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Sechstes Kapitel
Dr. Leete unterbrach seine Rede, und ich schwieg und versuchte mir ein allgemeines Bild von den Veränderungen in der Gesellschaft zu machen, welche die großartige Revolution, von welcher wir gesprochen, hervorgerufen hatte.
Endlich sagte ich: »Der Gedanke an eine solche Erweiterung der Regierungstätigkeit ist, um das Geringste zu sagen, wahrhaft überwältigend.«
»Erweiterung!« sagte er, »wo ist die Erweiterung?«
»Zu meiner Zeit«, erwiderte ich, »waren die Regierungsfunktionen, streng genommen, darauf beschränkt, für Erhaltung des Friedens zu sorgen und das Volk gegen seine Feinde zu verteidigen, d.h. auf Militär- und Polizeigewalt. «
»Um des Himmels willen, wer sind diese Feinde?« rief Dr. Leete. »Sind es Frankreich, England, Deutschland, oder Hunger, Kälte und Armut? In Ihrer Zeit waren die Regierungen gewöhnt, bei dem geringsten internationalen Missverständnis sich an den Leibern der Bürger zu vergreifen und sie zu Hunderttausenden dem Tod und der Verstümmelung preiszugeben und ihren Wohlstand wie Wasser zu verschwenden; und alles dies meistens ohne den Schein von Vorteil für die Opfer. Wir haben jetzt keine Kriege und unsere Regierung keine Kriegsmacht, sondern um jeden ihrer Bürger gegen Hunger, Kälte und Armut zu schützen und um für alle seine physischen und geistigen Bedürfnisse zu sorgen, nimmt sie es auf sich, seine Industrie zu leiten. Nein, Herr West, wenn Sie darüber nachdenken, werden Sie zu der Überzeugung kommen, dass in Ihrer Zeit, nicht in der unsrigen die Erweiterung der Regierungsfunktionen ganz ungewöhnlich war. Nicht für die besten Zwecke würden wir jetzt unseren Regierungen solche Gewalten einräumen, wie damals für die schlimmsten eingeräumt wurden.«
»Ohne Vergleiche anstellen zu wollen«, sagte ich, »in meiner Zeit würden die Demagogie und die Korruption unserer Politiker unüberwindliche Hindernisse für die Regierung gewesen sein, die Leitung der nationalen Industrie zu übernehmen. Wir würden gedacht haben, nichts sei schlimmer, als den Politikern die Reichtum schaffende Maschinerie des Landes anzuvertrauen. Seine materiellen Interessen waren viel zu sehr der Spielball der Parteien.«
»Sie hatten gewiss recht«, entgegnete Dr. Leete, »aber das ist jetzt alles anders geworden. Wir haben weder Parteien noch Politiker, und was Demagogie und Korruption betrifft, so haben diese Worte nur noch eine historische Bedeutung.«
»Die menschliche Natur muss sich sehr verändert haben«, sagte ich.
»Ganz und gar nicht«, war Dr. Leetes Antwort, »aber die Lebensbedingungen haben sich verändert und mit ihnen die Beweggründe des menschlichen Handelns. Die Gesellschaft gibt der Niedertracht keine Prämien mehr. Aber das werden Sie erst verstehen, wenn Sie uns besser werden kennen gelernt haben.«
»Aber Sie haben mir noch nicht gesagt, wie Sie das Arbeiterproblem gelöst haben. Wir haben von dem Kapitalprobleme gesprochen«, sagte ich. »Nachdem die Nation übernommen hatte, die Fabriken, Maschinen, Eisenbahnen, Landgüter, Bergwerke und überhaupt das Kapital des Landes zu leiten, so blieb doch immer noch die Arbeiterfrage übrig. Mit der Übernahme der Verantwortung für das Kapital hat die Nation die schwierige Stellung eines Kapitalisten auf sich genommen.«
»In dem Augenblick, da die Nation die Verantwortung für das Kapital übernahm, verschwanden diese Schwierigkeiten«, erwiderte Dr. Leete. »Die nationale Organisation der Arbeit unter einheitlicher Leitung umfasste die vollständige Lösung dessen, was in Ihren Tagen unter Ihrem System mit Recht als das unlösbare Arbeiterproblem angesehen wurde. Als die Nation einziger Arbeitgeber wurde, wurden die Bürger, als solche, die Arbeiter und wurden je nach den Bedürfnissen der Industrie verwendet.«
»Das heißt«, fiel ich ein, »Sie haben lediglich das Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht unserer Zeit auf die Arbeiterfrage angewandt.«
»Ja«, sagte Dr. Leete, »das war die natürliche Folge davon, dass die Nation alleiniger Kapitalist geworden war. Das Volk war schon daran gewöhnt, dass jeder gesunde Bürger die Pflicht hatte, seine Dienste der Verteidigung der Nation zu widmen. Ebenso klar war es, dass jeder Bürger seinen Teil an industriellen wie an geistigen Dienstleistungen zur Unterhaltung der Nation beitragen sollte; jedoch erst als die Nation der Arbeitgeber geworden war, konnte die Gesamtheit der Bürger diese Dienste mit Rücksicht auf Billigkeit leisten. Solange der Arbeit gebende Faktor in hundert oder tausend Individuen und Korporationen geteilt war, unter denen irgendein Einverständnis weder gewünscht, noch auch möglich war, solange konnte nicht von Organisation der Arbeit die Rede sein. Damals ereignete es sich beständig, dass große Mengen von Arbeitern, die arbeiten wollten, keine Arbeit finden konnten, und auf der anderen Seite konnten diejenigen, die wollten, einen Teil oder alle Verbindlichkeit zur Arbeit umgehen.«
»Arbeit«, erwiderte ich, »ist jetzt wohl obligatorisch?«
»Sagen Sie lieber, sie ist selbstverständlich«, entgegnete Dr. Leete. »Sie wird für so natürlich und vernunftgemäß angesehen, dass wir gar nicht mehr daran denken, sie obligatorisch zu nennen. Wer zur Arbeit gezwungen werden müsste, würde für unglaublich verächtlich gelten. Dennoch würde die absolute Unvermeidlichkeit nur ungenügend ausgedrückt sein, wenn man sie obligatorisch nennen wollte. Unsere ganze soziale Ordnung beruht so vollständig auf derselben, dass, wenn es überhaupt denkbar wäre, dass sich eine Person ihr entzöge, der letzteren gar keine Mittel für ihren Unterhalt bleiben würden. Sie würde sich selbst von der Welt ausgeschlossen, sich von der Gesellschaft abgeschnitten, kurz, sie würde Selbstmord begangen haben.«
»Ist die Dienstzeit in dieser Industriearmee fürs ganze Leben?«
»Keineswegs; sie beginnt später und endet früher als die durchschnittliche Arbeitsperiode in Ihren Tagen. Ihre Werkstätten waren voll von Kindern und alten Leuten, aber wir betrachten die Jugendzeit der Erziehung geweiht und widmen die Zeit, wenn die physischen Kräfte zu ermüden anfangen, der Gemächlichkeit und angenehmen Ruhe. Die Zeit für den Industriedienst ist vierundzwanzig Jahre, die mit Vollendung der Erziehung im einundzwanzigsten Jahre beginnt und mit dem fünfundvierzigsten Jahre endet. Nach diesem Jahre bleibt der Bürger zwar befreit von regelmäßiger Arbeit, kann aber vorkommenden Falls bei einem plötzlichen Anwachsen der Nachfrage nach Arbeit einberufen werden, bis er das Alter von fünfundfünfzig Jahren erreicht hat; aber solche Einberufungen kommen selten, ja fast gar nicht vor. Der 15. Oktober jeden Jahres ist unser Aushebungstag. Diejenigen, welche da das 21. Jahr erreicht haben, werden zum Industriedienst eingezogen, und diejenigen, welche nach 24jährigem Dienste das Alter von 45 Jahren erreicht haben, scheiden ehrenvoll aus dem Dienst. Dies ist das große Ereignis in unserem Jahre, der Tag, nach dem wir alle anderen Ereignisse berechnen, unsere Olympiade, nur dass sie sich jährlich wiederholt.«
Siebentes Kapitel
»Nachdem Sie Ihre industrielle Armee ausgehoben haben«, sagte ich, »beginnt, nach meiner Meinung, die Hauptschwierigkeit, denn hier hört die Analogie mit der militärischen Armee auf. Die Soldaten haben alle dasselbe, und zwar etwas sehr Einfaches zu tun, nämlich die Handgriffe mit ihrer Waffe zu üben, zu marschieren, Wache zu stehen. Aber Ihre Armee muss ein paar hundert verschiedene Handwerke und Berufe lernen und ausüben. Welches Verwaltungs-Talent ist der Aufgabe gewachsen, für jedes einzelne Individuum in einer großen Nation das passende Handwerk und Geschäft auszuwählen?«
»Die Verwaltung hat hiermit nichts zu tun.«
»Wer sonst trifft aber die Wahl?« fragte ich.
»Jedermann für sich selbst je nach seiner natürlichen Anlage, und man gibt sich die größte Mühe, diese Anlage zu entdecken. Das Prinzip für unsere industrielle Armee ist, dass die geistigen und körperlichen Anlagen eines Menschen darüber entscheiden, was er mit größtem Vorteil für die Nation und mit der meisten Befriedigung seiner selbst arbeiten kann. Da die Verpflichtung zum Dienst in irgend einer Form nicht zu umgehen ist, so verlässt man sich wegen der Entscheidung über die besondere Art des Dienstes für jeden einzelnen Mann auf dessen freiwillige Wahl, welche allerdings einer notwendigen Regulierung unterworfen ist. Die Befriedigung des Arbeiters während seiner Dienstzeit hängt davon ab, dass seine Beschäftigung nach seinem Geschmack ist; deshalb beobachten Eltern und Lehrer von früher Kindheit an die Anzeigen besonderer Fähigkeiten ihrer Kinder. Anleitung zu industriellen Handgriffen findet keinen Raum in unserem Erziehungssystem, dieses ist auf allgemeine und humanistische Bildung gerichtet, aber ein theoretischer Unterricht über die verschiedenen Industrien wird erteilt und unsere Jugend wird beständig angehalten, die Werkstätten zu besuchen, und wird oft auf lange Ausflüge mitgenommen, um mit besonderen Industrien vertraut zu werden. Gewöhnlich hat ein junger Mann lange ehe er eingezogen wird, und wenn er Geschmack an einem besonderen Berufe gefunden hat, sehr viel Information über denselben sich angeeignet. Hat er dagegen keine besondere Vorliebe und trifft, bei sich bietender Gelegenheit, keine Wahl, so wird er einem Beruf zugewiesen, der keine besondere Geschicklichkeit erfordert und vielleicht Mangel an Arbeitskraft hat.«
»Es ist doch aber gewiss nicht möglich«, sagte ich, »dass die Zahl derer, die sich freiwillig für ein Gewerbe melden, sich grade mit der Zahl von Arbeitern deckt, die man bedarf. Sie wird gewöhnlich über oder unter dem Bedürfnis sein.«
»Die Zahl der Freiwilligen muss stets dem Bedürfnis entsprechen«, erwiderte Dr. Leete. »Hierfür hat die Verwaltung zu sorgen. Das Verhältnis derer, die sich zu einem Gewerbe melden, wird genau überwacht. Wenn ein auffallender Überschuss von Anmeldungen für ein gewisses Geschäft wahrzunehmen ist, so beweist dies, dass dasselbe besonders beliebt ist. Das Gegenteil ist Beweis für die Beschwerlichkeit desselben. Die Aufgabe der Verwaltung ist es nun, die Vorzüge des einen Gewerbes, was die Arbeit betrifft, mit denen eines anderen auszugleichen, damit alle Gewerbe für die betreffenden Personen gleiche Anziehung haben. Dies geschieht dadurch, dass die Arbeitszeit je nach der Beschwerlichkeit der Arbeit abgekürzt wird. So haben die leichteren Gewerbe die längste, die schwierigeren, wie z.B. die Bergwerkarbeiten, die kürzeste Arbeitszeit. Es gibt keine Theorie, keine Regel a priori, nach welcher die Anziehungskraft der einzelnen Geschäfte bemessen wird. Indem die Verwaltung eine Klasse von Arbeitern von Lasten befreit und sie anderen Klassen auferlegt, folgt sie lediglich der Ansicht der Arbeiter selbst, welche sich in der Anmeldung ausspricht. Als Grundsatz gilt, dass die Arbeit des einen nicht schwerer sein soll, als die des anderen und dass die Arbeiter selbst darüber entscheiden sollen. Für Anwendung dieser Regel gibt es keine Grenze. Wenn eine Beschäftigung so beschwerlich und anstrengend sein sollte, dass, um Freiwillige zu bekommen, die Tagesarbeit auf zehn Minuten herabgesetzt werden müsste, so würde es geschehen. Wenn selbst dann niemand die Arbeit tun wollte, so bliebe sie eben ungetan. Aber in Wirklichkeit natürlich reicht eine mäßige Herabsetzung der Arbeitszeit oder Gewährung anderer Vorteile hin, für jede notwendige Arbeit die nötigen Kräfte zu sichern. Wenn aber die unvermeidlichen Schwierigkeiten einer notwendigen Arbeit so groß wären, dass keine dafür gebotene Vorteile die Arbeiter zur Übernahme bewegen könnten, so brauchte die Verwaltung sie nur als »Extra« auszuschreiben und denjenigen, welche sie ausführen würden, den besonderen Dank der Nation in Aussicht zu stellen, um einen Zulauf von Freiwilligen zu erzielen. Unsere jungen Leute sind sehr ehrgeizig und lassen eine solche Gelegenheit nicht ungenutzt vorübergehen. Es versteht sich natürlich von selbst, dass die freiwillige Wahl eines Berufes von dessen Gesundheit für Leib und Leben abhängig ist. Gesundheit und Sicherheit sind allgemeine Bedingungen für alle Gewerbe. Die Nation verstümmelt und schlachtet ihre Arbeiter nicht zu Tausenden hin, wie die Privatkorporationen und Kapitalisten es zu Ihrer Zeit getan haben.«
»Wenn nun mehr sich zu einem Gewerbe melden, als gebraucht werden, wie wird dann die Entscheidung unter den Applikanten getroffen?« fragte ich.
»Diejenigen, welche sich schon als noch ungeschulte Arbeiter und in ihrer Lehrzeit das beste Lob erworben haben, erhalten den Vorzug. Niemand jedoch, der jahrelang in seinem Wunsch beharrt, zu zeigen, was er in einem Berufe leisten kann, wird zurückgewiesen. In Betreff der Möglichkeit eines plötzlich eintretenden Mangels an Arbeitern in einem Gewerbe, oder der Notwendigkeit, die Arbeitskraft zu vermehren, muss ich beifügen, dass die Verwaltung sich zwar auf das System, die Gewerbe durch Freiwillige zu versehen, verlässt, aber immer sich das Recht vorbehält, besondere Freiwillige auszusuchen, oder aus irgendeinem Berufe die erforderliche Zahl auszuheben. Gewöhnlich aber können alle diese Bedürfnisse aus der Klasse der noch unausgebildeten, gewöhnlichen Arbeiter befriedigt werden.«
»Wie wird diese Klasse der gewöhnlichen Arbeiter rekrutiert?« fragte ich. »Gewiss tritt hier niemand freiwillig ein.«
»Zu dieser Klasse gehören alle neuen Rekruten während der ersten drei Jahre ihrer Dienstzeit. Erst nach dieser Periode, während welcher ein junger Mann von seinen Vorgesetzten zu jeder Arbeit bestellt werden kann, darf er einen speziellen Beruf wählen. Von diesen drei Jahren strenger Disziplin kann niemand befreit werden.«
»Für ein industrielles System scheint mir dies eine vortreffliche Einrichtung«, sagte ich, »aber wie steht es mit den Männern, die der Nation mit dem Kopfe, nicht mit der Hand dienen? Sie können doch natürlich nicht ohne Kopfarbeiter sein. Wie werden sie aus denen ausgesucht, die als Feldarbeiter und Handwerker dienen? Das verlangt eine sehr vorsichtige Wahl.«
»Allerdings«, entgegnete Dr. Leete, »hierbei ist die größte Vorsicht geboten; deshalb überlassen wir auch jedem Manne selbst, sich darüber zu entscheiden, ob er ein Kopf- oder ein Handarbeiter werden will. Am Ende der dreijährigen Periode, die jeder als gewöhnlicher Arbeiter dienen muss, kann er nach seinem Belieben sich entscheiden, ob er sich der Kunst oder einem sonstigen geistigen Beruf widmen, ob er Feldarbeiter oder Handwerker werden will. Fühlt er, dass er bessere Arbeit mit seinen geistigen als mit seinen körperlichen Kräften tun kann, so findet er hinreichend Gelegenheit, die Echtheit seines vermuteten Talents zu prüfen, es auszubilden und dann seinen Beruf auszuüben. Die Schulen für Technologie, Medizin, Malerei, Musik, für Schauspielkunst und jede höhere Bildung stehen bedingungslos jedem Bewerber offen.«
»Sind dann nicht die Schulen gedrängt voll von jungen Leuten, deren einziger Beweggrund ist, sich von Arbeit zu befreien?«
Dr. Leete lächelte mit leiser Ironie und sagte: »Ich versichere Sie, kein Mensch tritt leicht in eine solche Schule mit der Absicht, der Arbeit zu entgehen. Die sind für diejenigen bestimmt, welche eine gewisse Fähigkeit für die betreffenden Lehrgegenstände haben, und wer diese nicht besitzt, würde lieber die doppelte Arbeitszeit in seinem Handwerk aushalten, als sich bemühen, mit den Schulklassen gleichen Schritt zu halten. Viele verkennen auch ihren Beruf, und wenn sie finden, dass sie den Ansprüchen nicht gewachsen sind, treten sie aus und kehren in den industriellen Dienst zurück. Das wirft keinen Makel auf diese Leute, denn es ist die Absicht, alle zu ermutigen, ihre etwaigen Talente, deren Vorhandensein erst durch einen Versuch festgestellt werden kann, auszubilden. Die wissenschaftlichen Schulen Ihrer Zeit konnten sich nur durch die Anzahl ihrer Schüler halten, und es scheint üblich gewesen zu sein, an Leute, welche später in den Beruf getreten sind, Zeugnisse der Reifheit zu geben, die sie nicht verdient haben. Unsere Schulen sind nationale Institute, und ihre Prüfungen bestanden zu haben, ist ein unzweifelhafter Beweis für besondere Fähigkeiten.«
»Diese Gelegenheit für berufliche Bildung«, fuhr Dr. Leete fort, »steht jedem Manne bis zu seinem fünfunddreißigsten Jahre offen, später werden keine Studenten mehr aufgenommen, weil nur noch zu kurze Zeit bis zu ihrer Entlassung aus dem Dienste der Nation übrig bleiben würde. In Ihren Tagen mussten die jungen Leute sich sehr jung für ihren Beruf entscheiden und trafen infolgedessen oft eine unglückliche Wahl. Heutzutage erkennen wir an, dass sich die natürlichen Fähigkeiten bei den einen später entwickeln als bei anderen, und deshalb bleibt die Wahl, die schon mit vierundzwanzig Jahren getroffen werden kann, noch elf Jahre länger offen. Ich muss noch bemerken, dass, unter gewissen Beschränkungen, das Recht, den Beruf zu wechseln, auch bis zum fünfunddreißigsten Jahre offen bleibt.«
Jetzt äußerte ich eine Frage, die mir schon ein Dutzend Mal auf den Lippen geschwebt hatte, eine Frage, die zu meiner Zeit als größte Schwierigkeit für Lösung des industriellen Problems angesehen worden war. »Es ist wunderbar«, sagte ich, »dass Sie noch mit keinem Worte erwähnt haben, wie die Lohnfrage behandelt wird. Da die Nation der alleinige Arbeitgeber ist, so muss die Regierung die Höhe der Löhne festsetzen und bestimmen, wie viel jeder einnehmen soll, von den Ärzten bis zu den Tagelöhnern. Soviel ich sagen kann, würde dieser Plan bei uns niemals haben durchgeführt werden können, und ich kann nicht einsehen, wie es jetzt möglich ist, es sei denn, dass sich die menschliche Natur geändert hat. Zu meiner Zeit war niemand mit seinem Lohn oder Gehalt zufrieden. Selbst wenn er wusste, dass er genug erhielt, war er doch überzeugt, dass sein Nachbar zuviel habe, was geradeso schlimm war. Wenn die allgemeine Unzufriedenheit in diesem Punkte, anstatt sich in Verwünschungen und Streiks gegen unzählige Arbeitgeber zu zersplittern, sich gegen einen einzigen konzentrierte, nämlich die Regierung, so würde diese wohl, und wenn sie noch so stark wäre, keine zwei Zahltage erlebt haben.«
Dr. Leete brach in ein herzliches Lachen aus.
»Sehr wahr, sehr wahr«, sagte er, »ein allgemeiner Ausstand würde dem ersten Zahltage gefolgt sein, und ein Streik gegen die Regierung ist eine Revolution.«
»Wie vermeiden Sie also«, fragte ich, »eine Revolution an jedem Zahltage? Hat ein wunderbarer Rechenmeister ein neues System des Kalküls erfunden, welches alle bei Auswerfung des genauen und verhältnismäßigen Wertes aller Arten von Dienstleistungen, mit dem Kopfe oder den Muskeln, mit der Hand oder der Stimme, mit dem Ohr oder dem Auge, befriedigt? Oder hat sich die menschliche Natur verändert, so dass niemand sich um seine eigenen Angelegenheiten, sondern jeder um die seines Nachbarn kümmert? Eines oder das andere hiervon muss die Sache erklären.«
»Weder das eine noch das andere«, war die lachende Antwort meines Wirtes. »Aber nun, Herr West«, fuhr er fort, müssen Sie daran denken, dass Sie nicht nur mein Gast, sondern auch mein Patient sind, und mir gestatten, Ihnen Schlaf zu verordnen, ehe wir weiter hierüber sprechen. Es ist nach drei Uhr.«
»Diese Verordnung ist gewiss sehr weise«, sagte ich, »ich will nur hoffen, dass sie ausgeführt werden kann.«
»Dafür will ich sorgen«, erwiderte der Doktor. Und er tat es denn auch, denn er gab mir ein Weinglas voll irgend etwas, was mich, sobald mein Kopf die Kissen berührte, in tiefen Schlaf fallen machte.
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