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Interessant ist zudem, dass es ausgerechnet jener Clive Davis war, der Vorsitzende von Arista Records, der in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern die Karrieren von Aretha Franklin und Dionne Warwick wieder in Schwung brachte. Als Whitney bei Arista unterschrieb, waren beide Diven dank Davis wieder so gut im Geschäft, dass Hits mit Grammy-Auszeichnung keine Seltenheit mehr waren.
Dionne Warwick blickt auf eine höchst facettenreiche Karriere als Sängerin zurück. Die jungen Amerikaner kennen sie heute zwar hauptsächlich wegen der Infomercials für das Psychic Friends Network, die sie in den Neunzigern aufnahm, aber schon in den Sechzigern und Siebzigern prägte sie mit ihrer Stimme den Sound jener Ära. In vieler Hinsicht erinnerte Whitney in ihrer Anfangszeit mit ihrem Gesang an die gefühlvollen Balladen, mit denen ihre Cousine zahlreiche Hits verbuchen konnte.
Dionne wurde als Marie Dionne Warrick in East Orange, New Jersey geboren, und sie entwickelte früh großes Interesse an Musik. Anfang der 1960er-Jahre gehörten ihre Mutter, Lee Drinkard Warrick, ihre Tante Cissy und ihre Schwester Dee Dee zu einer Gospelgruppe, die sich The Drinkard Singers nannte. Mit dieser Gruppe machte Dionne ihre ersten musikalischen Erfahrungen. Als sie später das Hartt College Of Music besuchte, gründete Dionne mit Dee Dee und einer Cousine ihr eigenes Trio, The Gospelaires.
Als Dee Dee, Dionne, ihre Mutter und ihre Tante Cissy eines Abends im berühmten Apollo Theater in New York auftraten, wurde ein Talentsucher auf Dionne aufmerksam, und sie bekam das Angebot, bei einer Aufnahmesession den Begleitgesang zu übernehmen. Bei dieser Session traf Dionne den damals noch unbekannten Komponisten Burt Bacharach. Die Zusammenarbeit der beiden zählt zu den langlebigsten Verbindungen, aus der je Hits hervorgingen, von ihrem ersten Erfolg „Don’t Make Me Over“ aus dem Jahr 1962 bis zu ihrem Nummer-Eins-Hit „That’s What Friends Are For“ (mit Stevie Wonder, Gladys Knight und Elton John) im Jahr 1986, für den die Sängerin und der Songwriter einen Grammy erhielten.
Dionne berichtete: „Ich lernte Burt kennen, als er noch mit dem Songwriter Bob Hilliard zusammenarbeitete und die beiden gerade einen Titel namens ‚Mexican Divorce‘ für die Drifters schrieben, aber noch im selben Jahr wurde der Texter Hal David sein Partner. Ich hatte ein paar Demoaufnahmen gemacht und in ihrer Anwesenheit bei Sessions die Begleitstimme gesungen, und ich nahm auch ein Demo für die Shirelles auf. Plötzlich war nicht der Song gefragt, sondern die Sängerin, und das war ich. So fing es mit unserer Zusammenarbeit an.“
Bacharach ergänzte: „Ich konnte sie einfach nicht übersehen. Dionne hatte schon damals, als ich sie zum ersten Mal sah, das gewisse Etwas, große Eleganz und ein enormes Feeling für die Musik.“ Etwas ganz Ähnliches erkannte Clive Davis Jahre später in der Musik und in der Stimme von Whitney Houston.
Dionne änderte schon bald die Schreibweise ihres Nachnamens in „Warwick“ und begann, für Burt und seinen Partner Hal David Demos aufzunehmen, für die sie pro Song vierzig Dollar bekam. Es dauerte nicht lange, und sie konnte sich einen Plattenvertrag sichern; Bacharach und David wurden als Songwriter und Produzenten ins Boot geholt. Ihre erste Veröffentlichung, „Don’t Make Me Over“, wurde im Dezember 1962 ein Top-Ten-Hit in den USA.
In den folgenden zwei Jahren sorgte Dionnes volle und ausdrucksvolle Stimme für einen Hit nach dem anderen: „Anyone Who Had A Heart“, „Walk On By“, „You’ll Never Get To Heaven“, „This Empty Place“, „Reach Out For Me“ und „A House Is Not A Home“ kamen bis an die Spitze der US-Charts. Keine andere Sängerin wurde in den Sechzigern im amerikanischen Radio so oft gespielt wie sie. Ihre Stärke waren vor allem romantische Balladen, die von den Sendern mit modernem Pop-Schwerpunkt ebenso geschätzt wurden wie von den eher traditionell eingestellten Easy-Listening-Programmen. Bacharach und David schrieben weitere Klassiker für sie, darunter „Message To Michael“, „Trains And Boats And Planes“, „Alfie“, „I Say A Little Prayer“, „(Theme From) Valley Of The Dolls“, „April Fools“, „Promises, Promises“ und „Do You Know The Way To San Jose?“.
1978 war es um sie ruhiger geworden, und aufgrund zunehmend schwächeren Materials verbuchte sie trotz ihrer überragenden Stimme kaum noch große Hits. Dennoch war Clive Davis von Arista Records auf sie aufmerksam geworden, und Dionne ließ sich zu seinem Label locken. Als es um die Frage nach einem geeigneten Produzenten ging, schlug Clive einen weiteren Arista-Künstler vor, Barry Manilow – und der sollte, als er am 22. Januar 1979 mit Dionne ins Studio ging, eines der größten Hit-Alben ihrer ganzen Karriere betreuen. Manilow selbst sagte über seinen neuen Schützling: „Sie ist bei Balladen ebenso gut wie die Streisand. Dionne ist eine der besten Sängerinnen aller Zeiten.“
Nachdem das Album Dionne im Mai 1979 erschienen war, erhielt Dionne Warwick stehende Ovationen, als sie in der Carnegie Hall auf die Bühne kam. Im Februar 1980 heimste sie zwei Grammys für die von Manilow produzierten Top-Ten-Hits „I’ll Never Love This Way Again“ und „Deja Vu“ ein. Die zwei Preise waren das Sahnehäubchen für ein Erfolgsjahr, in dem Warwick wieder an ihre früheren Erfolge anknüpfen konnte.
Als Whitney Houston wenige Jahre später ebenfalls Hit an Hit reihte, war Dionne Warwick unglaublich stolz auf ihre kleine Cousine und sagte: „Es ist wundervoll, dass die Welt das enorme Talent erkennt, das in Whitney steckt. Sie wird ein großer Star werden und das lange Zeit bleiben!“
Für Whitney wiederum war Dionne ein großes Vorbild. „Was ich von ihr gelernt habe“, sagte sie später, „war die Klasse, die Eleganz und die Ausstrahlung, überhaupt die ganze Art, mit der sie ihr Publikum im Griff hat.“ Gerade in den frühen Jahren war es unübersehbar, dass Whitney sich stark an der eleganten Cousine orientierte.
Im Februar 1986 stand Dionne Warwick bei der Grammy-Verleihung in Los Angeles auf der Bühne, um die Auszeichnung für den besten Pop-Song einer Sängerin zu überreichen. Die Preisträgerin war niemand anders als Whitney. Die junge Sängerin sagte über den Augenblick, in dem sie darauf wartete, dass Dionne die Gewinnerin verkündete: „Ich hoffte so sehr, dass es mein Name sein würde.“ Es war ein stolzer Augenblick für eine Familie großer Sängerinnen.
Dionne Warwick kann auf eine der längsten und schillerndsten Karrieren im Musikgeschäft zurückblicken. Und spätestens als Whitney Houston sich anschickte, es ihr nachzumachen, stand fest, dass hier eine Familientradition fortgesetzt wurde.
Zwar stand Dionnes kleine Schwester Dee Dee Warrick stets im Schatten der Älteren, aber auch sie konnte beachtliche Aufnahmen vorweisen. Sie stand bei Jubilee Records unter Vertrag, als sie mit „You’re No Good“ ihre erste Single veröffentlichte, die später ein Hit für Betty Everett wurde und mit dem zuletzt Linda Ronstadt in den Siebzigern noch einmal punkten konnte. 1964 konnte Dee Dee auf Blue Rock Records eine ganze Reihe kleiner Hits verbuchen, darunter auch „We’re Doing Fine“. 1966 folgten die Hits „I Want To Be With You“ und „I’m Gonna Make You Love Me“ – ein Song, der später in der Version der Supremes und der Temptations wesentlich erfolgreicher wurde, aber trotzdem immer mit Dee Dee assoziiert wird.
In den Siebzigern wechselte sie zu ATCO Records und feierte Erfolge mit „She Didn’t Know (She Kept On Talking)“ und ihrer Version von Elvis Presleys „Suspicious Minds“. Ihr letzter Hit war 1975 „Get Out Of My Life“. 1999 würdigte die Rhythm & Blues Foundation Dee Dee Warwicks Beitrag zur R&B- und Pop-Geschichte und zeichnete sie mit dem renommierten Pioneer Award aus, den ihr Dionne persönlich überreichte. Leider starb Dee Dee, die jahrelang mit Drogenproblemen zu kämpfen gehabt hatte, 2008 nach langer Krankheit.
Doch Dionne und Dee Dee waren nicht die einzigen erfolgreichen Sängerinnen im Warwick-Houston-Clan – da gab es schließlich auch noch Cissy Houston, Whitneys Mutter. Sie sagte über sich: „Ich kann mich in meinen Liedern viel besser ausdrücken, als wenn ich rede. Beim Singen lasse ich allen Frust raus und kann die Traurigkeit und auch die Freude in mir richtig zum Vorschein bringen.“ „Ausdrucksstark“ ist tatsächlich auch das Wort, das ihre starke und einprägsame Stimme am besten beschreibt.
Zwar ist sie vor allem als Backgroundsängerin bekannt, fühlte sich deswegen aber nie so, als ob sie in der zweiten Reihe stand. „Ich habe immer gesagt: Man muss kein Star sein, um ein Star zu sein, denn ich war ein Star im Hintergrund! Vielleicht ist es auch genau das, was mir geholfen hat, einen klaren Kopf zu bewahren. Ich habe auf so vielen Bühnen gestanden und mit so vielen großen Künstlern gearbeitet, wusste aber währenddessen immer, dass ich sie gesanglich jederzeit hätte übertreffen können.“ Wer Cissy Houston je live erlebt oder eine ihrer Platten gehört hat, wird das bestätigen können.
Cissy Houston, geborene Drinkard, begann 1937 in Newark, New Jersey, im Kirchenchor mit dem Singen, im zarten Alter von fünf Jahren. „Ich wollte eigentlich gar nicht“, erinnerte sie sich. „Ich fand das schrecklich. Aber da meine drei Schwestern, zwei Brüder und mein Vater dauernd sangen, hatte ich gar keine andere Chance, und so musste ich in den Kirchenchor, ob ich wollte oder nicht.“ Als die sangesfreudigen Mitglieder der Familie Drinkard schließlich die Drinkard Four gründeten, war Cissy mit dabei.
Mit sechzehn Jahren rief sie den New Hope Baptist Church Young Adult Choir ins Leben, und es dauerte nicht lange, bis sie in verschiedenen Gospelgruppen sang und dabei ihre kräftige, charakteristische Stimme ausbildete. Als sie mit ihrer Schwester und ihren Nichten Dionne und Dee Dee als The Drinkard Singers auftrat, bekam sie einen ersten Eindruck davon, wie es im Showgeschäft und in der Musikindustrie ablief. Und das war wesentlich aufregender als der Gesang im Kirchenchor. Doch dann stieg Dionne Warwick nach ihrer Schicksalsbegegnung mit Burt Bacharach aus und begann ihre erfolgreiche Solokarriere. Cissys Ehemann John Houston berichtete: „Damals dachten alle, die Drinkard Singers würde nach Dionnes Ausstieg auseinanderbrechen, aber Cissy sorgte für einen ganz speziellen Sound. Es dauerte nicht lange, da fegten sie alle anderen Backgroundsängerinnen beiseite.“
Bei ihrem ersten Engagement in einem Plattenstudio übernahm Cissy den Begleitgesang für Ronnie Hawkins & The Hawks, aus denen später die Rockformation The Band wurde. Mitte der Sechziger kamen die Drinkard Singers auch wieder mit Dionne Warwick zusammen, die sie auf dem Gospelalbum The Magic Of Believing unterstützten.
Schon bald wurde Cissy jedoch klar, dass sich mit der Gospelmusik, so sehr sie sie auch liebte, kein Geld verdienen ließ und dass der Kampf an zu vielen Fronten zu viel Kraft kostete. „Ich habe so gern mit meinen Schwestern gesungen“, berichtete sie, „aber nach einer Weile merkte ich, dass man uns als Gospelgruppe einordnete, und das lohnte sich finanziell überhaupt nicht. Ich musste weiterhin Vollzeit arbeiten, um über die Runden zu kommen, und die Doppelbelastung machte mich kaputt.“
Schließlich kam ihr der Gedanke, zusammen mit drei jungen Frauen aus dem Kirchenchor eine eigene Gesangsgruppe zu gründen. Zusammen mit Myma Smith, Sylvia Shemwell und Estelle Brown rief sie die Sweet Inspirations ins Leben, deren erstes, selbstbetiteltes Album 1968 bei Atlantic Records erschien. Gleich die zweite Single, „Sweet Inspiration“, schoss in die Top Twenty der Pop-Charts.
Nebenbei sangen Cissy und die Sweet Inspirations weiterhin die Begleitharmonien auf vielen Platten, beispielsweise auf zahlreichen klassischen Aufnahmen, die Aretha Franklin für Atlantic aufnahm. Es ist die hohe Stimme Cissy Houstons, die hinter Aretha bei „Ain’t No Way“ zu hören ist, wie auch auf vielen anderen Hits der Queen Of Soul. Darüber hinaus nahm Cissy den Begleitgesang für Wilson Pickett, Bette Midler, Neil Diamond, Paul Simon, Connie Francis, Herbie Mann, Dusty Springfield, Buddy Rich, Luther Vandross, Carly Simon, Elvis Presley, Burt Bacharach und viele andere auf.
Die Sweet Inspirations verdienten niemals viel Geld, obwohl sie stets gut zu tun hatten. Cissys Ehemann John, der die Band managte, sagte: „Die Plattenfirmen machten die Kohle, nicht die Musiker. Aber es war damals auch ein Lernprozess. Wenn man später zurückblickte und sah, wie viel Geld man liegengelassen hatte und was man vielleicht hätte besser machen sollen, dann lernte man daraus.“
1970 hatte Cissy schließlich genug davon, die Sweet Inspirations zum Erfolg zu führen, und beschloss, sich auf eine Solokarriere zu konzentrieren. Der erste Versuch scheiterte jedoch. Für Janus Records, ein kleines Label, spielte sie allerdings einen Song ein, von dem die meisten dachten, dass er sich für sie zum Hit entwickeln würde. Es handelte sich um einen Country-Song, dessen Text sie leicht abgewandelt hatte. Statt „The Midnight Train To Houston“ hieß er nun „The Midnight Train To Georgia“.
John Houston war überzeugt: „Das war ein Hit, ganz klar! Überall wurde die Platte gekauft und gespielt. Mit lausigen fünftausend Dollar hätte man genug Werbung machen können, um den Song zum Erfolg zu führen. Aber man ist leider der Plattenfirma ausgeliefert und es hängt alles davon ab, ob die das Geld für Promotion hat oder eben nicht.“
Der Song „Midnight To Georgia wurde 1973 ein Riesenhit für Gladys Knight And The Pips, der bis auf Platz 1 der US-Charts vorstieß. Cissy berichtete: „Tja, Gladys Knight nahm den Song auf, und wir wissen ja, was dann passierte. Aber Gladys war immer sehr nett und hat stets drauf hingewiesen, woher der Titel kam.“
Nicht jeder war so fair. John Houston erinnerte sich: „Es kam immer wieder vor, dass Plattenfirmen Cissy zum Star aufbauen wollten, aber jedes Mal drohten sofort ein paar große Namen auf dem Label damit, sich zu verabschieden, wenn man Cissy weiter förderte.“ Sie fürchteten die Konkurrenz durch Cissys enorm starke Stimme.
Während Cissy noch bei Janus Records unter Vertrag stand, arbeitete sie an einem Album von Burt Bacharach mit, das unter dem schlichten Titel Burt Bacharach 1971 bei A&M Records erschien. Sie übernahm dabei den Leadgesang auf „One Less Bell To Answer“, „Mexican Divorce“ und „All Kinds Of People“. Das Album erreichte Platz 18 in den Billboard-Charts und wurde, nachdem es sich mehr als eine halbe Million Mal verkauft hatte, mit Gold ausgezeichnet. Rückblickend wirkt es beinahe ein wenig ironisch, dass diese drei Songs, die zu ihren stärksten Auftritten als Sängerin zählten, ausgerechnet ein Album des Mannes zierten, der ihre Nichte Dionne als Produzent betreute – die Welt ist eben doch oft ein Dorf.
Allerdings ging es mit Cissys Karriere in den Siebzigern nicht besonders gut voran. „Ich weiß nicht, was da falsch lief“, sagte sie. „Aber ich war irgendwann total genervt. Ich war schon so lange in dem Geschäft, und es hat mich sehr entmutigt, wenn ich sah, dass Leute, die quasi erst gestern angefangen hatten, schon an die Spitze der Charts stürmten. Eine Zeitlang dachte ich darüber nach, aufzuhören und mich nur noch um meine Familie zu kümmern. Aber innerlich wusste ich, dass ich immer wieder zur Musik zurückkehren würde.“
Cissy arbeitete eine Weile als Backgroundsängerin, bevor sie 1972 wieder die Sweet Inspirations zusammentrommelte, um an Aretha Franklins Album Young, Gifted And Black mitzuarbeiten.
1976 eroberte in New York ein neuer Trend die Musikszene – ein Sound, den man Disco nannte. Plötzlich nahmen alle Songs im Disco-Stil auf. Cissy hatte sich damals auf den kleinen Bühnen und Clubs von New York einen guten Namen gemacht und war vor allem für ihre Soul-Version eines Songs aus dem Broadway-Musical Annie bekannt geworden, der „Tomorrow“ hieß. Niemand im ganzen Musikgeschäft konnte diesen Titel so singen wie Cissy Houston. Die Zuschauer strömten in kleine Clubs wie das Reno Sweeney in Greenwich Village oder den Dinner-Club Les Mouches an der Kreuzung 11th Avenue und West 26th Street. 1977 schließlich hatte Cissy mit dem Album Cissy Houston, das auf Private Stock Records erschien, den wohl größten LP-Erfolg ihrer Karriere. „Tomorrow“ war darauf ebenso enthalten wie „He Ain’t Heavy, He’s My Brother“ und „Make It Easy On Yourself“ – Coverversionen, die so gut waren, dass sie die Originale vergessen ließen.
Es schien unvermeidlich, dass Cissy 1978 ebenfalls auf den Disco-Zug aufsprang. Alben mit Balladen verkauften sich nicht mehr – die Leute wollten tanzen und sonst nichts. Cissys größter Disco-Hit war von eben jener Energie geprägt, mit der sie sonst die Songs anderer Künstler veredelt hatte. „Think It Over“ wurde zu einem echten Disco-Knüller.
In den Achtzigern trat Cissy weiterhin in den New Yorker Clubs auf und nahm schließlich ihre junge Tochter mit, Whitney, die nun ihrerseits die Begleitung ihrer Mutter übernahm. Cissy selbst sang auch weiter Background-Vocals; sie war beispielsweise auf allen Platten von Luther Vandross zu hören und auch auf all jenen, die der Sänger für Dionne Warwick und Aretha Franklin produzierte, die damals beide bei Arista Records unter Vertrag standen. Cissy konnte es noch nicht ahnen, aber genau bei diesem Label sollte auch ihre Tochter eines Tages zu einem der größten Stars der Musikbranche werden.

Whitney Houston wurde im wahrsten Sinne des Wortes ins Musikgeschäft hineingeboren. Im Sommer 1963, als Cissy Houston mit ihrer Tochter schwanger war, sang sie in den Atlantic Studios Background-Vocals für große Musikproduktionen ein. Wie Whitney später berichtete, waren die Toningenieure im Studio recht besorgt, weil Cissy auch in den letzten Wochen vor der Geburt noch vor dem Mikrofon stand, aber sie sang trotzdem.
„Mommy erzählte, die Produzenten seien damals deswegen ziemlich nervös gewesen“, berichtete Whitney, „aber sie sagte ihnen einfach, sie sollten sich keine Gedanken machen, und dann arbeitete sie weiter.“
Ihr Vater John Houston scherzte einmal gegenüber Whitney: „Du kannst dich nicht an das erste Mal erinnern, dass du in einem Plattenstudio warst, weil deine Mutter damals noch mit dir schwanger war!“
Als Cissy zur Geburt ins Krankenhaus kam, lenkte sie sich zwischen den Wehen ein wenig mit Fernsehen ab und sah dabei unter anderem auch die Sitcom Hazel. Shirley Booth spielte darin das Hausmädchen einer wohlhabenden Familie, während die Frau, für die sie arbeitete und die sie stets nur „Mrs. B.“ nannte, von der Schauspielerin Whitney Blake verkörpert wurde. Cissy beschloss, wenn sie ein Mädchen zur Welt bringen würde, dann sollte es den Namen Whitney tragen.
Whitney Houston wurde am 9. August 1963 als jüngstes von drei Kindern geboren. Ihre Eltern John und Cissy hatten bereits zwei Söhne, den zwei Jahre älteren Michael und Whitneys sechs Jahre älteren Halbbruder Gary Garland. Cissy verriet nie sehr viel über ihre Beziehung mit Garys Vater, aber John erzog ihn stets so, als sei er sein eigener Sohn.
Das Haus ihrer Eltern in New Jersey war, wie Whitney sich später erinnerte, ein Ort, an dem eine äußerst kreative Atmosphäre herrschte. Durch die Karriere ihrer Mutter und die Tatsache, dass auch ihre Cousine Dionne Warwick eine äußerst erfolgreiche Sängerin war, deren Karriere gerade in Schwung kam, spielte Musik bei den Houstons stets eine große Rolle. Whitney kam in der Kirche zudem viel mit Gospelmusik in Berührung, und von daher hatte sie stets das Gefühl, zum Singen geboren zu sein.
Als kleines Mädchen bekam sie den Spitznamen Nippy, mit dem sie später auf der Rückseite des Plattencovers von Whitney Houston Danksagungen an enge Freunde unterschrieb. Whitney erklärte dazu: „Mein Vater hat mir den Namen gegeben, als ich noch ganz klein war. Ich weiß nicht wieso, es war einfach so ein Einfall von ihm: Nippy!“
Whitney erinnerte sich vor allem an die schönen Erlebnisse jener Zeit, in der sie als jüngstes von zwei Kindern aufwuchs, bewacht von zwei großen Brüdern, die sie durchaus auch hätten piesacken können. „Da ich ja das einzige Mädchen war, hätte man denken können, ich hätte es schwer gehabt“, sagte sie später. „Hatte ich auch. Aber ich muss zugeben, dass ich es auch gar nicht anders hätte haben wollen!“ Stolz setzte sie hinzu: „In meiner Familie können alle Geschwister meiner Mutter singen, und ihre Kinder auch, sodass es für mich nichts Besonderes war, eine gute Stimme zu haben und den Ton halten zu können.“
Die kleine Tochter von Cissy Houston war natürlich schon als Baby von Gesang umgeben. „Ich wuchs gewissermaßen in der Kirche auf, und Gospelmusik war stets ein sehr wichtiger Teil unseres Lebens“, erinnert sie sich. „Dadurch habe ich viel über das Singen gelernt. Ich habe dadurch auch einen Zugang zu Gefühl und Spiritualität bekommen, und es half mir herauszufinden, worüber ich sang, denn in der Gospelmusik ist der Text das A und O. Heute ist es so, dass ich es fühle, egal was ich singe, ob es Gospel ist oder Pop oder R&B. Diesen Zugang zur Musik habe ich durch den Gospelgesang entwickelt, dem ich durch meine Mutter schon so früh ausgesetzt war. Man kann das Publikum nicht emotional bewegen, wenn man nicht selbst die Emotionen empfindet.“
Whitney erinnert sich gern an das Leben im Haus ihrer Eltern. „Überall war Musik. Gospelmusik natürlich, aber meine Eltern hörten auch alles mögliche andere – Rhythm & Blues, Jazz, Pop.“
Dank ihrer Mutter ging Whitney schon als kleines Mädchen in den großen Aufnahmestudios ein und aus und konnte miterleben, wie einige der großen Namen im Musikgeschäft ihre Platten einspielten. Besonders lebhaft erinnert sie sich daran, wie sie mit ihrer Mutter über den Hudson River von New Jersey nach New York fuhr, weil Cissy mit Aretha Franklin singen sollte. Whitney saß im Regieraum hinter der riesigen, schalldichten Glasscheibe und sah der Session zu.
„Ich war ungefähr sechs oder sieben“, erinnerte sich Whitney, „und ich kletterte zum Fenster hoch, damit ich meine Mutter singen sehen konnte. Und ich redete mit ‚Tante Ree‘. Dass Aretha Franklin berühmt war, davon hatte ich keine Ahnung – ich wusste nur, dass ich sie gerne singen hörte!“
Die Fahrten zu den Aufnahmestudios machten großen Eindruck auf die kleine Nippy. „Ich unterhielt mich sehr viel mit Aretha und Wilson Pickett“, erinnerte sie sich später sehr genau. „Es war eine überaus kreative Atmosphäre. Als ich Aretha singen hörte, konnte ich ihre emotionale Ausdruckskraft ganz stark spüren. Es kam von ganz tief in ihr drin. Ich dachte damals, das will ich auch.“
Zusammen mit ihren älteren Brüdern begleitete sie ihre Mutter oft nach New York, wenn Cissy mit den großen Showbiz-Legenden sang. „Natürlich lernten wir Leute kennen, mit denen andere Kinder nicht so ohne weiteres in Kontakt kamen. Ich hatte keine Ahnung, dass sie Stars waren. Aber wir wurden dazu erzogen, dafür dankbar zu sein, dass wir diese Leute kannten“, sagte Whitney. „Es machte Spaß, aber meine Mom sorgte dafür, dass wir die Stars in ihrer Nähe nicht zu ehrfürchtig bestaunten, die Showbiz-Freunde, die im Scheinwerferlicht standen und mit großen Limousinen unterwegs waren.“ Angesichts dieser Erfahrungen wundert es nicht, weshalb Whitney zu Beginn ihrer Karriere den großen Erfolg der ersten Alben so gelassen aufnahm. Damals erklärte sie: „Ich hatte Glück, weil ich einen Star aus nächster Nähe kannte – meine Mutter, die auch meine Freundin und meine beste Lehrerin war.“
All dem zollte sie in dem Video zum Song „Greatest Love Of All“ Tribut: Der Musikclip zeigt ein kleines Mädchen, das zu einer Talentshow geht und von ihrer Mutter ermutigt wird. Cissy Houston spielte hier die Mutter der Kleinen, die dann in späteren Szenen zur erwachsenen Whitney wird. Zwar ist das Video ein rein fiktiver Rückblick, aber dennoch ist es sehr dem wahren Leben nachempfunden. Cissy unterstützte Whitney in jungen Jahren sehr und beriet sie, als sie sich dafür interessierte, ebenfalls Sängerin zu werden.
Whitney war als Heranwachsende aber auch sehr von ihrem Vater geprägt, John Houston, der Mitte der Achtzigerjahre in der Verwaltung der Stadtbehörde von Newark arbeitete. Als Whitneys Karriere in Schwung kam, wurde er Teil ihres Managementteams. Zur Zeit ihrer ersten Plattenerfolge erklärte Whitney: „Mein Vater ist der Rückhalt unserer Familie. Immer, wenn ich ein Problem hatte, egal was für eins, war er für mich da. Er überwacht auch meine ganzen Verträge und so. Die meisten wissen gar nicht, dass mein Dad schon seit langer Zeit im Geschäft ist. Er hat früher die Sweet Inspirations, die Gruppe meiner Mutter, gemanagt.“