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Un livre, même fragmentaire, a un centre qui l’attire: centre non pas fixe, mais qui se déplace par la pression du livre et les circonstances de sa composition. Centre fixe aussi, qui se déplace, s’il est véritable, en restant le même et en devenir plus central, plus dérobé, plus incertain et plus impérieux. […] quand il s’agit d’un livre d’éclaircissements, il y a une sorte de loyauté méthodique à dire vers quel point il semble que le livre se dirige; ici vers les pages intitulées Le regard d’Orphée.11
In dieser Konzeption des Fluchtpunktes wird selbiger zu einem Kraftpunkt, der den Text zusammenhält und ihn sich übersteigen lässt. In L’espace littéraire, einer Sammlung früher literaturtheoretischer Texte Blanchots, auf die ich kontinuierlich Bezug nehmen werde, ist das Zentrum eines, das sich in Richtung der Seiten befindet, die mit „Le regard d’Orphée“ überschrieben sind. Das Zentrum ist folglich nicht leicht auffindbar, sondern eine Metapher für die zum Scheitern verurteilte Suche nach einem Zentrum. Wenn es in L’espace litteraire ein Zentrum gibt, dann das sich verschiebende Zentrum, in das man nicht gelangen kann. Der Tod Annes, der in der ersten Version bereits sehr wichtig ist, jedoch noch durch andere Handlungen und Figuren überlagert wird, rückt in der zweiten Version deutlich in den Vordergrund und wird, hier stimme ich Bident zu, dessen meditatives Zentrum – sofern man dies wiederum als ein soeben skizziertes Zentrum im Sinne Blanchots versteht. Analog dazu macht sich der récit als Textform mit der späteren Fassung zum nachträglichen Zentrum des Romans, als welcher die erste Fassung von Thomas l’Obscur untertitelt wird. Von diesem Zeitpunkt an wird Blanchot keine Romane mehr schreiben, sondern neben seiner journalistischen Tätigkeit zahlreiche récits verfassen, die sich in ihrer Fähigkeit, etwas zu erzählen, stetig selbst hinterfragen.
Récit
Blanchot hat nicht nur récits verfasst, er hat auch innerhalb seiner récits über diese reflektiert. Das insbesondere in der deutschen Literaturwissenschaft bekannteste Beispiel hierfür bildet La folie du jour, meist zusammen mit Jacques Derridas „La loi du genre“, einer Interpretation von La folie du jour, rezipiert. Kernpunkt des Blanchotschen récit ist es, seine eigenen Entstehungsbedingungen als konstitutive Unerzählbarkeit wieder in sich eintreten zu lassen. Obschon erzählt werden muss, kann die Erzählung eigentlich keinen Inhalt, sondern einzig die Tatsache vermitteln, dass trotz aller Unmöglichkeit das Erzählen erzählt werden muss. Der Anfangssatz von La folie du jour kehrt metaleptisch als Aufforderung an den Ich-Erzähler, seine „eigentliche“ Geschichte zu erzählen, in der Geschichte wieder.1 Dabei ist diese Wiederholung des Anfangs der Erzählung nicht als Zitat über Anführungszeichen markiert, wodurch innerhalb der Erzählung diese erneut beginnt. Somit wird die Erzählung sowohl mit Blick auf ihren Status als geschlossener Text als auch als Gattung dekonstruiert, indem sich der Anfang oder Rand der Erzählung in einem Akt der „invagination inocclusive“ in den Binnenraum des Textes faltet.2 Diese Einfaltung, die Innen und Außen narratologisch kollabieren lässt, verhandelt der Text ebenfalls auf semantischer Ebene. Der letzte Satz, „Un récit? Non, pas de récit, plus jamais.“, wird angesichts des unendlich fortsetzbaren Wiedereintritts des récit zur Antriebsbewegung eines Erzählens zwischen Konstativ und Performativ, das sich zwar nicht mehr unter den Begriff des récit fassen lässt, jedoch als Narration fortgesetzt werden muss.3
Die zweite Fassung von Thomas l’Obscur trägt wie La folie du jour den récit nicht im Untertitel. Stattdessen findet sich der Zusatz „nouvelle version“, der an die Stelle des Untertitels „roman“ der ersten Fassung gesetzt wird.4 Das Fehlen dieses Teils des Untertitels wird in der Blanchot-Forschung meist als Hinweis auf den Übergang von Blanchots Romanschaffen hin zu den wesentlich kürzeren récits gewertet. Die „nouvelle version“ trägt jedoch in der ersten Auflage der Gallimard-Ausgabe von April 1950 noch den Untertitel „roman“, der sodann verschwindet und in der heute erhältlichen Fassung nicht mehr abgedruckt ist.5 Einerseits hat Blanchot folglich nach der ersten Auflage eine Änderung vorgenommen, indem er den Zusatz „roman“ nicht mehr für gültig erklärte, andererseits wurde der roman nicht einfach durch den récit ersetzt. Daraus lässt sich schließen, dass TO2 weder das Eine noch das Andere ist und sich einer Gattungszuordnung entzieht. Sofern TO2 über den vorangestellten Paratext auf seinen Vorgänger TO1 verweist und die Beziehung zu diesem als eine zwischen Andersheit und Fremdheit erklärt, nimmt TO2 die erste Fassung fragmentiert in sich auf und faltet sie in sich ein.6
1962 erscheint L’attente l’oubli – das letzte fiktionale Buch, das unter den Blanchotschen Begriff des récit fällt, und so den endgültigen Übergang Blanchots von den Erzählungen hin zum Fragmentarischen einleitet. Sein Schreiben durchläuft folglich stetige Zersetzungsprozesse: vom Roman zum récit, vom récit zum Fragmentarischen und von den Fragmenten in die Mikrosphäre begrifflicher Konstrukte. Anzumerken sei aber, dass diese Auflösungsbewegung des Erzählens zwar über den Wandel der Textform zu beobachten ist, gleichzeitig sind aber schon die ersten Romane von philosophischen Denkfiguren durchsetzt. Narrative Elemente bilden zudem Rezidive im literaturkritischen Spätwerk.7
0.2 Differenzen zweier Bücher selben Titels
Bei einer ersten Betrachtung der beiden Texte mit dem Titel Thomas l’Obscur fällt die unterschiedliche Erscheinung der Kapiteleinteilung ins Auge. Die Kapitel in TO1 beginnen nicht mit einer neuen Seite, während in TO2 die strukturierende und trennende Funktion der einzelnen Kapiteleinheiten deutlicher ist und somit ein wichtiges Textmerkmal bildet, an dem sich meine Interpretation orientiert und worauf ich in den Präliminarien bereits hingewiesen habe. Neben der Kapiteleinteilung unterscheidet TO2 von TO1 die Textlänge, denn TO2 umfasst nur etwas mehr als ein Viertel des Textvolumens von TO1.1 Eine auffällige Differenz zwischen den beiden Fassungen des Textes Thomas l’Obscur ist die Reduktion der 15 Kapitel der ersten Version auf 12 Kapitel in der zweiten Fassung. Die Zahl 12 scheint bei dieser Reduktion der Kapitel kein Zufall zu sein. Zum einen verweist sie auf eine Anlehnung an die großen epischen Texte, vor allem aber erscheint sie als eine Hinterfragung derselben, die entweder 12 Kapitel oder als Verdopplung der 12 eine Anzahl von 24 Kapiteln umfassen.2 TO2 schreibt sich aufgrund seiner Kürze wie seiner metaliterarischen Hinterfragung des Erzählens als andere Art des Erzählens jenseits der Ausschmückung in den Diskurs ein. Darüber hinaus ist, wie im 3. Kapitel meiner Untersuchung näher ausgeführt wird, Thomas einer der 12 Apostel Jesu, was sich ebenfalls hinsichtlich der Zahl 12 als nicht kontingent darstellt. Zudem erschließt sich ein weiterer Bibelbezug über die 12 Stämme Israels des Alten Testaments, worauf mein 5. Kapitel eingehen wird. Schließlich aber ist die 12 in der Tag/Nacht-Rhythmisierung als Zäsur von Tag und Nacht sowie abermals in ihrer Verdopplung als Einheit eines Tages von 24 Stunden wichtig. Einen letzten Zusammenhang der 12er-Rhythmisierung wird das 12. Kapitel durch Referenzen auf Franz Kafkas Romanfragment Der Proceß erfahren: Das Handlungsgeschehen dieses Romans erstreckt sich zeitlich vom Morgen des 30. Geburtstag Josef K.s bis zum Vorabend seines 31. Geburtstages. Daraus folgt, dass vom Beginn des Prozesses gegen K. bis zu seiner Tötung genau 12 Monate vergehen.
Das erheblich reduzierte Textvolumen von TO2 resultiert hauptsächlich aus Kürzungen der mittleren Passagen von TO1. Hier finden, anders als in den ersten und den letzten Kapiteln, umfangreiche Streichungen und Umordnungen statt.3 Die Streichungen in TO2 reichen von ganzen Kapiteln bis hin zu einzelnen Lexemen, wodurch die Sorgfalt, mit der Blanchot an TO2 gearbeitet hat, klar zum Vorschein kommt.4 TO1 weist deutlich mehr Weltreferenz als TO2 auf. Dies äußert sich z.B. in konkreten Ortsangaben (Paris, ein Museum, ein Café etc.), die in TO2 zu generischen Orten werden. In TO1 werden Geschehnisse zumindest teilweise erklärt, während der Text von TO2 diese Explikationen kürzt und ins Implizite überführt.5 Ein wichtiges Beispiel ist die in Ansätzen vorhandene Tiefenschärfe der Protagonisten in TO1, die in TO2 zu einer transpersonalen Oberfläche von Wahrnehmungen und Beobachtungen einer neutralen Erzählstimme wird.
Eine allgemeine Folgerung Stillers zu den Unterschieden der beiden Versionen sei noch erwähnt. Diese betrifft das Verhältnis von Änderungen auf der Wortebene: „Insgesamt lassen sich 187 Fälle registrieren, in denen in B ein einzelnes Wort gegenüber dem Text von A getilgt ist, während die benachbarten Ausdrücke beibehalten oder allenfalls modifiziert sind.“6 Unter anderem anhand solcher Streichungen soll meine Lektüre den Nachvollzug des Nachtdenkens als entgrenzendes, Differenzen verschiebendes oder neutralisierendes Sprachwalten ermöglichen, das in TO2 von Blanchot in den Vordergrund gerückt wird.
0.3 Fokussierung: Thomas l’Obscur. Nouvelle version
Die zweite Fassung von Thomas l’Obscur (= TO2) bildet die Basis meiner Überlegungen, da sich in ihr im Vergleich zur älteren Version eine Radikalisierung des Nachtdenkens abzeichnet.1 Radikalisierung meint hier, dass die struktur- und handlungsbeeinflussende Gewalt der anderen Nacht in der jüngeren Version des Textes greifbarer, weil von Blanchot daraufhin zugespitzt, ist. Die implizite Dunkelheit von TO1 wird in TO2 auf der Ebene der Darstellung verstärkt. Dies bedeutet, dass der Text von TO2 nicht nur inhaltlich und durch schwere Lesbarkeit als Nachtdenken zu bezeichnen ist, sondern sich fast emphatisch metasprachlich dazu bekennt. Es findet eine Verdichtung und Verschiebung als Grundstruktur der Radikalisierung der anderen Nacht insbesondere auf der Ebene des discours statt. Die metasprachlichen Eingriffe werden durch die Überarbeitung der ersten Version umso deutlicher, da die Kürzungen hauptsächlich Weltbezüge betreffen, die in TO2 einer verstärkten Performanz des Diskursiven weichen. Daher wird von TO2 ausgegangen und – wo es für meine Thesen notwendig ist oder andere Bezüge ermöglicht – die ältere Version kontrastierend sowie erweiternd zur Sprache gebracht. Hinsichtlich des Nachtdenkens als eines wiederkehrenden Bezugspunkts meiner Lektüre von Thomas l’Obscur kann so auch ein strukturelles Moment fruchtbar gemacht werden. Das 50-jährige Verschwinden der ersten Fassung hinter der zweiten aufgrund der schon angedeuteten schwierigen Rezeptionsgeschichte, die Blanchot nolens volens vielleicht auch mit der Alternative einer Kurzfassung beflügelt hat, soll als Ausdruck einer der wichtigsten Verschiebungsbewegungen im Schreiben Blanchots gelesen werden: der Selbstverdunklung der Nacht hin zur anderen Nacht. In einem Vorgriff auf das 2. Kapitel kann man daher von einer Bewegung der Kryptierung sprechen, mit der sich die Rezeption von TO2 entgegen der paratextuellen Leseanweisung Blanchots über TO1 gelegt und TO1 in sich eingeschlossen hat.
Mein Ansatz, von TO2 auszugehen und TO1 dennoch in den Textkommentar einzubeziehen, weiß um diese 50-jährige Verdeckung. Es kann jedoch nicht im Sinne eines Ursprungsdenkens um eine Rehabilitierung der vernachlässigten älteren Fassung gehen, sondern stattdessen um die Bezugnahme von TO2 auf TO1 als Ausdruck einer verdoppelten Dunkelheit des Titels Thomas l’Obscur. Die Wiederholung des Titels unter Beibehaltung beider Fassungen wird zur Meta-Dunkelheit, deren begriffliche Fassung Blanchots ‚autre‘ nuit ist.
Der Beiname „der Dunkle“ verbindet Thomas mit dem Beinamen „ho skoteinos“ (der Dunkle) des Vorsokratikers Heraklit. Ob dessen Beiname von seiner Vorliebe für Paradoxa und Fragmentarisches herrührt oder von seiner Methode, bereits Gedachtes neu zu perspektivieren, ist nicht geklärt. Martin Heidegger setzt in seinen Vorlesungen über Heraklit gegen Hegel wie auch Cicero eine ganz eigene Interpretation dieses Beinamens: „Er [Heraklit, Anmerkung der Verfasserin] ist der ‚dunkle‘ Denker, weil er, anfänglicher als die anderen, in dem Zu-denkenden dasjenige denkt, was darin das ‚Dunkle‘ genannt werden kann, insofern er den Grundzug hat, sich zu verbergen.“2 Heraklit wird von Heidegger in seiner Dunkelheit an den Anfang der abendländischen Philosophie gesetzt. Während Heidegger einerseits den verbergenden Aspekt des Heraklit’schen Denkens so weit wie möglich ergründen will – auf das Problem der Gründung werde ich im 2. Kapitel eingehen –, scheint Blanchot mit den beiden gleich-gültigen Fassungen unter dem Namen Thomas l’Obscur der Frage nach Ursprung und Originalität eine Absage zu erteilen. Er führt diese Frage in die unendliche Bewegung zwischen den beiden Fassungen – eine Bewegung, die jedoch erst mit dem Paratext von TO2 auf eine metatextuelle Ebene gebracht wird.
0.4 Makrostrukturelles
Den Inhalt der 2. Version von Thomas l’Obscur wiederzugeben, ist beinahe unmöglich und muss sich den Vorwurf einer Reduktion, aber auch der Verfälschung gefallen lassen. Rainer Stillers hat dennoch versucht, die Handlung von TO2 mit den folgenden Worten zu beschreiben:
Thomas, ein Mann unbestimmten Alters und unbekannter Herkunft, lebt, augenscheinlich isoliert und unter der Kommunikationslosigkeit der Umwelt leidend, in einem Hotel an der Küste. Dort lernt er Anne kennen, eine junge Frau, deren Vergangenheit ebenfalls nicht erzählt wird. Anne versucht bei ihren Begegnungen, Spaziergängen und Unterhaltungen mit Thomas dessen ‚Dunkelheit‘ zu durchbrechen und zu erfahren, wer und was für ein Mensch er ist. Bei diesem Versuch scheitert sie jedoch. Sie erkrankt und stirbt schließlich. Thomas bleibt allein zurück; in Annes Tod aber versucht er seine eigene Existenz zu begreifen.1
Dazu ist anzufügen, dass Thomas nicht grundlos an der Kommunikationslosigkeit seiner Mitmenschen leidet, sondern geprägt ist von Grenzerfahrungen, die ihm das Weiterleben unter Menschen erheblich erschweren. Ob er Anne erst im Hotel kennenlernt, ist nicht mit Eindeutigkeit zu behaupten. Anne versucht in der Tat zu begreifen, wer Thomas ist, doch hängt dies meines Erachtens mit ihrer schon bestehenden Krankheit zusammen, die sie erst mit der Möglichkeit und dann mit der Realität des Todes konfrontiert.
Die Kapitelanfänge bieten als Koordinaten einer Handlung, die man als äußere Handlung bezeichnen kann, eine Minimalorientierung. Den Beginn des 8. und 9. Kapitels ausgenommen – hier wird eine nicht beendete Erfahrung der Nacht weitererzählt und somit eine starke Verbindung zum vorangegangenen Kapitel hergestellt, wodurch die Kapitelgrenze aufweicht –, bewegt sich der erste Satz in allen anderen Kapiteln noch auf einer Ebene der Aussage, d.h. noch nicht auf der Ebene der Wahrnehmung einer ortlosen Erzählstimme. Das zeigt sich auch an der Kürze der Anfangssätze der Kapitel 1–5 sowie 10–12. Die Geschichte, nur anhand des jeweils ersten Satzes eines jeden Kapitels erzählt, läse sich wie folgt:
Thomas s’assit et regarda la mer. […] Il se décida pourtant à tourner le dos à la mer et s’engagea dans un petit bois où il s’étendit après avoir fait quelque pas. […] Il revint à l’hôtel pour dîner. […] Thomas demeura à lire dans sa chambre. […] Vers le milieu de la deuxième nuit, Thomas se leva et descendit sans bruit. […] Anne le vit s’approcher sans surprise, cet être inévitable en qui elle reconnaissait celui qu’elle aurait vainement cherché à fuir, qu’elle rencontrerait tous les jours. […] Anne vécut quelques jours de grand bonheur. […] C’est dans cet état nouveau que, se sentant devenir elle-même une réalité énorme et incommensurable dont elle nourrissait son espérance, à la manière d’un monstre dont personne, pas même elle, n’aurait eu la révélation, elle s’enhardit encore et, tournant autour de Thomas, finit par attribuer à des motifs de plus en plus faciles à pénétrer les difficultés de ses relations avec lui, pensant par exemple que ce qui était anormal, c’est qu’on ne pût rien savoir de sa vie et qu’il restât, en toutes circonstances, anonyme et privé d’histoire. […] Quand elle revint au jour, cette fois tout à fait privée de paroles, refusant une expression aussi bien à ses yeux qu’à ses lèvres, toujours étendue sur le sol, le silence la montra à ce point unie au silence qu’elle l’embrassait furieusement comme une autre nature dont l’intimité l’aurait soulevée de dégoût. […] Quand on la découvrit étendue sur un banc du jardin, on la crut évanouie. […] Lorsque Anne fut morte, Thomas ne quitta pas la chambre et il parut profondément affligé. […] Thomas s’avança dans la campagne et il vit que le printemps commençait.
Inhaltlich kann man an diesen 12 Kapitelanfängen erkennen, dass die Bewegung von Thomas und Anne im Raum eine Verbindung zwischen den Kapiteln schafft, wenngleich die Kapitel durch den jeweiligen Raumwechsel zu differenzieren sind. Zu Beginn sitzt Thomas am Meer, dann kehrt er diesem den Rücken zu, um in ein Wäldchen zu gehen. Von dort geht er zurück ins Hotel, sodann befindet er sich in seinem Zimmer, um dann im nächsten Kapitel hinunterzugehen und sich schließlich Anne zu nähern. Die Kapitel 7 bis 10 rücken Anne und ihren Todeskampf ins Zentrum und bilden, so meine These, eine eigene Einheit innerhalb der 12 Kapitel des Textes. Im 11. Kapitel bleibt Thomas nach Annes Tod im Zimmer der Verstorbenen, bevor er im letzten Kapitel zu einem Marsch aufbricht, der ihn nicht nur über das Meer mit dem Geschehen des 1. Kapitels verbindet.
Die wichtigste Makrostruktur von TO2 ist die Nacht. Die bezeichenbare Nacht fungiert als Struktur, die andere Nacht als Bewegung infiniter Regresse und unabschließbarer Entfremdung und Entwerdung. Während die Abläufe der Kapitel 1–3 noch mit einer Abfolge von Tag und Nacht kompatibel sind, bricht spätestens mit dem 4. Kapitel von TO2 über die andere Nacht eine andere Zeitschicht in den Text und überlagert fortan das Erzählen, welches sich dann nicht mehr als ein lineares Geschehen zusammenhalten lässt.
Neben der Nacht bzw. der anderen Nacht formt sich eine weitere Makrostruktur über den Rhythmus von Eintritt und Austritt. Jedoch stellt diese eine Bewegung dar, die gerade die Konnotation von Innen und Außen sowie von ‚geschlossen‘ und ‚offen‘ durchkreuzt. Eine Bewegung von Eintritt und Austritt zeigt sich in jedem Kapitel auf eine andere Weise: im 1. Kapitel als Eintauchen ins Meer und Eingang in einen „heiligen Raum“ und dem Wiederaustritt nach der Grenzerfahrung, im 2. Kapitel als Abstieg in die Krypta, aus der der Austritt nicht ebenso deutlich vollzogen wird. Dies spricht dafür, diese Erfahrung der anderen Nacht als eine zu lesen, die sich über das gesamte Buch erstreckt. Das 3. Kapitel beginnt mit dem Eintritt in den Speisesaal des Hotels und endet mit dem Verlassen desselben. Zu Beginn des 4. Kapitels hat Thomas bereits sein Zimmer betreten, begibt sich aber sodann in die Matrix der Wörter. Gleich zu Beginn des 5. Kapitels wird ein Abstieg in die Nacht beschrieben, der sich später im Kapitel als Sturz in das selbst geschaufelte Grab wiederholt, aus dem Thomas wieder aufersteht. Auch in den anderen sieben Kapiteln wird diese Struktur beibehalten. Neben dem stets damit verbundenen Zustandswechsel ist es die Struktur des Diesseits (Oberwelt) und Jenseits (Unterwelt), zwischen Innen und Außen, zwischen Selbst und Anderem, die wiederkehrend verhandelt wird. Dabei gerät jedoch die binäre topologische Ordnung ins Schwanken, wodurch sich die etablierten Unterscheidungen invertieren und wechselseitig durchdringen.
Auf die inhaltlichen Makrostrukturen wird im Laufe der Arbeit über Blanchots Bezugnahme auf andere Texte in den entsprechenden Kapiteln eingegangen. Dabei soll es wesentlich um die Deklination wiederkehrender Motive und Denkfiguren wie unter anderem des Meeres, des Abgrunds, des Blicks, des Begreifens, der Unterwelt, des Weges, der Begegnung, der Ähnlichkeit und der Wiederholung sowie der Wunde gehen.
1. Mikroskope – Berührung auf Entfernung
Das 1. Kapitel meiner Arbeit widmet sich zunächst noch einmal dem Paratext, der TO2 vorangestellt ist, und auf den bereits eingegangen wurde. Der Fokus wird zunächst auf den ersten drei Worten, „il y a“, liegen, die mehr als eine einfache Bezeichnung von etwas Vorhandenem ausdrücken. Der Begriff il y a kann als französische Lesart von Heideggers es gibt verstanden werden. Daher wird die Klärung der Positionierung und Bedeutung dieses existenzialphilosophisch und phänomenologisch geprägten Begriffs, der vor den eigentlichen Textanfang von TO2 gesetzt ist, Aufschlüsse über die Verortung Blanchots zwischen Levinas und Heidegger geben. Im Anschluss lese ich das Kapitel als eine Initiationserfahrung, die von transgressiven Bewegungen des Textes durchkreuzt wird. Die Erfahrung des Protagonisten Thomas soll dabei als eine innere Entgrenzungserfahrung im Sinne Georges Batailles nachvollzogen werden.
1.1 Il y a und es gibt (Blanchot zwischen Heidegger und Levinas)
Imaginons le retour au néant de tous les êtres: choses et personnes. Il est impossible de placer ce retour au néant en dehors de tout événement. Mais ce néant lui-même? Quelque chose se passe, fût-ce la nuit et le silence du néant. L’indétermination de ce „quelque chose se passe“, n’est pas l’indétermination du sujet, ne se réfère pas à un substantif. Elle désigne comme le pronom de la troisième personne dans la forme impersonnelle du verbe, non point un auteur mal connu de l’action, mais le caractère de cette action elle-même qui, en quelque matière, n’a pas d’auteur, qui est anonyme. Cette „consumation“ impersonnelle, anonyme, mais inextinguible de l’être, celle qui murmure au fond du néant lui-même, nous la fixons par le terme d’il y a.1
Emmanuel Levinas
Zu Beginn meines 1. Kapitels möchte ich auf den Anfang von TO2 eingehen. Dieser Anfang der nouvelle version markiert gleichzeitig eine Mitte zwischen zwei Versionen, in die sich der Paratext schiebt, wie es in Punkt 0 erläutert wurde. Bevor also der ‚eigentliche‘ Text einsetzt, kündigt sich ein Paratext an, der mit den Worten „Il y a […]“2 beginnt und den Leser der zweiten Version darauf hinweist, dass der Anfang des Textes Thomas l’Obscur woanders liegt bzw., dass die Frage des Anfangs sich unentschlossen zwischen den beiden Versionen bewegen muss. Il y a – drei Lexeme, die man leicht überliest oder in ihrer Einfachheit nicht ernst nimmt. Als Incipit gesetzt, verdienen sie jedoch mehr Aufmerksamkeit.
So schreibt Emmanuel Levinas über das il y a: „Thomas l’Obscur […] s’ouvre sur la description de l’il y a […]. La présence de l’absence, la nuit, la dissolution du sujet dans la nuit, l’horreur d’être, le retour d’être au sein de tous les mouvements négatifs, la réalité de l’irréalité, y sont admirablement dits.“3 Levinas zieht hier eine Verbindung zu dem in der Blanchot-Rezeption recht beliebten 2. Kapitel von Thomas l’Obscur, das für ihn wie kein anderes literarisch ausdrückt, was das il y a sein kann und was es heißt, es zu erfahren. Ich möchte seine Aussage jedoch auch auf den Begriff des il y a selbst anwenden, der als Beginn des Paratextes vor alle anderen Worte der zweiten Version gestellt ist. Die „Anwesenheit der Abwesenheit“ ist eine der am häufigsten verwendeten Formulierungen, um Blanchots Sprachkonzept oder seine Gedanken zur Bildlichkeit zu beschreiben. Was dies konkret bedeutet, darauf gehen viele Untersuchungen nicht genauer ein. In den oben zitierten Worten Levinas’ steht die Präsenz der Absenz in einer Reihung von Ausdrücken, die er mit dem il y a verknüpft und anhand derer er Thomas l’Obscur beschreibt. Die Kommata dieser Reihung könnte man auch durch Gleichheitszeichen ersetzen: Das il y a ist die Anwesenheit der Abwesenheit, ist die Nacht, ist die Auflösung des Subjekts in der Nacht, ist der Horror des S/seins usw. Die Form, in der das il y a in TO2 erscheint, ist eine unaufhaltsame Metamorphose von Zuständen, die ohnehin bereits nur Spuren von Auslöschungsbewegungen sind und in ihrem Erscheinen die Möglichkeit, dass überhaupt etwas erscheinen kann, radikal hinterfragen.








