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John Houston hatte einst erklärt: „Niemand kam je an die Sweet Inspirations heran.“ Er konnte damals noch nicht ahnen, dass unter seinem eigenen Dach bereits eine der größten Sängerinnen der 1980er- und 1990er-Jahre heranwuchs.
Wie ihre Mutter und ihre Cousine Dionne machte auch Whitney ihre ersten Gesangserfahrungen in der Kirche. Das erste Lied, das sie mit dem örtlichen Kirchenchor zusammen sang, war der Gospelstandard „Guide Me O Thou Great Jehovah“. Whitney sagte später über diese Hymne, es sei „ein Lied, das sich mir für den Rest meines Lebens eingeprägt hat“.
Mit zwölf Jahren sang sie schließlich ihr erstes Solo in der Kirche: „Ich stand steif wie ein Brett da. Aber ich sang das Lied, und die Leute sind völlig ausgeflippt.“ Es war Whitneys erster Schritt ins Rampenlicht.
„Als ich beschloss, Sängerin zu werden, war ich zwölf“, erzählte sie. „Ich wusste, das war es, was ich tun wollte. Gott hatte mir eine Gabe verliehen, und die sollte ich auch nutzen.“
John Houston erinnert sich an die ersten Gesangsversuche seiner Tochter: „Wenn ich aus dem Keller Geschrei und Gekreische hörte, war mir klar, dass Whitney dort unten ein Mikrofon von Cissy herausgekramt hatte und zu Platten von Chaka Khan und Aretha Franklin sang. Ich wusste, dass ihre Mutter ihr Stunden gab, aber ich verfolgte das nur am Rande. Eines Tages sagte Cissy dann: ‚Unsere Kleine singt diesen Sonntag zum ersten Mal in der Kirche ein Solo. Komm auf alle Fälle.‘ Was ich an diesem Tag dann hörte, war die Stimme einer jungen Frau aus der Kehle einer Zwölfjährigen. Ich war hin und weg.“
Whitney übte also anhand von Songs von Aretha und Chaka – wer hätte damals ahnen können, dass sie später, als sie ein großer Star geworden war, mit beiden Frauen echte Duette aufnehmen würde!
Whitney: „Es war eine der glücklichsten Erfahrungen meines Lebens, als ich merkte, dass ich singen kann. Wenn man jung ist, dann ist man ja in jeder Hinsicht furchtbar unsicher. An einem Tag will man Lehrer werden, am nächsten Arzt. Als ich anfing, in der Kirche zu singen, war das zunächst im Chor, und als man mich dann für ein Solo auswählte, war ich starr vor Angst! Ich war mir nicht sicher, ob ich das schaffen würde. Aber dann versuchte ich es, und ich stellte fest, dass da etwas in mir war, was mir immer dieses irre Gefühl gab, wenn ich sang. Ein unglaubliches Gefühl, im Grunde so etwas wie Magie.“
Whitney wuchs in Newark, New Jersey nicht gerade in der feinsten Gegend auf, und sie hatte stets den Eindruck, anders zu sein als die anderen Kinder. Ihre Mutter zog ihr Rüschenkleidchen an und flocht ihr Schleifen ins Haar. Als sie klein war, kam sie oft weinend nach Hause, weil die anderen Mädchen sie geärgert oder ihr die Schleifen heruntergerissen hatten. Ihre Mom erklärte ihr, dass sie lernen müsse, sich nicht unterkriegen zu lassen und sich zu verteidigen. Es dauerte nicht lange, und die kleine Whitney entwickelte eine gewisse Härte und Zähigkeit, die es ihr bald erlaubte, sich durchzusetzen. Dennoch fühlte sie sich oft als Einzelgängerin, und sie hatte nur wenige Freundinnen.
„In der Mittelstufe hatten ein paar Mädchen ein Problem mit mir“, berichtete Whitney. „Meine Haut war zu hell. Meine Haare waren zu lang. Es war die Zeit, in der man sehr stolz darauf war, schwarz zu sein, und ich fühlte mich ziemlich mies. Aber irgendwann wurde mir dann klar, dass es keine Schande ist, wenn man keine Freunde hat. Wenn man allein ist, hat man auch weniger Probleme. Als ich beschloss, Sängerin zu werden, warnte mich meine Mutter: Ich würde oft allein sein. Grundsätzlich sind wir das aber alle. Einsamkeit gehört zum Leben dazu.“
1977, als Whitney gerade mitten in der Pubertät steckte, zerbrach die Ehe ihrer Eltern. John Houston zog zuhause aus. Whitney erzählte Ende der Achtziger: „Sie haben viel gelacht. Und wenn die Zeiten schwer waren, dann haben sie gestritten, was mir viel über Liebe und Opfer gezeigt hat. Eine Zeitlang haben sie versucht, unseretwegen zusammenzubleiben. Aber dann stellten sie fest, dass sie nur dann Freunde bleiben könnten, wenn sie sich trennten. Es war komisch, dass mein Vater nicht mehr bei uns lebte, aber seine Wohnung war nur zehn Minuten von unserer entfernt. Und davon abgesehen ist es doch so, dass die Liebe, auch wenn man nicht mehr zusammen wohnt, deswegen nicht vergeht.“
John Houston blieb auch nach seinem Auszug ein wichtiger Faktor in Whitneys Leben. „Ich habe ihr Blumen geschenkt“, erzählte er später. „Und ich habe ihr bei den Seminararbeiten in der Highschool geholfen – sie rief mich dienstags wegen einer Arbeit an, die sie mittwochs abgeben musste. Sie wusste immer, wie man die Daddy-Karte richtig ausspielt.“
Durch die Scheidung ihrer Eltern wurde Whitney noch verschlossener und trotziger als zuvor. Damit ihre Tochter beschäftigt war, nahm Cissy Whitney überallhin mit. „Meine Mutter war ein großer Einfluss auf mich. Als ich den Entschluss fasste, ernsthaft mit dem Singen anzufangen, nahm sie mich an die Hand und zeigte mir, wie man es richtig macht. Mit zwölf war mir schon klar, dass ich das wollte, aber professionell arbeitete ich erst, als ich siebzehn war. In den Jahren dazwischen sang ich Background-Vocals und trat mit meiner Mutter an den Wochenenden in Clubs auf. Dass sie mich beraten konnte, hat mir sehr geholfen, mich auf das Business vorzubereiten, zu wachsen und zu begreifen, worum es überhaupt ging“, erklärte Whitney dankbar.
Andere hätte es möglicherweise verdorben, wären sie mit den Möglichkeiten aufgewachsen, die sich Whitney boten, die bereits in jungen Jahren mit internationalen Popstars auf Du und Du war. Whitney nicht. Sie konnte später voller Dankbarkeit auf die Zeiten im Studio, auf den Chor und auf die Tourneen mit ihrer Mutter zurückblicken. „Es hat viel Spaß gemacht“, betonte sie, „aber ich wurde kein bisschen verzogen. Natürlich machte ich einige Erfahrungen, die andere Kinder nicht machen können, und lernte zum Beispiel einige Stars kennen. Aber für mich waren sie wie Familie. Und auch wenn vielleicht manche denken, man müsste dann wie eine verzogene Showbiz-Göre aufwachsen, war das überhaupt nicht so.“
In den Achtzigern berichtete Whitney von der strengen Disziplin, die Cissy bei ihrer Erziehung walten ließ. „Ich halte nichts davon, Kinder nicht zu züchtigen“, erklärte sie. „Meine Mutter auch nicht. Manchmal befahl sie mir etwas, und ich ging dann weg und maulte vor mich hin, und das konnte sie nicht leiden. Dafür bekam ich oftmals eine geklebt. Heute weiß ich, dass das richtig war, und ich würde mein eigenes Kind genauso behandeln.“
Über ihre Stimme sagte Whitney zu Beginn ihrer Karriere: „Gott hat mir diese Gabe verliehen. Meine Gesangsausbildung habe ich im Grunde genommen im Gospelchor in der Kirche absolviert, denn ich habe dort gelernt, Inspiration und ganz viel Gefühl in die Stimme zu legen.“
Gleichzeitig betonte sie erneut, dass ihre Mutter ihr von Anfang an einen Sinn für die Realität vermittelt hätte: „Als ich meiner Mom sagte, was ich machen wollte, hat sie mich auf all das vorbereitet, was mir bevorstand. Sie brachte mir bei, dass Ruhm nicht immer so großartig ist, wie man immer behauptet, sondern dass man ihn manchmal hasst und manchmal liebt.“
Cissy sorgte dafür, dass Whitney auf eine Schule kam, an der man Wert auf die Disziplin legte – die Mädchenschule Mount St. Dominic Academy. „Whitney war ein sehr zartes Kind, und deswegen brauchte sie meiner Meinung nach eine bestimmte Umgebung“, erklärte Cissy. „Außerdem dachte ich, sie würde dort bessere Bildungschancen haben. Natürlich, man war dort auch streng, aber das war nicht mein Hauptgrund. Davon abgesehen brauchte ich auch niemanden, der meine Regeln durchsetzte. Frühes Ausgehen mit Jungs, rumhängen – das würde sie sowieso nicht tun. Sie trug nicht einmal Perlonstrümpfe, bevor ich es ihr erlaubte, obwohl all ihre Freundinnen es taten. Kein Make-up, kein Lippenstift, keine hochhackigen Schuhe. Und keine Diskussion! Ihr gefiel das nicht, sie fand das schon ziemlich ätzend. Manchmal ging sie zu ihrem Vater, genau wie ihre Brüder, weil sie dachte, dass er leichter zu überreden sei. Aber an mir kamen sie nicht vorbei, ich ließ mich nicht umstimmen.“
Da sie sich sorgte, weil Whitney so wenige Freundinnen hatte und generell recht zurückhaltend war, ermutigte Cissy ihre Tochter, mehr zu unternehmen. Es war Cissys Idee, dass sich Whitney als ehrenamtliche Betreuerin für Kinderfreizeiten meldete. In dem Freizeitheim in der Nähe lernte sie dabei ein Mädchen kennen, mit dem sie eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte.
Robyn Crawford war zwei Jahre älter als sie und sollte in ihrem Leben großen Einfluss haben.
Sie war sportlicher und kräftiger als Whitney, und schon bald kamen Gerüchte auf, dass die beiden mehr wären als nur gute Freundinnen. Aber Whitney scherte sich nie darum, was man über ihre Freundschaft dachte. Die zwei Mädchen knüpften schnell ein enges Band, das lange Jahre hielt.
Kevin Ammons berichtete in seinem 1996 erschienenen Buch Good Girl, Bad Girl: „Die Kinder im Freizeitheim lästerten über sie, nannten sie Lesben und machten Kussgeräusche, wenn sie vorbeigingen, eingehakt und die Köpfe im vertraulichen Gespräch zusammengesteckt. Aber den beiden Mädchen schien das egal zu sein. Sie waren beide zähe, störrische junge Frauen, und sie hatten eine sehr stürmische Beziehung.“
Noch während ihrer Zeit an der Mädchenschule Mount St. Dominic Academy in West Caldwell begann Whitney als Fotomodell zu arbeiten, und sie begleitete zudem Cissy als Sängerin, wenn die in Nachtclubs auftrat. Schule, die Arbeit vor der Kamera und die Gesangsauftritte bedeuteten, dass sie sich schon früh an eine ganze Reihe von Terminen halten musste. „Es war ein Opfer“, sagte sie. „Aber ich tat Dinge, die ich gerne tat – ich sang. Meine eigentliche Ausbildung fand erst nach meinem Schulabschluss statt.“
Diese Fähigkeit, sich selbst gut zu organisieren und unterschiedliche Aktivitäten unter einen Hut zu bekommen, trug dazu bei, dass sie so gut mit der Belastung der ersten Soloerfolge umgehen konnte, als ihr Terminplan plötzlich für große Hektik sorgte. Sie war damit aufgewachsen, gleichzeitig an verschiedenen Fronten tätig zu sein, und später half ihr das, alle Projekte gleich gut im Blick behalten. Als ihr Leben ein Wirbelsturm aus Aufnahmen, Fotosessions, Interviews, Videodrehs und Reisen wurde, war Whitney bereit, willens und gut darauf vorbereitet, all ihre Ziele zu erreichen. Noch zu ihrer Teenagerzeit schlug man ihr vor, die Schule abzubrechen und sofort ins Musikbusiness einzusteigen, aber ihre Eltern bestanden darauf, dass sie erst ihren Abschluss machte. „Ich unterschrieb erst mit 18 meinen ersten Vertrag“, berichtete sie. „Meine Eltern sorgten dafür, dass ich eine richtige Kindheit hatte – dass ich ein kleines Mädchen sein konnte, als ich auch eins war, und dass ich ein Teenager sein konnte, als ich einer war.“
Cissy Houston fügte hinzu: „Ich wollte, dass sie zuerst die Schule beendete, denn ich wusste, wenn sie erst einmal ins Musikgeschäft einstieg, dann würde sie nicht mehr aufzuhalten sein.“
Wollte Whitney schon immer Sängerin werden? „Nein, ich wollte Lehrerin werden oder Tierärztin. Aber als ich meinen Mund öffnete und sang, dachte ich plötzlich: ‚Wow. Jetzt warte mal einen Augenblick. Warum denn nicht?‘“ Cissy erkannte, wie ernst es ihrer Tochter mit dieser Karriere war, als Whitney mit dreizehn, vierzehn Jahren in der Junior High School war. „Da merkte meine Mom, hey, sie will wirklich diesen Weg einschlagen.“ Aber wieder legten ihre Eltern Wert darauf, dass sie es mit dem Einstieg ins Showgeschäft langsam angehen ließ und ihre Teenagerzeit genoss. „Sie sagten: ‚Sie ist noch so jung, sie soll erst mal die Schule fertig machen, ein Teenager sein, verrückte Sachen machen.‘ Und ich hatte damals wirklich viel Spaß, deshalb hörte ich auf ihren Rat und wartete ab.“
Noch während ihrer Schulzeit stellten sich dennoch die ersten Weichen für eine Profikarriere als Sängerin. Sie hatte die Stimme, jetzt brauchte sie nur noch ein wenig Erfahrung. Und die sollte sie bekommen.

Mit nur vierzehn Jahren übernahm Whitney 1978 bei den Auftritten ihrer Mutter in Clubs und kleinen Hallen den Begleitgesang. Den Abend ihrer ersten Show in der Town Hall von Manhattan vergaß sie nie. Die Town Hall ist ein Konzertsaal in Broadway-Nähe, aber er ist gleichzeitig als Theater noch klein genug, um eine gewisse Intimität zu vermitteln.
Cissy Houston hatte mit „Tomorrow“, einem Titel aus dem Musical Annie, der auf ihrem 1977 veröffentlichtem Album Cissy Houston erschienen war, einen großen Erfolg gelandet. Für die Live-Show hatte sie sich überlegt, dass Whitney vortreten und einen Teil des Leadgesangs übernehmen sollte. Whitney erinnert sich, dass sie kurz, bevor sie ins Scheinwerferlicht treten musste, das Gefühl hatte, vor Angst zu sterben. Aber sobald sie mit dem Singen begann, verschwand das panische Gefühl, und ihr wurde klar, dass dies der Ort war, nach dem sie sich sehnte: mitten auf der Bühne.
Das Album Cissy Houston war ein so großer Erfolg gewesen, dass Cissy 1978 wieder mit dem Produzenten Michael Zager in New York ins Studio ging. Es war die große Zeit der Disco-Musik, und Zager hatte gerade mit seiner Band und dem Titel „Let’s All Chant“ selbst einen Hit gelandet. Vor allem in New York hatte es den Anschein, dass Disco nun die einzige Musik war, die sich verkaufte. Als man sich also an den Nachfolger zu Cissy Houston machte, beschloss Zager, auch diesem Album einen gewissen Disco-Touch zu geben.
Und das hörte man Think It Over von 1978 schließlich auch an: Vor allem der Titel-Song klang sehr gut gelaunt. Das Material entstand in den Secret Sound Studios von New York. Als Cissy für die Gesangsaufnahmen eintraf, brachte sie ihre Teenagertochter mit, die die Backing Vocals übernehmen sollte. Außer auf einem ist Whitney auf allen Tracks von Think It Over zu hören. Der Titel-Song, eine sechsminütige Disco-Nummer, wurde nach seiner Veröffentlichung zu einem Top-Ten-Hit in den amerikanischen Dance-Charts.
Die große Stärke Cissy Houstons lag eigentlich in der Präsentation gefühlvoller Balladen. Da Disco aber zur damaligen Zeit den Markt dominierte, ließ sie sich von Zager gern überreden, dem aktuellen Trend zu folgen. Doch die Fähigkeit, dem Publikum eine Ballade „zu verkaufen“, um die Leute dann beim nächsten Song schon wieder gut gelaunt zum Tanzen zu bringen, war Teil der musikalischen Vielseitigkeit, die Cissy an Whitney weitergab. Ihre Tochter lernte ebenfalls, die emotionalen Tiefen einer Ballade nach genau dem einen entscheidenden Moment auszuloten, um dann das Tempo anzuziehen und dann zu den schnelleren Titeln überzugehen.
1980 nahm das Leben der sechzehnjährigen Whitney eine unvorhergesehene Wendung. Eines Nachmittags war sie mit ihrer Mutter in Manhattan an der Kreuzung Seventh Avenue und West 57th Street unterwegs. Ganz in der Nähe liegt die Carnegie Hall, aber auch das Büro einer kleinen Fotomodellagentur namens Click.
Der Legende nach lief ein Talentsucher von Click Models der jungen Whitney über den Weg und schlug ihr spontan vor, sich bei der Agentur vorzustellen, da er in ihr ein perfektes Model zu erkennen glaubte. Die Gründerin und Chefin von Click Models, Frances Grill, bestätigt diese Geschichte: „So war es! Sie begegnete jemandem, der für mich arbeitete, Dean Avedon. Er entdeckte sie unten im Flur und fragte, ob sie Model werden wollte. Dann brachte er sie nach oben ins Büro, und ich fand sie wirklich großartig. Wir begannen sofort, mit ihr zu arbeiten.“
Frances war von der jungen Whitney sehr beeindruckt. „Sie war nicht so, wie man sie jetzt kennt“, erklärte sie Mitte der 1980er-Jahre. „Sie war ein sehr hübsches Mädchen und kam immer in Begleitung ihrer wunderbaren Mutter. Man merkt in einer solchen Situation schnell, ob wer das Zeug zum Model hat, wenn man die Leute einfach nur vor die Kamera stellt; wenn sie gut sind, dann passiert etwas. Sie haben einen ‚Ausdruck‘. Die Talentierten können das sofort, und Whitney gehörte dazu. Wir waren alle von ihr begeistert. Sie vermittelte soviel unverdorbene, frische Energie. Und sie hatte etwas sehr Reines an sich.“
Die Agentur Click konnte Whitney sofort ein paar Aufträge vermitteln. „Sie hat für viele Zeitschriften gemodelt“, berichtete Grill. „Für Mademoiselle oder für Seventeen, aber auch für einige Werbekampagnen.“
Es dauerte nicht lange, und Whitney war auch in einigen der großen Modemagazine zu sehen, unter anderem in Cosmopolitan, Young Miss und Glamour. Außerdem wirkte sie bei einer Printkampagne für die Kosmetikfirma Revlon mit und warb für die Limonade Sprite. Später wechselte sie von Click Models zur Wilhelmina Modeling Agency.
„Es macht mir Spaß, Modell zu stehen, aber das Singen liegt mir im Blut“, erklärte sie später mal. „Die Fotoaufnahmen sind eher eine Nebenbeschäftigung. Das ist nicht wie beim Singen, wo ich wirklich alles glaube, was ich rüberbringe. Die Gelegenheit ergab sich, also habe ich eine Weile als Model gearbeitet. Aber der Gesang stand immer an erster Stelle.“
Zum Modelgeschäft gehört auch eine gewisse Verbindung zum schnellen Leben, zu Partys, Drogen und Alkohol. Whitney sagte Mitte der Achtziger darüber: „Meine Mom hat nichts davon zugelassen, von daher habe ich vom schnellen Leben nicht so viel mitbekommen.“ Damals, als sie noch Modell stand und sich als Sängerin erst ausprobierte, war sie immer noch Cissys liebes Mädchen.
Whitney sang weiterhin an der Seite ihrer Mutter und baute allmählich ihre Karriere als Model weiter aus. Dabei trat sie mit Cissy nicht nur in der Town Hall auf, sondern auch in verschiedenen Clubs in Manhattan wie dem Schwulen-Club Les Mouches, den Jazz-Clubs der West 96th Street und einem berühmten West-Side-Cabaret namens Mikell’s.
Pat Mikell war ein Freund der Familie Houston, und Cissy trat mehrfach in seinem Club auf, während Whitney sie begleitete. Pat erklärte später: „Cissy war eine großartige Mutter. Sie war hart. Deswegen hat Whitney heute so viel Klasse.“
Allmählich räumte ihre Mutter Whitney in ihrem Programm immer mehr Raum ein. Abgesehen von ihrem Solo in „Tomorrow“ übernahm sie nun noch einen weiteren Song, bei dem das Rampenlicht ganz ihr gehörte. Eines Abends wurde Whitney offenbar ein wenig zu übermütig, was ihr Gesangstalent betraf, und begann sich vor dem Publikum aufzuspielen. Um sie dafür zurechtzuweisen, strich Cissy ihre Soloauftritte für zwei Wochen, damit sie lernte, sich zu benehmen. Whitney sagte später: „Meine Mutter ist meine beste Freundin und meine größte Inspiration. Aber natürlich ist deine Mutter manchmal auch einfach deine Mutter!“
Whitney hatte das Gefühl, auf der Bühne, vor Publikum, erwachsen zu werden. Im Laufe der Zeit übertrug ihr ihre Mutter weitere Aufgaben und teilte das Rampenlicht immer mehr mit ihr. „Meine Mutter brachte mir alles bei, was ich über das Geschäft weiß, über das Singen, über die Arbeit im Studio, solche Sachen eben.“ Über ihre Einsätze an der Seite ihrer Mutter sagte sie: „Ich musste einen Song vortragen, und als ich dann ein bisschen älter wurde, gab sie mir zwei, und so ging es weiter.“
Zu den Sängerinnen, deren Stimme Whitney stets bewunderte, zählte auch Chaka Khan. 1980 wurde Cissy gebeten, bei zwei Titeln von Chakas Album Naughty die Begleitstimmen einzusingen. Weil Whitney auf ihrer eigenen Platte Think It Over so gut gewesen war, nahm sie ihre Tochter mit ins Studio, um gemeinsam an Chakas Platte zu arbeiten.
Chaka Khan hatte zwei Jahre zuvor mit Chaka gerade ihr erstes Soloalbum aufgenommen, war aber weiterhin Leadsängerin der Band Rufus geblieben. Das Album wurde von Arif Mardin produziert, und Cissy Houston war bei einigen Tracks im Hintergrund zu hören. Chaka enthielt mit „I’m Every Woman“, einer Komposition von Nicholas Ashford und Valerie Simpson, zudem einen Riesenhit – einen Song, den Whitney in den Neunzigern selbst noch einmal aufnehmen und damit einen großen Erfolg verbuchen sollte. 1999 schließlich kamen beide Sängerinnen zusammen, um den Titel für die Fernsehsendung Divas Live ’99 und das dazugehörige Album noch einmal als Duett aufzunehmen.
Als Naughty 1980 entstand, saß Arif wieder an den Reglern und Ashford & Simpson steuerten mit „Clouds“ und „Our Love’s In Danger“ zwei neue Songs bei. Cissy brachte Whitney wie geplant zu den Aufnahmesessions mit, und das großartige Gesangsteam aus Mutter und Tochter ist bei beiden Titeln im Hintergrund zu hören. Whitney wurde zudem für den Begleitgesang der neuen Produktionen von Lou Rawls und den Neville Brothers gebucht, die ebenfalls in dieser Zeit entstanden.
Whitney erinnerte sich: „Zuerst stand ich mit meiner Mutter auf der Bühne, wenn sie in Clubs auftrat. Dann fing ich an, hier und da an Plattenaufnahmen mitzuarbeiten, und sie nahm mich mit, damit wir gemeinsam Background-Vocals für andere Musiker einsangen. Als ich dann achtzehn war, unterschrieb ich einen Vertrag und wirkte solo an einem Album mit.“
Besagtes Album war eine LP des Studioprojekts Material, und der Song, auf dem sie zu hören ist, trägt den Titel „Memories“. Das Trio Material bestand aus dem Keyboarder Michael Beinhorn, dem Bassisten Bill Laswell und dem Toningenieur Martin Bisi. Da keiner der drei den Gesang übernehmen wollte, heuerten sie für die einzelnen Titel verschiedene Vokalisten an, sodass sich auf jeder Platte neue Mitwirkende fanden. 1981 konnten Material, die sonst vor allem experimentelle Instrumentalmusik gemacht hatten, mit „I’m Bursting Out“ einen großen Dance-Hit verbuchen. Der Song wurde auch ein großer Erfolg für die Sängerin, die darauf zu hören war – Nona Hendryx, ehemals ein Drittel des Soul-Trios LaBelle. Gemeinsam mit Patti LaBelle und Sarah Dash hatte Nona in den Siebzigern den Klassiker „Lady Marmalade“ gesungen.
„I’m Bursting Out“ wurde so erfolgreich, dass Nona einen Solovertrag bei RCA Records erhielt. Material selbst kamen bei Elektra Records unter. 1982 nahm die Band das Album One Down auf, das acht Titel enthält, die allesamt mit verschiedenen Sängern eingespielt wurden. Nona Hendryx war auf „Take A Chance“ zu hören, Nile Rodgers von Chic spielte Gitarre auf „I’m The One“, der vielseitige Saxophonist Oliver Lake war auf „Come Down“ vertreten und Tony Thompson von Power Station und Chic spielte auf einigen Titeln Schlagzeug.
Für „Memories“, einen Song auf der zweiten Seite der LP One Down, engagierten Material eine junge Sängerin, die bisher noch keine eigenen Werke vorweisen konnte – Whitney Houston. Archie Shepp spielte Tenorsaxophon auf dem Track. Es war eine angenehme, leichte Ballade, und Whitneys Gesang klang großartig. In der Rezension der Zeitschrift Village Voice hieß es über One Down: „Die Gastmusiker Whitney Houston und Archie Shepp verwandeln ‚Memories‘ in eine der herausragendsten Balladen aller Zeiten.“
Die Platte verkaufte sich nicht besonders gut, aber für Whitney Houston war sie ein wichtiger erster Schritt, und heute ist die LP als ihre erste Soloaufnahme bekannt. Vor allem sorgte One Down dafür, dass Bruce Lundvall, der damalige Chef von Elektra Records, auf Whitney aufmerksam wurde. Angeblich war er damals sehr darum bemüht, Whitney für sein Label zu gewinnen, aber dazu kam es nie. Davon abgesehen wurde die junge Sängerin durch „Memories“ auch bei anderen Plattenproduzenten ein Begriff, und es dauerte nicht lange, bis bei ihr neue Angebote für weitere Aufnahmen eingingen.
Eins kam von Paul Jabara, der im Musikgeschäft als talentierter Allrounder galt. Er hatte in den Filmen Der Tag der Heuschrecke und Gott sei Dank, es ist Freitag mitgespielt, verschiedene Hits geschrieben und erfolgreiche Platten produziert. Er wurde vor allem bekannt als der Mann, der „Last Dance“ für Donna Summer schrieb, den Song, den sie in dem Disco-Streifen Gott sei Dank, es ist Freitag präsentierte. Der Titel brachte Jabara 1980 einen Oscar für den besten Song ein. Er schrieb zudem den Disco-Klassiker „No More Tears (Enough Is Enough)“ für Barbra Streisand und Donna Summer.
1982 meldete sich Paul Jabara bei Paul Shaffer, heute bekannt als Bandleader bei der Late Show With David Letterman, und sagte ihm, er habe da eine tolle Idee für einen Song namens „It’s Raining Men“. Jabara und Shaffer schrieben den Titel gemeinsam fertig, und tatsächlich schien schon allein das Konzept enormes Hitpotenzial zu bieten. Paul Jabara verpflichtete zwei Sängerinnen, die den Titel für ihn singen sollten, Izora Armstead und Martha Wash. Die beiden waren in den Siebzigern als Gesangsverstärkung auf allen großen Disco-Nummern von Sylvester bekannt geworden und nannten sich inzwischen Two Tons Of Fun. Für diesen Titel verpasste Jabara ihnen allerdings einen neuen Namen und nannte sie die Weather Girls.