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Nur einmal wurde er für den Oscar vorgeschlagen, aber da er aus seiner Verachtung gegenüber dem Filmgeschäft nie einen Hehl machte und erst gar nicht zur Preisverleihung erschienen war, wurde nichts aus der Prämierung von »The Story Of G.I. Joe«, den Roosevelt angeblich für den größten Kriegsfilm aller Zeiten hielt. Auf die Rolle des Lt. Walker in der Verfilmung von Ernie Pyles »G.I. Joe« waren Gary Cooper und alle möglichen Stars scharf, weil der Bestseller eben keine Heldenschmonzette war, sondern auch die schmutzigen Seiten des Krieges zeigte. Der »emotionale und metaphysische Höhepunkt« des Films bestand, wie in der Village Voice 1973 zu lesen war, darin, daß Mitchum als Leiche auf einem Esel den Berg heruntertransportiert wird und dabei eine »erhabene Ruhe« ausstrahlt und diese »vollkommene Ruhe im Tod Ergebnis seines ausdrucksstarken Stoizismus im Leben ist.« Etwas profaner drückte es Mitchum selber aus: »Ich hatte Glück. Keiner hätte versagt in so einer Rolle. Den Berg auf einen Esel geschnallt runterkommen und die Kamera genau auf meine Fresse gerichtet – das mußte ankommen. Aber das heißt nicht, daß ich irgendwie gespielt hätte.« Warum auch? Katharine Hepburn, mit der Mitchum 1946 in »Undercurrent« zusammen drehte, sagte: »Sie wissen, daß Sie nicht schauspielern können, und wenn Sie nicht so gut aussähen, wären Sie niemals in den Film gekommen.« Dennoch hatte sie einen guten Rat für ihn auf Lager: »Don’t let them fuck you, Mr. Mitchum, darling.«
Mitchum war immer dann am besten, wenn er den desillusionierten Verlierer spielte, der sich in den Fängen des Schicksals verheddert hat und einer femme fatale verfallen ist, wie in »Out Of The Past«, wenn er lässig am Tresen lehnt, während die Hand ein Glas Bourbon festhält, oder wenn er wie in »Thunder Road« als Whiskeyschmuggler ein Spiel spielt, das er nicht gewinnen, aber dennoch nicht aufgeben kann, weil Abenteuer und Gefahr, das freie, ungebundene Leben auf den nächtlichen Straßen locken. Die leichte Amüsiertheit in seinem Gesichtsausdruck und die latente Gewalt, die er ausstrahlte, machten ihn zum perfekten Darsteller in dem Ende der Vierziger immer beliebter werdenden film noir, weil er mit seinen sparsamen Gesten und seinem müden Blick im Schattenspiel zwischen Zynismus und Ambiguität genau den Außenseiter ohne Wurzeln spielen konnte, der immer eines Verbrechens verdächtigt wurde oder der zumindest ein dunkles Geheimnis in seiner Vergangenheit mit sich herumschleppte.
Gerade solche Filme hatten einen großen Einfluß auf die in den fünfziger Jahren heranwachsende Jugend, wie z.B. Hunter S. Thompson, dem nicht nur gefiel, daß Mitchum sich von niemandem herumschubsen ließ, sondern auch die lässige Art und Weise, in der das geschah. Auch wenn man diesen Filmen immer die Patina der Zeit ansehen wird, Mitchum war einer der großen Poser des amerikanischen Films und er erlangte damit eine ungeheure Popularität. Denn er war eben nicht nur einer, der den Rebellen mimte, sondern der auch in der Öffentlichkeit als ein solcher wahrgenommen wurde. Ob er aber wirklich jemand war, der sich nichts gefallen ließ und renitent war, oder der mit seinem plötzlichen Ruhm und dem plötzlichen Rummel um seine Person nicht mehr fertig wurde, wer konnte das schon so genau wissen? Gut kam es in jedem Fall, als er auf die Frage eines Reporters, was er denn den ganzen Tag so tue, lässig antwortete: »Nichts. Ich liege wie immer neben meinem Swimmingpool und tue nichts.« Es ist nicht gerade das, was die brave amerikanische Ehefrau mit den Dauerwellen von ihrem Filmstar hören wollte.
Talk dirty, play poker, get drunk
Statt das gesellschaftliche Leben mit seinen Kollegen in Hollywood zu pflegen, gab er sich lieber die Kante mit den Jungs, die er beim Militär kennengelernt oder in irgendeiner Bar aufgelesen hatte. Über einen Mangel an neuen Freunden mußte er jedenfalls nicht klagen. In diesem eher zweifelhaften Milieu wurde er als erster Hollywood-Star mit qualmenden Joints erwischt zusammen mit der Tänzerin Vicki Evans, der Schauspielerin Lila Leeds und seinem Freund Robin »Danny« Ford. Die Umstände seiner Verhaftung waren eher dubios. Beispielsweise wußten die Zeitungen, daß an diesem Abend ein Hollywood-Star mit Marihuana verhaftet werden würde, noch bevor Mitchum das Haus von Lila Leeds überhaupt betreten hatte, in dem er dann verhaftet wurde.
Es sah zunächst alles so aus, als ob Mitchum ruiniert war. Er selber war davon überzeugt. Auf die Frage des Richters nach seinem Beruf gab er an: »Ehemaliger Schauspieler.« Er mußte sich während des Verhörs sogar ausziehen und wurde einem Psychiater vorgeführt, der ihn so schlaue Dinge fragte wie: Gehen Sie auf Parties? Und was tun Sie dort? Was wohl? »Talk dirty, play poker, get drunk.« Die Presse berichtete ausführlich über den Fall, und Mitchum fütterte sie mit Statements wie diesem: »Es war schon schlimmer. Als ich einmal von einem Zug geworfen wurde, hatte es zehn Grad unter Null. Ich fror, bis ich Zeitungen in meine Sachen steckte, um mich warm zu halten. Dann zündete irgendein Irrer meine Hosen an ... Wenn du mal von der Hüfte ab nackt unter einer Straßenlaterne in Idaho gestanden und nach einer Wäscheleine Ausschau gehalten hast, wo du steif gefrorene Hosen stehlen kannst, um sie am örtlichen Bahnhof aufzutauen – von dem Moment an ist alles, was kommt, besser.« Das kam gut an bei Jungs wie Hunter S. Thompson, die solche abenteuerlichen Geschichten begierig aufsogen.
Mitchum wurde nicht fallen gelassen. Für die Studio-Bosse stand zuviel auf dem Spiel. Insgesamt fünf Millionen steckten in Filmen, für die Mitchum engagiert oder eingeplant war, ein Haufen Geld, der »der Loyalität zu ihrem Star natürlich sehr förderlich« war, wie Michael Althen es sehr schön auf den Punkt bringt. Also heuerte David Selznick mit Jerry Giesler den besten Anwalt an, den er kriegen konnte, und zahlte 1000 Dollar Kaution. Die Strategie der Verteidigung bestand darin, Mitchum als kranken Mann darzustellen, der »in schlechte Gesellschaft geraten ist«, wie Ehefrau Dorothy der Presse mitteilte, als sie medienwirksam zu ihrem Mann zurückkehrte, der gerade jetzt ihrer Hilfe bedürfe. Ein Psychiater diagnostizierte »übersteigerte Liebenswürdigkeit, bei der das Versagen, jedem zu gefallen, einen Boden für Selbstvorwürfe schaffe«.
Und damit lag er gar nicht mal so daneben, denn Mitchum vertraute vielen Leuten, wie z.B. seinem »besten Freund« Paul Behrmann, der ihn mit 8000 Dollar übers Ohr haute. Mitchum hatte einfach Angst, arrogant zu wirken, gerade jetzt, wo er bekannt wurde, und deshalb fiel es ihm schwer, Leute abzuweisen oder zwischen Freunden und Abzockern zu unterscheiden.
Prozeß und Urteil zogen sich hin, aber es stellte sich heraus, daß die Rauschgift-Affäre ihm nicht geschadet, sondern ihn noch populärer gemacht hatte. »Rachel And The Stranger« kam zu dieser Zeit in die Kinos und wurde ein Hit, und wenn Mitchum auf der Leinwand erschien, ließen sich die Besucher von Begeisterungsstürmen hinreißen. Mitchum hätte auch wegen einer Moralklausel aus seinen Verträgen fliegen können, aber der Filmgesellschaft entging der Popularitätsschub nicht, weshalb Mitchum noch vor seiner Verurteilung die Hauptrolle in Don Siegels »The Big Steal« bekam. Auch sein Aufenthalt im Knast – immerhin mußte er 60 Tage absitzen von dem Jahr, zu dem er verknackt wurde – bekam ihm sowohl in der Öffentlichkeit als auch persönlich. »Ich litt unter chronischer Schlaflosigkeit wie die meisten Leute im Hollywood-Karussell, bevor ich hierher kam. Jetzt schlafe ich wie ein Baby.«
Aber dann drehte sich das Karussell wieder, und nach dieser Affäre hatte er nicht allzuviel Argumente, die Filmgesellschaft zu brüskieren und ein »staubiges altes Manuskript« abzulehnen. Außerdem hatte er einen Haufen Schulden abzubezahlen. Das minderte nicht seine Geringschätzung für das Gewerbe, und die machte er auf seine unnachahmliche Weise deutlich: »Ich habe denselben Film hundertmal wieder und wieder gemacht. Ich habe nicht einmal mehr die Drehbücher angeschaut, weil ich wußte, daß selbst wenn sie von Baudelaire oder Balzac geschrieben worden wären, auf Seite 20 ein paar Gorillas herausgesprungen kämen und anfangen würden, mich zu vermöbeln. Für gewöhnlich mache ich einen Film, der Von den Gorillas totgeschlagen heißt. Sie fangen an mit einer Totalen, wie ich herumstehe, und dann wird hinter mir ein Gorilla sichtbar und schlägt mir auf den Kopf. Zack, und ich breche zusammen. Bumm, bumm. Ich falle weiter und stehe immer wieder auf. Dann schneiden sie auf ein kleines Mädchen, das durch ein Margeritenfeld springt und schließlich zu einem Haus kommt, wo eine Stimme sagt: ›Wer ist da?‹ Da die Schreiber das auch noch nicht herausgekriegt haben, schneiden sie wieder auf mich. Bumm, bumm, der Gorilla haut mich immer noch nieder, und ich stehe immer wieder auf. Schließlich bricht der Gorilla erschöpft über mir zusammen. Dann kommt das Mädchen rein und sagt: ›Er ist hier irgendwo, ich weiß es.‹ Schließlich schält sie den Gorilla ab, und da liegt unser Held – ich. Sie zerrt mich auf meine Füße, legt ihr Arme um mich, schaut geradewegs in die Kamera und sagt: ›Es ist mir egal, was Sie denken – ich mag ihn.‹ Also weiß man, daß er ein Teufelskerl sein muß.«
Farewell my Lovely
Einer der vielleicht dutzend Filme, die bleiben werden und die ein bißchen mehr zu bieten hatten als die Gorillas, die ihn niederschlugen, war zweifellos »Farewell My Lovely«. Der Regisseur Dick Richards war keine Berühmtheit. Er hatte vorher als Photograph für Look und Life gearbeitet und zwei Filme gemacht, aber es war die Zeit vieler junger und aufstrebender Filmemacher. Dick Richards war der am wenigsten interessante. Ähnlich wie bei »Casablanca« deutete nichts darauf hin, daß »Farewell My Lovely« wenn nicht Filmgeschichte machen so doch immerhin sehr erfolgreich sein würde. Und er wurde es, weil Richards keine Experimente machte, sondern den klassischen Regeln des Filmgenres folgte und ganz nach dem Muster von Roman Polanskis »Chinatown« mit Jack Nicholson in der Hauptrolle drehte, und dieser ein Jahr zuvor entstandene Film war nicht umsonst so gut wie in allen Kategorien für den Oscar nominiert worden und hatte fürs Drehbuch auch einen bekommen.
Eine kluge Entscheidung war es, das Stück in Los Angeles Ende der Dreißiger spielen zu lassen, also an dem Ort und zu der Zeit, in denen auch der Roman Chandlers spielt. Als wegen des Erfolgs mit »The Big Sleep« eine weitere Chandler-Geschichte verfilmt wurde, verlegte der Regisseur Michael Winner das Ganze ins zeitgenössische London, weil, wie er glaubte, Chandler in seinem Stil einfach sehr britisch sei, womit er Recht hatte. Aber nach London paßte Robert Mitchum ungefähr so hin wie eine »Tarantel auf einem Käsekuchen«, das hätte vermutlich Raymond Chandler sich gedacht, wenn er noch gelebt hätte, und auch James Stewart sagte, er könne General Sternwood nicht spielen, weil die Rolle für einen Engländer geschrieben sei.
Eine weitere kluge Entscheidung war es, den Drehbuchautor David Zelag Goodman zu engagieren. Der fühlte sich jedenfalls nicht berufen, Chandler neu zu interpretieren oder, wie es Edward Dmytryk 1944 in »Murder My Sweet« getan hatte, ein Script zu nehmen, das die Geschichte noch verwirrender machte als die Vorlage. Goodman bediente sich ausgiebig beim Original, sowohl was die Dialoge als auch den Erzähler aus dem Off betraf. Außerdem gelang es Goodman, Stringenz und Logik in die Geschichte zu kriegen, denn wie Chandler einmal selber schrieb: »Die Handlung ächzt und knarzt wie ein kaputter Fensterladen im Oktoberwind.« Der Roman ist episodisch, verschlungen, kompliziert und widersprüchlich, eine Figur nach der anderen taucht auf und verabschiedet sich wieder, aber im Gegensatz zu Chandlers Kollegen, die ihre blassen Figuren durch ein perfekt konstruiertes Handlungsgerüst hindurchjagen, sind es gerade der Witz, der elegante Stil und der leichte, beschwingte Ton, die seine Bücher vom üblichen Krimikram wohltuend abheben.
Goodman bewahrte den Chandlerschen Stil und besserte die Handlung vorsichtig aus. Indem er sie straffte, einige überflüssige Figuren über Bord warf, andere Charaktere hinzu erfand und sich auf den Kern der Geschichte konzentrierte, wurden auch die Protagonisten glaubwürdig und tapsten nicht unbeholfen durch die Straßen von Los Angeles, ständig mit der Frage beschäftigt, was tue ich eigentlich hier. Beispielsweise erfindet Goodman den Zeitungsmann, der zwar etwas schlicht, aber als einziger nicht korrupt ist, eine Mischung aus Freund und Faktotum ist er Marlowes Mann für besondere Aufgaben, dem er vorbehaltlos vertrauen kann. Auch der lungenkranke Trompeter und sein farbiger Sohn sind neu und treiben die Geschichte voran. Die beste Idee war es jedoch, Moose Malloy mehr in Szene zu setzen. Bei Chandler ist der Riese zunächst nicht mehr als ein unangenehmer Geck und Sprücheklopfer, der erst am Schluß zum tragischen Helden wird, zum romantischen Verlierer. Bei Goodman bekommt Moose Malloy, der ungefähr so groß ist wie die Freiheitsstatue und von Jack O’Halloran mit der breitgeklopften Visage eines ehemaligen Boxers gespielt wird, eine tragende Rolle, er emanzipiert sich von den Chandlerschen Vorgaben, vom auffällig kostümierten Volltrottel, bei dem man sowieso nicht gewußt hätte, wie er so lange unentdeckt bleiben konnte.
Marlowe entdeckt sofort sein Faible für den tapsigen Riesen, die innere Verwandtschaft zu einem Mann, der seinem Glück hinterherrennt, es aber nie erreichen wird, dem wie Marlowe alles zu Scheiße gerät, was er anfaßt, und der aus Ungeschick schon mal jemanden umbringt. Moose Malloy sucht seine große Liebe, und dafür geht er auch über Leichen. Und als er ihre Stimme am Telefon hört, schnurrt er plötzlich zahm wie eine Katze hingebungsvoll und mit einem seligen Lächeln »Hallo Babe«. Ein wunderbares Melodrama also. Und als alles vorbei ist ertönt aus dem Off noch einmal die müde Stimme Marlowes und widmet dem Riesen mit dem geringen Verstand und dem großen Herzen ein Epitaph, das jeden, der eine sentimentale Ader hat, zum Schmelzen bringt. »Moose hätte ihr nie etwas antun können. Es machte ihm nichts aus, daß sie ihm sieben Jahre nicht geschrieben hatte. Es machte ihm nichts aus, daß sie ihn wegen der Belohnung an die Polizei verraten hatte. Dieser große Lulatsch liebte sie. Und wenn er noch leben würde, hätte es ihm nichts ausgemacht, daß sie ihm drei Kugeln in den Bauch gejagt hatte.«
Dann geht der große müde Mann einsam in die Nacht hinaus. Sein Gesicht ist noch grauer und faltiger geworden, aber er hat vor sich selbst bestanden. Er ist nicht stolz darauf. Er lebt. Das ist alles. Großes Kino eben.
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