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Kikumi hörte aufmerksam zu und ihre Augen waren weit aufgerissen, als ob sie lange keine so spannende Geschichte mehr gehört hatte und flüsterte ungläubig: »Das haut mich echt um … Nach allem was war … Ruft der einfach an und meldet sich … Tom … Oh Mann …!«
»Du hast keine Ahnung wer Tom ist, oder?«
»Nicht die geringste …« Kikumi ließ sich wieder auf die Couch sinken.
»War mir klar!«, seufzte ich! »Die Gespräche mit dir sind echt hilfreich!«
Artemis wagte sich nun endlich aus dem Schlafzimmer und sprang auf meinen Schoß, um seine allabendlichen Streicheleinheiten einzufordern.
»Oh wie süß! Du hast ja eine Katze!«, rief Kikumi begeistert.
»Also manchmal frage ich mich, was bei dir alles schief gelaufen ist!«, stöhnte ich kopfschüttelnd.
»Das aufzuzählen würde Jahre in Anspruch nehmen!«, antwortete Kikumi belustigt.
Ein ohrenbetäubend lauter Donner riss uns aus unserem Gespräch und Artemis drückte sich zitternd an mich. Der Regen und der Sturm wurden immer intensiver und schienen die Fenster mit all ihrer Kraft einschlagen zu wollen.
»Wow … Es regnet so stark... Man könnte meinen die Welt geht unter!«, flüsterte Kikumi.
Und da war es wieder …
»Dieses Thema lässt mich heute einfach nicht in Ruhe!«, seufzte ich. »Wieso reden alle plötzlich vom Weltuntergang? Das geht mir allmählich echt auf die Nerven!«
Kikumi wandte den Blick zu mir und wirkte für einen Moment erschreckend klar: »Wieso? Hatten auch andere diesen Traum?«
»Was für einen Traum meinst du denn?«, fragte ich zögerlich. Ich war mir nicht sicher, ob ich die Antwort wirklich hören wollte.
Kikumi wurde ganz still … »Na ja … er war ziemlich beängstigend … Es fühlte sich an wie das Ende … Ich bin draußen … Der Boden fängt an zu vibrieren … Ganz leicht … Und wird immer stärker und stärker … Und plötzlich bebt die ganze Erde … Bäume werden entwurzelt, Häuser stürzen ein und dann öffnet sich ein Abgrund vor mir … So groß und tief wie ich es noch nie gesehen habe … Ich habe Angst und will schreien, aber es geht nicht …Und dann höre ich ein Grummeln aus dem Abgrund … Ich spüre das etwas kommt …Etwas Großes!« Kikumi sah mich leichenblass an.
»Was kommt? Was kommt da, Kikumi?«
Kikumis Augen quollen hervor und ängstlich rief sie: »Mein Abendbrot!«
»Was?? Dein Abendbrot kommt?«
»Ja mir ist schlecht! Ich glaub ich muss mal eben in deine Toilette brechen …«
»Hey nein!«, rief ich erschrocken! »Kikumi, du wohnst 2 Meter neben mir, du kannst in deine eigene Toilette brechen!«
»Okay, das klingt fair!«, murmelte Kikumi und hievte sich von der Couch hoch. Ich half ihr schnell ihre eigene Wohnung zu erreichen und verabschiedete mich von ihr.
Ich beobachtete den Regen, dessen Intensität nicht nachzulassen schien. Ich sah den kleinen Jungen wieder vor meinem geistigen Auge, spürte seine Angst und hörte Kikumis Worte in meinem Kopf widerhallen!
Und zum ersten Mal, für einen winzigen Moment, glaubte ich daran …
Kapitel 6
»Ich kann beim besten Willen noch nicht erkennen, wie das zu dem Chaos führt, das sie verursacht haben!« Herr Schulze legte seinen Notizblock beiseite und fuhr sich mit beiden Händen durchs Gesicht. Es war wohl auch für ihn ein langer Tag gewesen.
»Kaffee?«, fragte er und zum ersten Mal verspürte ich einen Anflug für Sympathie für den Polizisten, der mich während der letzten 20 Minuten nur meist böse, zweifelnd oder herablassend angesehen hatte.
»Ja gerne! Danke!«, erwiderte ich zögerlich. »Ja, ich erzähle Ihnen das auch nur, weil es alles relevant ist und ich einfach nichts auslassen möchte. Wenn Sie mich verstehen wollen, dann müssen Sie die ganze Geschichte kennen. Und was mir da passiert ist, lässt sich leider nicht so einfach zusammenfassen …«
Der Wachtmeister musterte mich und stellte mir eine Tasse Kaffee auf den Tisch und obwohl ich schwarzen Kaffee eigentlich verabscheue, so war ich doch für jeden Schluck dankbar und wollte nicht ungenügsam erscheinen, indem ich nach Milch und Zucker fragte.
Wo Luca wohl gerade war? Ob er überhaupt noch lebte? Spielte noch irgendetwas eine Rolle oder war sowieso bereits alles zu spät? Sollte ich Herrn Schulze von der Entführung erzählen? Ich hatte keine Beweise … Nichts. Und selbst wenn ich jetzt freigelassen werden würde, was konnte ich schon tun? Ich hatte keinen Anhaltspunkt, niemand war mehr auf meiner Seite, der mir hätte helfen können. Nein … Meine einzige Möglichkeit bestand darin, dem Polizisten meine Geschichte zu erzählen. Wenn er mir glaubte, dann könnte er mir vielleicht helfen … Dann wäre die Welt vielleicht noch nicht verloren …
Die Tür ging auf und ein junger Polizist knallte einen Bericht auf den Schreibtisch.
»Die Ergebnisse sind da! Sie steht weder unter Drogen- noch unter Alkoholeinfluss!«
Schulterzuckend blickte ich Herrn Schulze an. »Ich habe Ihnen gesagt, dass ich nüchtern bin und dass das Zeitverschwendung ist. Alles normal bei mir!«
Der Wachtmeister fixierte mich. »VIELLEICHT sind Sie auch nur verrückt und durchgedreht, denn NORMAL sind Sie bestimmt nicht!«
VIELLEICHT trete ich dir unter dem Tisch auch gleich in die Weichteile … Wobei das mit dem Weltretten dann schwieriger werden dürfte …
»Also weiter jetzt!« Mit einer forschen Handbewegung forderte er mich auf mit meiner Geschichte fortzufahren
»Nichts lieber als das!«, antwortete ich seufzend. »Auch der nächste Tag sollte ein paar Überraschungen für mich bereithalten …«
Kapitel 7
Es gibt Momente im Leben, da stimmt einfach alles. Man ist glücklich und zufrieden, hat keinerlei Sorgen und nichts und niemand, der einen nervt. Man könnte ewig so weiterleben … Und dann klingelt der Wecker. Ein Gegenstand erschaffen vom Teufel persönlich, der jedes Mal einen Lachkrampf bekommt, wenn wir uns aus dem Bett quälen. Es gibt ja Menschen, die haben kein Problem damit früh aufzustehen, andererseits gibt es auch Menschen, die kein Problem damit haben aus brennenden Flugzeugen zu springen oder den Musikantenstadl von Anfang bis zum Ende zu sehen. Verrückte gibt’s überall.
Für mich jedenfalls gab es kaum etwas Schlimmeres als früh aufzustehen. Und wenn der Wecker die Zahlen 04:32 anzeigte, dann erst Recht. Ich wusste nicht mehr wie viele Wecker schon das Zeitliche segnen mussten, weil wir uns über die adäquate Aufstehzeit einfach nicht einig wurden. Und auch Beziehungen mussten oft unter meiner schlechten Laune am Morgen leiden.
Tom war immer so ein Mensch, der mit einem Lächeln aufwachte und mir: »Guten Morgen, meine Schöne …« ins Ohr flüsterte. Da ich wusste, wie ich nach dem Aufwachen aussah, war das also eine glatte Lüge. Wenn er dann noch ein: »Was willst du heute an diesem wunderschönen Tag als erstes tun?« hinterherschob, bekam er als Antwort meist nur: »Dem wunderschönen Mann neben mir, der mir um 6:30 Uhr früh liebe Dinge ins Ohr säuselt, EINE NACHTTISCHLAMPE ÜBER DEN SCHÄDEL ZIEHEN, DAMIT ER MICH ENDLICH AUSSCHLAFEN LÄSST!«
Damit hatte sich dann meist Toms gute Laune auch erledigt …
Oh Gott, TOM!
Mit einem Satz war ich aus dem Bett gesprungen. Ich würde ihn ja heute sehen. Er wollte heute in den Markt kommen und mich besuchen und wie würde er mich antreffen? Mit Augenringen, die ein bereits ein Eigenleben führten, einem Kittel, der jeglicher aufblühender Leidenschaft sofort ins Gesicht spuckte und mit einer Frisur, die Pumuckl neidisch machen würde.
Ich glaube so schnell wie an diesem Tag war ich noch im Badezimmer. Ich versuchte an der Fassade in meinem Gesicht noch so viel zu renovieren wie möglich war und legte ein Makeup auf, das sich gewaschen hatte. Ich wollte, dass er sah was er verloren hatte. Für einen kurzen Moment überlegte ich sogar meine neuen High-Heels anzuziehen. Die sahen einfach mal so scharf aus und ich wusste genau, dass er darauf abfahren würde. Nachdem ich mir dann aber vorstellte, wie ich in den Dingern schwere Kartons durch die Gegend tragen würde und wie viel schwerer meine ohnehin schon schwere Arbeit dadurch noch werden würde, entschied ich mich in weiser Voraussicht dagegen.
In der Straßenbahn trat ich nervös von einem Fuß auf dem anderen und malte mir aus wie unser Treffen verlaufen würde …
Er würde den Markt betreten mit einem großen Strauß Blumen in der Hand. Er würde mich sehen, von meiner Schönheit geblendet auf die Knie sinken und in Tränen ausbrechen und mich um Verzeihung anflehen und mir sagen, was für ein Idiot er doch war, so eine bezaubernde Göttin wie mich gehen zu lassen. Dann würde er mich packen und leidenschaftlich küssen, während meine lange Haare im Wind der Klimaanlage flatterten und gleich darauf würde er mir noch im Markt einen Heiratsantrag machen und 9 Monate später würden wir mit unseren neugeborenen Zwillingen auf einem Traumschiff in die Karibik segeln …
Oder er wollte einfach seine Comic-Sammlung zurück, die er nie abgeholt hatte und die bei mir auf dem Dachboden verschimmelte?
Oder ich war einfach eine verfluchte Idiotin, weil ich mir schon wieder Hoffnungen machte …
Die Zeit auf Arbeit wollte an diesem Tag zuerst überhaupt nicht vergehen. Alle paar Minuten sah ich zur Eingangstür und hoffte ihn irgendwo zu erspähen. So gut es ging, versuchte ich mich auf die Arbeit zu konzentrieren. Da wir wieder gnadenlos zu wenig Personal waren, ging das dann aber einfacher als befürchtet. Ich befüllte Regale, bestellte Ware, stritt mich mit Lieferanten und deren Lkw-Fahrern und ertrug geduldig die schlechte Laune von Kunden und Kollegen, bis mir jemand auf die Schulter tippte. Hoffnungsvoll drehte ich mich um. Tom? Mit Blumenstrauß?
Nein. Kein Tom. Kein Blumenstrauß. Bloß eine kleine pummelige Kundin, die grimmig drein blickte.
Die korpulente kleine Dame kam direkt zur Sache: »Ich brauche ihre Beratung! Jetzt!« Auf der Höflichkeitsskala erreichten wir wohl gerade wieder einen neuen Rekord! Ich seufzte innerlich und trottete der Kundin hinterher. Der Kaffee wartete seit 10 Minuten im Pausenraum auf mich für die längst fällige Pause, die Toilettenschüssel hatte ebenfalls um einen Termin mit mir gebeten, wie mir meine Blase mit Nachdruck zu verstehen gab, und meine Nerven lagen wegen dem bevorstehenden Treffen mit Tom auch ziemlich blank, aber HEY ich hatte total Lust auf eine ausführliche Beratung!
Die Kundin deutete auf die Abnehmpulver und Diätmittelchen und fragte: »Welches davon ist das Beste?«
Oh ja... Super.... Das klingt nach richtigem Spaß!
Ich erklärte ihr die unterschiedlichen Produkte, die Wirkungsweisen und die Preisunterschiede... Nach nicht enden wollenden 3 Minuten, indem sie skeptisch die Produkte betrachtete und meine Blase mich wieder daran erinnerte, dass es da auch noch andere Geschäfte gab, die meiner Aufmerksamkeit bedurften, musterte mich die Kundin und fragte: »Welches nehmen Sie?«
Einen Moment lang war ich irritiert...
»Ich ähm nehme solche Produkte nicht!«
Die Gute bewegt sich grad auf sehr dünnem Eis!
Enttäuscht sah sie mich an. »Ach... echt nicht?«
Sag mal, wie kommt die darauf, dass ich sowas nehme? Gut der Kittel trägt vielleicht ein wenig auf. Aber ich bin ja wohl schlank wie ein Model...Mit etwas dickeren Beinen vielleicht …
»Ach so... Ich hatte extra Sie angesprochen! Ihre Kollegen sind alle so schlank!«
Da steuert gerade jemand frontal auf ein lebenslanges Hausverbot zu!!!
»Haben Sie vielleicht noch andere dicke Kollegen, die damit Erfahrung haben?«
Ich brauchte paar Sekunden um das wirken zu lassen...
Noch ANDERE DICKE KOLLEGEN???? Sag mal willst du eine Beratung oder einen Freiflug zum Mond? Die Lady hat doch nicht mehr alle Löcher im Käse! Wie unverschämt kann man denn sein?
Ein Kollege, Herr Jens, der vorbeilief grinste mich unverschämt an. »Du hast heute richtig Spaß an der Arbeit, was? Hast du nicht schon seit einer Viertelstunde Pause?« Offenbar genoss er es mich in so einer Lage zu sehen.
... Du Junge ... In dem Shuttle zum Mond ist auch Platz für zwei!
Ich versuchte mich zu beruhigen und nicht wie geplant gleich auszurasten.
Doch in frechem Ton setzte die Kundin dann hinzu: »Hören Sie, ist es zu viel verlangt hier eine vernünftige Beratung zu bekommen? Gerade eine Person wie Sie sollte doch das Bedürfnis und die Wichtigkeit abzunehmen kennen!«
Das war es. Der letzte Tropfen … Ich sah rot und konnte meine ganze angestaute Wut nicht mehr unterdrücken!
»Was glauben Sie zu überdimensionales Marshmellow eigentlich, wer Sie sind? Ich bin NICHT DICK! Ich habe nur starke Beine! Und wenn Sie unbedingt abnehmen wollen, dann treiben Sie gefälligst Sport wie jeder andere normale Mensch auch und fangen Sie an, Ihre Ernährung umzustellen. Faul auf der Couch liegen, sich mit Chips vollstopfen und dann eine Diätpille einzuwerfen wird nichts an ihrem Gewicht ändern!«
Das linke Auge der Kundin begann nervös zu zucken. Ihre Lippen pressten sich aufeinander und ich befürchtete, dass sie nun ihren Kiefer ausrenken und mich im Ganzen verschlingen würde. »Das … Das ist eine Unverschämtheit! Ich werde mich über Sie beschweren. Nicht zu fassen wie hier Kunden behandelt werden!«
Mir war das alles egal. Ich wollte nur noch in die Pause, aufs Klo, einen Kaffee trinken und meine Ruhe. Ich wollte gerade die Tür zum Pausenraum öffnen, als die Stimme meiner Chefin durch den Lautsprecher hallte: »Frau Schwarz bitte umgehend ins Büro …!«
Den Kaffee konnte ich wohl vergessen …
Kapitel 8
»Nun das war ja mal eine Glanzleistung, nicht wahr?« Spöttisch musterte mich meine Chefin Frau Nilsson und rückte nervös ihre strenge, schwarze Brille zurecht. Ihre dunkelrote Bobfrisur flatterte hin und her, weil sie ihren Kopf meist ruckartig bewegte. Ich fand das schon immer gruselig, aber es war wohl nicht der richtige Zeitpunkt ihr das mitzuteilen.
»Die wievielte Beschwerde war das jetzt?« Sie begann in ihren Unterlagen zu wühlen und ich fragte mich, ob sie in dem Chaos überhaupt den Durchblick hatte.
»Also in dieser Woche war es die Erste!«, sagte ich ruhig und musste ein Grinsen unterdrücken.
Gut, es ist ja auch erst Dienstag!
»Und in diesem Monat war es, glaube ich, die Siebte!«
Für einen Moment stoppte meine Chefin das Wühlen und warf mir einen Blick zu, mit dem man sogar Freddy Krüger hätte verjagen können.
»Ich meine ja nur … Im Vormonat waren es 12. Also statistisch gesehen habe ich mich sogar verbessert. Ich denke, da wäre ein Lob angebracht!«
Okay, das war jetzt vielleicht etwas drüber.
»Frau Schwarz!« Der Ton meiner Chefin wurde nun schärfer. »Unsere Mitarbeiter bestechen durch Freundlichkeit, Höflichkeit und stets gute Laune!
Nun das sollten Sie mal Ihrem Gesicht sagen. Das hat das Memo offensichtlich noch nicht bekommen.
»Und eine Kundin zu beschimpfen ist inakzeptabel!«
»Sie meinte, ich wäre dick!!!«, rief ich zu meiner Verteidigung.
Frau Nilsson musterte mich skeptisch über den Rand ihrer Brille hinweg und warf einen abschätzigen Blick auf meine Figur.
Überleg dir guuut was du jetzt sagst! Sonst bin ich meinen Job und du deine Zähne los!
Aber als Antwort kam nur ein »Tss!«
»Der Kittel trägt ja wohl extrem an den Hüften auf!«
»Pff!«
»Und auch am Hintern!«
»Aha!«
»Und am Bauch ist er ebenfalls unvorteilhaft geschnitten …«
»Na ja!«
»Ich bin NICHT DICK!!!«
»Darum geht es hier auch nicht! Ich bin nicht hier um über ihre Figur zu diskutieren!«
Nein? Also ich würde das jetzt schon gern ausführlich erörtern!
Sie fischte eine Akte aus dem Papierstapel und klappte sie triumphierend auf!
»Hier haben wir es! Über 112 Beschwerden!«
Ich bin ja auch schon ein paar Jahre da …
»3x unentschuldigtes Fehlen!«
»Da war meine Tante gestorben!«
»Dreimal hintereinander?«
»Nun sie hatte eine schwere Phase …«
Okay, das Gespräch läuft etwas suboptimal grade …
»Und …«, meine Chefin machte eine dramatische Pause, » …52 Minus-Sternchen!«
Und schon sind wir wieder an dem Punkt, an dem es mir ein klein bisschen schwer fällt dich ernst zu nehmen.
»Niemand im ganzen Laden hat so viele Minus-Sternchen wie Sie!«
Ja und ich weine mich deswegen auch jede Nacht in den Schlaf.
»Tja was soll ich sagen? Ich versuche eben in Allem die Beste zu sein!«, grinste ich Frau Nilsson provokant an.
»Sie finden das offenbar alles sehr komisch«, zischte sie wütend.
Ja irgendwie schon.
»Dann werde ich jetzt mal Klartext reden! Sie sind seit Jahren eine gute Mitarbeiterin und arbeiten sehr effizient, aber ich dulde nicht länger ihr unangebrachtes Benehmen! Ich erwarte Teamwork und Interesse an unserem Unternehmen und Freundlichkeit gegenüber den Kunden! Also reißen Sie sich am Riemen, sonst hat das Konsequenzen!«
»Ein weiteres Minus-Sternchen?«, fragte ich freundlich lächelnd.
»Mitnichten! Dieses Mal habe ich etwas anderes im Sinn!«, presste sie wütend hervor.
»Oh nein!«, rief ich gespielt besorgt. »Ein Negativ-Smiley? Bitte nicht der mit der Träne. Da werde ich immer so traurig …«
Das war dann doch eines zu viel für meine Chefin. Sie schoss vom Stuhl empor und fuchtelte mit ihrem Zeigefinger energisch vor meinem Gesicht herum.
»Frau Schwarz, wenn Sie nicht auf der Stelle ihr freches Mundwerk …«
In diesem Moment ging die Tür zum Büro auf und Herr Jens stiefelte hinein.
Oh Mann! Bin ich hier wieder in ein Treffen der anonymen Vollpfosten geraten? Der hat mir gerade noch gefehlt!
»Ich störe doch nicht etwa?«, fragte er das Offensichtliche.
Doch enorm! Und zwar seit deiner Geburt …
Meine Chefin sah das anders. Sie war augenblicklich wie verwandelt und die reißende Furie von vor ein paar Sekunden war nun urplötzlich ein schüchternes 16-jähriges dickes Mädchen mit Zahnspange und spielte sich verlegen an den Haaren herum.
»Herr Jens. Sie stören nie. Das wissen Sie doch! Sie sind schließlich einer unserer besten Mitarbeiter!«
Ui da kam grad ein bisschen Frühstück mit hoch.
Herr Jens grinste großkotzig und antwortete: »Da werde ich Ihnen nicht widersprechen. 11x hintereinander Mitarbeiter des Monats. Und ich denke auch verdient. Ich bewege etwas im Laden und löse etwas in unseren Kunden aus.«
Ja Würgereiz!
»Aber bei so einer tollen Chefin ist das ja auch nicht schwer!«, säuselte er weiter.
Okay, jetzt meldet sich sogar schon das Abendessen von gestern.
»Sie Charmeur!«, lachte meine Chefin und winkte lapidar mit einer Hand ab.
Schleimer wäre wohl eher das Wort, das ich gewählt hätte, aber gut …
Das zwischen den Beiden etwas lief war hier ein offenes Geheimnis. Nur offenbar war den Beiden nicht klar, dass die gesamte Belegschaft schon darüber Bescheid wusste.
»Wir müssen nachher noch in Ruhe den Einsatzplan für nächste Woche besprechen. Kommen Sie doch später in mein Büro.«, flötete meine Chefin.
»Das mache ich sehr gerne!« Herr Jens schnappte sich die Papiere für die er gekommen war, zwinkerte Frau Nilsson zu und verließ das Büro.
Meine Chefin schaltete sofort wieder um. »Wir waren fertig, oder?«
»Ja, ich denke wir sind fertig. Viel Spaß beim »Plan« machen.«
Ich wollte gerade das Büro verlassen, als meine Chefin mich stoppte.
»Wie bitte?«, fragte sie irritiert.
»Nun, ich meine Sie sollten nachher mit Herrn Jens den Plan mal ordentlich durchgehen.«
»Ich ähm … Was?«
»Ja nehmen Sie den Plan so richtig ran und arbeiten Sie ihn lange, intensiv und ordentlich durch, bis Sie sich beide komplett befriedigt zurücklehnen können!«
Frau Nilsson schien jegliche Farbe aus dem Gesicht zu fallen und zum ersten Mal erlebte ich Sie sprachlos.
»Letztes Mal gab es doch Probleme mit der Planung und ich soll mich doch mehr einbringen. Deswegen begrüße ich sorgfältiges Arbeiten!«
»Ähm ja, ach so. Na das ist ja schön!« Nervös wandte sich Frau Nilsson wieder ihrem Bürotisch zu und ihr geschocktes Gesicht war eine Genugtuung für mich. Sie konnte ruhig wissen, dass alle von Ihrer Affäre wussten. Ich verließ triumphierend das Büro. Diese blöde Schnepfe würde mich nicht aus der Fassung bringen. Da brauchte es schon schwerere Kaliber …
»Hallo, Emma!« Diese Stimme … Ich drehte mich um und da stand er. Tom. Gutaussehend, lächelnd und mit Augen in denen man sich verlieren konnte.
Und das … brachte mich vollkommen aus der Fassung …
Kapitel 9
Als hätte mich der Liebesgott Amor erst geküsst und mir dann einen Feuerlöscher ins Gesicht gerammt, stand ich dämlich lächelnd, paralysiert und ohne einen klaren Gedanken fassen zu können vor Tom. Er war es. Er war es wirklich … Der Mann, der mich vor vielen Jahren meiner Sinne beraubte, mir die schönste Zeit meines Lebens verpasste, der mich mit seinem Antrag in den 27. Himmel katapultierte und der dann am Tag der Hochzeit nicht erschien, weil er kalte Füße bekam. Der Mann, der mich das schönste Gefühl der Welt erfahren ließ und der mir anschließend die schmerzhafteste Enttäuschung meines Lebens bereitete. Jahrelang hatte ich penibel genau geplant, was ich ihm sagen würde, welche Schimpfworte ich ihm um die Ohren knallen und in welche Körperteile ich besonders hart reinschlagen würde. Er sollte spüren und verstehen, was er mir angetan hatte.
Dieser Moment war nun gekommen … All das konnte ich nun rauslassen. Mit den wüstesten Beschimpfungen bewaffnet öffnete ich meinen Mund, sah entschlossen in seine Augen und knallte so hart und kalt wie ich es nur konnte heraus: » Hi Tom! Es ist so schön dich zu sehen!«
Okay das lief suboptimal … Ich probiere es noch einmal … So, jetzt aber …
»Dein neuer Haarschnitt sieht richtig gut aus!«
Ahh, was ist denn nur los mit mir? Ich muss mich konzentrieren. Sag ihm das Krasseste, was dir einfällt. Jetzt gibst du ihm den Rest.
»Und dieser Anzug steht dir richtig gut!«
Oh Mann! Ich gebe es auf. Das ist hoffnungslos …
»Wow! Mit so vielen Komplimenten habe ich gar nicht gerechnet.«, lachte Tom charmant und zog mich sanft zur Seite als ein Kunde mit seinem Einkaufswagen an uns vorbei wollte. »Ich dachte eher, du würdest mich erst einmal anschreien oder so! Verdient hätte ich es ja …«
Du hast noch ganz andere Sachen verdient. Zum Beispiel von Chuck Norris deine Visage neu ordnen zu lassen oder mit einem schlechtgelaunten Pitbull fangen zu spielen …
Aber aus irgendeinem Grund ging es einfach nicht. Wie gerne hätte ich ihm die Meinung gesagt, ihm gezeigt wie weh er mir getan hat, aber wenn ich meinen Mund öffnete, kamen nur Komplimente heraus … Scheiß Hormone …
»Ich bin auf jeden Fall froh, dass du überhaupt noch mit mir redest. Ich bin wirklich nicht stolz auf das, was damals passiert ist. Ich hatte gehofft, dass du mir die Chance gibst, es dir zu erklären …«
»Ach Tom … Das ist so lange her … Vergeben und vergessen. Ich bin drüber weg!«
Whaaaat? Was stimmt nicht mit mir? Nichts ist vergeben und vergessen … All die verheulten, schlaflosen Nächte, in denen ich blutige Rache schwor und dann das?
Ich würde dich am liebsten in der Luft zerfetzen …
»Oh okay! Das habe ich nicht erwartet!«
…dich packen und gegen die Wand hauen …
»Aber es freut mich sehr. Also kein böses Blut zwischen uns?«
»Ach wo denkst du hin?«
…dir in den Hintern treten bis dir der Kiefer bricht …
»Wow! Dass du jemanden so ohne weiteres vergeben kannst, zeugt echt von Größe …«






