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Lennard Frank, der mit Abstand bekannteste und wohlhabendste der Privatinvestoren, ließ sich einige Schritte zurückfallen, um mit Shane auf gleicher Höhe zu gehen.
»Beindruckend, finden Sie nicht auch, Mr. O’Brien?«
»Selbst wenn ich Meier heißen würde, müsste ich diese Frage mit einem Ja beantworten.«
Frank schmunzelte. »Ich bin im Grunde genommen ein sehr weltoffener und liberaler Mensch, aber in Sachen Meier muss ich Ihnen zustimmen – da kommt wohl jede ambulante Hilfe zu spät.«
»Ich verstehe einfach nicht, wie ein Mann mit seinem Background und seinen Erfahrungen so negativ denken kann«, stimmte ihm Shane zu.
»Geld verdirbt den Charakter«, meinte Frank und öffnete den zweiten Knopf seines dunkelroten Seidenhemds.
»Wenn dem so wäre, müssten Sie ja der Teufel persönlich sein«, entgegnete Shane und brachte Frank erneut zum Lachen.
Shane mochte ihn. Sie waren sich zwar nur ein-, zweimal begegnet, teilten aber eine gemeinsame Überzeugung, nämlich, dass nur alternative Energien die Welt aus der Krise führen konnten. Man mochte sie Heuchler nennen, weil sie von den Vorzügen von Atom- und Kohlestrom ebenso profitierten wie alle anderen, aber der Unterschied war, dass sie nachdachten und sich nachdrücklich für eine energiepolitische Kehrtwende einsetzten. 2012 war eine solche eingeläutet, dann aber leider wieder fallen gelassen worden.
»Ich muss sagen, ich bin von der Idee begeistert«, setzte Frank an.
»Ja, Sie wären wohl nicht hier, wenn Sie nicht daran glauben würden. Haben Sie bereits investiert?«
»Nur geringe Beträge, aber ich plane größere Investitionen zu tätigen, sobald ich endgültig von dem Konzept und der Effizienz dieser neuen Solarzellen überzeugt bin. Wie Sie bestimmt wissen, habe ich den ursprünglichen Silizium-Zellen immer skeptisch gegenüber gestanden – nicht ohne guten Grund, wie die Erfahrungswerte zeigen, sie sind einfach zu ineffektiv. Aber durch das PEC-System soll ja gerade dieser störende Faktor beseitigt werden.
Meine größte Sorge gilt allerdings nicht den Zielen des Konzerns oder der Rentabilität, sondern der grundlegenden Einstellung der Menschen. Es muss noch eine Menge Aufklärungsarbeit geleistet werden, um dem Ottonormalverbraucher zu verdeutlichen, wohin uns unsere jetzige Energiepolitik führen wird. Erinnern Sie sich, 2011, das Reaktorunglück in Fukushima, Japan? Alle hatten angenommen, es würde danach zu einem Umdenken kommen … doch was ist tatsächlich geschehen? Im Deutschen Bundestag wurde ein Moratorium zwecks Aufschiebung der Entscheidung betreffend der Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke ausgerufen. Anstatt den sofortigen Ausstieg aus der Atomkraft zu veranlassen, hat man jedwede klare Beschlussfassung erst einmal vertagt. Und auch danach wurden die AKWs nicht abgeschaltet! Demonstrationen des Volkes gegen Atom- und Kohlestrom gab es schon seit Anbeginn dieser Technik, und im Laufe der Zeit haben sie an Intensität zugenommen – ebenso das strikte Vorgehen mit Polizeigewalt. Friedlichen Protesten begegnen die Staaten immer öfter mit offener Gewalt.«
Shane erinnerte sich, wie die Menschen gegen die Castor-Transporte demonstriert hatten und wie brutal die Polizei damals vorgegangen war. Auch in seinem Heimatort Canterbury hatte es Demonstrationen gegen Atomstrom gegeben, wie überall, doch stets waren die Regierungen eingeschritten.
»Solange das geschieht, solange die Regierungen den Wandel nicht ernsthaft unterstützen – reden können sie so viel sie wollen –, wird es verdammt schwer sein, etwas zu erreichen. Die Führungsebene von Hawkes Energy ist sich darüber im Klaren und arbeitet daher intensiv an entsprechenden Lösungen. Das bewundere ich und es veranlasst mich, meinen Beitrag zu leisten.«
Die Unterhaltung hatte sich wie von selbst entwickelt und sie sprachen nun fast wie vertraute Freunde. Gute Verbindungen können nie schaden, dachte Shane, für den zuallererst das Geschäft und erst dann das Soziale kam.
»Sie entschuldigen, sonst fühlt sich meine geliebte Frau vernachlässigt.« Frank beschleunigte seinen Schritt und schloss wieder zu seiner Ehefrau auf.
Shane überlegte kurz, auch die anderen Investoren in ein Gespräch zu verwickeln, entschied sich dann aber dagegen. Er wollte ihre politischen und wirtschaftlichen Einstellungen erst einmal unauffällig sondieren, bevor er sich auf Diskussionen einließ.
»Dürfte ich noch einmal um Ihre Aufmerksamkeit bitten?«, rief Mrs. Blinow in die Runde. Shane wunderte sich, wie weit sie bereits gegangen waren und wie wenig er von den Ausführungen mitbekommen hatte.
»Sie haben nun die äußere Erholungsanlage kennengelernt. Ich schlage vor, Sie nutzen die Annehmlichkeiten, die sich Ihnen bieten und entspannen sich bis zum Dinner. Sie werden rechtzeitig benachrichtigt. Miss Ling steht Ihnen weiterhin jederzeit zur Verfügung. Ich bedanke mich …«
Shane hörte nicht mehr zu. Er hatte ohnehin kaum hingehört. Für ihn erklärte sich das Freizeitangebot von selbst, im Urlaub ließ er sich schließlich auch nicht jedes Detail im Einzelnen definieren. Nur durch eigenes Erkunden konnte man das Potenzial solcher Möglichkeiten ausmachen.
»Spielen Sie Golf, Mr. O’Brien?« Es war Meier, der plötzlich neben ihm stand, den Blick geradeaus gerichtet, so als sollten die anderen nicht mitbekommen, dass sie sich unterhielten. Innerhalb der wenigen Sekunden, die Shane für eine Antwort blieben, ging er blitzschnell alle Möglichkeiten durch: Er konnte das Angebot ohne Begründung dankend ablehnen, einen triftigen Grund erfinden, warum er verhindert war oder die unausgesprochene Herausforderung annehmen.
Shane rief sich ein altes Sprichwort des chinesischen Philosophen und Militärstrategen Sun Tsu ins Gedächtnis, das in etwa lautete: ›Kenne deinen Feind und kenne dich selbst, und in hundert Schlachten wirst du nie in Gefahr geraten.‹
Mit diesem Sinnspruch ergab er sich seinem Schicksal.
»Ja, ein wenig. Es wird Zeit, dass ich wieder an meinem Handicap arbeite.«
Kapitel 6
Estella Meinhard lehnte sich in ihrem gepolsterten und mit feinem Nappaleder bespannten Chefsessel zurück und betrachtete nachdenklich die Fotovoltaik-Anlage, die wie ein Meer aus Spiegeln den Boden unter ihr bedeckte. Das ihr für den kurzen Zeitraum zugewiesene Büro befand sich unmittelbar über einigen PECS-Zellen und war über einen etwa zwei Meter hohen und breiten Stahl- und Glastunnel mit dem Forschungs- und Steuerungszentrum verbunden. Die Wände wie auch der Boden bestanden aus Glas, UV-undurchlässigem Glas, ansonsten wäre man im Inneren gegrillt worden. Das Büro gehörte eigentlich dem leitenden Wissenschaftler, Dr. Heckler, doch dieser hatte bereitwillig zugestimmt, Meinhard die Räumlichkeiten für die Dauer ihrer Anwesenheit zu überlassen. (Gut, dass er nicht wusste, dass sie sich auch mit etwas Kleinerem zufriedengeben hätte.)
Sie richtete sich wieder auf und aktivierte das große Datenterminal, von dem aus sie sich über eine mehrfach durch Firewalls geschützte Verbindung im Hauptrechner des Unternehmens einloggte, um einen aktuellen Statusbericht anzufordern, der innerhalb der nächsten Stunde eintreffen würde. Sie konnte es kaum erwarten, den Stand der Dinge in Deutschland zu erfahren, denn im Vergleich zu dem laufenden Experiment, das in den Geheimlaboren von Hawkes Enterprises unter Verschluss gehalten wurde und dessen Fortschritt sie brennend interessierte, war das PECS-Sonnenkraftwerk nur eine unbedeutende Spielerei.
Sie standen kurz vor einem Durchbruch, das spürte Estella, weshalb sie der Bitte, sich um die Präsentation in Sun City zu kümmern, nur ungern nachgekommen war. Patrick betonte stets, dass ihre Forschung noch in den Kinderschuhen stecken würde und dass ihr Ausgang ungewiss sei, doch er wusste nicht, was Estella wusste und darüber hinaus teilte er nicht ihren Optimismus, der allerdings, wie sie fand, unabdingbar für einen Mann seiner Position gewesen wäre. Onkel hin oder her … diese fehlende Zuversicht ließ ihn das eigentliche Ziel aus den Augen verlieren. Ständig rief er in Absprache mit der Führungsriege weitere Projekte ins Leben, von denen er sich versprach, dass sie die Energiefront revolutionieren würden.
Estella schüttelte den Gedanken ab und versuchte sich stattdessen auf ihr Projekt zu konzentrieren, was sie jedes Mal aufs Neue in Euphorie versetzte. Woran sie arbeitete, war nämlich nicht nur streng geheim, sondern auch nobelpreisverdächtig, wenn nicht nobelpreissicher. Aber bevor sie nicht absolut überzeugt war, dass es funktionieren würde, durfte nichts an die Öffentlichkeit gelangen. Estella seufzte. Das Warten wurde allmählich zur Qual.
Das alberne Quäken des Türsummers zerstörte das Bild, das sie eben noch vor Augen gehabt hatte und holte sie jäh in die Realität zurück.
»Herein«, rief sie, und der Sprachprozessor setzte ihren Befehl in die Tat um und entriegelte den Schließmechanismus der automatischen Schiebetür. Es war Fritzsch, der nervös auf der Schwelle wartete. Worauf wartete der Mann noch? Sie hatte ihn doch bereits hereingebeten. Manchmal wurde sie aus anderen Menschen einfach nicht schlau.
Ein Wink mit den Händen schien ihn zu beruhigen, und er betrat unsicher das Büro. Vor dem Schreibtisch nahm er Haltung an.
»Ich weiß ja nicht, wie Dr. Heckler mit Ihnen umspringt, aber vor mir brauchen Sie nicht zu salutieren. Rühren, Soldat!«
Der Scherz verfehlte seine aufmunternde Wirkung und der Hüne blickte nur noch irritierter. Sie versuchte es mit einem einfachen Lächeln.
»Was kann ich für Sie tun, Herr Fritzsch?«
Das Verhalten des Mannes stand ganz im Gegensatz zu seiner körperlichen Erscheinung. Gegenüber Vorgesetzten verhielt er sich laut seiner Akte umsichtig und bedacht, was sie nur bestätigen konnte. Aber er wäre nicht Sicherheitschef geworden, wäre er im Ernstfall nicht in der Lage, hart durchzugreifen.
»Ich bin mir nicht sicher, ob man es Ihnen gegenüber erwähnt hat, Frau Meinhard, aber ich denke, Sie sollten wissen, dass wir mit Sabotageakten zu rechnen haben. Mrs. Blinow hielt es für unangebracht, Sie deswegen zu behelligen, da bisher nur Indizien vorliegen, aber ich halte es für meine Pflicht, Sie darüber zu informieren.«
Estella stutzte. Sabotage? Sie würde auf jeden Fall ein ernstes Wörtchen mit Blinow und Heckler wechseln müssen. Wenn es etwas gab, das Hawkes Enterprises großschrieb, dann war das Sicherheit. Keine Meldung zu erstatten, selbst wenn kein begründeter Verdacht vorlag, war unverantwortlich. Sie mussten für alles gewappnet sein.
»Können Sie mir erklären, worauf sich Ihr Verdacht gründet?«
»Ja, Ma’am.« Fritzsch berichtete ihr detailliert von seinen Vermutungen und den Stellungnahmen, die er von Cable Inc. angefordert hatte.
»Die Kabelbrände können durchaus durch Materialversagen hervorgerufen werden, das ist nicht einmal ungewöhnlich, aber ich verstehe trotzdem Ihre Besorgnis«, sagte Meinhard. »Viel gravierender erscheint mir jedoch die Bedrohung durch die Trojaner-Angriffe. Dem sollten wir unbedingt nachgehen.«
Dass leichtsinnige Hacker versuchten, auf den Zentralrechner zuzugreifen, kam des Öfteren vor, doch das Netzwerk der PECS-Anlage war nicht internetgebunden, was bedeutete, dass sich jemand auf anderem Wege Zugang verschafft haben musste.
Estella bedachte den Sicherheitschef mit einem dankbaren Lächeln. »Sie haben richtig gehandelt, Herr Fritzsch. Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen und werde mich umgehend darum kümmern. Würden Sie mir einen Gefallen tun?«
»Ja, Ma’am?«
»Verstärken Sie die Wachmannschaften – und bewahren Sie Stillschweigen gegenüber den Gästen. Wir können es uns nicht leisten, sie zu beunruhigen. Ach ja, und hören Sie bitte auf, mich Ma’am zu nennen.«
»Ja, Ma’am.«
Estella verdrehte die Augen. Als sie sah, dass Fritzsch wie festgewurzelt vor ihr stehen blieb, wurde sie wieder ernst. Irgendwas bedrückte ihn, das merkte sie ihm an.
»Gibt es noch etwas?«
»Ja …« Fritzsch zögerte. »Mr. O’Brien hat Wind von der Sache bekommen. Er weiß, dass wir die Beduinen verdächtigen. Er hat Ling und mich dahingehend ausgefragt.«
»Und was haben Sie ihm gesagt?«
»Ich habe es nicht dementiert. Er sagte, Sie hätten ihn zu mir geschickt.«
Estella stöhnte. Das fehlte ihr gerade noch. Ausgerechnet O’Brien, der ihr noch vor wenigen Stunden klargemacht hatte, dass er nur schreiben würde, was er persönlich auch vertreten könne! Sie würde ihn, so gut es ging, ablenken müssen.
Fritzsch eilte aus dem Raum, offensichtlich beschämt, einen Fehler begangen zu haben. Sie machte ihm keinen wirklichen Vorwurf. Die wenigen Augenblicke mit Shane hatten ausgereicht, um ihr vor Augen zu führen, wie einnehmend der Mann sein konnte.
Sie stand auf, ging um den Schreibtisch herum und blickte auf die Anlage hinaus. Wenn es wirklich eine Bedrohung gab, würde sie sie aufspüren und neutralisieren. Was in der Wüste für Aufregung sorgte, konnte ihnen auch zu Hause gefährlich werden, und das Schlimmste war eine brodelnde Gerüchteküche. Die Zukunft war schon steinig genug, da fehlten gerade noch schlechte Kritiken und Hiobsbotschaften.
Ihre Gedanken schweiften erneut ab, während sie so dastand und in die Ferne schaute. Sie ertappte sich dabei, wie sie an O’Brien dachte und sich vorstellte, wie es wohl wäre, ihm bei einem weniger förmlichen Anlass zu begegnen. Vom ersten Moment an hatte sie gespürt, dass er eine schwierige, wenn nicht gar unangenehme Persönlichkeit war; trotzdem hatte sie eine gewisse Sympathie für ihn empfunden. Er war ein Macho, aber immerhin mit Stil, wie er selbst gesagt hatte.
»Estella, reiß dich zusammen«, sagte sie laut zu sich selbst. Aber gut sieht er ja schon aus …
Kapitel 7
»Bingo!«, schrie Meier enthusiastisch, als sein mit Brachialgewalt abgeschlagener Golfball durch Zufall die Fahne touchierte und etwa einen halben Meter vom Loch entfernt auf dem Green liegen blieb.
Meier spielte grauenhaft. Er schlug mit enormer Kraft ab, jedoch ohne jegliches Feingefühl. Shane ignorierte die Schadenfreude auf dem Gesicht des Topmanagers und konzentrierte sich stattdessen auf seinen eigenen Schlag – er atmete beim Ausholen ein und beim Schwung wieder aus. Der Ball flog eine perfekte Kurve, kam sachte auf und rollte zielgenau auf das Loch zu.
»Sie spielen gut!«, meinte Meier, ohne dass es auch nur ansatzweise aufrichtig geklungen hätte.
Nichts, was aus seinem Mund kam, klang aufrichtig. Wenn Shane abergläubisch gewesen wäre, wäre er sogar so weit gegangen, zu behaupten, den Mann umgebe eine böse Aura, denn alles, was er tat, die Art, wie er gestikulierte, artikulierte, ja sogar wie er atmete, zeugte von Verachtung gegenüber seiner Umwelt und seinen Mitmenschen. Jedes scheinbar freundliche Wort troff nur so vor Sarkasmus.
Überwiegend besaßen nur gefühlskalte und herablassende Persönlichkeiten wie Meier das Zeug zu Top-Managern. Man musste bereit sein, über Leichen zu gehen, wenn man in entsprechend hohe Wirtschaftspositionen gelangen und dort überleben wollte. Shane hätte es nicht gekonnt. Man mochte ihm zwar nachsagen, ein arroganter Arsch zu sein, aber im Gegensatz zu Menschen wie Meier besaß er ein Gewissen. Das unterschied ihn von ihnen.
»Mr. O’Brien, wie denken Sie über die Zukunft?«
Shane stöhnte innerlich. Ein Haken, es gab immer einen Haken! Sogar bei einer simplen Einladung zum Golfspielen.
»Die Jedi werden die Macht ergreifen«, antwortete er betont gleichgültig und wandte den Blick ab.
»Sind Sie in der Pubertät stecken geblieben? Auf eine vernünftige Frage kann ich doch wohl auch eine vernünftige Antwort erwarten, oder?«
»Erwarten können Sie sie, aber das heißt nicht, dass sie auch bekommen.«
Meiers Gesicht lief rot an. Ein Wunder, dass sein Golfschläger noch nicht das Zeitliche gesegnet hatte. Shane wartete einen Moment, bevor er fortfuhr.
»Sie wollen wissen, wie ich mir die Zukunft ausmale? Menschen wie Sie wird es dort jedenfalls nicht mehr geben und ebenso wenig die Überzeugungen, für die Sie stehen. Die Welt wird sauberer, gesünder und ausgeglichener sein. Vielleicht wird das Leben nicht mehr ganz so luxuriös sein, aber allemal lebenswerter als heute. Beantwortet das Ihre Frage?«
»Überaus.« Meier versenkte den Ball. »Sie müssen wissen, und ich sage das ganz offen, ich bin nur ein kleiner Fisch, ein Nichts im Vergleich zu den Vorstandsvorsitzenden der OPEC oder anderer Organisationen. Die würden sich auf einer popeligen Öko-Veranstaltung wie dieser nicht einmal dann blicken lassen, wenn das Leben ihrer Kinder auf dem Spiel stünde. Auch wenn das für Sie schwer vorstellbar sein mag, im Gegensatz zu denen bin ich ein weltoffener Gentlemen. Warum sonst sollte ich mich für das Konzept interessieren?«
»Wenn Sie dem Ganzen nicht abgeneigt sind, warum betonen Sie dann immer das Gegenteil?«, fragte Shane – und spürte im selben Moment Verärgerung in sich aufsteigen. Meier erzählte ihm diese kleine, nette Geschichte doch bestimmt nicht ohne Hintergedanken.
»Tun wir nicht alle, was wir tun müssen? Und erzählen Sie mir jetzt nicht, Sie würden keine vorgefertigten Meinungen vertreten. Ich habe einen Ruf und eine Karriere zu verlieren, dazu stehe ich. Was ist mit Ihnen?«
»Sie sind meiner Frage ausgewichen«, insistierte Shane, um nicht weiter auf Meiers Pseudo-Gewäsch eingehen zu müssen.
»Stimmt«, bestätigte er knapp.
Das Golfspiel war mittlerweile zum Erliegen gekommen, und weder Shane noch Meier machten Anstalten, es wieder aufzunehmen. Über die Fahne hinweg starrten sie sich finster an.
»Natürlich gibt es für alles eine Ursache«, sagte Meier nach einer Weile. »Aktion – Reaktion. Ich habe Sie nicht ohne Grund gefragt, wie Sie sich die Zukunft vorstellen.«
Shane wartete schweigend ab, was als Nächstes folgen würde.
»Sehen Sie, die Zukunft rast unaufhaltsam auf uns zu«, fuhr Meier fort. »Was jetzt ist, ist jetzt schon Vergangenheit.«
»Wenn Sie philosophieren möchten, kann ich Ihnen einen guten Debattierklub empfehlen.«
»Oh nein, Sie missverstehen! Ich möchte nur, dass Ihnen klar ist, worauf ich hinauswill.«
»Ich denke, ich habe verstanden, und die Richtung, in die sich dieses Gespräch entwickelt, gefällt mir nicht. Ich werde jetzt gehen.«
Shane wollte seine Golfsachen zusammenpacken, als ihn Meier unsanft am Arm packte und zu sich herumdrehte. »Einen Moment noch, Mr. O’Brien! Für alles gibt es mindestens zwei Standpunkte, Seiten, wenn Sie so wollen. Die Frage ist, auf welcher stehen Sie, oder besser gesagt, auf welcher werden Sie stehen? Was heute noch ein Spiel ist, könnte morgen schon Realität sein.« Ein schwer zu deutender Ausdruck trat auf Meiers Gesicht, als er sich zu Shane herüberbeugte und ihm ins Ohr flüsterte: »Sie wissen genauso gut wie ich, dass das derzeitige Machtgefüge im Wandel begriffen ist. Die Karten werden neu gemischt. Die falschen Leute zu verärgern könnte … gewagt sein, wenn Sie verstehen, was ich meine. Fassen Sie das bitte nicht als Drohung auf.«
»Keine Drohung, hm?«
Shane versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, doch unter der Oberfläche kochte er vor Wut. Am liebsten hätte er diesem hinterhältigen Schwein die Nase gebrochen, wenn nicht mindestens ein Dutzend Überwachungskameras auf sie gerichtet gewesen wären.
»Nehmen Sie Ihre Hände weg!«, zischte Shane. »Die Amerikaner haben für solche Situationen einen Grundsatz: Wir verhandeln nicht mit Terroristen! Guten Tag, Mr. Meier!« Für die Kameras setzte Shane ein breites Lächeln auf, packte jedoch im Verborgenen Meiers Daumen und drehte ihn herum, bis der Vorstandsvorsitzende leise quiekte. »Möge die Macht mit Ihnen sein!«
Wutschnaubend starrte Meier Shane hinterher, während dieser den Golfplatz verließ.
Was war das eben?, fragte sich Shane, als er außer Sicht war. Hatte der kleine Wicht gerade tatsächlich versucht, ihn zu erpressen? Shane konnte es einfach nicht glauben. Wie Meier selbst zugegeben hatte, war er, zumindest nach internationalen Maßstäben, nur eine unbedeutende Persönlichkeit. Die einzige Erklärung für sein Verhalten war, dass er von seinen Vorgesetzten angewiesen worden war, Shane unter Druck zu setzen. Denn denen war Shanes Einfluss auf die Wirtschaft und die Energiepolitik nur allzu sehr bewusst.
Für eine gute Sache zu kämpfen, bedeutete unweigerlich, sich mächtige Feinde zu machen – wie es augenblicklich aussah, sogar die gesamte Öl- und Atomindustrie. Aber niemand hatte gesagt, dass es einfach werden würde.
Kapitel 8
Gegen zwanzig Uhr öffneten sich die schweren Eichenholztüren des großen Speisesaals und gaben den Blick frei auf eine festlich gedeckte Tafel. Die Einzelheiten des Fünf-Gänge-Menüs, das von einem deutschen Sternekoch zubereitet wurde, konnten bereits vorab einer Karte entnommen werden. Der Hauptgang, Ente à l’orange, ließ Shanes Wut vom Nachmittag augenblicklich verfliegen. Das Leben war zu kurz, um sich über unangenehme Zeitgenossen zu ärgern. Das Einfachste war, ihnen einfach aus dem Weg zu gehen, und genau das hatte Shane vor. Magengeschwüre waren schon aus denkbar geringeren Anlässen entstanden und er wollte sein ohnehin schon immenses Glück nicht überstrapazieren.
Die Tafel im Saal war, wie bei einem festlichen Bankett nicht anders zu erwarten, entsprechend hergerichtet – weiße Tischtücher, Blumengestecke, edles Porzellan, Sitzkärtchen … Der Raum strahlte eine moderne, warme Atmosphäre aus, obwohl Shane sich des Eindrucks nicht erwehren konnte, ein Tagungszimmer zu betreten. Wenn hier künftig auch die Touristen speisen sollten, und der Größe des Saals nach zu urteilen, war das anzunehmen, dann würde sich noch einiges ändern müssen. Es fehlte das gewisse Etwas, der unvergleichbare Charme, mit dem gute Restaurants für gewöhnlich bestachen.
Allmählich fanden sich auch die anderen Gäste ein, und sobald alle am Tisch saßen, gingen Kellner mit Silbertabletts voller Aperitifs herum. Es wurde getrunken, Höflichkeiten ausgetauscht und Spekulationen über die Qualität des Essens angestellt.
Shane hielt sich zurück, nippte gelangweilt an seinem Glas und prostete, wenn es der Moment erforderte, anderen Gästen zu. In Gedanken war er jedoch immer noch bei der indirekten Drohung, die Meier vorhin ausgesprochen hatte. Etwas daran hatte ihn beunruhigt, und für sein Ego war das schwer zu schlucken, da er für gewöhnlich kein Mann war, der sich ohne Weiteres einschüchtern ließ. Aber die Art und Weise, wie Meier vom ›Machtgefüge‹ gesprochen hatte, hatte in Shane unangenehme Assoziationen geweckt. Man konnte allerdings auch etwas Gutes darin sehen: Seine Position war jetzt klar.
Als Estella Meinhard ihre Stimme erhob, um die Gäste beim Dinner willkommen zu heißen, kehrte Ruhe ein. Alle warteten nun gespannt auf die Vorspeise, ein Rucola-Salat mit Pinienkernen, Joghurt-Dressing und gehobeltem Parmesan. Die gefüllten Teller wurden verteilt, die Unterhaltungen wieder aufgenommen. Shane saß neben Lennard Frank und Mrs. Blinow. Frank war ein angenehmer Gesprächspartner, Mrs. Blinow dagegen recht wortkarg, weshalb er nicht befürchten musste, in hitzige Diskussionen hineingezogen zu werden.
Shane ließ sich Zeit, um den Salat zu genießen. Er mochte den herben Geschmack des Rucolas, und das Dressing war vorzüglich. Frank schien seinen Geschmack nicht zu teilen, er stocherte nur zaghaft mit seiner Gabel in den Blättern herum, während Mrs. Blinow wie ein wild gewordener Stier darüber herfiel. »Köstlich!«, ließ sie ungeniert verlauten. Wahrscheinlich gab es da, wo sie herkam, nichts als Rübensuppe und Kohl zu essen.
Nach einer Weile legte sich das Klappern des Bestecks, und Estella verschaffte sich erneut Gehör, indem sie mit der Messerspitze gegen ihr Weinglas tippte.
»Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben heute eines der Wunder unserer Mutter Natur kennengelernt – eine Oase in der Wüste. Ein Quell des Lebens in einer der lebensfeindlichsten Umgebungen überhaupt. Sie werden sich sicherlich gefragt haben, warum wir meinen, ausgerechnet hier eine Freizeitanalage für Touristen errichten zu müssen. Auf den ersten Blick mag es unlogisch und unrentabel erscheinen – doch hier bietet sich uns die einzigartige Möglichkeit, das Verhalten der Menschen gegenüber den natürlichen Energiequellen unseres Planeten grundlegend zu verändern. Denn bedenken Sie, dass natürliche, alternative Energiequellen oft nur da zu finden sind, wo, zumindest in den Augen unserer westlichen Zivilisation, extreme Lebensbedingungen vorherrschen. Zum Beispiel sind Sonnenkraftwerke nur dort wirklich rentabel, wo es eine sehr hohe Sonneneinstrahlung und eine damit verbundene unerträgliche Hitze gibt.



