Seewölfe - Piraten der Weltmeere 640

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Impressum
© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-96688-054-1
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Sean Beaufort
Im Hafen ist der Teufel los – die „Casco de la Cruz“ wird unter Feuer genommen
An manchen Tagen hielt sich Joao Solea, der Stückmeister, für den wichtigsten Mann von Boa Vista.
Aus dem Hang hämmerten Negersklaven Höhlen und Stollen.
Wuchtige Mauern wölbten sich auf den Felsen. Seit sechs Jahren herrschte die Angst vor der dritten Plünderung durch Piraten oder verdammte Engländer.
Der Haupthafen dieser drittgrößten Insel der Kapverden würde bereit sein, wenn das nächste Piratenschiff auftauchte. Liebevoll betrachtete der schwarzhaarige Portugiese die Geschütze. Gestern hatte er den ersten Probeschuß abgefeuert, das winzige Ziel, ein rott gewordenes Fischerboot in der Mitte des Hafens, war in tausend Trümmer zerborsten.
„Sie sollen’s nur mal versuchen, die verlausten Schnapphähne“, murmelte er und knirschte mit den Zähnen. „Ich werde es ihnen zeigen …“
Die Hauptpersonen des Romans:
Don Julio de Vilches – der Kommandant der „Casco de la Cruz“ begeht einen Irrtum und ist stur genug, ihn nicht einzusehen.
Joaquim da Braga – als Gouverneur von Boa Vista setzt er alles daran, die kapverdische Insel verteidigungsbereit zu halten.
M’Nofo – der versklavte Häuptlingssohn ist entschlossen, mit einem Dutzend Gleichgesinnter zu fliehen.
Jean Ribault – als derzeitiger Kapitän der „Isabella IX.“ wird er vor eine überraschende Situation gestellt.
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
1.
Don Julio de Vilches beugte sein faltiges Gesicht über die zerknitterte Seekarte, deren Falten an einigen Stellen aufgebrochen waren. Viele Inseln zeichneten sich auf dem stockfleckigen Blatt zwischen Fabeltieren und Meeresungeheuern ab.
„Man sagt, daß zehn Inseln bewohnt seien, aber so genau weiß das niemand in Spanien“, erklärte der schwarzhaarige Don Eugenio. „Fünfzehn Inseln sind es, einige kann man nur als Felsbrocken bezeichnen.“
Auf der Karte bildeten die Kapverdischen Inseln ein hufeisenförmiges Gebilde, das nach Westen geöffnet war. Rund hundertneunzig Seemeilen war die umschlossene Fläche im Quadrat errechnet worden. Den nördlichen Bogen der „Inseln über dem Wind“ zierten große Seevögel und die strahlenförmig auseinanderstrebenden Kurslinien.
Mühsam entzifferte der Kommandant der „Casco de la Cruz“: „Santo Anão, São Vicente, Santa Luzia und darunter die Eilande Branco und Razo. Kennst du sie, Eugenio?“
Der Erste Offizier des schwerbewaffneten Schiffes öffnete den verkniffenen Mund und erwiderte affektiert: „Nur von der Karte. Nur die wichtigsten Häfen sind mir bekannt.“
Julio de Vilches entzifferte weiter.
„Östlich von Razo sehe ich São Nicolão, und über Boa Vista liegt die Insel Sal. Bedeutet Salz, nicht wahr?“
„Scheint so. Eine rechte Affensprache, dieses Lusitanische.“
„Stimmt. Aber es sind unsere Freunde.“
„Problematische Freunde“, schnarrte Pergoza.
Im Süden der Insel Sal erkannten sie Boa Vista, das Ziel ihrer Fahrt. Südlich von Boa Vista lag das Inselchen Maio und westlich von Maio die Insel, die von Portugal als erste besiedelt worden war: São Tiago. Fogo, genau südlich von São Nicolão, hatte im Westen Brava als Nachbarn sowie zwei weitere Felsbrocken im endlosen Meer. Der letzte Name war nicht mehr zu entziffern.
„Boa Vista zählt zu den Islas Barlavento, den Inseln über dem Wind“, erläuterte der Kommandant.
„Und Fogo, mit der Rauchfahne des feuerspeienden Pico de Fogo, gehört zu den Sotaventos, den Inseln unter dem Wind, zusammen mit São Tiago“, stimmte Don Eugenio zu. „Der verdammte Konvoi wird wohl Boa Vista angelaufen haben.“
„Das denke ich auch.“
Don Julio lehnte sich in dem knarrenden Scherenstuhl zurück und betrachtete die Karte. Hoffentlich wurden sie nicht von einem Harmattan getroffen, dem staubtrockenen und sandreichen Wind von der Westküste Afrikas. Seit im Jahre 1585 der verdammte Sir Francis Drake die Hauptstadt der Kapverden überfallen und ausgeplündert hatte, fürchtete man auch hier die Flotte der räuberischen England-Kaperer. Ribeira Grande auf São Tiago, die Hauptstadt der Inselgruppe, war von seinen Mannen ausgeraubt und völlig zerstört worden.
„Die Inseln sind Zwischenstation für Handelsgüter aus Afrika und für die Sklavenhändler. Es wimmelt von Schwarzen“, sagte Pergoza und führte eine Geste des Ekels aus. „Damit füllen die Portus ihre Kassen. Es ist ein schönes Zeichen, daß man sogar eine Kathedrale baute, damit die Neger getauft werden konnten.“
„Wozu dies?“ fragte der Kommandant.
„Weil christliche Negersklaven teurer zu verkaufen sind als Heiden. Ein kluger Gedanke, nicht wahr?“
„In der Tat.“
Vor acht Jahren hatte der vorläufig letzte Angriff englischer Schiffe die vereinigten Inseln getroffen. Unermeßliche Schätze waren in den Bäuchen der englischen Schiffe davongeschleppt worden. Jetzt waren die Bastionen, so hatten andere Kapitäne berichtet, über den Häfen nur so mit Kanonen bestückt.
1456 waren durch Diego Gomez und den Venezianer Ca’da Mosto die Inseln entdeckt und auf Karten eingetragen worden, nachdem auch die Schiffe von Heinrich dem Seefahrer, angeblich siebenunddreißig Jahre zuvor, diese Inseln angesteuert hatten.
„Hoffentlich halten sie uns nicht für Engländer“, sagte de Vilches. Sein längliches Gesicht zeigte noch mehr Falten. Er sah aus, als nage ein gewaltiger, unentdeckter Kummer ständig an ihm. Seine Augen blickten böse und kalt unter dem grauen Haar hervor. „Das ist die Folge davon, wenn Sklavenhändler reich werden. Reichtum zieht Plünderer an.“
„So ist es, Kapitän“, stimmte der Erste zu.
Beide Männer, die dem schriftlichen Befehl des Generalkapitäns Don Ricardo de Mauro y Avila gehorchten, hatten das Mißtrauen zum ständigen Begleiter ihrer Reisen werden lassen. Wenn es um die Silber- und Goldvorräte einer solch großen, wertvollen Armada ging, glaubten sie nur sich selbst, sonst niemandem. Befehl war Befehl, und auch die Portugiesen würden sich unter bestimmten Umständen vom Glanz und Wert der Schätze blenden lassen.
In der zweiten Hälfte des Oktobers herrschte in diesem Seegebiet, zwei Tagesreisen von Boa Vista entfernt, ein überraschend warmes Wetter mit viel Feuchtigkeit in der Luft. Der Wind wehte zuverlässig aus dem nordöstlichen Sektor.
„Ich bin sicher, daß die Schatzschiffe Schwierigkeiten haben“, brummte Don Julio und verzog seinen schmalen Mund.
Obwohl er sich vor einer Stunde hatte rasieren lassen, wirkte sein Gesicht so grau wie sein Haar und die Brauen. Er schleppte sich aus der Kammer hinaus auf die Galerie und bewegte sich wie eine uralte Marionette an unsichtbaren Fäden. Nach einem kurzen Hustenanfall kehrte er wieder zurück. Er schien noch mehr Falten im Gesicht zu haben als zuvor.
„Welche Schwierigkeiten, Capitán?“ fragte der Erste.
„Allgemeiner Ärger. Kein gutes Essen, schlechtes Wetter, vermutlich lausige sogenannte portugiesische Gastfreundschaft. Und unsere Allerkatholischste Majestät wartet fingernägelbeißend auf jedes Körnchen Goldstaub.“
„Begreiflich. Ich habe der Schiffsartillerie eindeutige Anweisungen erteilt“, antwortete der Erste. „Wehe, wenn die Leute von Boa Vista Schwierigkeiten bereiten.“
„Es herrscht absolute Einigkeit über unser Vorgehen. Wir nehmen Proviant und Wasser auf und eskortieren die Schatzflotte nach Spanien. So halten wir es. Und unsere verehrten Kapitäne werden wir zur Eile antreiben müssen“, sagte Don Julio. Er mußte sich unter jedem Decksbalken und unter jeder Bohle bücken. Er zog das Spektiv aus dem Fach über der Kartenplatte und winkte. „Sehen wir uns um, Don Eugenio. Vielleicht sind wir schon näher an Boa Vista heran, als wir ahnen.“
„Das bezweifle ich“, murrte der Erste. „Was ich von den Inseln weiß, bringt mich nicht dazu, Beifall zu spenden.“
Er setzte ein kaltes, eingebildetes Lächeln auf. Man konnte ihm schwerlich vorwerfen, daß er für die Kapverdischen Inseln und ihre Bewohner allzu viel Begeisterung empfand.
„Sie haben Salz, Sand und Steine. Nicht viel mehr. Ich frage mich, was die anderen Kapitäne dazu brachte, so lange hier vor Anker zu liegen.“
Er nickte dem Kapitän kurz zu und folgte ihm aufs Quarterdeck der Galeone.
Die päpstliche Bulle des Jahres 1455 hatte vor knapp eineinhalb Jahrhunderten die Welt in zwei Teile geteilt. Im Staatsvertrag zwischen Spanien und Portugal war vor hundert Jahren in Tordesillas ein zweiter, weniger harter Vertrag geschlossen worden: 370 Seemeilen westlich der Kapverdischen Inseln verlief der Meridian, der die Welt in eine spanische und eine portugiesische Entdeckungszone zerschnitt. Dadurch hatte sich Portugal einen Rechtsanspruch auf das Land Brasilien in der Neuen Welt gesichert – und dorthin wurden die Negersklaven verschifft.
Zuerst hielten sie sich in Lagern auf den wenigen Inseln auf. Überlebten sie den jähen Wechsel, wurden sie bekehrt und getauft. Dann brachten die Sklavensegler die Ärmsten nach Westen.
De Vilches und Pergoza blieben nebeneinander stehen. Die Viermastgaleone schob ihren mächtigen Rumpf in guter Fahrt durch die Wellen. Dünung hob und senkte die „Casco“ in gleichmäßigem Auf und Ab. Der hochaufgeschossene Kommandant hob das Spektiv ans Auge.
„Habe nichts anderes erwartet“, knurrte er nach einer Weile. „Sogar die Inseln verstecken sich vor uns.“
Der nächste Blick zeigte dem Kommandanten und dem Ersten die mustergültige Ordnung an Deck. Sonnenlicht blitzte auf den zwei Dutzend Drehbassen. Boa Vista sollte genau im Süden liegen, aber die Insel zeigte sich noch nicht an der Kimm. Nicht einmal die Rauchwolken des feuerspeienden Berges, der neuntausend Fuß hoch geschätzt wurde, quirlten zu den Wolken hinauf.
„Wir werden spätestens morgen abend herausgefunden haben“, sagte Don Eugenio und wedelte lässig mit den Handschuhen in seiner rechten Hand, „was die Señores Kapitäne zwischen den Inseln oder im Hafen von Boa Vista so reizvoll finden.“
„Mir fällt beim besten Willen nichts dazu ein“, sagte der Kommandant mißgestimmt, steckte das Spektiv in die Rocktasche und stolzierte zurück in seine Kammer.
Boa Vista, die drittgrößte Insel der Kapverden, schien nur im östlichen Teil nennenswerte Hügel und niedrige Berge zu haben. Noch verschmolzen die westlichen Strande mit der unendlichen Ebene des Meeres. Sal Rei hieß die größte Stadt. Dort sollte sich die Flotte aufhalten, denn nur an dieser Stelle würde die Versorgung gesichert und ausreichend Frischwasser vorhanden sein.
Die „Cabo-verdianos“ hatten seit der Jahre, in denen der Sklavenhandel ihnen wachsende Einnahmen und guten Verdienst bescherte, nicht nur Häuser und Kirchen errichtet, sondern auch – natürlich mit der Arbeitskraft unzähliger Sklaven – Mauern, Türme und eine Bastion. Die Steinbrüche lieferten genügend Quader, auch für einen gekrümmten Hafendamm, der sich an die feinsandigen Strände anschloß.
„Ich würde indessen am Ostrand der Insel ankern“, sagte der Erste Offizier, der zusammen mit Julio de Vilches nach den Sternen navigiert und den Kurs ausgerechnet und festgelegt hatte. „Der Hafen nennt sich wie die ganze Insel.“
„Du kennst den Hafen?“ fragte der Kommandant.
„Ich habe mich an Schilderungen erinnert. Wahrscheinlich liegen unsere Schiffe mehr außerhalb des Hafens vor Anker als im Hafen selbst. Er ist nicht groß und recht schäbig, der Porto von Boa Vista.“
„Auch das noch“, stöhnte der grauhaarige Kapitän mit dem mageren Gesicht.
Nebeneinander standen sie auf der Back, dicht neben dem Bugspriet. Beide suchten, während ein Teil der Besatzung ebenfalls Ausschau hielt, mit den Spektiven die Kimm und die Uferzone der Insel ab. Sie schob sich langsam aus dem Dunst und zeigte sich wenig prachtvoll.
Don Eugenio verhehlte seine Ablehnung nicht. Er wünschte die gesamte Inselgruppe zum Teufel. Aber er hielt sich an den Auftrag.
„Von unseren Schiffen ist nichts zu sehen. Oder hast du sie vor deinen Linsen?“ erkundigte sich Don Julio nach einer Weile.
„Nein, Señor.“
Rund zwanzig Dutzend Spanier der überraschend großen Mannschaft befanden sich an Deck. Die Mannschaften an den Geschützen arbeiteten ruhig und überprüften Lafetten und Rohre. Nur einige der vierundzwanzig Drehbassen waren feuerbereit. Niemand an Bord rechnete damit, von den Portus mit schwerem Feuer begrüßt zu werden. Dennoch ließ der Kommandant auf den drei Decks die Culverinen und die schweren Brocken von seinen Männern in Bereitschaft bringen.
„Ein armer Hafen am Rand der Welt“, meinte schließlich der Kapitän des Viermasters.
„Habe ich zu wenig versprochen?“ Don Eugenio rang sich ein fadendünnes Lächeln ab.
An beiden Flanken der Siedlung breiteten sich helle, lange Strände aus. Hinter niedrigen Sanddünen wuchsen windzerzauste Palmen. Eine handvoll klobiger Türme und langer Mauern zogen sich oberhalb einer kleinen Stadt an den Hängen entlang. Julio de Vilches zählte genau sechs Masten von zwei Schiffen vor der ärmlichen Kulisse Boa Vistas.
„Madre de dios“, sagte er verblüfft. „Keine Flotte. Verschwunden. Wo sind die Schiffe?“
„Das wird uns der Stadthalter von Boa Vista erklären müssen“, erwiderte der Erste. Er drehte sich zu einem Maat um und sagte laut: „Im Hafen oder im ruhigen Wasser davor sehen wir zwei Galeonen. Offensichtlich Handelsschiffe oder Sklaventransporter. Aber unsere Silberschiffe liegen nicht hier.“
Ratlosigkeit zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Murmelnd und fluchend gaben die spanischen Seeleute diese Mitteilung weiter.
Über Deck ertönten die Kommandos, die aufs Beidrehen Vorbereiteten.
Hinter dem Kommandanten und dem Ersten standen jetzt ein Dutzend Männer, unter ihnen der Zweite und der Dritte Offizier. Sie alle versuchten, mehr zu erkennen.
Aber es war nicht viel zu erkennen.
Ein Hafendamm, eher schwächlich, aber ziemlich lang und richtig angelegt. Darauf standen einige Ladebäume. Aus einem Schiff wurden Ballen und Fässer geschleppt und verschwanden samt den schwarzen Trägern und den hochrädrigen Karren im massiven Tor eines Hafengebäudes.
Über allem strahlte bei bestem Wetter die kräftige Mittagssonne. Einige Straßen waren zu sehen, gesäumt von mittelgroßen Gebäuden aus dicken Steinquadern. Steine schien es auf der Insel reichlich zu geben. Meist waren die Dächer flach. Sie bildeten also Auffangbecken für Regenwasser, was darauf schließen ließ, daß es viele unterirdische Zisternen gab. Zwei Kirchtürme überragten die Hausdächer. Zwischen den Mauern wuchsen große Bäume mit sattgrünen Blättern. Aus vielen Kaminen stiegen dünne Rauchsäulen schräg in den Himmel.
„Da leben nicht mehr als eineinhalbtausend, höchstens zweitausend Portugiesen“, brummte der Dritte.
„Und einige tausend Sklaven“, fügte de Vilches hinzu.
Viele Türme und Mauern zeigten kantige Schießscharten und wuchtige Zinnen. Die Spanier entdeckten eine Anzahl kleiner und auch etliche beachtlich große Geschütze, wahrscheinlich Fünfundzwanzigpfünder. Je deutlicher die Einzelheiten der Hafengegend wurden, desto mehr schwarze Männer sahen die Spanier an allen Stellen der Siedlung.
Die Insel schien nur im Inneren reich bewachsen zu sein. An einigen Hügelflanken waren weidende Rinder und schmale Straßen oder Terrassen zu sehen, hinter denen Pflanzen wuchsen.
Don Julio de Vilches senkte das Spektiv, drehte sich um und starrte in die Gesichter seiner Offiziere. Plötzlich strahlte seine dürre Gestalt, um deren Glieder die Kleidung schlotterte, Macht und Stärke aus. Aber nur für einen kurzen Augenblick.
Mit scharfer Stimme befahl er: „Alle Geschütze klar zum Feuern, aber nicht ausrennen. Beidrehen. Wir lassen den Anker mitten im Hafen fallen. Der Gouverneur wird uns Rede und Antwort stehen müssen.“
„Beiboot klar zum Wassern, Señor?“ fragte der Bootsmann.
„Selbstverständlich.“
„Sie rechnen damit, daß die Portugiesen unsere Flotte beraubt und versenkt haben?“ erkundigte sich der Dritte.
„Ich weiß nicht, womit ich rechne“, antwortete der Kommandant des schweren, breitgebauten Schiffes, das sich langsam näher schob und die äußersten Wellenbrecher passierte. De Vilches holte tief Atem. „Aber ich bin sicher, daß hier eine gewaltige Schweinerei passiert ist. Die Schiffe der spanischen Silberflotte verschwinden nicht spurlos vom Meer. Überdies gibt es hier genügend Inseln. Ein anderes Versteck ist denkbar. Aber sie sollten Boa Vista angelaufen haben.“
„Wir sind im Hafen von Boa Vista. Das ist gewiß“, setzte Don Eugenio grimmig hinzu.
Zwischen den Häusern, auf den kleinen Brücken und den breiten Flächen hinter dem bröckeligen Kai sammelten sich die hellhäutigen Menschen. Nur die schwarzen Sklaven bewegten sich weiter. Als die Segel angebraßt wurden, hörten die Spanier deutlich das Knallen der Peitschen und das Klatschen der Riemen auf der nackten Haut.
2.
M’Nofo hob den Kopf und starrte aus schmalen Augen zu dem riesigen Schiff.
„Das sind keine Portugiesen“, murmelte er.
Der Mann neben ihm, der sich in das Joch des Karrengeschirrs stemmte, wischte den Schweiß von der dunklen, tätowierten Stirn und sagte röchelnd: „Nein, es sind Spanier.“
Sie nickten einander zu und blickten, ohne die Köpfe zu drehen, zu dem Fischerboot hinüber, das fast am Ende ihres Sichtfeldes hoch und trocken auf dem Sand lag.
„Es sieht für mich aus“, sagte M’Nofo in der Sprache seines Stammes von der Westküste, „als ob es keine Freunde unserer Herren sind.“
„Wird Ärger geben“, sagte der breitschultrige Zagor.
„Hoffentlich.“
„Je mehr, desto besser“, sagte Zagor und duckte sich unter der Peitsche des Aufsehers.
Der Plan, den sich M’Nofo und Zagor überlegt hatten, war ebenso einfach wie selbstmörderisch: sie wollten flüchten – mit insgesamt einem Dutzend jünger Männer und Frauen. Sie wollten keine Sklaven mehr sein. Sie wollten nicht mehr gepeitscht werden und vielleicht auf eine der unbewohnten Inseln fliehen. Beide waren jung, klug und kräftig, denn sie galten bis vor wenigen Monden als Nachfolger ihrer Väter in der Häuptlingswürde.
Während sie weiter den schweren Karren über die Sandflächen, den Kies und das glühendheiße Pflaster zerrten, dachten sie unausgesetzt an die vielen möglichen und die wenigen wahrscheinlichen Fluchtwege nach. In ihrem Stamm und inmitten der vertrauten Umgebung hätten sie nicht die geringsten Schwierigkeiten gehabt. Hier, in einem fremden Land, galt schon eine verdächtige Bewegung als Fluchtversuch.
Aber sie waren auf der Hut und würden sich listig wie alte, erfahrene Jäger verhalten.
Während sie die schweren Fässer, aus denen es nach Fisch und nassem Salz stank, entlang des Hafendamms in die Richtung der Lagerhäuser zerrten und schleppten, brannte die Sonne gnadenlos und ohne Schatten herunter.
Die Stadt war voller Sklaven, und gerade jetzt, um Mittag, füllte sich eine Kirche, in der die Weißen merkwürdige Handlungen ausführten und versuchten, die zuverlässigen, alten Waldgötter gegen andere Götter und seltsame Riten zu ersetzen.
„Vielleicht ist heute der richtige Tag“, keuchte der Häuptlingssohn mit den Schmucknarben auf der Brust.
„Oder die Nacht.“
Auf der rechten Seite des annähernd halbrunden Hafenplatzes standen etwa zwanzig Häuser. Ausnahmslos erhoben sie sich auf wuchtigen Sockeln, die aus Basaltbrocken bestanden. Die Fronten waren aus hellen Steinquadern gemauert. Zahllose Fenster, Türen und kleine Balkone blickten auf die Handelsschiffe, die am Kai vertäut waren.
Unter den vorspringenden kleinen Schattendächern hingen in der Mittagsglut regungslos einige Gildezeichen: die Schenken warteten auf Gäste und die Händler auf Kunden. Vor dieser Kulisse bewegten sich halbnackte Schwarze, von denen die Schiffe entladen und beladen wurden. Aber es gab zwischen den schwitzenden Negern auch solche, die mehr oder weniger gute Kleidung trugen.
Das waren die Hausdiener, die schon so lange auf der Insel lebten, daß ihre Kinder die Sprache der Portugiesen besser sprachen als die Eltern von der Küste jenseits des grünen Kaps, des Cabo verde.
Der Häuptlingssohn wußte das alles recht genau. Aber es interessierte ihn nur so viel, wie es wichtig war für sein Vorhaben.
Die Wächter in der Garnison, in den großen, von Sklaven gefüllten Hallen, erwarteten in einem Mond das Schiff aus Brasilien. Dieses Schiff sollte dreihundert oder mehr Neger nach Westen bringen. Und es hatte sich herumgesprochen, daß viele der angeketteten Sklaven die lange Seefahrt nicht überlebten.
So wie der Häuptlingssohn M’Nofo dachte, beobachtete und überlegte, sah auch der getaufte schwarze Christ Osini das große Schiff der Spanier heransegeln.
Er arbeitete auf einem der höchstgelegenen Felder des Hügels und hütete Schafe, Ziegen und zwei Kühe. Er mußte aufpassen, daß sie nicht an die Bananenstauden gingen.
Die viermastige Galeone mit unzählig vielen geschlossenen Stückpforten drehte majestätisch langsam bei. Ein Teil der Segel wurde backgebraßt, und die Fahrt der Galeone wurde aufgehoben. Der Buganker fiel in der Mitte des Hafenbeckens.
Das Deck wimmelte von Seeleuten und grimmig blickenden Männern, die halbwegs wie Soldaten aussahen. Ein Dutzend Männer befestigten Taue am Beiboot und schwenkten es mit einer Talje der untersten Rah aus den Klampen.
Kommandos hallten über das Wasser.
Fast im selben Moment fing die Kirchenglocke zu läuten an. Niemand in der Hafengegend kümmerte sich darum. Ein Taubenschwarm flatterte von den Dächern auf und beschrieb Kreise und Wirbel über dem Strand und den Dünen. Die Brassen hingen durch, und der Bugspriet der Galeone mit den auffallenden Wimpeln und den spanischen Flaggen schwang langsam herum. Das reich verzierte Heck schien sich den beiden alten Schiffen zuzudrehen.
Seeleute enterten die Wanten hoch und rutschten auf die Rahen.
Nicht alle Segel wurden aufgetucht. Auf die Bewohner, die diesem Manöver zusahen, wirkten die Handlungen keineswegs so, als wollte der Kapitän mit seinem Schiff für längere Zeit im Hafen bleiben.
Niemand wußte, was der Spanier hier suchte. Nicht einmal der Stadthalter erwartete eine spanische Galeone.
Offensichtlich herrschte auch keine Notlage, die den Spanier zwang, hier Schutz zu suchen oder anzulegen.
Joaquim da Braga, der portugiesische Statthalter Boa Vistas, sah zugleich mit der Galeone ernsthafte Schwierigkeiten auf sich zukommen. Er rief nach seiner schwarzen Sklavin und befahl, die Prachtuniform zu bringen.
Don Julio zog die Krempe des Hutes tiefer in die Stirn und hob angriffslustig seine mageren Schultern.
„Señores!“ sagte er mit plötzlicher Schärfe. „Es kann sein, daß sich die Silberschiffe auf São Tiago verstecken, im Hafen von Ribeira Grande. Aber es ist ebenso möglich, daß sich unsere verbündeten Portugiesen einen Scherz von verbrecherischer Größe erlauben wollen. Ich finde es heraus, verlassen Sie sich darauf. Es kann sein, daß die Geschütze sprechen müssen, um die Schurken zu einem Geständnis zu zwingen.“
„Ich traue ihnen auch nicht. Für diese Stadt wäre ein solch ungeheuerlicher Schatz ein Vermögen für das nächste Jahrhundert“, erklärte mit durchdringenden Blicken der Erste Offizier. „Ich denke, daß wir die Flotte finden.“