Die City Agents auf heißer Spur - Sammelband 4 in 1

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Als Laura durch einen Türspalt späht, entdeckt sie das schwarz gekleidete Mädchen in einer kleinen Kammer. Es ist eine Mischung aus Abstellraum und Küche. Die schwarze Spinne hockt in einer Ecke, hält die Hände vor das Gesicht und weint.
Laura hat plötzlich Mitleid mit ihr. Am liebsten würde sie sie trösten. Doch ist es klug, sich zu zeigen? Sie könnte in eine brenzlige Lage geraten. Und ihr Englisch reicht nicht aus, um dem Mädchen zu erklären, warum sie ihr bis hierher gefolgt ist.
Nein, denkt sie. Das ist zu gefährlich.
Gerade will sie wieder zu den anderen gehen, da hört sie Schritte aus dem Laden.
Wahrscheinlich konnten Moritz, Alexander und Marie den Verkäufer nicht länger aufhalten. Näher und näher kommen die Schritte.



Moritz, Marie und Alexander sind sehr erschrocken, als der junge Mann ins Lager geht, weil er ihnen noch ein besonderes T-Shirt zeigen will.
„Wenn er Laura da hinten findet“, flüstert Marie entsetzt, „dann ruft er bestimmt die Polizei. Was sollen wir bloß machen?“ Betroffen stehen sie da. Plötzlich hat Moritz eine Idee.
Laura hat es gerade noch geschafft, sich hinter einen Kleiderständer mit schwarzen T-Shirts zu zwängen. Durch eine Lücke sieht sie den Verkäufer ganz in ihrer Nähe stehen. Starr vor Schreck hält sie den Atem an.
Ihr Herz klopft so wild, dass sie Angst hat, er könne es hören.
Wenn er mich hier zwischen den T-Shirts entdeckt, hält er mich für eine Diebin, denkt sie und schiebt aufgeregt ihre Brille hoch.
Der Verkäufer nimmt einzelne T-Shirts heraus, betrachtet sie und hängt sie zurück. So dicht es geht, drückt Laura sich an die Wand, damit die Kleiderbügel sie nicht berühren. Als der Verkäufer mehrere T-Shirts auf einmal von der Stange nimmt, zuckt sie erschrocken zusammen. Wenn er jetzt nur einmal in ihre Richtung guckt, muss er sie sehen! Da schützt sie auch die schlechte Beleuchtung nicht.
Plötzlich ruft Moritz etwas in den Laden, das sie nicht versteht. Doch der Verkäufer scheint es verstanden zu haben. Er dreht sich sofort um und rennt nach draußen.
Erleichtert holt Laura erst einmal tief Luft. Da hört sie auch schon Maries Stimme: „Laura! Komm schnell raus!“
Laura kriecht hinter den T-Shirts hervor. „Danke! Das war echt knapp!“
„Ich glaube, er hat nichts gemerkt“, sagt Alexander, der draußen aufgepasst hat.
„Wo ist Moritz? Was hat er gerufen?“, will Laura wissen. „Er hat ‚thief, thief!‘ gerufen und so getan, als hätte jemand etwas gestohlen. Diesen Dieb, den es gar nicht gibt, verfolgen die beiden jetzt“, erklärt Alexander.
„Tolle Idee von Moritz“, sagt Laura anerkennend. Dann berichtet sie, was sie beobachtet hat.
„Warum weint die schwarze Spinne denn wohl?“, überlegt Alexander.
„Keine Ahnung. Vielleicht hatte sie Ärger“, rätselt Laura. „Da sind Moritz und der Verkäufer“, sagt Marie aufgeregt. „Er sieht ziemlich gut aus, finde ich. Vielleicht ist er ja sogar der Ladenbesitzer.“ Sie dreht ihre langen blonden Haare um ihren Zeigefinger und lächelt den jungen Mann schüchtern an. Doch der beachtet sie nicht. Er bedankt sich bei Moritz und kehrt in sein Geschäft zurück.
Als die Detektive sich gerade abwenden, sieht Laura aus dem Augenwinkel einen hellblonden Mann in den Laden gehen. „Hi, Paddy!“, hört sie ihn rufen.
Laura klopft ihrem Bruder auf die Schulter. „Danke, Moritz. Du hast mir echt geholfen. Ich sag auch nie wieder Moppel zu dir.“
Moritz grinst breit. „Einverstanden!“
Nachdem Laura ihrem Bruder von dem Mädchen erzählt hat, überlegen sie, wie es weitergeht. Sie bleiben in der Nähe von Paddy’s und beobachten den Eingang. Und da kommt die Spinne auch schon mit einer Reisetasche in der Hand heraus. Langsam schlendert sie zur Bushaltestelle. „Fröhlich sieht die nicht gerade aus“, stellt Alexander fest.
„Sie will anscheinend Richtung Innenstadt“, sagt Laura. „Los! Hinterher!“
In der Oxford Street steigt das Mädchen aus und stellt sich in die Warteschlange an einer anderen Bushaltestelle. Die Detektive bleiben dicht hinter ihr.
Sie lässt jedoch mehrere Busse abfahren, ohne einzusteigen. Laura wundert sich. „Vielleicht wartet sie wieder auf die Nummer Fünfzehn. Dabei fahren doch so viele Busse die gleiche Strecke.“
Als sie dann wirklich in die 15 steigt und gleich nach oben geht, folgen die vier ihr, ohne zu zögern, und setzen sich ein paar Plätze hinter sie.
Plötzlich holt Moritz den Fotoapparat aus seinem Rucksack. Er knipst in mehrere Richtungen.
„Super, wie Moritz das macht“, flüstert Alexander anerkennend. „Keiner merkt, dass er es nur auf die schwarze Spinne abgesehen hat.“
Als Moritz die Kamera wieder einsteckt, hält er den Daumen hoch und grinst.
Der Bus fährt am Trafalgar Square vorbei, biegt in The Strand ein, fährt durch die Fleet Street und Ludgate Hill.

„Da vorne ist St. Paul’s Cathedral“, sagt Alexander und guckt auf seinen Busplan. „Gleich sind wir beim Tower.“
„Hoffentlich steigt sie bald aus“, flüstert Moritz, der vom Busfahren genug hat.
„Der Bus biegt ab“, stellt Laura fest. „Da! Ich sehe die Tower Bridge!“
„Aber die Spinne bleibt immer noch sitzen. Wo will sie denn bloß hin?“, wundert sich Marie.
Einige Haltestellen später steht das Mädchen endlich auf.
„Sie hat wieder einen Zettel auf dem Sitz liegen lassen“, flüstert Marie, die als Erste an dem Platz des Mädchens vorbeikommt. Schnell steckt sie das Papier ein, denn der Bus hält schon. „Los, runter!“
In größerem Abstand folgen sie dem Mädchen. Marie ist gespannt, was auf dem Zettel steht. Sie faltet ihn auseinander und liest: „,I’m really fed up now!‘ Was heißt das? Ich bin jetzt wirklich satt?“
„Es könnte auch heißen: Jetzt habe ich es wirklich satt“, meint Laura. „Oder: Jetzt habe ich die Nase voll.“
„Oder jetzt reicht es mir wirklich!“, schlägt Marie vor. Alle drei sehen Alexander fragend an.
Der nickt. „Ich glaube, die letzte Übersetzung ist die beste: Jetzt reicht es mir wirklich. Das passt irgendwie zu den anderen Zetteln.“
„Los! Wir dürfen sie nicht verlieren“, mahnt Laura.
„Keine tolle Gegend hier“, stellt Moritz fest, nachdem sie mehrmals links und rechts abgebogen sind. „Jetzt geht sie in den Eingang da drüben.“
Der Eingang ist ein großer Durchgang aus rotem Backstein, der zu einem Hof mit weiteren Hauseingängen führt. Als sie vorsichtig in den Hof spähen, ist das Mädchen nirgends zu entdecken.
„Mist!“, schimpft Moritz. „Jetzt wissen wir nicht, wo sie hineingegangen ist. Und jedes Haus hat wahrscheinlich einen Hinterausgang. Da kann sie uns leicht entwischen.“
„Was würde Sherlock Holmes jetzt tun?“, fragt Alexander. „Außen herumschleichen“, antwortet Laura prompt. „Aber einer muss hier Schmiere stehen.“
„Ich bleibe hier“, bietet Marie an. „Wenn es brenzlig wird, rufe ich dich auf dem Handy an.“
Laura stellt an ihrem Handy den Ton aus, damit es bei einem Anruf nicht laut klingelt, sondern nur in ihrer Tasche vibriert.



Laura, Moritz und Alexander wundern sich, wie verfallen die Rückseite der Häusergruppe aussieht. „Wahrscheinlich sind nur die vorderen Häuser bewohnt“, vermutet Laura.
Eine rote Backsteinmauer umgibt verwilderte und fast zugewachsene Gärten. An mehreren Stellen ist die Mauer eingebrochen. Die Kinder klettern über die Steine in die Gärten und stehen bald bis zur Hüfte zwischen Brennnesseln.
„Boah! Die pieken ja durch die Hose!“, jammert Moritz und kratzt seine Beine.
Unbekümmert stapft Laura durch die hohen Pflanzen.
„Mann! Sind das Bruchbuden“, sagt sie, als sie an den Reihenhäusern hochschaut.
Alexander nickt. „Die Scheiben sind fast alle kaputt und die morschen Holztüren hängen ganz schief in den Angeln.“ Als Laura auf eine der Türen zugeht, hält sie ihrem Bruder die Hand entgegen. „Gib mir bitte mal die Taschenlampe!“ Moritz greift in seine Hosentasche, reicht Laura die Lampe aber nicht. Stattdessen bläst er wieder einmal empört seine Backen auf. „Wer ist denn hier der Älteste? Ich geh vor!“ Laura hat keine Lust, sich zu streiten. Zu neugierig ist sie darauf, wie es in dem alten Gemäuer aussieht.
Moritz drückt die Tür ein kleines Stück auf und leuchtet in das Innere des verfallenen Hauses. Er zuckt die Schultern, nickt den anderen zu und schiebt sich durch die Tür. Nach kurzem Zögern schleichen Alexander und Laura ihm nach, obwohl sie es ziemlich gruselig finden.
Moritz leuchtet mit seiner Minitaschenlampe den Weg ab. Kleine Wasserlachen stehen auf dem feuchten Steinboden. An einigen Stellen tröpfelt es. Die Luft ist so muffig, dass die Detektive kaum atmen mögen.
„Hier führt eine Treppe rauf“, flüstert Moritz.
Angeekelt betrachten sie die Schimmelflecken und Spinnweben an den Wänden. Die Stufen sind von abgebröckeltem Putz und dickem Staub bedeckt. Bei jedem Schritt knirscht es. Je höher sie steigen, desto dunkler und unheimlicher wird es. Laura schnuppert. „Iiiih! Stinkt das hier!“
Langsam geht Moritz auf eine Tür zu und stößt sie mit dem Fuß auf. Der Gestank, der ihnen entgegenschlägt, ist fast unerträglich.

Moritz leuchtet in den Raum und sieht, dass die Fenster mit Brettern vernagelt sind. Als er das Licht auf den Boden richtet, zuckt er erschrocken zusammen und weicht zurück.
Lauras Blick folgt dem Lichtstrahl, entsetzt schreit sie auf.
Marie sucht inzwischen den Innenhof und alle Fenster mit den Augen ab. Im Hof gibt es nichts, wo sie sich verstecken könnte. Deshalb nimmt sie einen Zettel in die Hand und betrachtet die Hauseingänge. Falls jemand sie beobachtet, soll er denken, sie suche ein bestimmtes Namensschild.
Eines der unteren Fenster ist halb geöffnet. Zu ihrem Erstaunen hört Marie zwei Frauen auf Deutsch miteinander reden. „… fliege zurück … nur noch die Prüfung …“
Die andere Stimme ist leiser. „… noch mal überlegen“, ist alles, was Marie verstehen kann.
Sie wagt sich dichter an das Fenster heran, um etwas mehr aufzuschnappen. Ich muss unbedingt sehen, ob eine davon die schwarze Spinne ist, denkt Marie. Sie schlendert an dem Fenster vorbei und schaut neugierig hinein. Sie ist selbst von ihrem Mut überrascht. Hoffentlich mache ich jetzt keinen Fehler.
Da ist es auch schon zu spät. Das Mädchen, das sie verfolgt haben, reißt das Fenster weit auf und schaut sie wütend an. „What do you want?“
„Excuse me, äh, ich meine … Entschuldigung“, stammelt Marie. „Ich habe gehört, dass ihr deutsch sprecht. Ich suche eine Anne Gordon. Weißt du, ob die hier irgendwo wohnt?“
„Was ist los, Saskia?“, fragt die andere Stimme aus der Wohnung.
„Ach, nichts“, antwortet das Mädchen, deren Namen Marie nun kennt: Saskia. „Keine Ahnung“, antwortet die. „Soll das ‘ne Deutsche sein?“
Marie weiß das auch nicht, sie hat Anne Gordon ja gerade erst erfunden.
„J-ja“, antwortet sie dann zögernd. „Eine Deutsche, die mit einem Engländer verheiratet ist“, fällt es ihr ein.
„Kenn ich nicht“, murmelt Saskia und knallt das Fenster zu, bevor Marie weiterfragen kann. Marie ist unzufrieden. „Es ist nicht gut, dass die Spinne mich gesehen hat“, denkt sie. „Aber wenigstens weiß ich jetzt, dass sie Saskia heißt und Deutsche ist.“

Während Marie auf ihre Freunde wartet, fällt ihr der Zettel ein. Sie müssen ihn unbedingt noch zu Scotland Yard bringen. Doch vorher will Marie ihn auf Fingerabdrücke untersuchen und fotografieren. Gut, dass Moritz ihr den Rucksack dagelassen und nur die Taschenlampe mitgenommen hat.
Marie sucht sich ein Versteck außerhalb des Hofes, von dem aus sie alles überblicken kann. Sie fotografiert den Zettel und pinselt ihn dann mit dem Pulver ein, wie sie es in einem Detektivbuch gelesen hat. An den Rändern werden einige Fingerabdrücke sichtbar.

Vorsichtig drückt Marie das Tesafilm darauf, zieht es ab und klebt es auf eine Seite des Notizblocks.
Zufrieden betrachtet sie ihr Werk, wenn auch nicht alle Abdrücke gleich gut geworden sind. Zwei unterschiedliche Muster sind zu erkennen. „Eins muss von mir sein“, murmelt Marie und betrachtet ihren Daumen durch die Lupe. „Aha, der mit dem Wirbel ist meiner. Der andere hat nur einen leichten Bogen.“ Marie überlegt. „Wenn die Fingerabdrücke mit Saskias übereinstimmen, haben wir sie überführt. Ob Laura, Moritz und Alexander wohl was entdeckt haben?“ Marie hält nach ihnen Ausschau.
„Knochen!“, stammelt Moritz entsetzt und denkt sofort an Flucht.
Laura möchte keinen zweiten Blick auf den abscheulichen Knochenhaufen werfen. Sie zerrt am Ärmel ihres Bruders und will die Treppe hinunterlaufen.
Plötzlich beginnt Alexander laut zu lachen. „Halt! Jetzt wartet doch!“
Völlig verwirrt bleiben die beiden stehen und starren ihren Freund an. „Bist du durchgeknallt?“, schreit Laura wütend. „Ich will hier sofort weg!“
„Quatsch! Leuchte noch mal! Vor so ein paar Knochen muss man sich doch nicht fürchten“, erklärt Alexander seelenruhig.
Mit zitternder Hand richtet Moritz den Lichtstrahl noch einmal auf den Fund, der ihnen so einen Schreck eingejagt hat. „Die Knochen sind ziemlich klein“, gibt er dann zu.
Laura wagt sich nun sogar etwas näher heran. Alexander schiebt den Haufen mit dem Schuh auseinander. „Solche Knochen bleiben übrig, wenn man Hähnchen isst. Oder?“
Nun sehen Laura und Moritz es auch.
„Klar! Hier hat wohl jemand Hähnchen gefuttert“, gibt Laura erleichtert zu.
„Boah! Da muss einer aber viel Hunger gehabt haben“, meint Moritz. „Oder mehrere haben in diesem Loch gehaust.“ Er leuchtet mit seiner Taschenlampe den Raum ab. „Die haben sogar gegrillt. Da! In der alten Metallwanne ist verbranntes Holz. Und das bei zugenagelten Fenstern.“
Laura nimmt Moritz die Taschenlampe ab und leuchtet in alle Ecken. „Daher kommt der Gestank. Dosen mit Resten von weißen Bohnen, Mais und … was ist das?“ Sie beugt sich nach unten, um besser sehen zu können. „Hundefutter. Igitt! Ich will an die frische Luft.“

Endlich kommen Maries Freunde um die Ecke. Sie läuft ihnen entgegen und schaut sie erwartungsvoll an. Doch bevor sie etwas erzählen können, hat Marie Saskia im Eingang entdeckt.
„Los, wir müssen uns verstecken. Saskia darf uns nicht sehen“, flüstert Marie und verschwindet hinter der nächsten Mauer.
„Saskia?“, fragt Laura verwundert. „Woher weißt du, wie sie heißt?“
Marie berichtet, was sie erlebt hat. „Dumm, dass sie mich jetzt kennt“, fügt sie hinzu.
Laura klopft ihrer Freundin anerkennend auf die Schulter.
„Du bist ja eine echt mutige Detektivin.“
Strahlend, aber ein wenig verlegen sagt Marie: „Nun bin ich gespannt, was ihr entdeckt habt.“
Während die anderen von ihrem unheimlichen Erlebnis erzählen, verfolgen sie Saskia aufs Neue.
„Wenn das so weitergeht, kriegen wir heute nichts mehr zu essen“, befürchtet Alexander, dem laut der Magen knurrt. „Die Spinne geht mal wieder zur Bushaltestelle.“


Diesmal steigt Saskia wieder am Oxford Circus aus. Die Detektive springen gleich nach ihr aus dem Bus, um sie in dem Gewimmel nicht zu verlieren. Und da geschieht es: Moritz knickt um und fällt der Spinne geradewegs in den Rücken.
Erschrocken dreht Saskia sich um, schaut von Moritz zu Laura, von Laura zu Alexander und schließlich zu Marie. Als sie Marie entdeckt, schreit sie wütend: „Wieso verfolgst du mich?“
Oh Mist!, denkt Marie. Jetzt haben wir alles verdorben. Drohend geht Saskia einen Schritt auf Marie zu. „Was willst du von mir?“
Marie zuckt zusammen und fühlt sich irgendwie hilflos.
Moritz reibt sich den Knöchel und Alexander sucht krampfhaft nach Worten.
Laura hat sich als Erste von dem Schreck erholt. Sie nimmt all ihren Mut zusammen, schiebt ihre Brille zurecht und sagt zu Saskia: „Wir möchten dich gern sprechen. Hast du einen Moment Zeit?“ Sie zeigt ihr den Zettel, den Marie im Bus gefunden hat.
Verblüfft starrt Saskia sie aus ihren dunkel umrandeten Augen an. Laura holt einmal tief Luft und sagt: „Es ist wichtig für dich.“
Saskias Gesichtsausdruck wechselt von Misstrauen zu Verwunderung und Neugierde. „Und was habt ihr damit zu tun?“
„Wir haben zwei von deinen Zetteln gefunden. Und dann haben wir in der Zeitung darüber gelesen“, erklärt Laura und hält Saskia die Zeitung unter die Nase.
Die greift erschrocken zu und starrt auf die Schlagzeile und den Artikel. Anscheinend hat sie die Zeitung noch gar nicht gesehen. Die Detektive beobachten sie beim Lesen.
Kriegt sie gleich einen Wutanfall, rennt sie weg oder ist sie vernünftig?, überlegt Marie. Ihr ist ziemlich mulmig zumute.
Doch Saskia sieht plötzlich nur noch traurig aus. „Ich wollte ein paar Leute aufrütteln, sonst nichts“, gibt sie zu. „Die meisten haben die Zettel wahrscheinlich sowieso in den Papierkorb geworfen.“

Die Detektive schauen sie fragend an.
„Ich gehe hier zur Sprachschule“, erklärt Saskia. „Für meine Abschlussprüfung habe ich ‚Umweltverschmutzung und Umweltschutz‘ als Thema gewählt. Habt ihr schon gemerkt, wie es hier nach Abgasen stinkt? Und das Leitungswasser ist auch nicht sauber. Ich muss mir sogar Mineralwasser kaufen, wenn ich Tee oder Kaffee kochen will. Dabei ist alles furchtbar teuer.“
„Du hast geschrieben ‚oder es passiert was!‘ Das hört sich nach einer Drohung an. Was soll passieren?“, will Laura wissen.
Saskia zuckt mit den Schultern. „Es ist doch klar, dass viele Menschen irgendwann durch die Umweltverschmutzung krank werden. Aber ich schreibe jetzt keine Zettel mehr. Ich will nur noch meine Prüfung bestehen und dann nach Hause fliegen. Warum sollte ich noch hierbleiben?“
„Vielleicht weil du hier Freunde hast?“, fragt Marie.
Saskias Gesicht wirkt plötzlich wie versteinert. „Ich muss jetzt zur Schule.“
Marie lässt nicht locker. „Wir begleiten dich ein Stück.“
Einige Zeit gehen sie wortlos nebeneinander her.
Dann fragt Marie noch einmal: „Was ist mit deinen Freunden?“
Saskia bleibt stehen und schaut Marie feindselig an. „Gut, ich sag’s dir. Aber dann lässt du mich endlich in Ruhe! Meine beiden Freundinnen haben ihre Prüfungen schon bestanden und sind nach Paris gezogen. Und mein Freund Paddy hat mich rausgeworfen. Ich habe bei ihm gewohnt und gearbeitet. Er hat ein Ledergeschäft in Camden Lock.“ Die Detektive nicken. Sie erwähnen nichts davon, dass sie Paddy und das Geschäft kennen.
„Auf der Suche nach einem Job habe ich Paddy kennengelernt“, erzählt Saskia weiter. Anscheinend ist sie jetzt froh, ihr Herz ausschütten zu können. „Ich habe ihm im Laden geholfen und mich in ihn verknallt. Als ich seine Freundin wurde, bin ich zu ihm gezogen. Hinter seinem Lager ist eine kleine Wohnung. Bis vor einer Woche war alles super. Dann kam eine Rothaarige in den Laden, die er von früher kannte. Noch am selben Abend hat er mit mir Schluss gemacht.“
Betroffen sehen die Detektive sich an. Keiner sagt ein Wort. „Heute Morgen habe ich meine Sachen abgeholt. Ich wollte mich von ihm verabschieden, aber er hat mich kaum beachtet.“ Saskia kann ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Vermischt mit schwarzer Wimperntusche schlängeln sie sich ihre Wangen hinunter.
Marie reicht ihr ein Taschentuch. Als Saskia sich beruhigt hat, sagt sie: „Ich wohne jetzt bei einem Mädchen aus meiner Klasse. Aber eigentlich geht euch das alles gar nichts an.“
„Geht es doch!“ Laura stellt sich vor Saskia und guckt ihr ins Gesicht. „Die Zeitungen haben aus deinen Frustbriefen einen Kriminalfall gebastelt. Scotland Yard sucht nach dir. Du musst sofort hingehen und das alles aufklären.“
Saskia wird blass. „Zu Scotland Yard?“
„Wir kommen mit“, schlägt Marie vor. „Den Inspektor, der für den Fall zuständig ist, kennen wir schon. Wenn du ihm alles ganz ehrlich erzählst, bekommst du vielleicht nur eine Verwarnung.“
Saskia schaut zur Uhr. „Aber ich muss jetzt zur Schule. Können wir nicht morgen früh zu Scotland Yard gehen?“
Die Detektive sehen sich an.
„Kommst du auch bestimmt mit?“, fragt Laura.
„Versprochen“, antwortet Saskia.
„Alles klar“, sagt Laura. „Wir treffen uns um neun vor New Scotland Yard.“
„Boah! Das war aufregend! Jetzt brauche ich aber unbedingt was zu futtern“, stöhnt Moritz, als Saskia außer Sicht ist. „Und wir müssen noch Mama anrufen.“
„Dann können wir ihr gleich erzählen, dass wir den Fall schon gelöst haben.“ Laura freut sich. „Morgen kann Inspektor Appleby ihn zu den Akten legen.“
Doch da hat sie sich getäuscht. Am nächsten Morgen geht es erst richtig los.
„Es ist ja zum Glück nichts passiert, aber ich finde, eure Verfolgungsjagd war eindeutig zu gefährlich“, sagt Frau Bach beim Frühstück noch einmal in strengem Ton. Schon am Abend zuvor hatten sie und ihr Mann die Kinder ermahnt, als die ihnen von ihrem Abenteuer erzählt hatten. „Das Mädchen hätte euch in eine Falle locken können.“
„Hat sie aber nicht. Sie ist nur ein bisschen von der Rolle, sonst ist sie ganz in Ordnung. Und nun haben wir alles aufgeklärt“, sagt Laura nicht ohne Stolz.
„Komm doch mit zu Scotland Yard“, bietet Moritz an.
Seine Mutter überlegt. „Das würde ich am liebsten tun. Aber ich brauche für meinen Reisebericht stimmungsvolle Fotos von der Themse und der Tower Bridge im Nebel.“ Sie zeigt aus dem Fenster. „Wer weiß, wie lange der Nebel sich hält. Fahrt ruhig allein. Bei Scotland Yard seid ihr sicher und Inspektor Appleby kennt ihr schon. Aber ruft mich nachher an, ja?“
„Machen wir“, verspricht Laura.

Dichter Nebel kriecht durch die Straßen, als die Detektive auf dem Weg zu Scotland Yard sind.
Am Trafalgar Square steigen sie wieder in den Bus mit der Nummer 11. Sie strengen ihre Augen an, um durch den Nebel etwas von der Umgebung zu erkennen.
Als der Bus in die Victoria Street abbiegt, zeigt Alexander auf die undeutlichen Umrisse von Westminster Abbey auf der einen und der Houses of Parliament auf der anderen Seite. Vor lauter Aufregung hatten sie bei ihrer ersten Fahrt zu Scotland Yard gar nicht darauf geachtet.