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15
Mister McKee hatte uns die Adresse von Severine Maragaux gegeben. Sie wohnte in einem Cast Iron-Haus in Chelsea, war Franco-Kanadierin, 23 Jahre alt und bezeichnete sich als Freundin der toten Dolores Montalban.
Severine sah sich erst eingehend unsere Ausweise an, bevor sie uns eintreten ließ. Sie trug Jeans und T-Shirt, aber an den Wänden hingen Fotos, die sie bleich geschminkt und in schwarzem Leder als Sängerin einer Gothic Metall Band zeigten. Sie gab an, ursprünglich wegen ihres Betriebswirtschaftsstudiums an der Columbia nach New York gekommen zu sein. Inzwischen hatte sie das längst an den Nagel gehängt und schlug sich als Sängerin durch.
"Naja, es ist nicht gerade gängiger Pop, was wir machen", erzählte sie uns. "Sie können sich denken, dass man mit Gothic Metall nicht gerade reich wird. Aber solange es genug Clubs gibt, in denen wir spielen können..."
"Wir möchten Ihnen ein paar Fragen über Dolores Montalban stellen", erklärte ich. In knappen Worten fasste ich alles zusammen, was es über die Tote von der Cannary Lane zu sagen gab.
Severine wirkte ziemlich betroffen. "Das ist ja furchtbar!", stieß sie hervor und führte uns in ihr Wohnzimmer. Ein paar großformatige Gemälde hingen an der Wand. Sie stellten ineinander verschlungene okkulte Symbole dar, wie sie auf Dolores' Körper aufgemalt worden waren. Milo betrachtete eines der Bilder näher, starrte auf die Signatur.
DM - wie Dolores Montalban.
"Die Bilder hat sie mir geschenkt", erklärte Severine mit belegter Stimme. "Sie hatte mal so eine Phase, in der sie viel gemalt hat."
"Sie waren ziemlich eng befreundet", stellte ich fest.
"Eine Weile dachte ich das. Aber...
"Aber was?"
"Sie haben die Bilder gesehen, auf denen ich im Bühnenoutfit fotografiert wurde. Ich finde es auch cool, mich wie ein Geschöpf der Finsternis anzuziehen und in Gothic Discos zu gehen."
"Da hatten Sie und Dolores ja etwas gemeinsam."
Sie schüttelte den Kopf. "Nein, bei ihr war das etwas anderes. Sie hat dieses Grusel-Zeug wirklich ernst genommen. Das war schon erschreckend. Wir konnten nichts unternehmen, ohne dass vorher gependelt wurde. Und dann war da diese Sekte... Wenn Sie mich fragen, dann haben diese Leute sie einer Art Gehirnwäsche unterzogen. Orden der Dunkelheit nennen die sich, glaube ich. Da gibt's auch einen gewissen Oberguru, dem sie nacheiferte."
"Wie ist sein Name?"
"Bruder Maleficius. Irgend so ein selbsternannter Herr der Finsternis. Den wirklichen Namen kenne ich nicht."
"Sind Sie ihm mal begegnet?"
"Ja, sie hat mich mal zu einem dieser Treffen mitgenommen. Das fand auf einem Friedhof statt. Die spritzten da mit Schweineblut herum und weideten tote Ratten aus. Das war mir dann doch ein bisschen heftig. Alle liefen in Mönchskutten herum. Von den Gesichtern konnte man nicht viel sehen. Nur einen kurzen Moment lang fiel das Mondlicht in das Gesicht des Anführers..." Severine schluckte. "Es war vollkommen durch Narben entstellt. So als hätte er mal unter einer schrecklichen Krankheit gelitten."
"Möglicherweise Verbrennungen?", fragte Milo.
"Wäre natürlich auch möglich...", meinte sie. "Um ehrlich zu sein, hatten Dolores und ich in letzter Zeit nicht mehr viel Kontakt. Sie ist voll auf diesen Sektenmist abgefahren und wollte auch an irgend so einer geheimen Aufnahmezeremonie teilnehmen, die sie zu einer sogenannten Schwester der Finsternis gemacht hätte."
16
Das Büro von Montalban House Ltd. befand sich im 28. Stock eines Hochhauses in der Seventh Avenue. Eine ganze Etage in dieser teuren Lage wurde von José Montalbans Immobilienfirma eingenommen. Die Geschäfte schienen also gut zu laufen.
Als wir das Großraumbüro betraten, fielen mir gleich die zahlreichen Security Guards auf, die hier zu finden waren.
"Das Faible für Sicherheit scheint José von seinem Vater geerbt zu haben", raunte ich Milo zu.
Wir zeigten der Sekretärin unsere ID-Cards.
Sie strich sich das gelockte Haar zurück, nahm per hausinterne Sprechanlage Kontakt zu ihrem Chef auf und wechselte ein paar Worte auf Spanisch mit ihm. Anschließend wandte sie sich wieder uns zu. "Folgen Sie mir bitte!"
"Aber gerne", sagte Milo.
Sie ging vor uns her.
Das enganliegende Kleid zeichnete ihre Körperformen perfekt ab. Eine aufregende Silhouette. Milo stieß mir in die Seite. "Wir sind dienstlich hier!"
"Ich dachte der Aussicht wegen."
"Man hat hier tatsächlich eine fantastische Aussicht", sagte die Dunkelhaarige, ohne sich dabei umzudrehen. Sie deutete kurz auf die Fensterfront. "Bei gutem Wetter können Sie bis zum Connecticut-Ufer des Long Island Sound sehen!"
Milo grinste.
Wir erreichten das Büro des Firmenchefs.
Im Gegensatz zu seinen Mitarbeitern hatte er ein Zimmer für sich allein. Mitten im Raum stand ein gewaltiger Schreibtisch. An den Wänden hingen moderne Kunstwerke.
Durch die hohe Fensterfront war das Empire State Building zu sehen. José Montalban saß in einem Drehsessel mit Lederbezügen und schlug die Beine übereinander.
"Sie können gehen, Angelina!", wandte er sich an die Sekretärin. Als sie verschwunden war, erhob er sich und begrüßte erst Milo und dann mich per Handschlag. "Freut mich, dass Sie her gefunden haben", sagte er.
"Bei Ihrem Vater hatte ich einen anderen Eindruck", stellte ich fest.
"Ich habe ja bereits angedeutet, dass mein Vater der Justiz gegenüber eine Haltung einnimmt, die vielleicht etwas ungerecht ist", eröffnete José auf seine gewohnt moderate Art und Weise.
Er hätte Diplomat werden können, ging es mir durch den Kopf.
"Kommen wir zur Sache", sagte ich.
"Bevor Sie mir Ihre Fragen stellen, Agent Trevellian, möchte ich eine Erklärung abgeben."
Ich zuckte die Achseln. "Bitte!"
"Erstens möchte ich, dass diese Unterredung so weit wie das irgend möglich ist vertraulich bleibt."
"Wir gehen damit nicht an irgendwelche Cable-TV-Sender", versicherte ich.
"Meine Bitte war eher in Bezug auf meinen Vater gemünzt. Ihnen wird ja wohl nicht entgangen sein, dass wir manche Dinge etwas unterschiedlich einschätzen."
"Wir werden sehen, was wir tun können, Mister Montalban", sagte Milo.
José gab sich damit zufrieden. Er nickte leicht und erklärte nach einer kurzen Pause: "Sie hatten Recht. Es gab tatsächlich eine Entführung. Sie hatten den richtigen Riecher."
"Erzählen Sie!"
"Meine Schwester blieb 48 Stunden lang unauffindbar. Mein Vater lässt ihre Wohnung überwachen, daher wusste er genau Bescheid. Natürlich hat Dad Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt. Es gab einen Anrufer mit verzerrter Stimme. Der Anrufer erklärte, meine Schwester in der Gewalt zu haben. Er forderte eine Million Dollar. Natürlich sollte die Polizei außen vor bleiben."
"Die Vermisstenanzeige..."
"Die war schon aufgegeben worden."
"Was wurde für die Geldübergabe vereinbart?"
"Gar nichts. Der Entführer wollte sich wieder melden, um Einzelheiten bekannt zu geben. Aber dazu ist es nicht mehr gekommen." José Montalbans Gesicht wurde starr. "Diese Typen haben offenbar gar nicht vorgehabt, meine Schwester wieder frei zu lassen."
"Kennen Sie Personen, die Ihrer Schwester nahe standen und sie vielleicht am Tag ihres Verschwindens noch gesehen haben könnten?", hakte ich nach.
José hob die Schultern. "Ich gebe Ihnen die Adresse eines gewissen Estevez. Er hatte den Auftrag, meine Schwester zu überwachen. Wenn jemand etwas über die Kontakte sagen kann, die Dolores hatte, dann dieser Mann."
"Nicht nötig", erwiderte ich. "Estevez ist tot. Er wurde von zwei Einbrechern umgebracht, die Dolores' Wohnung durchsuchen wollten."
"Das wusste ich nicht", behauptete José.
"Vor allem wundert es uns, was dieser Estevez noch bei Dolores' Wohnung zu suchen hatte, schließlich war Ihre Schwester doch tot", stellte Milo fest. "Sein Auftrag, Ihre Schwester zu überwachen war doch damit gewissermaßen erledigt."
José zuckte die Achseln. "Wie Sie schon richtig sagten, wir können Estevez jetzt nicht mehr befragen. Vielleicht hat mein Vater ihm den Auftrag gegeben, die Wohnung weiter zu beobachten."
"Warum sollte er das getan haben?"
"Vielleicht in der Hoffnung, dass genau das passiert, was geschehen ist und es auf diese Weise eine Spur von Dolores' Mördern gibt! Allerdings..." Er stockte, sprach zunächst nicht weiter.
"Allerdings was?", hakte ich nach.
"Für eine Entführung wäre dieser Estevez ein idealer Komplize gewesen, finden Sie nicht auch? Wahrscheinlich wusste nicht einmal Dad so gut über Dolores' Gewohnheiten Bescheid wie dieser Mann..."
"Dann hätten die Einbrecher ihn nicht umzubringen brauchen!"
"Auch wieder richtig."
Ich griff in die Innentasche meiner Jacke, holte Bilder von den beiden Einbrechern Pat McGovern und Brett Nolan hervor und reichte sie José Montalban. "Kennen Sie diese beiden Männer?"
José schüttelte den Kopf. "Wer soll das sein?"
"Das sind die beiden Einbrecher. Einer wurde von meinem Kollegen erschossen."
"Und der andere?"
"Er löste eine Gasexplosion aus."
José deutete auf das Gesicht von Brett Nolan. "Den da habe ich schon gesehen. Da bin ich mir sicher."
"Können Sie sagen wann und wo?"
"Ich glaube, er war Türsteher in einer dieser Gothic-Discos, aus der ich Dolores mal in Dads Auftrag herausholen musste." Er machte eine wegwerfende Handbewegung. "Das ist allerdings schon ein paar Jahre her. Später hätte sich Dolores das auch gar nicht mehr gefallen lassen. Sie hatte nämlich nicht nur ihren eigenen Willen, sondern wusste auch, wie sie ihn durchsetzen konnte."
"Wissen Sie etwas Näheres über die Kontakte, die Dolores in der Gothic-Szene hatte?", fragte Milo.
"Wissen Sie, ich habe diesen Spleen meiner Schwester früher nie so richtig ernst genommen. Sie fing irgendwann an, sich nur noch in Schwarz zu kleiden und das Gesicht weiß zu schminken. Ich brauche Ihnen da ja nichts zu erzählen, Sie kennen sich in dieser Szene vermutlich sicher viel besser aus, als ich."
Ich blieb hartnäckig. "Haben Sie mal den Namen Bruder Maleficius gehört?"
"Nein, wer soll das sein?"
"Der Anführer einer Art Satanistensekte, der ihre Schwester angehörte. Zumindest hat sie sich um die Aufnahme bemüht, wie wir von einer Freundin wissen."
"Tut mir leid, dieser Name sagt mir gar nichts. Im Übrigen sehe ich das mit diesem Satanistenbrimborium auch nicht so eng wie mein Vater. Wenn man jung ist, muss man das eine oder andere ausprobieren, finden Sie nicht, Agent Trevellian?"
Ich kam nicht dazu, ihm zu antworten.
17
Draußen, vor der hohen Fensterfront in José Montalbans Rücken tauchte ein Hubschrauber auf.
Er trug die Kennung des NYPD.
José blickte sich irritiert um.
Der Helikopter verharrte genau in Höhe der Fensterfront.
"Was hat das zu bedeuten, Agent Trevellian?", rief er. "Ich dachte, Sie meinen es ehrlich, G-man!"
Milo und ich wechselten einen kurzen Blick.
Mit dem Auftauchen des Helis hatten wir nichts zu tun. Die Maschine schwenkte seitwärts.
Die Insassen trugen Sturmhauben.
Ich bemerkte plötzlich die Gewehrmündung, die seitlich aus dem Fenster ragte.
"Hinlegen!", schrie ich, warf mich über den Schreibtisch in Josés Richtung und riss den Sohn von El Columbiano zu Boden. Milo warf sich zur Seite.
Zwei Schüsse durchdrangen kurz hintereinander das Fensterglas. Es zersplitterte nicht. Stattdessen bildeten sich kreisrunde Löcher, die von spinnennetzartigen Rissen umgeben waren. Aber es handelte sich eben nicht um Panzerglas! Die Kugeln durchdrangen die Scheiben mühelos.
Der Schütze im Heli feuerte noch zwei weitere Geschosse in José Montalbans Büro hinein.
Dann drehte der Heli ab, flog einen Bogen.
Milo hatte schon das Handy am Ohr, verständigte unser Field Office an der Federal Plaza.
Wer auch immer am Steuerknüppel dieses Helis saß - ein Cop war das wohl kaum!
"Stehen Sie auf, Mister Montalban!", forderte ich José auf.
Ich rappelte mich auch auf und packte den ziemlich verdutzten Immobilienmakler unter den Armen.
Milo war auch wieder auf den Beinen.
"Was hat das zu bedeuten?", stammelte José.
"Jemand will Sie tot sehen und hat sich dafür offenbar im Fuhrpark des NYPD bedient!", erwiderte ich trocken.
"Jesse, der Heli kommt zurück!", rief Milo.
Ich wirbelte herum.
Mein Freund und Kollege hatte Recht.
Der Heli hatte erneut gedreht und flog jetzt noch einmal auf die Fensterfront von José Montalbans Büro zu.
Milo hielt in der einen Hand das Handy, in der anderen die SIG.
Er richtete den Lauf in Richtung des Angreifers, schoss aber nicht. Die Folgen wären unabsehbar gewesen. Nicht auszudenken, wenn der Pilot getroffen wurde und der Heli auf die belebte Seventh Avenue stürzte.
Aus dem Seitenfenster des Helikopters ragte jetzt ein sehr viel dickeres Rohr.
Eine Bazooka.
Der Helikopter verharrte einen Augenblick an seiner Position. Der maskierte Copilot feuerte die Bazooka ab. Sekundenbruchteile später verwandelte sich José Montalbans Büro in eine sengende Flammenhölle.
18
Rick Montalban trat auf die Terrasse hinaus. Man hatte einen traumhaften Ausblick auf den Bootssteg und das Meer. Dunst hing über dem Wasser. Die Wellen brachen sich schäumend am Strand, aber es wehte nur eine schwache Brise.
Die beiden Männer, die an dem runden Terrassentisch platzgenommen hatten, erhoben sich. Der eine war Mitte Fünfzig, hatte kurzgeschorenes graues Haar und ein bronzefarbenes Gesicht. Sein Maßanzug hatte mindestens 2000 Dollar gekostet. Er hieß Harry Silva. Silva war Ricks Neffe und außerdem sein Anwalt. Seit Jahrzehnten hatte Harry Silva seinen Onkel aus allen Prozessen herausgepaukt.
Der zweite Mann war zehn bis fünfzehn Jahre älter.
Der dünne Haarkranz um seinen Kopf war schlohweiß, ebenso der Knebelbart um das Kinn. Er trug eine pechschwarze Sonnenbrille.
Sein Name war Juan-Angel Carillo. Auch er gehörte zur Familie. Carillo war ein Großcousin von El Columbiano und seit vielen Jahren einer seiner engsten Berater. Carillo hatte für Montalban etwa die gleiche Stellung, wie sie in der italienischen Mafia ein sogenannter "Conciliere" einnahm.
Rick Montalban machte eine Geste mit der Hand. "Bleibt ruhig sitzen", sagte er. "Oder gibt es vielleicht irgendeinen Anlass, um förmlich zu werden?"
Weder Carillo noch Silva sagten ein Wort. Sie setzten sich wieder.
Rick Montalban nahm ebenfalls Platz und schlug die Beine übereinander. Mit einem Fingerschnipsen schickte er den Bodyguard weg, der in der Nähe stand.
"Ihr wolltet mich unbedingt sprechen und habt es sehr dringend gemacht", sagte El Columbiano. "Also schlage ich vor, dass wir gleich zur Sache kommen. Wie ihr wisst, bin ich ein viel beschäftigter Mann!"
Die beiden drucksten etwas herum.
Schließlich war es Carillo, der als erster das Wort ergriff. "Wir machen uns über verschiedene Dinge Sorgen, Rick!"
Rick Montalbans Augenbrauen hoben sich. "So?"
"Es gibt Gerüchte, du hättest die Organisation nicht mehr so fest im Griff wie früher", ergänzte Harry Silva. "Es heißt außerdem, du wolltest dich langsam aber sicher zurückziehen."
"Wer erzählt so einen Unfug?", fragte Rick ziemlich ungehalten.
"Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, Rick", erwiderte Harry Silva. "Und angeblich warten unsere Latino-Vettern nur darauf, unseren Teil des Kokain-Marktes unter sich aufzuteilen."
"Von wem sprecht ihr?"
"Von Benny Dominguez und seinen Puertoricanern zum Beispiel", sagte Silva.
Rick Montalban ballte die Hände zu Fäusten. "Caramba, was ist mit Dominguez?"
"Er soll im Nachtclub 'La Habanera' gesehen worden sein", antwortete der Anwalt. "Wie allgemein bekannt ist, steht der Laden unter der Kontrolle von Fat Paco und seinen Exilkubanern! Rick, du musst doch begreifen, was das bedeutet!"
"Du siehst Gespenster, Harry!", meinte El Columbiano.
"Es ist das, wovor ich dich immer gewarnt habe, Rick", fuhr Silva fort. "Ein Bündnis zwischen Benny Dominguez und Fat Paco. Die werden unsere Leute aus den Straßen von Spanish Harlem und der Bronx fegen, ehe wir uns versehen."
Rick Montalbans Gesicht wurde zu einer starren Maske. Er erhob sich, steckte die Hände in die Taschen seiner Cool Wool-Hose und blickte nachdenklich in Richtung des Meeres.
Dann wandte er sich an Carillo. "Juan-Angel, kümmere du dich darum. Du hast völlig freie Hand. Ich vertraue dir, das weißt du..."
"Ich werde sehen, was ich tun kann", sagte Carillo ziemlich einsilbig.
Aber Silva schüttelte energisch den Kopf. Fast beschwörend wandte er sich an El Columbiano.
"Rick, es reicht nicht, wenn sich Juan-Angel darum kümmert. Du selbst musst die Sache regeln, sonst fällt alles auseinander. Die Unterführer werden dir nicht mehr folgen, sondern sich von Fat Paco kaufen lassen!"
"Tut mir leid, mí amigo", erwiderte Rick.
Silva erhob sich. Er war fassungslos. "Was soll das heißen, Rick? Tut mir leid! Ich verstehe, dass dich der Tod deiner Tochter sehr mitgenommen hat. Aber manchmal muss man eben hart sein, wenn man überleben will. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es dir völlig gleichgültig wäre, wenn alles, was du mit deinen Händen aufgebaut hast, jetzt einfach so zerrinnt!
"Davon kann keine Rede sein!"
"Das kann schneller geschehen, als du dir jetzt vielleicht vorstellen kannst!"
Rick Montalban fasste sich ans Herz. "Harry, weißt du eigentlich, wie es hier in mir aussieht? Du hast keine Kinder. Du weißt nicht, was es bedeutet, wenn man sein eigen Fleisch und Blut verliert."
"Rick...", versuchte sich Juan-Angel Carillo einzumischen.
El Columbiano brachte seinen alten Ratgeber jedoch mit einer Handbewegung zum Schweigen.
"Im Moment konzentriere ich all meine Anstrengungen darauf, diejenigen zur Stecke zu bringen, die für Dolores' Tod verantwortlich sind. Einen nach dem anderen. Ich habe keine Lust, darauf zu warten, dass die Justiz diese Wahnsinnigen in eine psychiatrische Anstalt steckt und für schuldunfähig erklärt. Sie sollen leiden. So wie Dolores gelitten hat! Genau so..."
Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen. Nur das Rauschen des Atlantiks war im Hintergrund noch zu hören.
Dirty Rick blickte hinaus auf das Meer.
Carillo warf Silva einen genervten Blick zu und verdrehte die Augen.
Silva richtete eine beschwichtigende Geste an Carillo und erhob sich. Er trat an Rick heran. "Auch wenn ich keine eigenen Kinder habe, verstehe ich doch, was in dir vorgeht, Rick."
"Ach, wirklich?", erwiderte Rick mit belegter, fast tonloser Stimme.
"Aber du musst auch uns verstehen, Rick. Es geht für uns alle vielleicht bald schon um die nackte Existenz. Für dich im Übrigen auch. Die Sache mit Aranjuez... Glaubst du, es war ein Zufall, dass er mit der halben Tonne Koks im Hafen abgefangen wurde? So viel Glück können die Cops nicht haben!"
Rick Montalban drehte sich ruckartig zu Silva herum.
"Was willst du damit sagen, Harry?"
"Na, was wohl? Du kannst mir nicht erzählen, dass dir der Gedanke nicht auch schon gekommen ist."
"Du meinst, dass jemand in unserer Organisation falsch spielt."
"Rick, wir müssen mit dem Drahtbesen an die Sache herangehen. Es muss eine Säuberung geben! Auch wenn es dir nicht gefällt, das zu hören, aber ich bin überzeugt davon, dass Teile der Organisation bereits übergelaufen sind und längst auf die Befehle von Fat Paco oder was weiß ich wem hören!"
Rick Montalban nickte leicht.
Wahrscheinlich hatte Silva mit seinen Vermutungen Recht. Jemand aus seiner Organisation hatte den Cops einen Tipp gegeben. Aranjuez war nur ein Bauernopfer in diesem Machtpoker hinter den Kulissen. Rick wusste nur zu gut, dass er selbst damit gemeint war.
"Okay", sagte El Columbiano schließlich. "Ich hoffe, du hast ein paar gute Vorschläge, Juan-Angel!"
Er wandte den Kopf in Carillos Richtung.
Warum ist der alte Fuchs heute so schweigsam?, ging es ihm durch den Kopf.
19
Wir taumelten aus José Montalbans Büro heraus. Hinter uns verwandelte sich alles in eine Explosionshölle.
Die Bürotür wurde von der Druckwelle aus den Angeln gerissen. Wir warfen uns zu Boden.
Milo befand sich rechts von mir, José links.
Im Großraumbüro von Montalban House Ltd. brach Panik aus.
Eine Wolke aus beißendem Rauch quoll aus dem verwüsteten Büro des Firmenchefs heraus.
Dadurch wurde die Sprinkleranlage aktiviert.
Es regnete Löschwasser von der Decke.
Das Rotorgeräusch des Helikopters wurde leiser.
Als ich mich aufgerappelt hatte, sah ich ihn noch zwischen zwei Skyscrapern hindurch Richtung South Bronx oder Long Island Sound fliegen. Wenn er diesen Kurs beibehielt würde er vermutlich sogar über Riker's Island, die berühmte New Yorker Gefängnisinsel, hinwegfliegen. Jenen Ort, an den ich die beiden maskierten Insassen dieses angeblichen NYPD-Helis hinwünschte!
Wir konnten nur hoffen, dass die Kollegen die Verfolgung des Hubschraubers aufgenommen hatten und ihn so schnell wie möglich aufzuspüren vermochten.
In der Montalban House-Etage war die Panik nicht aufzuhalten. Auch die Bemühungen der Security Guards, die Mitarbeiter der Immobilienfirma zu beruhigen halfen nichts. Es kam zu einer heillosen Flucht in Richtung des Treppenhauses und der Aufzüge. Mit einer geordneten Evakuierung hatte das nicht viel zu tun.
"Ist mit Ihnen alles in Ordnung?", fragte ich an José Montalban gerichtet.
In dessen Gesicht stand der blanke Schrecken.
Möglicherweise stand er unter Schock.
Ich zog ihn mit mir.
Meine Kleidung war inzwischen durch die Sprinkler-Dusche vollkommen durchnässt. Wir gehörten zu den Letzten, die das Großraum-Büro verließen. Mit den anderen strömten wir Richtung Treppenhaus. Bei den Aufzügen hielten Security Guards Wache, um zu verhindern, dass sie benutzt wurden. Schließlich war im Brandfall nie auszuschließen, dass es zu Stromausfällen kam und die Liftkabinen dann irgendwo stecken blieben.
Wir gelangten in das darunter liegende Stockwerk.
Ich wandte mich noch einmal an José Montalban. "Haben Sie eine Ahnung, wer dahinterstecken könnte?"
"Das fragen Sie mich? Das war ein NYPD-Helikopter!", fauchte er mich an.
"Er mag so ausgesehen haben. Aber diese Leute handelten ganz gewiss nicht im Auftrag des Police Department. Außerdem ist es nun wirklich keine Kunst, einen Helikopter so umzuspritzen, dass er denen des Police Department gleicht. Also überlegen Sie mal! Wer könnte Ihnen nach dem Leben trachten?"
José Montalban schüttelte den Kopf. Sein Blick war leer. "Ich habe wirklich keine Ahnung, wer dahinter steckt", sagte er tonlos.
"Es ist unser Job, diejenigen zu verfolgen, die das inszeniert haben", ergänzte Milo. "Aber dabei sind wir auf Ihre Hilfe angewiesen. Sonst können wir nichts machen!"
"Denken Sie bitte gut nach, Mister Montalban", forderte ich José noch einmal auf.
"Caramba, ich bin ein ehrbarer Geschäftsmann, an dessen weißer Weste nicht ein Fleck ist. Ich habe keine Ahnung, welche kranken Hirne versuchen, unsere Familie zu ruinieren... erst meine Schwester, jetzt..." Er stockte, sprach nicht weiter.
"Vielleicht will der Unbekannte, der hinter diesem Anschlag steckt, gar nicht Sie persönlich treffen", vermutete ich. "Möglicherweise geht es ihm in Wahrheit um Ihren Vater. Und jetzt tun Sie nicht so, als ob Sie nicht wüssten, dass Ihr Vater keineswegs überall nur Freunde hat!"