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Um nicht nachlässig zu werden, konzentrierte er sich wieder auf seine Umgebung.
Die Boote schaukelten geräuschvoll auf und ab und die Möwen zogen tief ihre Kreise. Es würde Regen geben und sich abkühlen, denn der Wind hatte aufgefrischt und zerrte nun energisch an seiner Kleidung. Fast hätte es ihm den Hut vom Kopf geweht.
Ein alter Seemann vertäute brummend seinen Kahn, griff nach der Whiskyflasche, die neben ihm auf dem Boden stand, und nahm einen tiefen Schluck. Leicht torkelnd wankte er an Giacomo vorbei in Richtung Hafenmeister. Hoffentlich lichten ihn ein paar Touristen ab, dachte Giacomo schadenfroh.
Am Ende des Piers saß ein Mann mittleren Alters auf einer steinernen Bank. Er trug Anzug und Krawatte, weswegen Giacomo nicht daran zweifelte, dass es sich bei ihm um seine Kontaktperson handelte. Niemand sonst hätte bei diesem Wetter Schlips und Kragen getragen. Auffälliger ging es kaum, aber Giacomo ermahnte sich, sein Gegenüber trotzdem nicht zu unterschätzen.
Schweigend setzte er sich neben ihn, und musterte die ungewöhnlich helle Haut des Fremden. Wie abgemacht lehnte eine Angelrute an der Bank.
»Invan si pesca se l’amo non ha l’esca«, sagte Giacomo das vereinbarte Codewort auf, was so viel bedeutete wie: Man fischt umsonst, wenn der Angelhaken keinen Köder hat. Es war ein altes Sprichwort und deswegen unverfänglich.
»Quanto è vero«, antwortete der Fremde, wonach beide für einen Moment den Fischerbooten hinterher schauten, ehe sie sich einander zuwandten. Aus den Augenwinkeln bemerkte Giacomo einen weiteren Anzugträger, der nicht weit entfernt auf einem der Boote stand. Sie wurden beobachtet. Giacomo deutete mit einer leichten Kopfbewegung in die Richtung, und der Fremde nickte.
»Alles in Ordnung. Nicht hinter jeder Ecke lauert der Feind, Signore.«
Ungeniert winkten sich die beiden Anzugträger zu.
Giacomo ging nicht weiter darauf ein. »Sie haben einen Auftrag für mich?«
»Nana, immer mit der Ruhe, Signor Salvadore!« Ein aufgesetztes Lächeln entblößte makellose Zähne von einem Weiß, das an poliertes Elfenbein erinnerte. »Ich werde Ihnen keine Mappe mit rot eingerahmten Photographien überreichen, und dann war’s das.« Der Mittelsmann schien äußerst belustigt. »Wenn Sie für uns arbeiten wollen, werden Sie Ihren eifrigen Abzugsfinger für eine Weile bandagieren müssen, fürchte ich.«
In diesem Augenblick begriff Giacomo, dass er es tatsächlich ganz nach oben geschafft hatte. Der Mann, mit dem er verhandelte, war nicht irgendein Lakai, sondern eine einflussreiche Persönlichkeit. Wie bedeutsam diejenigen sein mochten, die ihn geschickt hatten, konnte er nur erahnen.
Von nun an durfte er sich jedenfalls keine Fehler mehr erlauben, ansonsten würde man ihn am nächsten Tag aufgedunsen aus dem Hafenbecken fischen. Normalerweise wähnte er sich gegenüber seinen Auftraggebern im Vorteil, diese Selbstsicherheit war ihm jedoch mit wenigen Sätzen genommen worden. Der Fremde hatte Giacomo auf subtile Art deutlich gemacht, dass er nicht nur unbedeutend, sondern auch entbehrlich war. Das hatte er nicht erwartet, er war es gewohnt, gebeten zu werden, wenn jemand seine Dienste in Anspruch nehmen wollte, er war nämlich kein Killer von der Sorte, die sich für keinen Auftrag zu schade waren.
»Signor Salvadore, man sagte mir, Ihre Erfolgsquote läge bei einhundert Prozent. Kann ich mich darauf verlassen, dass dies zutreffend ist? Sie müssen wissen, ich persönlich habe Sie vorgeschlagen; es hängt also viel davon ab, ob mein Vertrauen in Sie gerechtfertigt war.«
»Wenn ich mir Misserfolge oder Ungenauigkeiten erlauben würde, dann würde ich jetzt nicht hier sitzen. Ich kann Ihnen versichern, meine Motivation ist das Geld, keine Religion oder pseudo-esoterische Scheiße. Ich hoffe, dies beantwortet Ihre Frage klar und deutlich.«
Giacomo lehnte sich zurück. Alles was er gesagt hatte, entsprach der Wahrheit. Er hatte nichts zu befürchten.
»Genau das wollte ich hören.« Der Fremde taxierte ihn mit seinen strahlend blauen Augen. »Wenn Sie dabei sein wollen, brauche ich jetzt eine verbindliche Zusage. Danach gibt es kein Zurück mehr. Bedingungslose Loyalität setzen wir voraus. Wenden Sie sich gegen uns oder gefährden Sie in irgendeiner Weise die Operation, werden Sie eliminiert. Schließen Sie den Auftrag erfolgreich ab, erhalten Sie das Geld. Ein Vorschuss ist verhandelbar.«
»Wie viel?«, fragte Giacomo kühl. Stimmte die Summe, würde er ohne zu zögern einschlagen, denn er zweifelte nicht daran, dass eine Ablehnung seinen sofortigen Tod zur Folge haben würde. Mitwisser waren in diesem Metier unerwünscht, und Fehler wurden nicht toleriert. Man konnte sich bis zu einem gewissen Grad absichern, aber letztendlich stand man alleine da – gegen ein ganzes Netz von Auftragskillern.
Erfreulicherweise gab es selbst unter den brutalsten Auftragsmördern eine Art Ehrenkodex: Deal blieb Deal! Die Ehre spielte in der organisierten Kriminalität eine große Rolle. Giacomo musste unwillkürlich an Francis Ford Coppolas Mafiastreifen ›Der Pate‹ denken: Wie viel Wahrheit doch in dem alten Film steckte!
»Zehn Millionen, drei als Vorschuss. Jedes Teammitglied erhält dieselbe Summe.«
»Ich arbeite aus Prinzip nicht mit anderen zusammen.«
»Ihre Prinzipien gehen mir am Arsch vorbei, Mann.« Das künstliche Lächeln war einer steinernen Maske gewichen. »Die Mission ist für vier Personen ausgelegt. Finden Sie sich damit ab, oder gehen Sie. Ihre Antwort?«
Giacomo ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Das gehörte zum Spiel. Er bereute nur, die Zigarettenschachtel weggeworfen zu haben. »Einverstanden.«
Das breite Lächeln kehrte zurück. »Ich wusste, dass Sie die richtige Entscheidung treffen würden. Sie sind engagiert, Señor Salvadore. Wenn Sie mir bitte folgen würden.«
Leichtfüßig sprang der Fremde auf das Boot. Dem Stewart gab er ein Handzeichen, und mit dröhnendem Motor verließen sie das Hafenbecken und steuerten hinaus aufs offene Meer.
***
Das kleine Motorboot verfügte zwar über eine Kajüte, doch Giacomo hatte darum gebeten, an Deck bleiben zu dürfen. Über ihm leuchteten die Sterne mit einer Intensität, die er seit seiner Kindheit nicht mehr erlebt hatte. Jede Minute, die er unter Deck verbracht hätte, wäre Verschwendung gewesen.
Insgesamt befanden sich fünf Mann an Bord: Der Fremde, der sich in der Zwischenzeit als Phillip Scholz vorgestellt hatte, drei namenlose Wachposten sowie er selbst. Die See hatte sich beruhigt, weshalb sie schnell vorankamen. Mit einer Geschwindigkeit von mindestens zwanzig Knoten jagten sie über die leicht wogende Wasseroberfläche. In der Ferne tauchten mehrere Inseln auf. Giacomo spähte angestrengt in die relative Dunkelheit, bis er die einzelnen Konturen klar voneinander abgrenzen konnte.
»Wir sind bald da«, stellte Scholz überflüssigerweise fest.
Als Gesprächspartner war er denkbar ungeeignet, wenn nicht sogar unangenehm. Nach mehreren Versuchen, etwas aus ihm herauszuquetschen, hatte Giacomo aufgegeben und sich mit der Tatsache abgefunden, dass er gegen eine Wand redete.
Er hoffte nur, dass die hinter Scholz stehenden Aufraggeber großzügiger mit ihren Informationen waren. Wenn er eines hasste, dann waren es schlecht abgeklärte Missionen. Um ein perfektes Ergebnis garantieren zu können, benötigte er alle Informationen, die er kriegen konnte, nur so ließen sich Fehlkalkulationen und Fehlentscheidungen noch im Vorfeld verhindern. Allerdings schienen die Drahtzieher alles andere als Anfänger zu sein, darum vertraute er ihnen. Vorerst.
Am Ufer der ersten Insel tauchte eine nicht unbedeutende Anlegestelle auf, an deren Seiten weitere Bote vertäut lagen. Bullige Wachposten in schwarzen T-Shirts patrouillierten bewaffnet mit Maschinenpistolen davor auf und ab. Im Giebel des Bootschuppens brannte eine einsame Glühbirne, ansonsten gab es keine erkennbaren Lichtquellen. Nur die auf einer Anhöhe erbaute Villa strahlte noch etwas Licht ab.
Giacomo meinte, die meisten Mafiaverstecke zu kennen, doch diese Insel war ihm nicht vertraut. Entweder gehörte sie einem eher unbedeutenden Mafiosi, oder er hatte die Ausmaße der Organisation unter- und seine Rolle darin überschätzt.
»Aussteigen!«, befahl einer der muskelbepackten Bodyguards mit russischem Akzent.
»Nana, Signor Salvadore ist unser Gast. Wo bleibt dein Benehmen, Gregor? Als neulich die nette Signorina zu Besuch war, hast du doch auch geschnurrt wie ein Kätzchen«, spottete Scholz.
Giacomo deutete einen übertriebenen Knicks an, der selbst den finsteren Gregor zum Lachen brachte. Kriminelle verfügten über einen ausgeprägten Humor. Nicht selten diente ein qualvoller Akt, den die Polizei gemeinhin als Mord bezeichnete, zur humoristischen Erquickung mancher Mafiabosse. Giacomo war stets darauf bedacht, nicht zu einem jener Vergnügen zu werden.
Die Villa war beeindruckend, mehrstöckig und von einer Eleganz vergangener Tage. Die mit Terrakotta geflieste offene Veranda besaß die Größe eines Basketballfeldes samt Schiedsrichtertribüne. Der Ausblick aufs Mittelmeer war ungetrübt, kein einziger Baum befand sich im Sichtfeld. Die Landschaft war geprägt von Zypressen, hohen Gräsern und Kakteen, die zwischen Steinansammlungen wuchsen. Eine Idylle inmitten des Ozeans. Unten hörte man die Wellen im vorgegebenen Takt der Natur gegen das steinige Ufer klatschen.
Irgendwann, wenn die Zeit gekommen war, würde sich Giacomo an einem solchen idyllischen Ort zur Ruhe setzen. Dann würde er einegenau zwischen sich und Villa erbauen, noch imposanter und luxuriöser als diese hier. Er würde eine nette Frau finden und mit ihr gemeinsam seinen Lebensabend verbringen. Bis jetzt war es nur eine schöne Vorstellung, doch der neue Auftrag und die unfassbar hohe Bezahlung konnten seine Zukunftsträume Wirklichkeit werden lassen. Wenn alles glatt lief, konnte er sich danach ein für alle Mal aus dem Geschäft zurückziehen. Er hätte ausgesorgt.
Nur mit Mühe gelang es ihm, aus der Traumwelt in die Realität zurückzufinden. Vor ihm lag der wohl mit Abstand schwierigste Auftrag seines Lebens. Die Zukunft war noch nicht geschrieben, alles war möglich. Der Erfolg könnte ausbleiben, die Auftraggeber nicht zahlen. Schon so manches Mal war es ihm nur unter Einsatz gewisser Druckmittel gelungen, sein Honorar einzutreiben.
Im ersten Stock brannte helles Licht, während das Erdgeschoss weitestgehend im Halbschatten lag. Scholz führte ihn durch die Terrassentür. Drinnen präsentierte sich ihm ein überaus geräumiges Wohnzimmer mitsamt angrenzendem Essbereich. Die Möbel – gleich mehrere Sofas, Sessel, Tische und Schränke – waren aus den teuersten Materialien gefertigt. Das Material der Bücherschränke erkannte Giacomo als westindisches Satinholz.
Die Villa war ein regelrechter Stützpunkt, und Giacomo schloss nicht aus, dass sie eigens für diese Mission erbaut worden war, denn sie war noch nicht von dem rankenden Wein befallen, der überall an den kleineren Gebäuden nahe des Anlegestegs emporspross. Die Anordnung und Planung der Räumlichkeiten erinnerte ihn an eine Militärkaserne. Alles war so angelegt, dass eine reibungslose Missionsplanung gewährleistet war. Allmählich gefiel es ihm.
»Ich wurde ermächtigt, Sie auf Ihr Zimmer zu führen.« Scholz war für einen Augenblick verschwunden gewesen und hatte Giacomo staunend zurückgelassen, nun stand er wieder vor ihm. »Wenn Sie möchten, können Sie vorher noch eine Mahlzeit in der Küche einnehmen. Alle weiteren Erklärungen folgen morgen.«
Giacomo lehnte ab, Hunger verspürte er keinen. Scholz geleitete ihn über einen Korridor zu seinem Zimmer mit der Nummer 17.
»Ich wünsche ein angenehme Nachtruhe.« Mit diesen Worten verschwand er und ließ Giacomo alleine zurück. Warum schloss man ihn nicht ein? fragte er sich. Die Antwort waren in die Tür eingelassene Bewegungsmelder, die sofort anschlagen würden, sollte er den Raum verlassen – sie auszutricksen war ohne technische Hilfsmittel so gut wie unmöglich.
Sein Quartier war stilvoll eingerichtet und verfügte neben einem großen Himmelbett über einen 3D-Fernseher sowie einen begehbaren Kleiderschrank, in dem sich eine komplette Herrengarderobe einschließlich Schuhe befand.
Im Badezimmer wusch sich Giacomo das Gesicht unter kaltem Wasser. Plötzlich kamen ihm erste Zweifel, ob seine Entscheidung richtig gewesen war. Die Villa war beeindruckend und der erste Eindruck bestätigte die Professionalität der Auftraggeber, doch konnte er eine unterschwellige Besorgnis nicht mehr leugnen. Alles schien eine Spur zu groß für ihn zu sein. Mit welchen Leuten hatte er sich da nur eingelassen, und worum mochte es bei dem Auftrag gehen? Früher hatte er nie darüber nachgedacht und alles so hingenommen, wie es war. Damals hatte er rundliche Firmenchefs von gegenüberliegenden Parkdecks mit einem Scharfschützengewehr ausgeschaltet oder Industriespionage betrieben. Mit einer derart einfachen Tätigkeit konnte er in diesem Fall wohl kaum rechnen.
Im Schlafzimmer stellte er sich breitbeinig vor das Panoramafenster und genoss den Ausblick. Er war hier, daran konnte er nun nichts mehr ändern. Bald schon würde die Sonne aufgehen, Zeit zum Schlafen. Ohne sich auch nur die Mühe zu machen, aus seinen Klamotten zu schlüpfen, legte er sich aufs Bett und schlief sofort ein. Ein Segen, der ihm nie verwehrt blieb.
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