Seewölfe - Piraten der Weltmeere 640

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„Wenn sie sich hier finden läßt.“ Der Kommandant deutete herrisch auf einen Bootsmann. „Die Bootsgasten sind bereit?“
„Jawohl, Señor“, lautete die Antwort.
„Don Eugenio begleitet mich. Macht die Geschütze gefechtsklar. Ich rechne mit Widerstand.“
„Verstanden, Capitán!“ rief der Stückmeister. „In einer Stunde sind alle Geschütze bereit. Die Hälfte habe ich bereits kontrolliert.“
„Weiter so.“
„Zehn Mann in Waffen ins Boot. Wir pullen hinüber zum größten Haus, auf dem wir die Flagge gesehen haben. Die Schiffsführung übernehmen vorübergehend diese beiden Señores.“
Er nickte dem Zweiten und Dritten kurz zu und stieg den Niedergang zur Kuhl hinunter. Die Jakobsleiter war ausgebracht, das Beiboot wartete. Die Männer trugen Helme und Rüstungen und hielten die Riemen senkrecht. Der Kommandant enterte in die Jolle ab und setzte sich neben dem Ersten auf die Achterducht.
„Ablegen!“ schnarrte er.
Die Belegleinen wurden losgeworfen, das Boot wurde abgedrückt, und die Riemen tauchten ein.
„Holt durch“, befahl der Bootsmann.
Die beiden Offiziere blickten von der Kampanje dem kleinen Boot nach, das quer durch den Hafen und auf die steinernen Poller vor dem breit hingelagerten Bauwerk gepullt wurde. Das breite Portal aus hellem Stein wirkte, als habe ein schlechter Baumeister versucht, ein prunkvolles Vorbild aus Lisboa nachzuahmen.
Die ersten Gruppen der Insulaner blieben stehen und betrachteten ohne Scheu und in offener Neugierde das sich nähernde Boot vor der Kulisse des offenen Meeres, des Hafens und der drei Schiffe. Die Aufseher trieben die Sklaven weiterhin rücksichtslos mit den Peitschen und langen Knüppeln an. Von Deck der Galeone und von ihren Plätzen hinter dem Schanzkleid sahen die Spanier, wie schwere Ballen aus bunten und weißen Baumwollstoffen in das kleinere Schiff geladen wurden.
Noch immer bimmelte die kleine Glocke im Kirchturm.
Als das Beiboot anlegte und drei Negerjungen die Tauenden packten, öffneten sich knarrend die hohen, verwitterten Türen im Eingang des Hafengebäudes.
Zwei nachlässig gekleidete Musketenträger hielten die schmalen Balkentüren offen, und ein gedrungener, schwarzhaariger Mann, seinen Hut schwenkend, eilte auf den Kommandanten zu. Nach zehn Schritten merkte er, daß er wenig würdevoll hastete. Er drückte die Brust heraus, ging langsamer und blieb stehen, als der prächtig gekleidete spanische Kapitän an Land kletterte.
Mittlerweile waren noch mehr Portugiesen herangeschlendert. Einige wurden von schwarzen Dienern begleitet, die Sonnenschirme über die Köpfe ihrer Herren hielten.
Das Läuten vom nahen Kirchturm hörte endlich auf.
Der Spanier, die Hand am Griff seines kostbaren Degens, blieb auf doppelte Armeslänge vor dem Kleineren, schwitzenden Mann stehen und sagte mit dünner, trockener Stimme: „Mein Name ist Don Julio de Vilches, Kommandant der ‚Casco de la Cruz‘, ausgesandt, um die Silberschiffe unseres Königshauses zu schützen. Wo sind die Schiffe?“
Der Portugiese verbeugte sich knapp. Sein Gesicht drückte völliges Erstaunen aus. Schließlich breitete er in einer Art Gruß beide Arme aus und sagte: „Ich bin Joaquim da Braga, Gouverneur hier auf Boa Vista, und ich versichere Ihnen, daß ich nicht genau verstehe, wovon Sie sprechen, Kapitän.“
Sie starrten einander in die Augen. Hinter de Vilches enterte der Erste auf die Pier, an der sich die Wellen klatschend brachen.
„Ich suche einen Konvoi, der auf dem Weg nach Spanien hier Schutz und Hilfe gesucht hat.“
„Einen Konvoi gar, Señor? Wie viele Schiffe?“ fragte der Gouverneur. Er schüttelte völlig entgeistert den Kopf. Ein paar Müßiggänger drängten sich näher heran.
„Es sind meines Wissens nach elf Schiffe. Wir sind hier, um den Konvoi im Empfang zu nehmen. Die schnelle ‚Isabella‘ ist uns vorausgesegelt, und wir erwarten hier angeschlagene Schiffe, die eure Hilfe suchten.“
„Wann soll das alles gewesen sein?“ fragte der Portugiese verwirrt.
„Innerhalb der letzten Tage“, erwiderte de Vilches wütend. Er fühlte sich genarrt. „Wo sind die Schiffe?“
Der Portugiese holte tief Luft. Immer mehr Boa Vistaner versammelten sich auf dem leeren, staubigen Platz und bildeten einen lockeren Halbkreis.
Schließlich sagte da Braga: „Lassen Sie uns ins Rathaus gehen, Kapitän. Es ist wenig komfortabel, hier in der Hitze über solch schwerwiegende Fragen zu sprechen. Es ist angenehm kühl in meinem anspruchslosen Amtsraum.“
„Danke“, erwiderte de Vilches und zügelte seine Wut. „Kommt mit, Don Eugenio.“
„Ist wohl das beste, Señor.“
Während sich Don Eugenio Pergoza mit zwei Fingern Schweißtropfen von seiner schiefen Nase wischte, warf er mißtrauische Blicke in die Umgebung. Seine durchdringenden Augen trafen nur auf erstaunte und verwunderte Gesichter und die schwer zu deutenden Mienen der Sklaven.
Auf dem sandigen Vorplatz lagen schwarze Schatten. Ein Hund hinkte auf drei Beinen, den Schwanz eingeklemmt, an der Mauer vorbei. Die Kette der schwarzen Träger bewegte sich von den Schiffen bis zu einem breiten Spalt in den Mauern weiter.
„Bitte, durch dieses Tor“, sagte Joaquim da Braga halblaut. „Meine Residenz ist natürlich nicht zu vergleichen mit dem Prunk eurer spanischen Schlösser.“
„Wir sind nicht hier, um prachtvolle Säle zu bewundern“, erwiderte der Kapitän finster.
Die Posten salutierten nachlässig. Eine Treppe aus vulkanischem Gestein führte in einer halbdunklen, kühlen Vorhalle in den ersten Stock. Gelbes Sonnenlicht fiel durch schmale Fenster. Schweigend folgten die beiden Spanier dem kleinen Gouverneur über die Stufen aufwärts.
Mehrere Türen standen offen. Die Spanier sahen immer wieder die neugierigen Gesichter junger Sklavinnen. Dann öffnete sich lautlos eine breite Tür, und sie gelangten in einen Raum, dessen Fenster und die Balkontüren auf den Hafen hinausführten.
„Nehmen Sie Platz“, sagte der Gouverneur und klatschte in die Hände.
Lautlos erschienen zwei Sklavinnen.
„Bringt guten Wein für die Señores“, befahl da Braga. „Und dann laßt uns allein.“
Die Negerinnen zogen sich mit aufreizenden Bewegungen zurück, brachten einen Krug und drei zerbeulte Pokale, gossen Wein in die Gefäße und schlossen kichernd die schmale Tür hinter sich.
Der Gouverneur stützte sich schwer auf die rissige Tischplatte, auf der Papiere und Schreibgeräte lagen, und sagte: „Auf Ihr Wohl, Señores. Zunächst willkommen in Boa Vista, einer Insel, die wenig Reichtum, aber viel Herzlichkeit zu bieten hat. Es ist niemals ein Schiff namens ‚Isabella‘ hier gesichtet worden. Wenigstens nicht während meiner Zeit, und die ist schon drei Jahre mit Boa Vista verbunden. Ich bedaure, keine andere Antwort geben zu können.“
Don Julio kostete von dem Wein. Er war gar nicht übel. Als er sich zurücklehnte, knarrte das Holz des Stuhles, als würde er sich in die Einzelteile zerlegen.
„Vielleicht ist die ‚Isabella‘ wirklich nicht in Ihrem Hafen. Aber wo sind die anderen Schiffe? Meine Befehle sind eindeutig. Ich weiß, daß sie sich hier versammelten.“
„Ich schwöre Ihnen, daß sich hier seit einem Monat kein spanisches Schiff hat sehen lassen. Keine ‚Isabella‘, kein Verband von elf Silberschiffen. Sie können jeden Menschen auf der Insel fragen. Niemand hat Ihre Schiffe gesehen. Vielleicht liegen sie in Ribeira Grande, unserer reichen Hauptstadt, die freilich schon zweimal von den Engländern überfallen und niederträchtig ausgeplündert worden ist.“
„Boa Vista, so lauteten die Anweisungen. Don Ricardo de Mauro y Avila schrieb von widrigen Winden und der Notwendigkeit schneller Hilfe. Und hier sind wir.“
Don Eugenio Pergoza ließ deutlich erkennen, daß er dem Statthalter nicht ein Wort glaubte. Andererseits sagte er sich, daß es die wenigen Bewohner der Stadt kaum geschafft hätten, elf Schiffe oder gar zwölf anzugreifen oder in eine Falle zu locken und auszuplündern. Er traute den Verbündeten vieles zu, und jetzt ahnte er, daß sie auf der Spur einer riesigen Schwindelei waren.
„Die Kapverdischen Inseln bestehen aus mehr als einem Dutzend Inseln. Nur drei sind bewohnt. Warum suchen Sie die Flotte nicht in São Tiago? Sie dürfen sich überall umsehen, Señores. Aber ich kann Ihnen nicht mehr sagen, als ich weiß.“
Da Braga ließ eine Pause eintreten, nahm einen Schluck und fuhr mit dem Handrücken über seinen mächtigen schwarzen Schnurrbart.
„Und ich weiß wirklich nicht mehr. Was kann ich sonst für Sie tun? Brauchen Sie Wasser, Vorräte, Nahrungsmittel? Ein paar Mädchen für die Seeleute?“
Abwehrend hob Don Eugenio die Hand. „Sie können uns sagen oder zeigen, wo die Schiffe sind. Wahrscheinlich habt ihr Portugiesen sie in einer der tausend Buchten versteckt.“
Don Eugenios Worte schienen ohne Ärger oder Leidenschaft ausgesprochen zu sein. Sein Gesicht hatte sich nicht verzogen, die Beleidigung ging ihm glatt von den Lippen. Der Gouverneur hatte eben an seinem Wein nippen wollen. Jetzt sprang er auf und verschüttete die Hälfte aus seinem Becher.
„Wollen Sie mich beleidigen?“ rief er verwirrt. „Wollen Sie sagen, daß die Bewohner von Boa Vista Strandräuber seien?“
„Niemand hat das gesagt“, erwiderte der Kapitän und unterstützte seinen Ersten. „Aber wo sonst sollen die Silberschiffe sein?“
„Überall, auf allen sieben Meeren, aber nicht in Boa Vista. Es steht den Spaniern frei, im Gebiet der Kapverden herumzusegeln und zu suchen. Was Boa Vista und seine fleißige Bevölkerung betrifft, so wissen sie nichts von spanischen Silberschiffen.“
Die seltsame Unterhaltung begann sich im Kreis zu drehen. Mühsam bewahrten die drei Männer ihre Ruhe. Aber der Zorn der Spanier über die betrügerischen Insulaner wuchs ebenso wie die wütende Ratlosigkeit des Gouverneurs angesichts des ungeheuerlichen Vorwurfs.
Schließlich breitete da Braga seine Arme aus und rief in echter Verzweiflung: „Was kann ich tun? Warum glauben Sie mir nicht? Wie kann ich Ihnen beweisen, daß wir kein Schiff gesehen haben? Daß wir keine Nachricht von Ihren Schiffen haben? Fragt die Händler auf den Galeonen, ob sie etwas wissen. Sie laden und entladen schon seit vier Tagen.“
Wütend starrten sie einander über die Tischplatte hinweg an. Durch die offenen Fenster und Türen drangen die Geräusche aus dem Hafen in das kühle Zimmer. Die Kimm der See, hinter den Masten und den Wellenbrechern zu sehen, war leer. Es wäre schön, sagte sich Don Julio, wenn dort plötzlich die Schiffe auftauchen würden.
Aber – sie blieben verschwunden.
Diego Cadia, der Bootsmann, nickte den vier Männern, die vor ihm standen, zu. Seine Augen deuteten hinüber zu dem bunt gemalten Schild der Hafenschenke.
„Ihr geht hinüber, trinkt einen Becher Wein und zahlt.“ Seine Hand grub im Gürtel und holte kleine spanische Münzen hervor. „Und ihr hört euch um. Eine halbe Stunde, nicht länger. Befehl vom Kapitän. Wo sind die verfluchten Schiffe? Kehrt ja nicht zurück und sagt, ihr wißt nichts.“
Er warf dem einen die Münzen zu, nahm dessen Muskete an sich und deutete mit dem Daumen zu der Häuserzeile: „Ab mit euch!“
Die Männer nickten und stiefelten hintereinander entlang des Kais. Die schuftenden Negersklaven beachteten sie kaum. Aber mit großen Augen starrten sie die jungen Negerinnen an, die in den portugiesischen Kleidungsstücken seltsam aufreizend wirkten. Die Negerinnen schienen sich sogar wohl zu fühlen. Jedenfalls wirkten sie nicht so, als wären sie mit Gewalt und Peitschenhieben in die offenen Mieder gepreßt worden.
„Sie kaufen die Neger drüben in Afrika“, brummte ein Spanier. „Und ein paar behalten sie wohl auch.“
„Sie sollen alle getauft sein“, stimmte ihm der Hintermann zu.
„Natürlich behalten sie die schönsten jungen Weiber“, sagte Salo, der die Handvoll Münzen verwaltete. „Aber da ist mit unserem Alten nicht zu spaßen.“
„Mit den Portugiesen hier wahrscheinlich auch nicht.“
Der Bootsmann hatte ihnen eingeschärft, sich umzusehen. Aber auf dem Weg vom Anlegeplatz zur Hafenkneipe, etwa zweihundertfünfzig Schritte weit, konnten sie nichts Verdächtiges entdecken. Weder Schiffstrümmer noch Seemannskisten oder die Spuren von Kämpfen, denn die Silberschiffe würden sich bis zum letzten Pistolenschuß erbittert gewehrt haben. Sie sahen auch keine versteckten Blicke von Piraten oder Strandräubern mit schlechtem Gewissen.
Überall wurde, wenn auch ohne große Hast, gearbeitet. Vom nahen Hang ertönte das Meckern von Ziegen, und sonst waren die Geräusche der Wellen das Lauteste, was zu hören war. Salo mit den breiten Schultern schob den Holzperlenvorhang der Schenke klappernd zur Seite.
„Buenos dias“, sagte er laut und blinzelte im Halbdunkel. „Habt ihr ein paar Becher Wein für durstige Spanier?“
„Ihr seid von der Galeone, nicht wahr?“ fragte der Wirt, rückte ein paar Stühle um einen Tisch und stieß einen Fensterladen weit auf.
„Von der ‚Casco de la Cruz‘, richtig“, erwiderte Salo. „Dein Spanisch ist nicht schlecht, Wirt.“
Sie waren allein in der Gaststube. Sie war ärmlich, aber sauber und nur für zwei Dutzend Gäste eingerichtet. Mittags gab es hier also nichts zu essen. Der Wirt musterte die vier spanischen Seeleute. Er schien sie mit Wohlwollen anzusehen, zapfte in vier große Tonbecher aus einem dicken Faß ab und stellte sie vor die Spanier.
„Hab’s in eurer Flotte gelernt“, brummte der Wirt. Sie hoben die Becher und tranken. „Ihr seid auf Landgang?“
„Wir suchen elf Schiffe“, erklärte Salo lakonisch. „Habt ihr sie geklaut?“
Der Wirt lachte laut, lehnte sich gegen seinen Schanktisch und schlug sich auf die Brust.
„Ich, Ramon, hätte gern ein Schiff. Läßt sich gutes Geld verdienen, wenn man drüben am grünen Kap Schwarze kauft, taufen läßt, ihnen das eine oder andere beibringt und nach Brasilien schafft. Im Ernst – welche elf Schiffe?“
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