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"Na endlich, kommst du?", fragte er ungeduldig und stieß sich von der Wand weg.
"Man Tom, wir haben Zeit. Hast du vergessen dass du heute frei hast?"
Er nickte und nahm meine Hand.
Ich hatte so viele Pläne für heute, wollte spazieren gehen, in der Stadt Kaffeetrinken, Tretboot fahren und das Leben genießen.
"Okay Baby, was willst du zuerst machen?", fragte er mich, während er den Arm beschützend um mich legte.
"Ich brauch erst mal einen Kaffee", und ich dachte sehnsüchtig an dieses wunderbare Getränk, das ich so liebte.
"Aber zuerst hab ich noch eine Überraschung für dich", sagte er mit einem verschmitzten Lächeln auf dem Gesicht.
Jetzt war ich wirklich gespannt. Er war so süß und lieb zu mir, das war eigentlich mehr, als ich verdiente, aber wer hatte schon etwas gegen eine Überraschung?
Er fummelte an seiner Hosentasche herum und ich malte mir schon aus, dass es die kleinen Perlenohrringe waren, die ich ihm letztens in einem schönen kleinen Laden gezeigt hatte, oder aber den Ring mit dem Diamanten? Könnte es wirklich sein, dass er mir hier und jetzt einen superromantischen Heiratsantrag machen würde?
Während er immer noch mit seiner Hosentasche kämpfte, malte ich mir aus, wie ich wohl in einem Hochzeitskleid aussehen würde. Ein weißes? Oder ein ganz romantisches in rosé? Und Tom im Anzug… mhmmmm.
"Süße, da wir ja jetzt schon eine Zeitlang zusammen sind, hab ich mir was ausgedacht…", fing er an und ich strahlte übers ganze Gesicht. Gleich wird er es sagen. Gleich wird er die Worte sagen, die mein Leben endgültig vollkommen machen würden.
"Also ich wollte dich fragen, ob du…" Ich zitterte und ich konnte nicht anders: "Ja Tom, ich will!"
Einen Moment sah er mich verwundert an und zog etwas aus seiner Hosentasche hervor. Und er stand einfach nur so da. Es war nicht richtig so.
"Nein nein Schatz. Du musst dich hinknien, das ist nicht romantisch", meinte ich fast schon enttäuscht.
Und bevor er nun endlich die Worte sagen würde, sah ich auf seine Hand und als ich erkannte, was es war, war ich schon fast den Tränen nahe.
"Was ist das?"
"Nun, ich hab mir gedacht, wir haben uns noch fast nie zusammen diese Insel angesehen hab ich uns das hier ausgeliehen, damit wir uns mal Rügen anschauen können."
Er deutete an mir vorbei auf etwas. Als ich mich umdrehte, blieb mir fast der Atem weg, so enttäuscht war ich.
Da stand sie. Eine schwarze Vespa, die eigentlich ganz schön war, unter anderen Umständen vielleicht, in einem anderen Leben vielleicht.
"Äääh…", mehr brachte ich nicht heraus und Tom deutete es wohl als einen Ausdruck der Freude, denn ein breites Lächeln erscheint auf seinem Gesicht.
"Und wie findest du sie?"
Begeistert ging er zu der Vespa und schloss sie auf.
"Äääh…", machte ich immer noch, da ich nicht wusste, was ich sagen sollte.
"Wow Ave. Deine Begeisterung hält sich ja mal wieder in Grenzen."
Er klang etwas beleidigt und ich schreckte aus meiner Starre.
Ich überbrückte die kurze Strecke zu ihm und der Vespa und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
"Schatz. Sie ist wirklich ein Traum. Aber du hast doch ein Auto?", fragte ich unsicher, während er sich wieder aufrichtete und zwei Helme in der Hand hielt.
Der eine war pink. Ernsthaft. Es war ein richtig schönes Pink und sofort konnte ich wieder lächeln. Wahnsinn, was hatte ich nur für einen tollen Freund (hoffentlich bald Verlobten)? Hatte ich nicht ein Glück?
"Die ist doch nicht für mich"… Erleichtert atmete ich aus. Er hatte sie also nur gemietet.
"Sie ist für dich."
Ich zuckte zusammen. Für mich?
"Waaas?" Ich war echt schockiert. Er schien es in meinem Gesicht ablesen zu können, denn er kam auf mich zu und hielt mir seine Lippen für einen Kuss hin. Er dachte doch ernsthaft, dass ich mich darüber freuen würde.
"Komm Süße, machen wir uns einen schönen Tag. Und sei so gut und tu wenigstens so als würdest du es genießen."
Ich nickte nur und er schwang sich auf die Vespa, mich an der Hand mitziehend. Langsam setzte ich den Helm auf, darauf bedacht meine Haare nicht zu zerdrücken und setze mich hinter ihn.
Und los ging's. Es war eindeutig viel zu schnell für meine Verhältnisse. Ich drückte mich an ihn und umklammerte ihn so fest, dass er sich unterm Fahren zu mir umdrehte und einen schmerzenden Gesichtsausdruck aufsetzte.
"Schau nach vorne um Himmels Willen!", schrie ich durch den Fahrtwind und er lachte nur.
"Ich meins ernst!" Ich zwickte ihn zur Bestätigung in die Taille.
Das half, denn er sah wieder auf die Straße.
Ich wusste nicht wo er hinfuhr und ich ließ mich überraschen. Vielleicht kam ich ja doch noch zu meinem romantischen Heiratsantrag im Sand, mit Picknick, Champagner und langsam geht die Sonne unter. Hach, herrlich.
Wir fuhren aus der Stadt heraus und ganz ehrlich, es gefiel mir. So schnell von einem Ort zum anderen kommen und dabei den Wind in meinen Haaren spüren, das Kribbeln, das sich langsam von Angst in unbändige Freude verwandelte. Ich lockerte den Griff um Toms Taille und stieß einen Schrei aus.
Er erschrak zwar kurz, aber er stimmte bald in mein Lachen ein. Eigentlich war es ja ein wirklich schönes Geschenk. Einfach frei sein.
Ich drückte mein Gesicht in seinen Nacken und küsste ihn, so gut es der Helm zuließ. Plötzlich verlangsamte er das Tempo und ich blickte wieder hoch.
Wir kamen an die Küste Rügens und ich sah die hohen Kreidefelsen. Ich liebte diese Insel. Mein Zuhause.
Ein bisschen zerzaust stellten wir die Vespa am Strand ab und liefen bis hin zum Meer. Er hatte mich an eine Stelle geschleppt, wo absolut niemand war. Keiner. Er kannte viele solche Stellen.
"Du siehst etwas verschwitzt aus, Liebes. Wie wäre es mit ein bisschen Abkühlung?", rief er und packte mich an der Hüfte, hob mich hoch und warf mich über seine Schulter, als würde ich nichts wiegen.
Ich kreischte wie wild, als er mich in das kühle Wasser warf.
Er lachte und sprang zum Strand zurück, zog sich seine Hose und sein Hemd aus, bis er nur noch mit der schwarzen, engen Boxershort dastand, in der er einfach unwiderstehlich aussah.
Ich rappelte mich auf und lief ihm nach.
"Du Idiot! Schau nur, wie ich jetzt aussehe. Ganz nass!"
Ein leises Lächeln erklang und er setzte seinen Verführerblick auf.
"Dann musst du aus den nassen Sachen raus, wir wollen doch nicht, dass du krank wirst..."
Seine Augen blitzten, als seine Hände anfingen, mir das Wasser aus dem Gesicht zu streichen, hinunter über meine Haare und meinen Hals.
Dann wanderten sie weiter über meine Brüste zu meinem Bauch. Sanft zog er mich an sich und es war elektrisierend, ihn so nah bei mir zu spüren, während das Wasser aus meinen Haaren auf meine Schultern tropfte.
Ich gab ihm einen kleinen Stoß mit meinen Händen und er plumpste auf den Sand.
Zur Strafe kitzelte er mich durch, bis ich keine Luft mehr bekam.
Eine Weile lagen wir so da, er auf dem Rücken und ich auf seinem Arm neben ihm. Um mich zu ärgern spannte er seine Muskeln immer wieder an, sodass mein Kopf von seinem Arm in den heißen Sand rutschte.
Die Sonne auf meiner Haut und Toms Atem in meinem Haar zu spüren zauberte mir ein Lächeln auf meine Lippen.
Er flüsterte mir zärtliche Worte ins Ohr und die Sonne war nur durch den leichten Sommerwind zu ertragen.
"Tom?", fragte ich ihn vorsichtig, da ich nicht wusste, ob er eingeschlafen war.
Ein Brummen erfüllte seinen Brustkorb und ich musste lächeln.
"Du, ich weiß, dass das noch früh ist, aber ich würde so gerne mal über unsere Zukunft reden."
Er setzte sich auf und sah mich an.
"Was soll damit sein?"
Ich räusperte mich und sah betroffen auf den Boden, schubste mit dem Finger kleine Sandkörnchen von meinen Beinen und er hob mein Kinn mit beiden Händen an.
"Hast du gedacht, ich frag dich, ob du mich heiraten willst?", platze er plötzlich heraus.
Schockiert riss ich die Augen auf und wollte schon meinen Mund zu einem Nein formen, als er mir zuvor kam.
"Ich weiß es, du brauchst es nicht leugnen. ´Ja, ich will´ ", äffte er mir mit einer sehr gut getroffenen Stimme von mir nach.
"Ach Ave. Du bist noch so jung."
"Also bitte, so viel älter als ich bist du auch nicht!", fauchte ich ihn an und mir war das alles so unendlich peinlich. Ich drehte den Kopf weg, doch er hielt ihn mit einem eisernen Griff fest und zwang mich, ihn anzusehen.
"Ist das so abwegig? Liebst du mich denn nicht?", flüsterte ich und hatte schon Angst vor der Antwort.
"Klar lieb ich dich, aber Ave, schau du bist grad mal 20 und hast noch so viel Zeit im Leben. Warum willst du dich genau jetzt für immer an mich binden?"
Weil ich dich liebe, wollte ich sagen, aber ich brachte es nicht über die Lippen.
"Tomas, weißt du, wie mein Plan vom Leben aussieht, seit ich dich getroffen hab? Dich heiraten, am liebsten fünf Kinder mit dir haben und ihnen beim Großwerden zusehen und sie niemals im Stich lassen, so wie meine Eltern es getan haben. Denn das ist das Schlimmste, was einem Kind passieren kann." Meine Stimme brach ab und meine Augen füllten sich ungewollt mit Tränen. Mann, ich war doch sonst nicht so nah am Wasser gebaut…
Sein Mund verzog sich zu einem gekünstelten Lächeln.
"Ich glaube, ich sollte etwas klarstellen zwischen uns. Ich liebe dich, wie ich noch nie jemanden geliebt habe, kleine Avenae, aber um zu heiraten find ich das Ganze noch nicht besonders genug. Und Kinder, Kinder will ich überhaupt keine. Weißt du, ich hab so viel gesehen. Einmal hab ich einen verhaftet, der sein ganzes Zimmer voller selbstgedrehter Kinderpornos hatte. Glaubst du, in so eine Welt mag ich ein Kind setzen? Nein, ganz sicher nicht. Es tut mir leid."
Seine Worte trafen mich so hart, dass ich zurückzuckte und aufsprang. Er war so überrascht, dass er nach hinten fiel, rappelte sich aber erstaunlich schnell wieder auf und blickte mich von oben herab an.
"So denkst du also über mich? Dass ich dir nicht wichtig genug bin?", schrie ich ihn an und jetzt war mein Image als kalte, unnahbare, starke Frau tatsächlich hinüber, denn die Tränen rannen mir nun unaufhaltsam die Wangen hinunter.
Einen Moment blieb sein Blick noch kalt, doch dann wurde er weicher und er zog mich in den Arm.
"Tut mir leid. Das war blöd ausgedrückt. Ich wollte eigentlich sagen, dass mir das alles noch zu früh ist. Wir sind seit ein paar Monaten zusammen. Warum willst du unbedingt heiraten? Das ist doch nur ein kleines Stück Papier. Was ist so besonders daran?"
Toll. Ich wollte ihm gerade erklären, was so besonders und romantisch an Heiraten war, als sein Handy klingelte.
Er versteifte sich und ließ mich los. Sein Blick war echt mitfühlend, aber Wut bahnte sich von meinem Bauch aus durch meinen ganzen Körper.
Er zog sein Handy aus seiner Hose, die am Boden lag und drehte sich weg. Mit einer Handbewegung bedeutete er mir, zu warten, doch ich wollte nicht warten um mir meine Vorstellung von einem schönen Leben noch mehr zerplatzen zu lassen.
Ich bückte mich und hob meine Sachen hoch und blickte mich nach Tom um. Er stand ein paar Meter weiter weg und flüsterte energisch ins Telefon. Ich wusste was das bedeutete. Es war wieder irgendein Notfall und er musste weg.
Mein Verdacht bestätigte sich, als er sich zu mir umdrehte und meinen Blick erkannte.
Schnell schlüpfte ich in die Bluse und den dunklen Rock. Ich konnte noch hören wie er sagte: "Ich bin sofort da" und schon rannte ich über den Strand zurück zu der Vespa, ohne Tom auch nur eines Blickes zu würdigen. So schnell konnte es gehen. Ich rate euch, verliebt euch nie in einen Polizisten, verliebt euch am besten nie in irgendwen. Fahrig setzte ich mir den pinken Helm auf und wollte starten, als meine Hände ins Leere griffen.
Der Schlüssel. Warum hatten eigentlich alle Schlüssel ein Problem mit mir und waren nie da, wenn ich sie brauchte?
Etwas klapperte vor meinem Kopf herum. Da war er ja! Ich wollte danach greifen, aber meine Hände griffen wieder nur Luft.
Ich sah Tom an, der den Schlüssel immer wieder lässig in seine Hand schnappen ließ. Er hatte sich sein Hemd nur flüchtig über die Schultern gestreift und seine Hose hing ihm ein bisschen zu tief, was daran lag, dass sie offen stand. Aber nein, ich würde mich nicht von diesem Anblick ablenken lassen.
"Gib her!"
"Ach, Ave. Es tut mir leid, wirklich, aber ich kann dich nicht fahren lassen. Du hast keinen Führerschein", grinste er und mein Herz sackte in die Hose, bzw. in meinem Fall in den Rock.
"Das kannst du doch nicht ernst meinen! Und doch, ich hab einen ob du es glaubst oder nicht. Und jetzt gib her...", schrie ich ihn an, was ihn total kalt ließ, denn er setzte sich mit betonter Langsamkeit den Helm über den Kopf und quetschte sich vor mich auf den heißen Sitz der Vespa.
Er startete. "Du solltest dich lieber festhalten", sagte er und ich dachte gar nicht dran. Sicher nicht.
Ich änderte meine Meinung schnell, als ich auf die Straße plumpste, weil er extra fest Gas gegeben hatte.
Wütend rappelte ich mich auf, setzte mich hinter ihm, wobei ich ihm ausversehen in die Nieren boxte und wir fuhren los.
Vor unserem Haus blieb er stehen.
Ich schwang mich von der Vespa und er hielt meine Hand fest, bevor ich weglaufen konnte.
"Ave, lass uns abends weiterreden, okay? Ich weiß, das war hart, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ich dich liebe. Das weißt du doch, oder?"
Er wollte mich zu sich hinziehen, um mich zu küssen, doch ich stemmte mich mit aller Kraft gegen ihn und dann drückte er mir zum Abschied einen Kuss auf meine Hand und fuhr weiter zur Polizeistation. Na toll. Jetzt steh ich hier, wie der begossene Pudel, nur ein trockener Pudel und meine Haare sahen bestimmt katastrophal aus.
Nachdem ich eine Weile vor der Tür gestanden war und mich die Leute komisch ansahen (Was vielleicht auch daran lag, dass ich meine Bluse falsch zugeknöpft hatte) und ein kleines Mädchen hinter hervorgehaltener Hand murmelte: "Mami, gugg dir die mal an! Die ist bestimmt auch in einen Brunnen gefallen, ob ihre Mami auch so schimpft wie du?", ging ich in das kühle Haus und rannte die Treppen hoch.
In meinem Zimmer schmiss ich mich auf den Boden. Tom hasste es so sehr an mir, wenn ich bockte, doch es war mir egal. Ich reagierte nicht auf die Anrufe und schaltete mein Handy wütend ab. Es kam immer irgendwas dazwischen. Wollte ich wirklich so weitermachen und vor allem nachdem er mir gesagt hatte, was er von unserer Beziehung eigentlich hielt?
Und dann dachte ich daran, dass es wahrscheinlich nie wieder anders werden würde. Was hätte ich davon, wenn ich meine Beziehung zu Tom aufgab und wieder alleine wäre?
Nein, in diesem Fall war ich vielleicht ein wenig egoistisch aber ich wollte auf keinen Fall wieder alleine sein.
Na gut, das Schicksal hatte mich soweit, dass ich wieder aufstand, mich umzog und einen Entschluss fasste. Ich würde Tom besuchen. Was sollte ich sonst den ganzen Tag machen? Vielleicht könnte ich Nadine, meiner Betreuerin in meiner derzeitigen Abteilung ein bisschen Ablage abmurksen.
Mit einem frischen Shirt und Jeans fuhr ich mit meinem Fahrrad zum Polizeipräsidium.
Ich stellte es ab und ordnete meine Haare, die hoffentlich nicht allzu zerzaust waren und meine Gedanken, die ich einigermaßen aus dem Chaos lockte.
Dann straffte ich die Schultern und stapfte selbstbewusst in das Präsidium.
స 4 స
Viele grüßten mich auf meinem Weg und einige sahen mich verwirrt an.
Da war Theo, ein ziemlich guter Polizist, der unglaublich dick, aber auch unglaublich nett war. Ich fragte mich jedes Mal, wenn ich ihn sah, ob er noch Verbrechern hinterherjagte oder vorher einen Herzinfarkt bekommen würde.
"Nanu, wo kommst du denn her? Hast du heute nicht frei?", fragte er und musterte mich belustigt.
"Ja eigentlich schon, aber ich besuche Tom."
Ich lächelte ihm zu und ging weiter. Leise murmelte er hinter mir: "Jaja, die junge Liebe. Was würde ich geben, um noch einmal jung zu sein..."
Den Weg kannte ich auswendig und ich ging in Toms Büro, ohne vorher anzuklopfen.
Es war stickig und alle standen zusammen um eine Pinnwand an der Bilder hingen.
Schlagartig verstummte Toms Team und starrte mich an.
Nach einem kurzen Schockmoment lächelte Tom gezwungen und ich ging weiter in das Großraumbüro hinein.
Toms Team bestand aus zwei Frauen, die eine blond, Nikole und die andere mit roten Locken, Dana, und vier Männern. Phil, Alex, Andi und Flo. Ich kannte sie alle und hatte mit ihnen schon viel gelacht, vor allem mit Dana verstand ich mich super. Doch nun lachte keiner. Sie hatten Augenringe und ihre Zivilkleidung sah unordentlich aus.
Mein Blick fiel auf die Pinnwand und die Fotos. Ungefähr zehn Mädchen und junge Frauen im Alter von 12 bis ungefähr 30 Jahren starrten mir entgegen. Es waren fröhliche Fotos und ich wusste mit einem komischen Gefühl im Bauch, dass diese Mädchen und Frauen nie wieder glücklich sein werden, wie mir zwei Bilder, die unter den ersten Mädchen hingen, bestätigten. Darauf sah ich, wie sie verrenkt dalagen, mit offenen leeren Augen.
Tom trat auf mich zu und packte mich an den Schultern.
"Ave, schön dass du mich besuchst. Ich schulde dir noch einen Kaffee, richtig? Komm, lass uns einen Kaffee holen."
Er zog mich nervös aus dem Büro und schloss die Türe.
"Was ist passiert?"
Er überging meine Frage und redete mit einer ruhigen Stimme auf mich ein.
"Hör zu, ich hab ein furchtbar schlechtes Gewissen, weil ich einfach so wegmusste und dich stehen gelassen habe…"
"Was ist passiert, Tomas Kellner?"
Ich nannte ihn nie Tomas weil ich den Namen schrecklich fand, und das ließ ihn aufhorchen.
"Ich darf dir das nicht sagen. Und auch nicht wenn du mich so ansiehst, du bist eine Praktikantin.“
"Warum nicht? Ich komme nächste Woche in dein Team, da werde ich es sowieso erfahren. Und selbst wenn du's mir nicht sagst, ich werde es herausfinden, glaub mir", drohte ich ihm.
Er seufzte und führte mich mit dem Arm um der Schulter zu der kleinen Cafeteria. Bestimmend drückte er mich auf einen Stuhl und holte zwei Cappuccinos, einen mit und einen ohne Zucker.
"Lass uns über uns reden."
"Nein Tom, ich will nicht über uns reden. Ich will darüber reden was passiert ist. Ich werde es herausfinden, du kannst es mir ruhig sagen. Bitte. Hast du den ohne Zucker?"
Er seufzte, ignorierte meine Frage mit dem Kaffee und sah sich um, ob uns niemand beobachtet aber es waren ohnehin nicht viele Leute in der Cafeteria.
"Okay, vielleicht ist es sogar besser, wenn du es weißt.
Es sind Mädchen und junge Frauen verschwunden und wir haben zwei von ihnen tot aufgefunden. Es war kein Unfall. Und alles deutet darauf hin, dass die Vermisstenfälle zusammenhängen.
Es ist uns unerklärlich, wie in so kurzer Zeit so viele verschwinden können, denn normalerweise verschwindet vielleicht ein Mädchen oder läuft eine junge Frau von zuhause weg, aber so viele innerhalb einer solchen Zeit, dass ist einfach nicht richtig. Es deutet auf einen Mehrfachtäter hin und wir glauben, dass er nicht eher ruhen wird, bis alle Mädchen tot sind."
Ich war schockiert. Die Insel, die ich seit 19 Jahren mein Zuhause nannte war nicht mehr sicher? Wer macht denn sowas, einfach irgendwelche Mädchen entführen und zu töten? Und zu quälen.
"Ich will, dass du das hier immer bei dir trägst. Und halte dich nie alleine auf, bleib immer bei mir oder in Begleitung von jemand anderem, bis wir diesen Kerl gefunden haben. Es darf dir nichts passieren."
Er küsste meine Hand und legte etwas hinein. Ich starrte ungläubig in den unberührten Latte Macchiato. Der Milchschaum war in sich zusammengefallen und bildete kleine Bläschen. Er war machtlos, gegen die Wärme des Kaffees. Machtlos.
"Wir werden ihn finden", sagte ich mit fester Stimme und stand auf.
Tom sprang ebenfalls auf.
"Nein Avenae. Du wirst ganz sicher nicht nach ihm suchen. Ich warne dich, wenn du es auch nur versuchen würdest, dann werde ich jemanden zu deinem Schutz schicken und glaub mir, ich bin in der Position das zu tun."
Ich hörte nicht auf seine Worte und verließ die Cafeteria. Auf der Treppe schaute ich in meine Hand und sah ein Taschenmesser und ein Pfefferspray darin liegen. Ich musste widerwillig grinsen. Tom machte sich wirklich Sorgen um mich. Ich war so froh, endlich einen neuen Lebensinhalt zu finden, was nicht mit Hochzeit und Babys zu tun hatte.
Tom war fast zur gleichen Zeit mit dem Aufzug da, doch ich war schneller in seinem Büro.
Dort standen sie und sahen mich an. Ich konnte in ihren Augen sehen, dass sie bereits wussten, dass ich Bescheid wusste.
"Also schön, was tun wir?"
"Wir tun gar nichts Avenae. Nur ich und mein Team."
Tom hatte mich eingeholt und ging zu seinen Leuten.
"Du wirst nach Hause gehen, Dana wird dich begleiten. Und du wirst dich nicht dahineinziehen lassen."
Ich war wütend, doch ich konnte absolut nichts tun. Ich war machtlos gegen ihn.
"Willst du noch einen Tee?", fragte Dana mich und werkelte an meiner kleinen Küchenzeile herum. Ich schüttelte den Kopf und trat auf den Balkon. Sofort kam sie mir nach. Als wie wenn ich so dumm wäre, vom siebten Stock nach unten zu springen. "Macht´s dir was aus?", meinte sie vorsichtig und zog eine Zigarette heraus. Wieder schüttelte ich den Kopf und wir schwiegen, während sie an ihrer Zigarette zog und der Qualm sich mit der Luft vermischte. "Darf ich auch mal?", fragte ich und sie sah mich mit demselben Blick an, als hätte ich sie gerade gefragt ob wir zusammen ins Bett wollten. "Was würde Tom dazu…?", fing sie an, doch ich war kurz davor, ihr eine zu scheuern. "Das ist mir sowas von egal. Wahrscheinlich lyncht er mich. Komm schon. Nur einen Zug", bettelte ich und wusste nicht einmal wieso ich das tat. Ich hasste Zigaretten. Dana sah für einen Moment so aus, als würde sie nun mir liebend gerne eine Ohrfeige geben wollen, doch dann reichte sie mir die Zigarette und ich nahm einen großen Zug. Sofort füllte sich mein ganzer Mund mit Qualm und ich hustete. Bäh, sowas ekliges. "Gib wieder her. Du hast genug", sagte Dana und versuchte, mir die Zigarette wegzunehmen. Doch ich drehte mich weg und nahm noch einen Zug. Gar nicht mal so schlecht. "Was macht ihr denn da?" Ich erschrak sosehr, dass ich die Zigarette fallen ließ. Na super. Warum musste Tom ausgerechnet jetzt auftauchen? "Nichts. Nichts. Rein gar nichts!", sagte Dana und versuchte sich von meinen Händen zu befreien. "Ahja. Sicher? Habt ihr geraucht? "Ich nickte heftig und deutete auf Dana. "Sie. Ich nicht. Das weißt du doch, dass ich das nicht mag." Er sah uns skeptisch an und ging mit hochgezogenen Augenbrauen in meine Wohnung zurück. Dana ging.
Und dann hatte uns der Alltag wieder. Genau das, was ich nie wollte. Wir fuhren zusammen zur Arbeit, gingen zusammen von der Arbeit, ich wurde nicht in Toms Abteilung versetzt und musste mit auf Streife gehen. Mein Freund erlaubte es widerwillig, dass ich mit Dominik auf Streife fuhr. Anscheinend waren er und ein Polizeiwagen Schutz genug. Dominik war ein guter Freund von Tom und er hatte mehr als einmal versucht, mich anzubaggern, obwohl er genau wusste, wie sehr ich Tom liebte. Er nannte mich immer Blondie obwohl ich überhaupt nicht ganz blond war. Nur ein paar Strähnchen hatte ich, doch der Spitzname stammte davon, dass ich mir einmal versucht hatte die Haare aufzublondieren und einfach nur schrecklich aussah, mit dem Grünstich in den Haaren. Außerdem sagte er immer ich stelle mich dümmer an als eine Blondine. Seitdem nannte er mich Blondie, auch als ich ihn einmal fast verprügelt hatte wie er durch die ganze Polizeiwache geschrien hatte ich sei grünhaarig.
Am Dienstag fuhren Dominik und ich wieder zusammen durch die Straßen und es war ruhig. Nichts spannendes passierte bis auf ein paar Jugendliche, die den Morgen genossen und es mit dem Alkohol übertrieben hatten. Wir brachten einen Jungen zur Schule, der Schwänzen wollte. Alles war wie immer und als wir wieder in der Polizeiwache waren, wollte ich Tom abholen, da er darauf bestand, dass wir zusammen heimfuhren. Als er zehn Minuten zu spät war, und er eigentlich immer überpünktlich war, ging ich zu seinem Büro und klopfte. Nichts. Keiner machte auf. Ich drückte die Tür auf und die automatische Lichtanlage ging an. Mhm, komisch. Wo war er nur? Ich ließ meinen Blick durch sein Büro schweifen und er blieb an der Tafel mit den vermissten Mädchen hängen. Neben den Bildern waren noch Karten aufgehängt, wo man die Mädchen gefunden hatte, wo man sie zuletzt gesehen hatte und Namen hingekritzelt waren. Und dann kam mir eine Idee. Schnell nahm ich mein Handy, lehnte die Tür an, sodass mich keiner sah und fotografierte die Tafel. Anschließend ging ich zum Schreibtisch. Ich wusste, dass Tom seine Unterlagen immer in der Schublade einschloss. Ich zog an der Schublade und wie sollte es auch anders sein, sie war zu. Schnell suchte ich den Tisch nach dem Schlüssel ab, fand ihn unter einem mehr als kitschigen Briefbeschwerer in roter Herzform, den ich Tom mal geschenkt hatte und schloss die Schublade auf. Darin lagen die Unterlagen, die ich brauchte. Fahrig, weil ich keine Zeit verlieren wollte, fotografierte ich jede einzelne Seite und schloss die Schublade wieder zu. Ich steckte den Schlüssel wieder unter den Briefbeschwerer, auf dem ein Foto von mir und Tom geklippst war. Er starrte mich an und ich bildete mir seinen tadelnden Blick ein, wenn er wütend war. Ach Tom. Dann fuhr ich auf. Ich hörte Schritte und schnell sprang ich zum Fenster. Die Tür wurde aufgestoßen und Tom stand darin. "Was machst du denn hier?", fragte er vorwurfsvoll und ich zuckte mit den Schultern. "Ich habe dich gesucht. Du warst ja nicht da. Ich war jedenfalls da", band ich ihm auf die Nase. Geschieht ihm nur Recht.