer können beträchtlich sein. Aber kennen wir Männer, deren Selbstwertgefühl durch diesen Prozess allmählich zerstört wird? Sehen wir Männer, deren Fortschritt in der Schule oder in ihrer beruflichen Karriere durch die ständige Kritik und Untergrabung zum Stillstand kommt? Wo sind die Männer, deren Partnerinnen sie zu ungewolltem Sex zwingen? Wo sind die Männer, die aus Angst um ihr Leben in Schutzhäuser fliehen? Wie steht es mit denen, die versuchen, per Telefon Hilfe zu rufen, aber von der Frau aufgehalten werden oder diese die Leitung kappt? Der Grund, warum wir diese Männer im Allgemeinen nicht sehen, ist einfach: Es gibt nicht viele.
Ich stelle nicht infrage, wie peinlich es für einen Mann sein kann, sich zu outen und zuzugeben, dass eine Frau ihn misshandelt. Aber unterschätzen Sie nicht, wie gedemütigt sich eine Frau fühlt, wenn sie den Missbrauch offenbart. Frauen sehnen sich genauso sehr nach Würde wie Männer. Wenn Scham die Leute davon abhalten würde, sich zu melden, würde es niemand tun.
Selbst wenn misshandelte Männer sich nicht melden wollten, wären sie schon längst entdeckt worden. Nachbarn stellen sich nicht mehr taub, wenn sie Missbrauch wahrnehmen, so wie es noch vor dreißig oder vierzig Jahren der Fall war. Wenn heute jemand Schreie hört oder mitbekommt, wie Gegenstände gegen die Wand geworfen werden oder jemand verprügelt wird, wird die Polizei gerufen. Von meinen körperlich misshandelnden Klienten wurde fast ein Drittel aufgrund eines Anrufs bei der Polizei verhaftet, der von jemand anderem als der misshandelten Frau kam. Wenn es Millionen von eingeschüchterten, zitternden Männern unter uns gäbe, würde die Polizei sie finden. Misshandelnde Männer spielen in der Regel gerne die Rolle des Opfers, und die meisten Männer, die behaupten, „misshandelte Männer“ zu sein, sind in Wirklichkeit die Gewalttäter und nicht die Opfer.
In ihren Bemühungen, den Opferstatus anzunehmen, versuchen meine Klienten, die verbale Dominanz ihrer Partnerin zu übertreiben: „Natürlich kann ich einen körperlichen Kampf gewinnen, aber sie ist viel besser mit dem Mundwerk als ich, also würde ich sagen, das gleicht sich aus.“ (Ein extrem gewalttätiger Mann sagte in seiner Gruppensitzung: „Sie sticht mir mit ihren Worten ins Herz“, um die Tatsache zu rechtfertigen, dass er seine Partnerin mit einem Messer in die Brust gestochen hatte.) Aber Missbrauch ist kein Kampf, den man gewinnt, wenn man sich besser ausdrücken kann. Man gewinnt ihn, indem man besser in Sarkasmus, Herabsetzungen, Verdrehung der Tatsachen und anderen Kontrolltaktiken ist – eine Kampfarena, in der meine Klienten ihre Partnerinnen wie bei einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit links niedermachen. Wer kann einen Täter in seinem eigenen Spiel schlagen?
Männer können jedoch von anderen Männern misshandelt werden, ebenso Frauen von anderen Frauen, manchmal durch Mittel, die körperliche Einschüchterung oder Gewalt einschließen. Wenn Sie schwul oder lesbisch sind, der/die vom Partner bzw. von der Partnerin misshandelt wurde oder aktuell Missbrauch ausgesetzt ist, wird Ihnen das meiste, was ich in diesem Buch erläutere, bekannt vorkommen. Es ist naheliegend, dass die „er und sie“-Bezeichnungen, die ich in diesem Buch verwende, nicht zu Ihrer Erfahrung passen, aber die zugrunde liegende Dynamik, die ich beschreibe, trifft weitgehend zu. Wir werden dieses Thema in Kapitel 6 weiter untersuchen.
Mythos Nr. 15:
Die Misshandlung ist für den Mann, der sie begeht, genauso schlimm wie für seine Partnerin. Sie sind beide Opfer.
Meine Klienten überwinden den durch die Missbrauchsvorfälle hervorgerufenen Schmerz sehr viel schneller als ihre Partnerinnen. Erinnern Sie sich an Dale aus Kapitel 1, der mir gegenüber darauf bestand, dass die ersten zehn Jahre seiner Ehe reibungslos verlaufen seien, während Maureen von zehn Jahren voller Beleidigungen und Grausamkeiten erzählte? Natürlich ist es kein zuträglicher Lebensstil, seine Partnerin zu misshandeln, aber die negativen Auswirkungen können den emotionalen und körperlichen Schmerzen, dem Freiheitsverlust, den Selbstvorwürfen und zahlreichen anderen Schatten, die der Missbrauch auf das Leben seiner weiblichen Zielperson wirft, nicht das Wasser reichen. Anders als Alkoholiker oder Süchtige erreichen misshandelnde Männer keinen „Tiefpunkt“. Sie können über zwanzig oder dreißig Jahre lang misshandeln, ohne dass ihre Karriere darunter leidet. Ihre Gesundheit bleibt stabil und ihre Freundschaften bleiben bestehen. Wie wir in Kapitel 6 sehen werden, profitieren Täter tatsächlich in vielerlei Hinsicht eher von ihrem Kontrollverhalten. Ein Täter kann sein Opfer bei psychologischen Tests, die bei Sorgerechtsstreitigkeiten routinemäßig erforderlich sind, meist übertreffen, da er nicht derjenige ist, der durch jahrelange psychische oder physische Übergriffe traumatisiert wurde. Niemand, der den tragischen Berichten misshandelter Frauen aufmerksam zuhört und dann die Täter jede Woche in einer Beratungsgruppe erlebt, wie meine Kollegen und ich es tun, würde sich zu der Annahme hinreißen lassen, dass das Leben für die Männer ebenso hart ist.
Mythos Nr. 16:
Er ist missbrauchend, weil er massiv gesellschaftlicher Diskriminierung und dem Gefühl ausgesetzt war, als Mann anderer ethnischer Herkunft machtlos zu sein. Deswegen muss er sich zu Hause mächtig fühlen.
In Kapitel 6 gehe ich unter „Ethnische Unterschiede bei Missbrauchstätern“ ausführlich auf dieses Thema ein, sodass ich hier nur einen kurzen Überblick gebe. Erstens ist die Mehrheit der misshandelnden Männer weiß, viele von ihnen sind gut gebildet und wirtschaftlich privilegiert, sodass Diskriminierung keine zentrale Ursache für Partnermissbrauch sein kann. Zweitens könnte ein Mann, wenn er selbst Unterdrückung erfahren hat, ebenso gut ein größeres Verständnis für die Notlage einer Frau aufbringen als weniger, wie dies bei Kindesmissbrauch der Fall ist (siehe Mythos Nr. 1). Obwohl die Diskriminierung von Migranten nach wie vor ein außerordentlich ernstes Problem darstellt, sollte sie nicht als Ausrede für den Missbrauch von Frauen hingenommen werden.
Mythos Nr. 17:
Der Alkohol ist es, der ihn missbräuchlich macht. Wenn ich ihn dazu bringen kann, nüchtern zu bleiben, wird unsere Beziehung gut.
So viele Männer tarnen ihr missbräuchliches Verhalten unter dem Deckmantel des Alkoholismus oder der Drogensucht, dass ich mich entschlossen habe, das Thema Sucht in Kapitel 8 eingehend zu behandeln. Der wichtigste zu beachtende Punkt ist folgender: Alkohol produziert keinen Missbrauchstäter, und Nüchternheit kann ihn nicht heilen. Der einzige Weg, wie ein Mann sein missbräuchliches Verhalten überwinden kann, ist, sich mit seinem Verhalten auseinanderzusetzen. Und es sind nicht Sie, die Ihren Partner „in die Lage versetzen“, Sie zu misshandeln; er ist für seine Handlungen voll und ganz selbst verantwortlich.
Wir haben nun unseren Rundgang durch das Museum der Mythen über misshandelnde Männer abgeschlossen. Vielleicht fällt es Ihnen schwer, diese Missverständnisse hinter sich zu lassen. Ich selbst hing vor Jahren an meinen eigenen Mythen, aber die Missbrauchstäter zwangen mich immer wieder, mir die Realität anzuschauen, auch wenn sie es hartnäckig vermieden, dies selbst zu tun. Wenn Sie es mit einem Mann zu tun haben, der Sie tyrannisiert oder niedermacht, fühlen Sie sich vielleicht noch verwirrter als vor der Lektüre dieses Kapitels. Vielleicht denken Sie: „Aber wenn dies nicht die Ursachen für sein Problem sind, woher kommt es dann?“
Unser nächster Schritt besteht also darin, die verwirrenden Puzzleteile, die wir gerade sortiert haben, wieder sorgfältig zu einem kohärenten Bild zusammenzusetzen. Während wir dies tun, werden Sie nach und nach erleichtert die Mythen hinter sich lassen, die Ihnen jetzt den Blick verstellen. Eine belebende Klarheit kann Sie stattdessen erfüllen, und das Rätsel, an dessen Schaffung die Täter so hart arbeiten, wird verschwinden.
Wichtige Punkte, die Sie sich merken sollten
• Die emotionalen Probleme eines misshandelnden Mannes sind nicht der Grund für sein missbräuchliches Verhalten. Sie können ihn nicht ändern, indem Sie versuchen herauszufinden, was ihn belastet, oder ihm zu helfen, sich besser zu fühlen, um die Dynamik Ihrer Beziehung zu verbessern.
• Es sind nicht die Gefühle, die missbräuchliches oder kontrollierendes Verhalten bestimmen, sondern die treibenden Kräfte sind Überzeugungen, Werte und Gewohnheiten.
• Die Gründe, die ein misshandelnder Mann für sein Verhalten angibt, sind lediglich Ausreden. Es gibt keine Möglichkeit, ein Problem mit Misshandlungen zu überwinden, indem man sich auf Ausflüchte wie geringes Selbstwertgefühl, Schwierigkeiten bei Konfliktlösungen, bei der Wutbewältigung oder Impulskontrolle fokussiert. Missbräuchliches Verhalten kann nur überwunden werden, wenn man sich damit auseinandersetzt.
• Missbrauchende sind erfolgreich darin, Verwirrung zu stiften, einschließlich der Verwirrung über den Missbrauch selbst.
• Mit Ihnen ist alles in Ordnung. Das Missbrauchsproblem Ihres Partners ist sein eigenes.
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Die missbräuchliche Mentalität
Seine Einstellung scheint immer zu sein: „Du schuldest mir etwas.“
Er schafft es, alles so zu verdrehen, dass es meine Schuld ist.
Ich fühle mich von ihm erdrückt. Er versucht, mein Leben zu bestimmen.
Alle scheinen zu denken, er sei der Größte. Ich wünschte, sie könnten die Seite von ihm sehen, mit der ich leben muss.
Er sagt, er liebt mich über alles. Warum behandelt er mich dann so?
Chronische Misshandlung bringt die Betroffenen dazu, an sich selbst zu zweifeln. Kinder von misshandelnden Eltern wissen, dass etwas nicht stimmt, aber sie vermuten, dass das Schlechte in ihnen steckt. Angestellte eines ausfälligen und beleidigenden Chefs verbringen einen Großteil ihrer Zeit in dem Gefühl, einen lausigen Job zu machen, dass sie klüger sein und härter arbeiten sollten. Jungen, die schikaniert werden, haben das Gefühl, dass sie stärker sein oder weniger Angst vorm Kämpfen haben sollten.
Wenn ich mit einer misshandelten Frau arbeite, ist es mein erstes Ziel, ihr zu helfen, wieder Vertrauen zu sich selbst zu gewinnen, sie dazu zu bringen, sich auf ihre eigene Wahrnehmung zu verlassen und auf ihre eigene innere Stimmen zu hören. Man braucht eigentlich keinen „Missbrauchsexperten“, um sich von ihm sein Leben erklären zu lassen. Was Sie vor allem brauchen, ist etwas Unterstützung und Ermutigung, an Ihrer eigenen Wahrheit festzuhalten. Ihr missbrauchender Partner will Ihre Wahrnehmung leugnen. Er will Ihnen Ihre Sicht von der Realität aus dem Kopf merzen und sie durch seine ersetzen. Wenn jemand auf diese Weise oft genug in Ihr Selbstverständnis eingedrungen ist, verlieren Sie zwangsläufig mit der Zeit Ihr Gleichgewicht. Aber Sie können Ihren Weg zurück zu Ihrer Mitte wiederfinden.
Ein Täter schafft eine Vielzahl von Missverständnissen, um seine Partnerin dazu zu bringen, an sich selbst zu zweifeln, und um es ihm zu ermöglichen, sie in eine Sackgasse zu führen. Nachdem wir diese Mythen ausgeräumt haben, können wir uns nun auf die Wurzeln seines erniedrigenden Verhaltens konzentrieren. Ich denke, Sie werden sie erkennen.
Die Erkenntnisse, die ich auf den folgenden Seiten erläutere, habe ich vor allem durch die misshandelten Frauen selbst gewonnen, welche die wahren Missbrauchsexperten sind. Meine anderen Lehrer waren meine missbrauchenden Klienten, die uns jedes Mal, wenn sie versehentlich ihr wahres Denken offenbaren, uns mehr Klarheit verschaffen.
Tatsache Nr. 1:
Er kontrolliert.
Mein Klient Glenn kam eines Abends verärgert und aufgeregt zur Gruppensitzung. Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus:
Freitagnachmittag hat Harriet mich angeschrien und gesagt, dass sie bald ausziehen werde. Dann ist sie übers ganze Wochenende weggefahren und hat meinen zweijährigen Sohn mitgenommen. Sie hat mir wirklich wehgetan. Also beschloss ich, ihr auch wehzutun. Ich habe etwas gesucht, das ihr wirklich wichtig ist, um ihr zu zeigen, wie es sich anfühlt. Sie hatte eine Woche lang an diesem Aufsatz fürs College gearbeitet, hatte viele Stunden darin investiert und wollte ihn am Montag abgeben. Sie ließ die Papiere direkt auf ihrer Kommode liegen, als fordere sie mich geradezu heraus. Also zerriss ich alles in kleine Stücke. Dann zerstörte ich einen Haufen Bilder von uns dreien und ließ alles in einem schönen Haufen auf dem Bett liegen, damit sie es gleich sehen würde. Ich glaube, sie hat daraus gelernt.
Glenn war mir gegenüber bemerkenswert ehrlich, was seinen Denkprozess und seine Motive angeht, wahrscheinlich weil er sich so sehr im Recht fühlte. Er glaubte an sein Recht, die Handlungen seiner Partnerin zu kontrollieren. Er bestand darauf, das letzte Wort zu haben, und er akzeptierte keine Missachtung. Er fühlte sich im Recht, Harriet zu bestrafen – und zwar so massiv, wie er es sich nur vorstellen konnte –, wenn sie Schritte unternahm, wieder Herrin ihres Lebens zu werden. Stolz sprach er darüber, wie er ihr verschiedene Freiheiten „zugestanden“ hatte, während sie zusammen waren, als wäre er ihr Vater, und er verteidigte sein Recht, ihr ihre Privilegien zu entziehen, wenn er der Meinung war, dass es an der Zeit war.
Kontrolle zeigt sich in vielen verschiedenen Formen. Einige meiner Klienten waren so extrem kontrollierend, dass sie als Militärkommandeure hätten durchgehen können. Russell zum Beispiel ging so weit, dass er von seinen Kindern verlangte, jeden Morgen vor der Schule Gymnastik zu machen. Seine Frau durfte ohne seine Erlaubnis mit niemandem sprechen, und er schickte sie morgens in ihr Zimmer zurück, damit sie sich etwas anderes anzog, wenn er mit ihrer Kleidung nicht einverstanden war. Beim Abendessen lehnte er sich zurück und kommentierte wie ein Restaurantkritiker die Stärken und Schwächen der Gerichte, die sie zubereitet hatte, und er beauftragte sie regelmäßig, in die Küche zu gehen, um etwas für die Kinder zu holen, als wäre sie eine Kellnerin.
Russells Manier befand sich allerdings an einem extremen Ende des Spektrums der Verhaltenskontrolle. Die meisten meiner Klienten stecken ein gewisses Gebiet ab, um es zu kontrollieren, wie ein Forschungsreisender, der Anspruch auf ein bestimmtes Stück Land erhebt, ohne alles kontrollieren zu wollen. Es gibt Täter, die verbissen jeden Streit gewinnen wollen, die aber ihre Partnerinnen in Ruhe lassen, wenn es um ihre Kleidung geht. Andere Männer gestehen ihrer Partnerin zu, mit ihm zum Beispiel über die Kinder zu diskutieren, doch wenn sie sich weigert, ihn den Fernsehsender wechseln zu lassen, wenn er das will, dann ist Vorsicht geboten. (Dutzende meiner Klienten haben mit Fernbedienungen geworfen oder sie zertrümmert. Das Fernsehen wird von vielen Tätern streng kontrolliert.) Es gibt kontrollierende Männer, die eine Ausgangssperre für ihre Partnerin verfügen, während andere ihrer Partnerin zugestehen, zu kommen und zu gehen, wie sie will – solange sie ihm seine Mahlzeiten zubereitet und seine Wäsche wäscht.
Die Kontrollbereiche
Das Kontrollverhalten eines missbräuchlichen Mannes betrifft meist einen oder mehrere der folgenden zentralen Bereiche:
Auseinandersetzungen und Entscheidungsfindung