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Kurz verharrte er über ihr, bevor er abgekämpft auf das Bett plumpste. Mit einem emotionslosen, kurzen Kuss rollte er sich von ihr weg und schloss die Augen, ohne auch nur einen Ton von sich zu geben. Das Zeichen war unmissverständlich: Paul wollte jetzt seine Ruhe haben, liegen bleiben, eindösen.
Wie ein brunftiger Hirsch, der soeben eine Horde Hirschkühe begattet hatte, lag er neben ihr. Sein Brustkorb hob und senkte sich nach dem anstrengenden Koitus. Rebecca robbte vom Bett herunter und begab sich schleunigst ins Bad, um seinen Samen unter der Dusche auszuspülen. Glibberig lief die Soße heraus, an ihrem Bein herunter.
Der Wasserstrahl, der gegen ihren Unterleib drückte, erregte Rebecca. Die ungewohnten Empfindungen auf ihrem Kitzler verursachten eine unbeschreiblich heftige Lust. Die Feuchtigkeit der Spermien, der Druck der Brause und ihre Finger, die ihr Lustzentrum umkreisten, trieben sich unaufhaltsam Richtung Höhepunkt.
Rebecca stellte sich vor, wie Elouan gemeinsam mit ihr unter der Dusche steht. Sein göttlicher Körper zeichnet sich vor ihrem inneren Auge ab. Sie lässt ihren Blick zu seinem stattlichen Penis wandern, den sie mit ihrer Hand massiert, während er mit den Fingern über ihre Klit reibt. Fester knetet sie seine Hoden, reibt am Schaft auf und ab. Er ist so verflucht hart und gleichzeitig butterweich. Seine feuchten Finger verstärken wiederum den Druck auf ihre Klitoris. »Ah!«, stöhnt sie.
Mit ungeahnter Wucht rollte der Orgasmus über Rebecca. Ihre Scheidenwände zogen sich zusammen, kontrahierten. Noch einmal das Gefühl erleben! Erneut schloss Rebecca sie die Augen, stützte sich mit der linken Hand an der Duschkabine ab, sieht wieder Elouan vor sich, wie er stöhnt, während er seinen inzwischen zum Zerbersten angeschwollenen Schwengel über ihre Spalte reibt. Sie will ihm helfen, kniet sich nach unten, berührt seine pralle Eichel mit ihrer Zungenspitze, saugt zärtlich daran. Dann umspannt sie immer fester sein Glied mit ihren Lippen und seinen Arsch mit ihren Händen, lässt die Zunge an der Eichel kreisen. Er keucht heftig auf. »Gleich«, raunt er über ihr und wirft den Kopf in den Nacken, um sich den Empfindungen vollends hinzugeben. »Gleich«, hört sie ihn erneut gequält stöhnen. Dann lässt sie von ihm ab, kniet noch immer vor ihm, während er seinen Penis umfasst und sich auf ihrer Brust ergießt.
Zum zweiten Mal erlebte Rebecca, wie sie die Erregung durchschüttelte. Sie krallte sich an der Wand der Duschkabine fest, presste die Oberschenkel zusammen, um die Nachbeben des Orgasmus zu fühlen. »Mehr«, stöhnte sie. Plötzlich stand Paul vor der Dusche und sah sie ungläubig an.
Kurz vor sechs Uhr saßen Rebecca und Paul im Auto, unterwegs zu Tom und Lydia. Er fuhr schweigsam. Obwohl die Strecke nur fünfzehn Kilometer betrug, wirkte sie angesichts der nichtssagenden Mimik ihres Freundes wie eine Tagesetappe.
»Du scheinst mehr Spaß mit der Dusche zu haben als mit mir«, sagte Paul unvermittelt.
»Und du wohl mit dem Rechner.« Chapeau.
»Was meinst du?« Rebecca lächelte vor sich hin. Eine Erklärung war unnötig.
»Das Internet war dir auch wichtiger, als das Duschen und der Sex mit mir. Ich bin dir doch egal.«
»Das ist doch Quatsch, Rebecca!«
Statt »Beccy« zu sagen, nannte er sie beim ganzen Namen. Das tat er immer, wenn er dem Gesagten mehr Ernsthaftigkeit verleihen wollte.
»Ich hatte eben etwas Nettes gesehen. Da unterbreche ich nicht meine Suche!« Rebecca schaute betreten aus dem Fenster, während das Schweigen im Auto Gestalt annahm. Jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt, um den Status ihrer Beziehung zu hinterfragen. Aber es passierte nichts. Den Rest der Strecke schwiegen sie sich an – wie ein altes Ehepaar, das schon fünfzig Jahre verheiratet war und keine Geheimnisse mehr voreinander hatte.
Tom und Lydia waren vor drei Jahren in ein kleines, verschlafenes Dorf umgezogen, in dem sie sich ein Häuschen errichtet hatten. Tom schob gerade den Schnee aus der Einfahrt, als Paul und Rebecca das Grundstück ihrer Bekannten erreichten.
Paul und Tom sahen sich regelmäßig, da sie in der gleichen Firma arbeiteten. Sie umarmten sich freundschaftlich. Nachdem Rebecca ausgestiegen war, gab Tom ihr die Hand. Sie kannte ihn zwar gut, hätte ihn aber nicht als engen Freund bezeichnen wollen.
Bevor sie in das Haus traten, schaute sich Rebecca den Außenbereich des Häuschens an. Was ein typisches, spießbürgerliches Wohngebäude: Die Fassade war von außen verklinkert und mit einem kleinen Garten versehen, der von der Straße zur Hälfte einsehbar war. Vor der Tür hatte Lydia einen Strauß Tannenzweige aufgestellt, der liebevoll mit Strohsternen behangen war. Daneben stand eine grinsende Katze aus Holz. Das Klingelschild aus Metall besaß den eingravierten Familiennamen. Tom und Lydia waren seit zwei Jahren verheiratet. Im vergangenen Herbst kam ihre Tochter Lea zur Welt.
Tom begleitete seine Freunde zur Haustür, schloss auf und ließ sie nach drinnen eintreten. Wohlige Wärme umfing Rebecca, denn die Fußbodenheizung umschmeichelte ihre Füße. Lydia kam ihnen aus der Küche tretend entgegen. Auf dem Arm trug sie ihre Tochter, die mit ihren sechs Monaten noch nicht laufen konnte.
Rebecca schossen Gemälde in den Kopf, auf denen die Mutter Maria mit dem Jesuskind abgebildet war. Genauso idyllisch und verklärt erschienen ihr gerade Lydia und ihr Baby.
Die Hausherrin umarmte Rebecca so gut sie es mit dem Kind auf dem Arm konnte. Sie trug einen weiten, rosafarbenen Pullover und graue, schlabberige Jogginghosen. Ihre strohblonden Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. An den Seiten standen einige Härchen ab, sodass die erst Mitte Dreißigjährige viel älter wirkte. Genauso stellte sich Rebecca das Mutterdasein vor: keine Zeit für das Aussehen zu haben, da man stets mit dem Kind beschäftigt war.
Die Kleine starrte die Eintretenden schüchtern an. Als Rebecca sie zart an der Wange berührte, vergrub sie das Gesicht in das Brustbein ihrer Mutter.
»Schön, dass ihr uns mal wieder besuchen kommt«, sagte Lydia höflich und bat ihre Freunde ins Wohnzimmer hinein. Irgendetwas stimmte nicht! Das Strahlen in ihren Augen fehlte. Lydias grüne Pupillen wirkten blass, fast bedrückt. Rebecca verkniff sich eine Nachfrage und schaute sich stattdessen im Flur um.
Tom stand noch immer an der halb geöffneten Haustür und klopfte sich den Schnee von seiner Hose ab. Dann kam er hinein. Ein Duft von Auflauf hing wie ein unsichtbares Band in der Luft.
Alles an der Einrichtung im Hausflur war spießbürgerlich kitschig: An den Wänden befanden sich Bilderrahmen mit Fotos der Familienmitglieder. Oma und Opa mit Lea, ein Hochzeitsfoto von Tom und Lydia, Lea als Neugeborene. Auf einem der Rahmen stand sogar »Family« drauf. Außerdem gab es rechts vom Eingangsbereich ein langes Schuhregal, das fein säuberlich aufgestellt unter anderem Pantoffel und Stiefel enthielt. Darüber hing eine bunte Zeichnung des Wohnorts. Auf dem Schrank standen kleine Kistchen aus Bast, in denen Lydia diversen Krimskrams verstaute.
Der Flur wurde zum Wohnzimmer und zur Küche hin breiter und gab auf der linken Seite den Blick auf das Badezimmer frei. Hier erinnerte vieles an eine Wohnung, die liebevoll eingerichtet wurde, um inneres Chaos durch äußere Ordnung auszugleichen.
Eine Veränderung gab es: Ihr letzter Besuch lag fast ein halbes Jahr zurück. Damals war Lea gerade einen Monat alt gewesen. Die Wohnzimmereinrichtung jetzt glich einem Schlachtfeld. Auf dem Teppich befanden sich Autos, Plüschtiere und anderes Spielzeug. Dass sogar das Sofa Chaos verbreitete, wunderte Rebecca, denn sonst war Lydia immer auf Ordnung bedacht – und zwar in sämtlichen Angelegenheiten, was auch die spießbürgerliche Einrichtung im Hausflur verdeutlichen sollte.
»Tut mir furchtbar leid, dass es so wild aussieht«, sagte Lydia leicht gequält, als ob sie Rebeccas Gedanken hatte lesen können. »Wir kommen nicht mehr zum Aufräumen, seitdem die Kleine krabbelt und alles durch die Gegend wirft.« Sie sah die Schuldgefühle in Lydias Augen aufblitzen.
»Und wie läuft es bei euch?«, fragte Tom, um vom Thema abzulenken.
»Du weißt ja, in meiner Abteilung ist immer viel los. Erst letzte Woche musste ich wieder mit einer Kollegin ein Personalgespräch führen, nachdem sie mir gesagt hatte, dass sie vorhat, weniger Stunden arbeiten zu wollen.« Wie gesprächig Paul mit einem Male war!
In seiner Position als Abteilungsleiter einer Firma, die sich mit Finanzen beschäftigte, hatte er immer viel mit Menschen zu tun und musste ständig mit seinen Angestellten sprechen. Mit Rebecca hatte er aber offenbar nicht mehr viel zu bereden.
Tom, der genau wie Paul auch in seiner Abteilung der Leiter war, hakte sofort nach. Dann tauschten sie sich über beruflichen Kram aus, während Lydia und Rebecca daneben saßen und den Männern beim Plaudern zuhorchten. Tom sprach weniger gestresst von der Arbeit, als es Paul tat. Er meckerte nicht so viel, schien ausgeglichener zu sein, trotz des Stresses zu Hause. Gerade mit Kind.
Lydia hatte nicht viel zu der Konversation beizutragen. Vor ihrer Schwangerschaft und Elternzeit hatte sie im Krankenhaus als Assistenzärztin in der Urologie gearbeitet. Als feststand, dass sie schwanger war, hatte sie die Arbeit sofort an den Nagel gehängt, um das Kind in ihrem Bauch nicht zu gefährden.
Lydia war vor ihrer Schwangerschaft eine äußerst lebenslustige, gesellige junge Frau gewesen. Tom und sie waren oft auf Partys unterwegs gewesen oder hatten Bekannte besucht. Rebecca kannte sie als Frau, die gern lachte und immer einen lockeren Spruch auf den Lippen hatte. Jetzt wirkte sie in sich gekehrter, reifer, abgeklärter. Sie beugte sich über das Baby, das neben ihr zu quengeln begann und streichelte zärtlich über die Wange des Mädchens. Wie liebevoll sie die Kleine umsorgte.
Lydia führte genau das Leben, von dem Rebecca träumte und um das sie ihre Freundin beneidete: verheiratet, Kind, Haus, Liebe.
Nach dem Essen zogen sich Paul und Tom mit einem Bier auf die Couch zurück. Lydia musste Lea zu Bett bringen und fragte Rebecca, ob sie sie begleiten wollte. Sie spürte, dass Lydia etwas auf dem Herzen hatte und mit ihr allein sein wollte. Rebecca vermutete, dass ihre ungewöhnliche, introvertierte Art, die sie so gar nicht an ihr kannte, einen Grund haben musste.
Im Kinderzimmer des Babys befand sich rechts neben der Tür die Wickelkommode, auf deren Ablage bunte Bärchen abgebildet waren. Lydia legte als Erstes Lea dort drauf und begann damit, der Kleinen neue Windeln anzulegen.
Rebecca schaute sich im Kinderzimmer um. In der Mitte stand das Gitterbett. Auf der linken Seite hatten die Eheleute einen grün-rosa lackierten Schrank aufgestellt. Die komplette Einrichtung wirkte sehr friedlich. Die Tapete mit den Sternen, dem lachenden Mond und der Sonne unterstrich diesen Eindruck perfekter Harmonie. Gleichzeitig fand Rebecca das Zimmer furchtbar spießbürgerlich; wie alles in diesem Haushalt.
Lydia legte Lea ins weißlackierte Babygitter und setzte sich auf einen Stuhl daneben. Die Mutter streichelte das Mädchen, sang ein Gutenachtlied, während sie den Kopf schräg über das Gitter neigte. Trotz dieses so ursprünglichen Bildes, das eine Ruhe sondergleichen ausstrahlte, wurde sie das Gefühl nicht los, dass Lydia mit ihren Gedanken gar nicht bei der Kleinen war.
Lea war schon vor einigen Minuten eingeschlafen, doch Lydia streichelte sie noch immer. Plötzlich sah Rebecca in Lydias Auge eine Träne aufblitzen, die sich den Weg die Wange hinunter bahnte. »Was hast du?«, fragte sie sorgenvoll und streckte die linke Hand nach der Schulter ihrer Freundin aus.
Lydia drehte sich zu ihr herum, dann begann sie leise: »Ich weiß nicht, wem ich meine Gefühle anvertrauen kann, Beccy.«
Weil Lydia schluchzte, nahm Rebecca sie in den Arm, um sie zu trösten, ihr das Gefühl zu geben, bei ihr zu sein. Als sie sie losließ, begann sie leise: »Ich glaube …« Das Sprechen fiel ihr sichtlich schwer. »… Tom hat … eine Affäre.« Wie bitte? Das konnte nicht sein! Er machte stets den Eindruck eines liebevollen Vaters, der wie ein Löwe für seine Familie einstand. Was Lydia jetzt sagte, schockierte sie bis ins Mark.
»Wie kommst du denn darauf? Hat er es dir gesagt?« Sie schüttelte den Kopf.
»Nein, aber …« Lydias Lippen bebten und ein heftiges Schluchzen suchte sich einen Weg aus ihrem Mund. »Aber es ist … etwas vorgefallen.«
Nur schwer fand Lydia die Worte wieder. »Die Abteilung, in der Tom arbeitet, hat erst im Januar die Weihnachtsfeier nachgeholt, weil Tom ja in den ersten Monaten Babyurlaub genommen hat.« Lydia senkte den Kopf, rang um die richtige Wortwahl.
»Zu dieser Weihnachtsfeier waren auch die Ehegatten und Freunde eingeladen, es sollte in einem größeren Rahmen stattfinden, weißt du?« Rebecca nickte. »Lea haben wir an diesem Abend bei meiner Mutter abgegeben. Es war das erste Mal, dass wir sie bei jemand anderem gelassen haben. Du kannst dir gar nicht ausmalen, welche Gedanken mir an diesem Abend durch den Kopf gingen. Ständig war ich besorgt, ob alles klappt, ob sich die Kleine fürchtet, wenn sie spürt, dass ihre Eltern nicht da sind. Trotzdem musste ich unbedingt das Haus verlassen und bin zur Weihnachtsfeier mitgefahren. Wir kamen mit Verspätung an, da wir ja Lea noch fortgeschafft haben. Tom suchte sich sofort einen Platz nahe seinen Arbeitskollegen. Aber seltsamerweise nicht neben irgendeinem männlichen Kollegen, sondern neben seiner Sekretärin Denise. Schon beim ersten Kennenlernen mit ihr spürte ich, wie vertraut sich beide sind, Tom und sie. Ich kann es schlecht beschreiben, eine Ehefrau merkt, wenn ihr Mann sich zu einer anderen Frau hingezogen fühlt. Es lag ein Kribbeln in der Luft, wenn sich beide so angesehen haben.«
»Hat Tom dir gegenüber diese Frau schon einmal erwähnt?« Lydia atmete schwer aus.
»Ich weiß schon, dass er seit dem vergangenen Sommer eine neue Sekretärin hat. Er hat mir aber nie gesagt, dass sie so jung und blond ist und noch dazu eine Bombenfigur hat. Vermutlich hat er es verschwiegen, weil er wusste, dass mich das eifersüchtig macht. Ich war ein Kotzbrocken in der Schwangerschaft, war wegen allem beleidigt oder wehleidig.«
»Und was ist auf der Weihnachtsfeier passiert? Ich meine, irgendwas muss dich ja zum Nachdenken gebracht haben. Affäre. Das ist ein ganz schön heftiger Vorwurf.« Lydia wirkte nachdenklich, kniff die Augenbrauen zusammen.
»Die Sekretärin saß die ganze Zeit über neben Tom. Ich habe links von ihm, sie auf der rechten Seite gesessen. Nicht, dass er neben irgendeinem seiner männlichen Kollegen, von denen es so viele in der Abteilung gibt, gesessen hätte. Nein! Er musste sich ausgerechnet neben seine attraktive Sekretärin setzen.« Lydia senkte erneut den Blick.
Von Eifersucht zernagt redete sie weiter: »Er hat sich mehr mit ihr unterhalten, als sich um mich zu kümmern. Wenn nicht dieser vertraute Blickkontakt zwischen ihnen gewesen wäre. Und wie sie miteinander gelacht haben. Nicht eine Sekunde lang hat er seine Tochter vermisst.«
Bei dem letzten Satz brach Lydia erneut in bittere Tränen aus. Rebecca versuchte sie zu trösten und sagte: »Er wollte bestimmt bloß einen netten Abend haben. Da vergisst man schnell alles um sich herum.«
»Aber …«, unterbrach sie Rebecca.
Unter Tränen und mit zitternder, lauterer Stimme sagte sie: »Es war das erste Mal, dass wir einen Abend gänzlich ohne Lea hatten! Ich habe sie schon im Auto vermisst und Tom hat nicht einmal über unser Baby gesprochen. So als gäbe es gar keine Tochter für ihn. Findest du das nicht komisch?«
Lydia schaute Rebecca mit ihren roten, verheulten Augen an. »Wenn ihm was an seinem Kind liegt, würde er sie genauso schrecklich vermissen, wie ich es tue, und nicht mit seiner Sekretärin in Anwesenheit seiner Ehefrau flirten.« Sie klang gereizt und wütend.
»Kann es nicht sein, dass du zu viel hineininterpretierst? Dass du seine Freundlichkeit ihr gegenüber als sexuelle Anziehung missverstehst?«
Lydia schaute Rebecca ungläubig an, zog die Stirn in Falten. »Meinst du im Ernst, Tom geht fremd und setzt sich neben seinen Seitensprung? Ein Mann würde das doch unter allen Umständen verhindern und es so aussehen lassen, als ließe sie ihn absolut kalt.« Lydia hielt kurz inne, überlegte, ob es nicht doch so sein konnte, wie Rebecca sagte.
Scheinbar unbeeindruckt von den Worten gab Lydia noch mehr Details preis: »Wenn es nur die Gespräche gewesen wären. Am späten Abend wurde auch getanzt. Die Weihnachtsfeier fand in einem größeren Saal einer Gaststätte statt. Anstatt mich zum Tanzen aufzufordern, hat er mit Denise getanzt. Dieses … Flittchen … hat sich an ihn herangemacht! Wie nah sie ihm war und wie sie miteinander gelacht haben. Erst später hat er mit mir getanzt, aber weit weniger zärtlich und innig als mit Denise.«
»Das muss doch aber noch lange nicht heißen, dass die beiden miteinander schlafen.«
Lydia lief eine dicke Träne die Wange hinab, was Rebecca tiefes Mitgefühl empfinden ließ. »Was soll ich bloß tun, Beccy? Ich sehe furchtbar aus! So unförmig. Meine Haare sind fettig, die Haut ist unrein.« Lydia rieb sich die Stirn, als säße dort ein Teufel, den sie abschütteln wollte.
»Aber was das Schlimmste ist: Ich kann nicht mehr mit Tom schlafen, weil ich mich so unwohl bei dem Gedanken fühle, dass er mich widerlich und abstoßend findet.«
Lydia schüttelte resigniert den Kopf, bevor sie einen letzten, bedeutungsschwangeren Satz aussprach: »Ich wünschte, ich könnte mit ihm über alles reden.« Rebecca horchte auf. Bisher dachte sie, Tom und Lydia würden eine durch und durch harmonische Beziehung führen, könnten über ihre Gefühle sprechen und nur sie und Paul wären eine Ausnahme.
Lydia hielt kurz inne, bevor sie zerknirscht und mit verheultem Gesicht sagte: »Nach der Weihnachtsfeier habe ich Tom gefragt, ob er sich zu Denise hingezogen fühlt. Er ist dem Gespräch aus dem Weg gegangen. Er hat noch nicht einmal versucht zu dementieren, verstehst du? Die Frage, ob er mit ihr eine Affäre hätte, hat er nicht verneint!«
»Und du schließt daraus, dass er die Beziehung zu ihr verheimlicht? Vielleicht kann er es nur nicht verstehen, dass du ihm so etwas unterstellst. Denn …« Rebecca machte eine kleine Kunstpause, atmete noch einmal tief durch, um ihrer Freundin Mut zuzusprechen: »Wie er mit Lea umgeht, das macht doch kein Mann, der seiner Familie untreu wird.«
Lydia schaute Rebecca mit ihren großen, hochroten Augen an. Dann sagte sie mit fester Stimme: »Das ist deine Meinung. Ich traue Tom ein Doppelleben zu. So spät, wie er manchmal nach Hause kommt, befürchte ich, dass er sich den Sex, den ich ihm schon seit fast einem Dreivierteljahr entziehe, woanders sucht.« Sich diese Tatsache einzugestehen, musste Lydia nicht leicht gefallen sein. Sie betrachtete ihre schlafende Tochter. Ohne den Kopf zu heben, sagte sie: »Wenn Tom mich wirklich betrügt, dann werde ich …«
Lydia kämpfte wieder mit den Tränen. »Zum Wohle unserer Tochter würde ich ihn nicht verlassen. Ich liebe Tom. Lea braucht einen Vater.«
Rebecca rückte näher an ihre Freundin heran und protestierte energisch: »Lydia, nein! Das kannst du dir nicht ernsthaft auferlegen wollen! Deine Tochter braucht einen Vater, der ehrlich mit dir ist und keinen, der ein Doppelleben führt. Du kannst doch nicht den Rest deiner Tage unglücklich sein wollen!«
Gequält presste sie hervor: »Und was wird aus dem Leben, das wir uns aufgebaut haben? Was wird aus dem Haus? Wir bezahlen es beide ab, und das noch auf viele Jahre.« Genau wie sie und Paul!
Rebecca hatte gehofft, Lydia von ihren eigenen chaotischen Gefühlen erzählen zu können. Aber das brachte sie nicht übers Herz. Ihre naiven Emotionen kamen ihr unbedeutend und geradezu lächerlich vor gegenüber der sich anbahnenden Ehekrise ihrer Freunde.
»Lydia?« Tom stand unten im Hausflur und rief nach seiner Frau. Seine Stimme kam Rebecca mit einem Schlag viel kälter vor. Sie beschloss, Paul diskret zu befragen und ihre Freundin nicht weiter zu belasten. »Lydia? Wo seid ihr denn?«, ertönte es erneut. »Ich dachte, wir wollten noch einen Wein zusammen trinken?«
»Gleich!«, rief Lydia zurück.
Sie wischte sich mit dem weiten Pulloverärmel die Tränen aus dem Gesicht. »Ich sehe verheult aus, richtig?« Rebecca nickte. »Geh runter und sage Tom, dass die Kleine nicht einschlafen will. Ich komme nach, sobald ich mich beruhigt habe.« Rebecca nahm Lydia fest in den Arm und drückte sie an ihre Brust, bevor sie nach unten ging.
Tom stand noch immer am Treppenaufgang. »Wo ist Lydia?«, fragte er beinah herrisch, als Rebecca das Hausflur erreichte.
»Die Kleine schläft nicht ein. Lydia muss noch ein Schlaflied singen.«
Er setzte ein skeptisches Gesicht auf. »Komisch, warum hat Lea nicht geweint? Wenn sie nicht einschlafen kann, weint sie in der Regel.« Er erwartete eine Antwort.
»Sie … war bereits eingeschlafen … und nun ist sie aufgewacht … als du gerufen hast.«
Verwundert zog Tom den Kopf nach hinten und sagte langsam: »Verstehe.« Dann begleitete er Rebecca ins Wohnzimmer, wo Paul lässig auf der grauen Couch saß.
Inzwischen waren die Männer zum Wein übergegangen. Tom setzte sich leger neben seinen Freund, während Rebecca etwas abseits von Paul Platz nahm. Sie beobachtete die beiden beim Reden, während sie selbst an einem Glas Weißwein nippte.
Tom und Paul waren beide Anfang Vierzig. Lydias Mann war etwas schlanker als ihr Freund, dafür hatte Paul mehr Haare auf dem Kopf. Bei Tom konnte sie erste graumelierte Strähnen erkennen. Zusammen mit seinem Dreitagebart ging er als ganz ansehnlicher Mann durch, der sicherlich gut bei jüngeren Damen ankam. Im Anzug, den er für gewöhnlich auf Arbeit tragen musste, machte er bestimmt keine schlechte Figur.
Welche Liebschaften er aber vor Lydia hatte, wusste Rebecca nicht. Ob er einer Affäre mit seiner Sekretärin offen gegenüberstehen würde?
»Ach so, Paul. Und dann hat Denise noch gesagt, dass sie uns gern mal besuchen würde. Sie möchte unbedingt meine Tochter kennenlernen. Sie liebt Kinder.« Paul nickte.
Mit welch einer Leidenschaft Tom von seiner Sekretärin sprach! In Anwesenheit seiner Ehefrau hätte er garantiert nicht so inbrünstig von ihr geschwärmt.