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Der Wedel beugte sich etwas vor, sodass er Gwyn direkt ansehen konnte und sein Gewicht noch fester auf den Brustkorb des Zhaki verlagerte. »Wo sind der Messerdämon und die Prinzessin?«, fragte er mit leicht gesenkter Stimme und tat, als würden seine Kollegen nicht wie Wildgewordene hinter ein paar harmlosen Feen her hüpfen oder – wie im Fall des Schrankes – Büsche durchwühlen, als erwartete er ernsthaft, Machairi könnte im Unterholz hocken.
»Weiß ich nicht«, stieß Gwyn hervor und erwiderte den Blick des Mannes mit Wut. Technisch gesehen hätte Gwyn ruhig die Wahrheit sagen können. Geglaubt hätten sie ihm ohnehin nicht. Natürlich kam Machairi zu verraten trotzdem nicht in Frage. Nicht schon wieder.
»Ist es nicht deine Aufgabe, zu wissen, wo dein Herr sich aufhält?«, fragte der Soldat und der drohende Tonfall verschärfte sich. Gwyn erinnerte sich an die braunen Kleider und mit jeder Sekunde schwand der Frieden, den die Feen noch eine Weile hinterlassen hatten, rapide weiter.
Gwyn schob das Kinn vor und weigerte sich, diesem Mann den Respekt entgegenzubringen, den er offensichtlich erwartete. »Wo der ist, weiß ich. Er ist aber nicht Machairi.« Er sah dem Wedel direkt in die Augen und musste nicht mal lügen.
»Ach?« Der Mann nahm den Stiefel von Gwyns Brust und zog stattdessen sein Schwert. Die blitzende Klinge fing das gebrochene Licht der vielen kleinen Gebäude auf und reflektierte die Spektren. Es hätte schön aussehen können, aber kein Schwert, das sich auf seinen Hals richtete, konnte Gwyn aufrichtig als schön bezeichnen. »Mit wessen Unmut muss ich denn dann rechnen, wenn ich dir einfach die Kehle durchschneide?«
Der Feuerspucker fragte sich, ob die Soldaten Mico, Vica und Gina wohl gefasst hatten. Sie mussten seiner Spur schließlich vom Zhakidorf aus gefolgt sein. Am liebsten hätte Gwyn einfach behauptet, dass er in jenem Dorf lebte, aber das hätte ihm früher einfallen müssen. Er zuckte mit den Schultern. Fast war es ihm egal, ob der Wedel seine Drohung wahrmachte. Nur den Feen wollte er so gerne helfen, dass es frustrierend gewesen wäre, jetzt zu sterben. Wenn sie diesen wundervollen Ort seinetwegen nun zerstörten, gab es erneut etwas, wofür er sich Vorwürfe machen konnte, und nach wie vor nichts, was er tun konnte, um es wiedergutzumachen. »Mit meinem nicht«, sagte er deshalb und wich der Frage damit effektiv aus. Sein Überlebenswille war dank der Feen anfänglich zurückgekehrt, aber mit noch mehr Schuld wollte er nicht leben. Die Fee, die zuvor auf seinem Knie gesessen hatte, schwirrte kurz darauf über ihm her und ließ ihm einen Kiesel auf die Stirn fallen. Es war wohl kaum als Angriff zu verstehen, aber er war sich sicher, dass das kein Zufall gewesen war.
Der Wedel dagegen schien mehr als unzufrieden mit Gwyns Antwort. Es war nicht einmal ungewöhnlich, dass Sklaven sich früher oder später in ihr Schicksal fügten, und bevor sie Kefa verlassen hatten, war die Selbstmordrate aufgrund einer neuen Mode für Strafen deutlich gestiegen. Immerhin schien der Wedel zu denken, dass er so nicht weiterkommen würde, und nahm das Schwert zur Seite. Er hatte eine Prinzessin zu finden und keine Sklaven zu erschlagen. Tatsächlich beobachtete Gwyn sich dabei, dass er erleichtert aufatmete. Vielleicht, so dachte er, war ihm sein Leben doch nicht so egal, wie er sich selbst eingeredet hatte.
Die kurze Genugtuung über diese Erkenntnis verblasste, als Gwyn aufsah und beobachten konnte, dass der Bärtige, der Jungspund und der Dumme inzwischen einen der kleinen Pavillons von seinem Baum geschnitten hatten. Wie eine Frucht musste er daran gehangen haben, denn der Baum hatte eine harzende Wunde an der Stelle. Der Dümmliche hielt das filigrane Gebilde in den Händen und drehte es interessiert, während Gwyn es ihm am liebsten entrissen hätte. Es tat ihm in der Seele weh, mitanzusehen, wie diese Männer mit diesem wundersamen Ort und seinen Bewohnerinnen umgingen. Die anderen beiden Soldaten hatten indes zusammen sieben Feen gefangen und drückten die kleinen Wesen mit dem einen Arm gegen die gepanzerte Brust, während sie mit dem anderen weiter durch die Luft fischten, in der Hoffnung, vielleicht doch noch eine weitere zu erwischen.
»Es ist niemand sonst hier«, grunzte der Schrank und beendete seine Suche in den Büschen. So eine Überraschung.
Kurz ließ der Wedel den Blick über die kleine Lichtung schweifen und nickte schließlich, als hätte er sich noch selbst davon überzeugen müssen, dass niemand sonst hier Spuren hinterlassen hatte. Gwyn versuchte indes, sich von den Fesseln zu befreien, wurde allerdings auf die Beine gerissen, bevor er es auch nur schaffte, den Knoten zu ertasten. Auch wenn es mit dem Feuer ein Leichtes gewesen wäre, ein Seil durchzubrennen, wagte er es nicht einmal, eine kleine Stichflamme zu rufen. Abgesehen davon, dass er dabei vermutlich seine Kleider ver- oder zumindest angebrannt hätte. Der Wedel befahl, dass sie gehen würden, und Gwyn sah nur noch eine Chance, den Feen zu helfen. »Lasst die Feen lieber hier!« Er sprach vor allem an den Jungen, weil er auf dessen Aberglauben baute. »Wisst ihr es nicht? Es bringt fünfundzwanzig Jahre Unglück, eine Fee zu fangen.«
»So‘n Quatsch«, schnauzte der Dumme und man musste sich Sorgen machen, dass er das geraubte Feenhaus nun auch noch fallen lassen würde. Sicherlich würde es in tausend Stücke zerspringen. »Die können ja nich mal sprechen. Dann können se auch kein Pech bringen.« Es hätte viele logische Dinge gegeben, die man auf Gwyns Behauptung hätte sagen können. Dies war keines davon. Das Frustrierende daran war nur, dass es dem Rest zu reichen schien.
Der Wedel hatte scheinbar Profit gerochen und schmunzelte. »Nehmt die Viecher und kommt«, bellte er und trat den Rückweg an. Mit sieben entführten Feen, einem geklauten Kristallhaus und einem wütenden Gwyn, der von dem Schrank durch den Wald geschubst wurde, verließen die Soldaten die wundersame Lichtung. Sie hinterließen Chaos und Leid, aber immerhin keine vollständige Zerstörung.
Den Moment, das Feuer einzusetzen, hatte er verpasst, so sagte er sich, und allein einen Kampf aufzunehmen, war dumm. Vielleicht konnte er es schaffen zu entkommen, wenn sie erst irgendwo ankamen und er wusste, ob die anderen ebenfalls gefangen genommen worden waren. Da sie gründlich genug in ihrer Suche gewesen waren, um ihn zu finden, befürchtete der Feuerspucker, dass zumindest Vica, die im Moment nicht ganz sie selbst zu sein schien, ihnen in die Hände gefallen sein könnte. Ein Windhauch fuhr Gwyn unter das Hemd und kurz darauf folgte ein sanfter, warmer Magieimpuls und etwas klammerte sich von Innen in das Kleidungsstück. Überrascht sah Gwyn an sich hinab und hoffte, dass niemand die kleine Ausbeulung bemerken würde, die sich nun an seiner Seite erhob.
Das Dorf war ein Schlachtfeld. Einige der Zelte waren in sich zusammengefallen und tote Zhaki lagen im Staub. Sogar ein paar Soldaten schienen ihr Leben gelassen zu haben und zwei Kreaturen, die Gwyn nicht zu benennen vermochte. Schwarze ledrige Haut spannte sich über knochige Flügel und unter dem Oberkörper zeichnete sich eine Wirbelsäule ab. Auch dort spannte sich die schwarze Haut über die Knochen und die Beine waren so dünn, dass Gwyn bezweifelte, dass man tatsächlich noch darauf laufen konnte. Arme hatten die Gestalten keine. Beim Anblick des Gesichts wandte Gwyn hastig den Blick ab. Riesige weiße Glubschaugen starrten milchig ins Nichts und ein von Hautfetzen bedeckter Schnabel ragte dem Ding anstatt von Mund und Nase mitten aus dem Gesicht. Wo auch immer diese Viecher hergekommen sein mochten, sie hatten scheinbar das Dorf verteidigt und die Soldaten getötet. Allerdings wohl nur mehr oder weniger erfolgreich, denn es war kein Zhaki zu sehen. Kein lebendiger zumindest. Einige wenige Soldaten standen Wache zwischen den Häusern und einer beäugte die geflügelte Kreatur mit Faszination und Abscheu zugleich. Eine Mischung, die Gwyn sehr gut nachvollziehen konnte. Nachdem er die wundervollen kleinen Feen kennengelernt hatte, waren diese humanoiden Kreaturen ganz besonders absonderlich. Mit den Krallen an den Füßen konnten sie einen Menschen aufschlitzen, anstatt ihm Ruhe zu bringen wie die kleinen Feen.
Die Fee, die unter Gwyns Hemd saß, zitterte inzwischen. Es musste sie eine Menge Kraft kosten, sich so lange mit ihren winzigen Händchen im Stoff festzuklammern, anstatt ihre Flügel zu benutzen. Sie war ganz schön heldenhaft für so ein kleines Ding. Sie tat, was Gwyn in Om’falo auch hätte tun sollen: Was auch immer getan werden musste, um ihren Freunden zu helfen.
Leider bekam die Kleine noch lange keine Pause, denn der Weg führte weiter. Spätestens als sie nach einem weiteren Marsch durch den Wald mit mehr Soldaten um sich, den Sandstrand wieder erreichten und er das zugegebenermaßen eindrucksvolle Schiff vor der Insel liegen sah, wusste er, wohin sie ihn brachten. Natürlich musste er schon wieder auf ein Schiff. Sein Magen drohte sich umzudrehen bei der Vorstellung, vor allem, als er die Fesseln auf seinem Rücken spürte und die Hand im Nacken, als man ihn in das Beiboot zwang. Er saß in der schaukelnden Nussschale und versuchte verzweifelt, die aufkommende Panik und das damit stärker lodernde Feuer zu unterdrücken. Es gab kein Entkommen und er war nach allem, was passiert war, psychisch nicht auf der Höhe, um ausgerechnet auf einem Schiff eingesperrt zu werden. Nur die Fee war vermutlich erleichtert, dass er endlich saß, und sie auf seinem Bein stehen konnte, um ihre Hände zu entspannen.
Immer wieder wurde Gwyn von einem Zittern durchfahren, sah das Land hinter sich schwinden und wünschte sich jetzt schon zurück. Sein Blick fiel zu dem gigantischen Vulkan und über die saftige Natur und er bedauerte es, dass er sich nicht in der reichhaltigen Unberührtheit verloren hatte. Als das Beiboot gegen das Schiff stieß, war Gwyn bereits so übel, dass er sich über die Reling erbrochen hätte, wenn er nicht ewig nichts gegessen hätte. So konnte er unmöglich eine Leiter hinaufklettern, ganz davon abgesehen, dass er das mit gefesselten Händen ohnehin nicht konnte. Vielleicht sollte er das Schiff in Flammen setzen, solange die Küste noch erreichbar war. Allerdings saßen sie dann mit den ganzen Soldaten auf der Insel fest, denn von dem Handelsschiff, mit dem sie gekommen waren, fehlte jede Spur. Er befürchtete schon, dass sie ihn vielleicht einfach irgendwie hinaufzerren würden, ohne Rücksicht auf seine Knochen oder die Fee, von der sie nichts wussten. Stattdessen verließen alle bis auf einen das Boot über die Leiter und Gwyn saß noch immer da. Etwas neugierig und hauptsächlich mit ziemlich mulmigem Gefühl beobachtete er, wie der letzte Verbleibende von oben Seile auffing und sie am Beiboot befestigte. Er war also nicht nur hier, um Gwyn zu bewachen, was ohnehin unnötig war, weil der Zhaki auf Gedeih und Verderb nicht mit gefesselten Händen ins Wasser gesprungen wäre. Selbst ohne Fesseln hätte er es wahrscheinlich nicht gewagt. Als wasserscheue Person war er kein besonders guter Schwimmer. Trotzdem versprachen Schiffe Unheil, das bewies sich hier nun erneut.
Das Beiboot wurde mit den beiden Männern nach oben gezogen. Gwyn konnte nur hoffen, dass die Taue fest genug waren. Ein kleines Bötchen, das in der Luft schaukelte, war fast noch schlimmer als ein Bötchen, das auf Wellen schaukelte, denn Bötchen waren nicht dafür gedacht, in der Luft zu hängen. Jetzt würgte der Zhaki doch. Es war nichts da, was er hätte erbrechen können, deshalb spuckte er nur einmal über die Reling und bekam einen angewiderten Blick von der Wache zugeworfen. Es war ihm ganz egal, was ein Soldat über seine Seetauglichkeit dachte.
Tatsächlich war er geradezu erleichtert, als man ihn unsanft aus dem Beiboot zerrte und an Deck des Schiffes beförderte. Immerhin war das groß genug, dass es im seichten Wasser vor der Küste nicht so sehr schaukelte und sich der Boden wenigstens einigermaßen stabil anfühlte. Sogar die Fee schaffte es rechtzeitig, sich wieder festzuhalten, und er hätte sich beinahe fassen können, hätte man ihn nicht sofort auf die Luke zugestoßen, die unter Deck führte.
Im Bauch eines Schiffes waren seine Beklemmungen unerträglich. Bei ihrer Überfahrt von Om’falo aus war es nicht ganz so schlimm gewesen, weil er ohnehin nicht klar im Kopf gewesen war und so sehr in sich versunken kaum gemerkt hatte, dass er sich auf einem Schiff befunden hatte. Jetzt war er leider wieder so klar, dass es ihm sehr bewusstwurde, aber noch nicht wieder genug bei sich, um sich dem mit nötiger Beherrschung zu stellen. Angst überrollte ihn und er wollte den Mann, der ihn die Stiege hinabzwang, anflehen, ihn doch lieber an den Mast zu fesseln. Leider wusste er es besser. Er hatte keine Wünsche zu äußern.
Mehrere Decks wurde er hinuntergeschubst und als sie schließlich die Brig erreichten waren Gwyns Knie so weich, dass sie bei jedem Schritt einknickten. Ein belustigtes Schnauben kam von der Wache, die eine Zelltür entriegelte, die Gwyns Selbstbeherrschung überschritt. Wie gelähmt starrte er auf den dunklen Raum jenseits des Gitters und ihm entfuhr ein Wimmern. All die traumatischen Erinnerungen an Schiffe drängten sich in seinen Kopf und machten das Atmen unmöglich.
»Hör auf zu heulen«, blaffte der Soldat ihn an und eine kräftige Ohrfeige brachte Gwyns Wange zum Glühen. Er schnappte nach Luft und spürte jetzt erst selbst die Tränen, die unaufhaltsam seine Wangen hinabrannen. Ehe er sich versah, wurde er kraftvoll in die Zelle gestoßen, stolperte, konnte sich nicht halten und fiel zu Boden. Nur knapp rettete sich die Fee, unsichtbar im Dunkel des Raumes, unter seinem Hemd hervor, bevor sie von seinem Körper zermalmt werden konnte. Das Gitter fiel geräuschvoll ins Schloss und Gwyn hörte sich selbst schluchzen. Mit einem Kopfschütteln verschwand die Wache, ließ ihn allein in der Dunkelheit der Zelle und kümmerte sich nicht darum, dass der gefangene Sklave von einer Panikattacke überrollt wurde.
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