Beschäftigte im Öffentlichen Dienst II

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Für den Arbeitgeber dürfte die Durchsetzung seiner Rechte allerdings vielfach mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein, da ihn die Beweislast trifft, den konkreten Pflichtverstoß nachzuweisen.
13.Ausschluss von Doppelansprüchen
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Nach § 6 Abs. 1 BUrlG besteht der Anspruch auf Urlaub nicht, soweit dem Arbeitnehmer für das laufende Kalenderjahr bereits von einem früheren Arbeitgeber Urlaub gewährt worden ist.
Damit dient die Vorschrift der Vermeidung von Doppelurlaubsansprüchen. Der Beschäftigte soll nicht bei einem früheren Arbeitgeber den gesamten Jahresurlaub bereits in Anspruch genommen haben können, um sodann nach einem Arbeitsplatzwechsel gegenüber dem neuen Arbeitgeber für das laufende Kalenderjahr erneut Urlaubsansprüche geltend machen zu können.
Beispiel
Ein beim Arbeitgeber I. beschäftigter Arbeitnehmer scheidet zum 30.6.2021 aus dem Arbeitsverhältnis aus. Er hatte bereits 30 Tage Erholungsurlaub für das Kalenderjahr 2021 bis zu seinem Ausscheiden in Anspruch genommen. Von seinem neuen Arbeitgeber II., bei dem er seine Arbeit am 1.7.2021 aufnimmt, erwirbt er für das laufende Kalenderjahr 2021 keine neuen Urlaubsansprüche mehr.
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§ 6 BUrlG betrifft ausschließlich die Rechtsbeziehung zu dem neuen Arbeitgeber, wobei unerheblich ist, ob sich das neue Beschäftigungsverhältnis zeitlich unmittelbar an das frühere anschließt. War der Beschäftigte etwa zwischen den beiden Beschäftigungsverhältnissen zwei Monate arbeitslos, steht dies der Anwendung des § 6 BUrlG nicht entgegen.
§ 6 BUrlG findet auch dann für den neuen Arbeitgeber Anwendung, wenn dieser mit dem früheren Arbeitgeber identisch ist, so beispielsweise bei einem zuvor befristeten Arbeitsverhältnis, dem sich nach vierwöchiger Unterbrechung ein weiteres befristetes Arbeitsverhältnis anschließt.
Wechselt ein Beschäftigter mehrfach innerhalb des laufenden Kalenderjahres den Arbeitsplatz, so kann sich der neue Arbeitgeber stets nur gegenüber dem vorherigen und nicht allen vorherigen Arbeitgebern gegenüber auf § 6 BUrlG berufen.
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Die Regelung des § 6 BUrlG erfasst regelmäßig nicht nur den gesetzlichen Mindesturlaub. Vielmehr geht die Rechtsprechung davon aus, dass – soweit es an einer einzel- oder kollektivrechtlich anderslautenden Regelung fehlt – § 6 BUrlG auch für den über den gesetzlich vorgesehenen Urlaub hinausgehenden tarifrechtlichen Jahresurlaub anwendbar ist.
Beispiel
Ein in der 5-Tage-Woche arbeitender Tarifbeschäftigter scheidet am 30.6.2020 aus dem Dienst des Landesuntersuchungsamtes mit Sitz in Koblenz aus. Bis zu seinem Ausscheiden hat er bereits 18 Tage Erholungsurlaub genommen. Am 1.7.2020 nimmt er seine neue Tätigkeit im BMVg auf.
Gegen den früheren Arbeitgeber hat der Beschäftigte einen Anspruch auf 15 Tage Urlaub erworben (6/12 von 30 Tagen, folglich 15 Tage).
Gegenüber dem neuen Arbeitgeber hat er daher nicht nochmals einen Anspruch von 15 Tagen (6/12 von 30 Tagen, folglich 15 Tage); vielmehr muss er sich drei Tage in Ansatz bringen lassen. Es besteht daher lediglich ein Anspruch auf 12 Tage Erholungsurlaub.
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Hat der frühere Arbeitgeber einen höheren Urlaubsanspruch gewährt als der neue Arbeitgeber, so ist dies im Rahmen der Urlaubsberechnung gegenüber dem Folgearbeitsverhältnis zu berücksichtigen:
Beispiel
Ein in der 5-Tage-Woche arbeitender Tarifbeschäftigter scheidet zum 31.3.2021 aus seinem früheren Arbeitsverhältnis aus und wechselt in die Privatwirtschaft ebenfalls in eine 5-Tage-Woche. Dort beträgt der Jahresurlaubsanspruch 26 Arbeitstage.
Hat der Beschäftigte bereits beim früheren Arbeitgeber seinen gesamten Jahresurlaub genommen, so kann er gegenüber dem neuen Arbeitgeber im laufenden Kalenderjahr keinen Urlaub mehr beanspruchen.
Abwandlung:
Hat der frühere Arbeitgeber vor dem Ausscheiden des Beschäftigten den anteiligen Jahresurlaubsanspruch von 8 Tagen gewährt (3/12 von 30 Arbeitstagen, folglich 7,5 Tage, gerundet 8 Tage), steht dem Beschäftigten im neuen Arbeitsverhältnis ein anteiliger Urlaub von 20 Arbeitstagen zu (9/12 von 26 Arbeitstagen, folglich 19,5 Tage, gerundet 20 Tage). Dieser vertragliche Anspruch ist identisch mit dem gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch nach § 3 Abs. 1 BUrlG. Auf § 6 BUrlG kommt es insoweit nicht mehr an. Da der Beschäftigte in beiden Arbeitsverhältnissen seine anteiligen Urlaubsansprüche erhalten hat, liegen insoweit auch keine Doppelansprüche vor. Demzufolge erfolgt keine Anrechnung des zuerst in Anspruch genommenen Urlaubs.
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Hat der frühere Arbeitgeber einen niedrigeren Urlaubsanspruch gewährt als der neue Arbeitgeber, hat sich der Vergleichsmaßstab an dem höheren Urlaubsanspruch zu orientieren.
Beispiel
Ein Arbeitnehmer mit einem Urlaubsanspruch von 24 Arbeitstagen scheidet zum 31.8.2020 aus seinem früheren Arbeitsverhältnis aus und wechselt unmittelbar in den öffentlichen Dienst, wo sein Jahresurlaubsanspruch nunmehr 30 Arbeitstage beträgt.
Der Arbeitnehmer hat bereits seinen vollen Jahresurlaubsanspruch beim früheren Arbeitgeber erhalten. Im neuen Beschäftigungsverhältnis entsteht ein Anspruch von 10 Tagen (4/12 von 30 Arbeitstagen, folglich 10 Tage). Der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch nach § 5 Abs. 1 a BUrlG beträgt für diesen Zeitraum hingegen nur 7 Tage (4/12 von 20 Arbeitstagen, folglich 6,7 Tage, gerundet 7 Tage).
Zu einer Überschneidung des Vollurlaubsanspruchs aus dem früheren Arbeitsverhältnis und dem Teilurlaubsanspruch kommt es für den Zeitraum September bis Dezember. Von dem früheren Arbeitgeber betrug der anteilige Urlaubsanspruch 8 Tage (4/12 von 24 Arbeitstagen, folglich 8 Tage). Im neuen Arbeitsverhältnis steht dem Beschäftigten für den Überschneidungszeitraum aufgrund des höheren Grundanspruchs aber auch ein höherer Teilurlaubsanspruch von 10 Tagen zu. Dieser ist mit dem aus dem früheren Arbeitsverhältnis entstandenen Urlaubsanspruch gegenzurechnen, so dass sich eine Differenz von 2 Tagen ergibt. Der Jahresurlaubsanspruch beträgt daher insgesamt 26 Arbeitstage (24 Tage aus dem früheren Arbeitsverhältnis und 2 Arbeitstage aus dem Folgearbeitsverhältnis).
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Unberührt von der Regelung des § 6 BUrlG bleibt das Verhältnis des Beschäftigten zum früheren Arbeitgeber.
Hat der Arbeitgeber etwa bereits zu Jahresbeginn den gesamten Jahresurlaubsanspruch dem Arbeitnehmer gewährt und scheidet dieser im Verlauf des Jahres, beispielsweise im Mai aus dem Arbeitsverhältnis aus, kann der frühere Arbeitgeber keine Ansprüche hieraus an den Beschäftigten richten.
Achtung
Ein Ausgleich – insbesondere monetärer Art – zwischen dem früheren und dem neuen Arbeitgeber ist vom Gesetz nicht vorgesehen.
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Ist im früheren Arbeitsverhältnis der Urlaub hingegen angemessen anteilig gewährt oder abgegolten worden, entsteht ein neuer Urlaubsanspruch entsprechend den Vorgaben für das neue Arbeitsverhältnis. § 6 BUrlG bedarf es insoweit nicht. Der Beschäftigte ist daher nicht berechtigt, auf das frühere Arbeitsverhältnis Bezug zu nehmen und sich nicht erfüllte Tage auf das neue Arbeitsverhältnis anrechnen zu lassen.
§ 6 BUrlG ist auch nicht einschlägig, soweit es um Resturlaubsansprüche aus dem Vorjahr geht. Die Regelung nennt ausschließlich das laufende Kalenderjahr als maßgeblichen Zeitraum und schließt nur insoweit Doppelansprüche aus.
Gleiches gilt, soweit der Beschäftigte parallel mehreren Teilzeitbeschäftigungen nachgeht. Während solcher Mehrfacharbeitsverhältnisse entstehen vielmehr gegenüber jedem Arbeitgeber gesonderte, voneinander unabhängige Urlaubsansprüche.
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Um Doppelansprüche zu vermeiden, heißt es in § 6 Abs. 2 BUrlG, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer eine Bescheinigung über den im laufenden Kalenderjahr gewährten oder abgegoltenen Urlaub auszuhändigen.
Die Praxis zeigt jedoch nicht selten, dass der neue Arbeitgeber von der Anrechnungsmöglichkeit keinen Gebrauch macht und die entsprechende Bescheinigung entweder erst gar nicht ausgestellt oder nicht an den neuen Arbeitgeber weitergereicht wurde oder aber die Bescheinigung dort unberücksichtigt bleibt.
a)Regelfall
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Der Regelfall des Zeitraums der Inanspruchnahme ist in § 7 Abs. 3 BUrlG klar normiert: Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. In diesem Fall muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden.
Demgegenüber weicht § 26 Abs. 2 a) TVöD in zulässiger Weise zugunsten des Beschäftigten davon ab, indem er festlegt, dass im Falle der Übertragung der Erholungsurlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten werden muss. Kann der Erholungsurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März angetreten werden, ist er bis zum 31. Mai anzutreten.
Aufgrund BMI-Rundschreiben wird jedoch auf die jeweils geltende Fassung des § 7 S. 1 und 2 EUrlV Bezug genommen, um für alle Bediensteten des Bundes – Arbeitnehmer wie Beamte – eine einheitliche Behandlung herbeizuführen. Danach wird die Frist, in der alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Erholungsurlaub im Folgejahr noch abwickeln können, von neun auf zwölf Monate verlängert. Weiterhin besteht aber der Grundsatz, dass Erholungsurlaub im Urlaubsjahr genommen werden soll.
Im Gegensatz zu § 26 Abs. 2 a TVöD fordert § 7 EUrlV hinsichtlich der Übertragungsmöglichkeit bis zum 31. Dezember des Folgejahres keine weiteren Voraussetzungen. Um von der Soll-Regelung, den Urlaub im laufenden Kalenderjahr in Anspruch zu nehmen, abweichen zu können, bedarf es nunmehr lediglich vernünftiger, objektiv nachvollziehbarer Gründe. Im Einzelnen können dies sowohl betriebliche als auch persönliche Gründe sein.
§ 7 S. 2 EUrlV stellt eine materielle Ausschlussfrist dar. Dies bedeutet, dass der Urlaubsanspruch nach Fristablauf automatisch verfällt.
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Der EuGH hatte mit seiner Entscheidung Schultz-Hoff[17] aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des LAG Düsseldorf zunächst erkannt, dass der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch nicht nach § 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG befristet sei, wenn der Arbeitnehmer dauerhaft arbeitsunfähig ist. Zwar verfalle der Mindesturlaubsanspruch, wenn der Arbeitnehmer die tatsächliche Möglichkeit gehabt habe, den ihm verliehenen Urlaubsanspruch auszuüben. Jedoch gewährleiste Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG den Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums oder eines Teils davon arbeitsunfähig erkrankt war. Hat der Arbeitnehmer nicht die Möglichkeit, den ihm verliehenen Urlaubsanspruch geltend zu machen, sollte dieser auch nicht verfallen können. Dieser Ansicht folgend, kam das BAG mit seiner Folgeentscheidung zu dem Ergebnis, dass gesetzliche Mindesturlaubsansprüche bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht erlöschen konnten.
Gleiches sollte für den Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen nach § 208 SGB IX gelten, da dieser mit dem rechtlichen Schicksal des Mindesturlaubs eng verwoben ist.
Damit einher prasselte ein Sturm der Kritik auf den EuGH herab, da bei jahrelangen Krankheitszeiträumen immense Urlaubsansprüche angesammelt werden würden.
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Das LAG Hamm hatte in Anbetracht dieser Problematik daraufhin dem EuGH zur Vorabentscheidung die Frage vorgelegt, ob die in Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 24.6.1970 für den Verfall von Urlaub normierte zeitliche Schranke von 18 Monaten als absolute zeitliche Obergrenze zu verstehen sei und Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie daher eingeschränkt auszulegen sei. Krankheitsbedingt angesammelter Urlaub könnte infolgedessen nicht länger als 18 Monate angehäuft werden, mit der Folge, dass er danach verfalle.
Zugrunde lag dem Vorabentscheidungsersuchen die Auseinandersetzung des Arbeitnehmers Schulte mit seiner Arbeitgeberin, der KHS AG. Herr Schulte erlitt 2002 einen Infarkt, infolgedessen er schwerbehindert war und arbeitsunfähig erkrankt war. Bis zu seinem Ausscheiden aus dem Betrieb im August 2008 bezog er eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Dem Arbeitsvertrag lag ein Tarifvertrag zugrunde, wonach der Urlaubsanspruch drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres erlosch, es sei denn, dass er erfolglos geltend gemacht wurde oder dass Urlaub aus betrieblichen Gründen nicht genommen werden konnte.
Konnte der Urlaub wegen Krankheit nicht genommen werden, erlosch der Urlaubsanspruch 12 Monate nach Ablauf des zuvor genannten Zeitraums.
Der EuGH[18] hat zunächst festgestellt, dass das Unionsrecht einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die den Verlust des Urlaubsanspruchs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraumes umfasst.
Tatsächlich soll der Arbeitnehmer jedoch die Möglichkeit gehabt haben müssen, den Urlaubsanspruch auch wahrzunehmen. Ein Arbeitnehmer, der während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähig ist, sei berechtigt, unbegrenzt alle während des Zeitraums seiner Abwesenheit von der Arbeit erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln. Da der EuGH jedoch erkannt hat, dass seine vorhergehende Entscheidung über das Ziel hinausgeschossen war, hat er seine Auffassung „nuanciert“, sprich in Teilen zurückgenommen.
Nach Ansicht des Gerichts soll nunmehr eine Grenze da erreicht sein, wo der Zweck des Urlaubs nach Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG nicht mehr erreicht werden kann, der darin besteht, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zum einen von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und zum anderen über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen.
Die Ruhezeit verliere zunehmend ihre Bedeutung, je später sie genommen werde. Überschreite der Übertrag eine gewisse zeitliche Grenze, so fehle die positive Wirkung für den Arbeitnehmer im Hinblick auf den in der Erholungszeit bestehenden Zweck; erhalten bleibe lediglich der Zweck hinsichtlich des Zeitraums für Entspannung und Freizeit.
In Anbetracht dessen soll der der Entscheidung zugrunde liegende tarifvertragliche 15-monatige Übertragungszeitraum angemessen sein, so dass hiernach der Anspruch auf Urlaub erlischt.
Darüber hinaus hat der EuGH darauf hingewiesen, dass Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation, der eine 18-monatige Obergrenze enthält, so aufgefasst werden kann, dass er „auf der Erwägung beruht, dass der Zweck der Urlaubsansprüche bei Ablauf der dort vorgesehenen Fristen nicht mehr vollständig erreicht werden kann“.
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Das BMI hat sodann unter Bezugnahme auf die EuGH-Entscheidung per Rundschreiben zum gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch bestimmt, dass die zuvor festgelegte Übertragungsmöglichkeit von Urlaubsansprüchen bis zum 31.12. des Folgejahres den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch nicht einschränken kann. Deshalb soll für den gesetzlichen Mindesturlaub, der wegen Arbeitsunfähigkeit nicht genommen werden kann, die Übertragungsfrist auf 15 Monate verlängert werden. Damit hat das BMI gleichwohl die Verfallsfrist, die ansonsten 18 Monate betragen hätte, geschickt zumindest auf 15 Monate begrenzt.
Beispiel
Ein Arbeitnehmer erhält aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung einen jährlichen Erholungsurlaub von 20 Tagen. Ab dem 1.6.2019 erkrankt er durchgehend bis zum 26.10.2021. Nach seiner Rückkehr an den Arbeitsplatz stehen ihm folgende Urlaubsansprüche zu:
Aus 2019 zunächst 20 Tage, die nach 15 Monaten, d.h. mit Ablauf des 31.3.2021 verfallen sind.
Aus 2020 ebenfalls 20 Tage, die am 26.10.2021 noch nicht verfallen sind sowie aus 2021 ebenfalls 20 Tage. Es ergibt sich ein Gesamturlaubsanspruch von 40 Tagen.
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Der EuGH konnte indes nur eine Entscheidung hinsichtlich des Mindesturlaubs treffen. Der darüberhinausgehende Mehrurlaub kann hiervon eigenständigen und abweichenden Regelungen unterworfen sein. Damit kann der tarifliche Mehrurlaub bei krankheitsbedingter Abwesenheit des Beschäftigten auch weiterhin mit Ablauf des 31.12. des Folgejahres, nach 12 Monaten, verfallen.
Es ist somit hinsichtlich des Verfalls von Urlaubsansprüchen stets zwischen dem Mindest- und dem Mehrurlaub zu differenzieren.

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Das BAG[19] hat sich der Auffassung des BMI nicht verschlossen und die 15-Monats-Frist im Geltungsbereich des TVöD hinsichtlich des gesetzlichen Mindesturlaubs angewandt. Streitig war der Fall, in welchem im Anschluss an die Arbeitsunfähigkeit das Arbeitsverhältnis wegen Gewährung einer Rente auf Zeit nach § 33 Abs. 2 S. 5, 6 TVöD ruht. Insoweit wurden die gesetzlichen Mindesturlaubsansprüche auch im ruhenden Arbeitsverhältnis anerkannt. Die darüber hinausgehenden tariflichen Urlaubsansprüche konnten mittels § 33 TVöD ausgeschlossen werden.
Beispiel
Ein vollzeitbeschäftigter Tarifbeschäftigter erleidet am 15.5.2018 einen Herzinfarkt. Ab dem 1.11.2020 bezieht er eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung. Das Arbeitsverhältnis wird zum 30.9.2021 beendet.
2018: Der Beschäftigte erwirbt 30 Urlaubstage. Aufgrund der dauernden Arbeitsunfähigkeit verfällt der Mindesturlaub von 20 Tagen nicht zum 31.12.2019, sondern erst mit Ablauf des 31.3.2020.
Der Mehrurlaub verfällt zum 31.12.2019.
2019: Der Mindesturlaub verfällt zum 31.3.2021.
Der Mehrurlaub verfällt zum 31.12.2020.
2020: Der Mindesturlaub von 20 Tagen ist nach dem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis 1.10.2021 nicht verfallen.
Da der Beschäftigte ab dem 1.11.2020 eine Rente auf Zeit bezieht, steht ihm nur bis zu diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Mehrurlaub zu, 10/12 × 10 Tage, folglich 8,33 Tage, gerundet 8 Tage. Diese sind ebenfalls noch nicht verfallen.
2021: Dem Beschäftigten steht der volle gesetzliche Mindesturlaub von 20 Tagen zu, da er die Wartezeit erfüllt und nicht in der ersten Kalenderjahreshälfte ausgeschieden ist.
Aufgrund der tariflichen Kürzungsregelung erhält er während der Rente auf Zeit keinen tariflichen Mehrurlaub.
Ergebnis: Der Beschäftigte hat einen nicht verfallenen Urlaubsanspruch i.H.v. insgesamt 48 Tagen.
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Zugleich wurde seitens des BAG die Frage der Anspruchskonkurrenz hinsichtlich der Tilgung von gesetzlichen und tariflichen Urlaubsansprüchen geklärt: Treffen gesetzlicher und tariflicher Urlaub zusammen, so handelt es sich um einen einheitlichen Anspruch, der lediglich auf verschiedenen Anspruchsgrundlagen beruht, nicht jedoch um selbstständige Ansprüche. Werden Urlaubsansprüche getilgt, so wird sowohl der gesetzliche als auch der tarifliche Anspruch erfüllt, jedoch nur soweit beide deckungsgleich sind. Besteht beispielsweise ein Gesamturlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen pro Kalenderjahr, so sind die ersten 20 in Anspruch genommenen Urlaubstage sowohl auf den Mindest- als auch auf den Mehrurlaub anzurechnen. Die weiteren 10 Tage sind hingegen lediglich dem tariflichen Mehrurlaubsanspruch zuzuordnen.
Treffen Ansprüche aus mehreren Kalenderjahren zusammen, so ist vorrangig der ältere Anspruch zu gewähren.
Beispiel
Ein in Vollzeit Tarifbeschäftigter erkrankt am 17.6.2019 schwer bis zum 2.3.2021. Im Kalenderjahr hatte er vor seiner Erkrankung bereits 10 Tage Erholungsurlaub in Anspruch genommen.
Aus dem Kalenderjahr 2019 besteht noch ein Resturlaubsanspruch von 20 Tagen. Da bei der Inanspruchnahme die bereits genommenen 10 Tage sowohl in Bezug auf den Mindest- wie auch auf den Mehrurlaub in Ansatz zu bringen sind, besteht nach Rückkehr am 3.3.2021 kein Anspruch mehr auf den Mehrurlaub, dieser verfällt am 1.1.2021.
Somit hat der Tarifbeschäftigte aus dem Kalenderjahr 2019 noch einen Resturlaubsanspruch von 10 Tagen. Dieser Anspruch ist vorrangig gegenüber Urlaubsansprüchen aus 2020 und 2021 abzubauen.
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Das BAG[20] hat nunmehr unter Umsetzung der Vorgaben des EuGH[21] in einem Grundsatzurteil entschieden, dass der bezahlte Jahresurlaub in der Regel nur dann erlischt, wenn der Arbeitgeber zuvor über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallsfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat, so im Falle eines Wissenschaftlers der Max-Planck-Gesellschaft, der im Oktober erfuhr, dass sein Arbeitsvertrag nicht verlängert wird und er noch 53 offene Urlaubstage hat.
Zwar zwinge § 7 Abs. 1 BUrlG den Arbeitgeber nicht, dem Arbeitnehmer von sich aus Urlaub zu gewähren. Allerdings obliege ihm die Initiativlast für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Der Arbeitgeber sei gehalten, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage sei, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn auffordere, dies zu tun. Der Arbeitgeber habe klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass der konkret ermittelte Urlaub am Ende des Bezugszeitraums verfallen werde, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht nehme.
Bei richtlinienkonformer Auslegung des § 7 BUrlG könne der Verfall daher regelmäßig nur eintreten, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert habe, den Urlaub zu nehmen, und ihn klar und rechtzeitig hingewiesen habe, dass der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des Übertragungszeitraums erlösche.
Das BAG hat indes offengelassen, bis wann der Arbeitgeber im laufenden Urlaubsjahr die Aufforderung abgegeben haben muss. Da der Monat Oktober vom BAG als nicht mehr rechtzeitig betrachtet wurde, empfiehlt es sich dringend, bis spätestens zum Sommer, besser noch Anfang des Kalenderjahres eine entsprechende persönliche Mitteilung dem Arbeitnehmer zu übermitteln und damit dieser Initiativlast nachzukommen.
Achtung
Der Arbeitgeber ist darlegungs- und beweispflichtig, dem Arbeitnehmer die Mitteilung der offenen Urlaubsansprüche rechtzeitig und klar übermittelt zu haben.
Im Einzelfall kann es erforderlich werden, den Beschäftigten nicht nur einmalig in der ersten Kalenderjahreshälfte über seine Urlaubsansprüche aufzuklären. Wechselt der Beschäftigte das Arbeitszeitmodell im laufenden Kalenderjahr, nimmt er Sonderurlaub, geht er in die Freistellungsphase der Altersteilzeit oder geht er im laufenden Jahr in den Ruhestand, so bedarf es einer erneuten oder früheren Mitteilung. Ist die Mitteilung unbestimmt hinsichtlich der Anzahl der Tage oder erfolgt sie nicht rechtzeitig, tritt kein Verfall ein.





