- -
- 100%
- +
Als potenzielle Erreger rheumatoider Arthritis wurden verschiedene Bakterien, Pilze und Viren näher untersucht. Neben Proteus kommen auch bakterielle Pathogene wie Coxiella burnetii, anaerobe Bakterien im Mundraum sowie die Spezies Staphylococcus, Streptococcus, Neisseria, Haemophilus und Mycoplasma als Erreger einer rheumatoiden Arthritis in Betracht, wobei die Ergebnisse hier bisher nicht eindeutig sind.
Ein iranisches Team der Baqiyatallah Universität für Medizin in Teheran untersuchte die Gelenkflüssigkeit von Patienten mit rheumatoider Arthritis auf bestimmte Mycoplasma-Arten. Bei 23 Prozent fand man eine bestimmte Spezies, bei 17,5 Prozent eine andere und bei zehn Prozent wieder eine andere. Somit finden sich diese Erreger nicht bei allen Patienten, könnten aber bei einigen als Ursache in Betracht kommen. Dies wiederum stützt die These, dass Infektionen an sich zu den Auslösern einer rheumatoiden Arthritis zählen könnten. Dann wäre die Behandlung der Infektionen oder eine Unterstützung der körpereigenen Infektabwehr durch die Reparatur und Stärkung der Darmbakterien eine sinnvolle Strategie im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes zur Behandlung und Prävention dieser Erkrankung.3
Die Gene erklären individuell nur zu etwa 20 Prozent, warum jemand eine rheumatoide Arthritis entwickelt. Die übrigen 80 Prozent gehen auf externe Auslöser zurück. Abgesehen von Infektionen zählen hierzu: Rauchen, eine Ernährung mit einem hohen Anteil an Lebensmitteln, die Entzündungen Vorschub leisten (zum Beispiel Zucker, Frittiertes, rotes Fleisch, Milchprodukte und Alkohol), hoher und anhaltender chronischer Stress, ein unerwartetes traumatisches Ereignis (ein enormer Stressfaktor, der den Körper urplötzlich überfällt), eine körperliche Verletzung sowie Umweltbelastungen wie Quecksilber als Fisch oder sonstige Gifte (Pestizide) und Kunststoffe.4 Wie bei den meisten chronisch entzündlichen Erkrankungen dürfte auch hier ein Zusammenhang zwischen solchen potenziellen Auslösern und einer genetischen Veranlagung bestehen.
Ein Team an der Universität Rom arbeitet an der Ermittlung bestimmter genetischer Voraussetzungen für eine rheumatoide Arthritis. So könnte man herausfinden, wer individuell eine höhere Anfälligkeit aufweist.5 Je weiter die Medizin fortschreitet, desto eher kann man nach der Identifizierung solcher Gene Behandlungen entwickeln, die genau diese Gene ansprechen. Bis dahin jedoch müssen wir die externen Auslöser bekämpfen. Dabei sollten Sie bedenken, dass wir zwar noch nicht alle beteiligten Gene kennen, dass diese aber dennoch Ihre persönliche Erkrankung beeinflussen. Der eine kann eine hässliche Scheidung durchstehen, ohne dabei krank zu werden, wohingegen dasselbe schwere Ereignis bei der besten Freundin eine rheumatoide Arthritis in Gang setzen kann, weil sie entsprechend veranlagt ist. Oder eine Scheidung kann bei Ihnen leichte Arthritissymptome auslösen, bei Ihrer Freundin hingegen schwerere. Deshalb müssen die potenziellen Auslöser individuell ermittelt werden. Sobald das gelingt, lässt sich das eigentliche Problem beheben und Symptomfreiheit erreichen. An diesem Ziel arbeiten wir in meinem Behandlungskonzept.
Autoimmunprozesse und oxidativer Stress
Rheumatoide Arthritis ist eine Autoimmunkrankheit, bei der die Immunzellen körpereigenes Gewebe in den Gelenken angreifen und so Entzündungsprozesse erzeugen. Ein niederländisches Team am medizinischen Zentrum der Universität Utrecht wollte herausfinden, was in den Gelenken abläuft, wenn diese Entzündungen entstehen. Beim gesunden Menschen bildet das weiche Gewebe zwischen Gelenkkapsel und Gelenkhöhle, die sogenannte Synovialmembran, eine Flüssigkeit, die das Gelenk schmiert. Bei rheumatoider Arthritis entzündet sich diese Membran, was dazu führen kann, dass die Zellen in diesem Bereich übermäßig wachsen und dicker werden. Das bezeichnet man als Hyperplasie. Auf die Dauer kann diese Reaktion Knorpel und Knochen zerstören. Man geht davon aus, dass dieser Prozess beginnt, wenn bestimmte Immunzellen in die Gelenke wandern und sich dort ansammeln. Manche dieser Zellen erzeugen Antikörper, welche im Rahmen des Autoimmunprozesses die Gelenke angreifen und anhaltende Entzündungen hervorrufen. Außerdem werden sowohl in den Gelenken als auch im ganzen Körper entzündungsfördernde Botenstoffe (Zytokine) freigesetzt. In einem gesunden, ausgewogenen Immunsystem sorgen die regulatorischen T-Zellen (TReg) dafür, dass diese Reaktion irgendwann abebbt. Bei Patienten mit rheumatoider Arthritis scheinen diese T-Zellen jedoch nur eingeschränkt zu funktionieren, was Schmerzen, Entzündungen und andere Symptome verstärkt.6
Diese Immunattacke verursacht auch oxidativen Stress, der eigentlich ein ganz normaler Vorgang im Rahmen der Zellfunktion ist. Während ihrer regulären Tätigkeit erzeugen die Zellen freie Radikale. Das sind bestimmte Moleküle, die mit „Funken“ oder „Brandherden“ vergleichbar sind. Deshalb werden diese freien Radikale über antioxidierende Abwehrsysteme umgehend „gelöscht“. Für die Routineaufgaben des Körpers ist es besser, wenn der oxidative Stress sich in Grenzen hält. Da der Körper unablässig freie Radikale unschädlich macht, versorgt uns die Natur über unsere Nahrung mit Antioxidanzien. Diese Substanzen stecken vor allem in Obst und Gemüse, wo kräftige Farben auf einen hohen Gehalt an Antioxidanzien hindeuten. Zu den Antioxidanzien zählen die Vitamine A, C und E, aber auch farbintensive pflanzliche Nährstoffe (Phytonährstoffe) – vielleicht haben Sie schon einmal von dem Nährstoff Resveratrol aus blauen Trauben gehört. Deshalb sollte man täglich Lebensmittel mit einem hohen Anteil an Antioxidanzien verzehren, um dem Körper die nötigen Wirkstoffe zum Feuerlöschen zu verschaffen. Nimmt man nicht ausreichend Antioxidanzien auf, um alle Funken zu ersticken, so können die freien Radikale siegen und einen Brand in Gang setzen, der Entzündungen vorantreibt, Gewebe schädigt und letztlich krank macht. Oxidativer Stress kann vor allem den Immunzellen zusetzen, die besonders aktiv sind und im Rahmen ihrer täglichen Arbeit zu unserem Schutz freie Radikale produzieren. Das ist vermutlich der Grund, warum rheumatoide Arthritis und andere entzündliche Gelenkerkrankungen sich festsetzen und fortschreiten.
Zahllose Studien belegen, dass Menschen mit rheumatoider Arthritis erhöhte Werte an reaktiven Sauerstoffradikalen (auch ROS für engl. reactive oxygen species) aufweisen. Diese Form der freien Radikale kann im Gelenkgewebe Lipidverbindungen angreifen (Lipide sind Fette, die in jeder Zelle vorkommen, auch im Cholesterin, mit dem der Körper Fett von einer Zelle zur anderen transportiert), aber auch Proteine (unverzichtbare Bausteine aller Gewebearten, auch der Gelenke) und die Erbinformation DNA (den genetischen Code in jeder Zelle). Unter normalen Bedingungen werden die ROS durch eine Vielzahl antioxidativer Mechanismen im Körper in Schach gehalten. Bei Menschen mit rheumatoider Arthritis können die Antioxidanzien jedoch nicht mehr mithalten. Die freien Radikale laufen Amok, und das Gewebe nimmt Schaden. In Kombination mit der Dauerattacke des Immunsystems auf die Gelenke hält dieser hohe Pegel an oxidativem Stress das Entzündungsgeschehen in Gang, was letztlich die Zerstörung von Knochen, Gelenken und Gelenkknorpel nach sich ziehen kann.
Forscher von der Aligarh Muslim University in Indien verglichen den oxidativen Stress bei Patienten mit rheumatoider Arthritis und bei gesunden Menschen. Dabei stellten sie bei Menschen mit rheumatoider Arthritis ein hohes Ausmaß an oxidativem Stress fest, darunter eine erhöhte Produktion freier Radikale und entsprechende Schäden an Fetten (Lipidperoxidation), Proteinen (Proteinoxidation) und DNA im Gewebe. Zusätzlich waren bei Menschen mit rheumatoider Arthritis ein geschädigtes antioxidatives Abwehrsystem und niedrige Spiegel von zwei spezifischen Antioxidanzien, nämlich Glutathion und Vitamin C, nachweisbar. Glutathion ist eine stark antioxidative Substanz, die der Körper selbst produziert. Da es in allen Zellen vor ROS-Schäden schützt, ist es womöglich unser wichtigstes Antioxidans. Interessanterweise waren bei den Menschen, die am längsten an rheumatoider Arthritis erkrankt waren, der stärkste oxidative Stress und niedrigere Antioxidanzienspiegel nachweisbar. Und je höher der oxidative Stress lag, desto schlimmer waren ihre Schmerzen und ihr Grad der Behinderung.7
Auch weitere Studien stützen die These, dass rheumatoide Arthritis durch oxidativen Stress gekennzeichnet wird. Laut Experten der Autonomen Universität Chihuahua in Mexiko schädigen freie Radikale offenbar unmittelbar den Gelenkknorpel, was beweist, dass auch in der Synovia des Gelenks selbst oxidativer Stress vorliegt.8 Sie stellten auch fest, dass freie Radikale daran Anteil haben, dass die Entzündungs- und Immunreaktionen im Körper anlaufen, und dass Menschen, bei denen dies geschieht, wenig Antioxidanzien wie Glutathion, Vitamin E, Betakarotin und Vitamin A im Blut hatten. Unklar ist, ob der geringe Spiegel der Antioxidanzien auf die Arthritis zurückzuführen ist oder schon vorher vorlag und so vielleicht wie bei einem Zug, der sich selbstständig macht, eine Verschlimmerung der oxidativen Belastung zugelassen hat. In beiden Fällen ist eine Ernährung mit ausreichend Antioxidanzien, die anfänglich vielleicht noch ergänzt werden, letztlich der Schlüssel zur Eindämmung der Entzündungen und Schmerzen bei dieser Erkrankung.
Ihr antioxidatives System kann auf viele verschiedene Enzyme (Proteine, die als Katalysator für chemische Reaktionen im Körper dienen), Vitamine, Mineralstoffe und Aminosäuren (die Bausteine der Proteine in unserer Nahrung) zurückgreifen, um oxidativen Stress zu bewältigen. Deshalb ist die Ernährung so wichtig, und deshalb kann ein Nährstoffmangel zum Beginn einer Arthritis beitragen. (Wie man das antioxidative System des Körpers durch die passende Ernährung stärkt, wird später in Kapitel 7, „Ernährung und Entzündungsbereitschaft“, erläutert.) Umweltbelastungen und andere Einflüsse können den oxidativen Stress erhöhen. Manche Menschen reagieren darauf empfindlicher als andere und entwickeln größere Brandherde, die noch mehr Antioxidanzien benötigen. Wenn daraus ein Flächenbrand wird, läuft die Entzündungsreaktion Amok und schädigt das Gewebe.
Umweltbedingter oxidativer Stress geht auf dieselben Ursachen zurück, die das Immunsystem beeinträchtigen: Fehlernährung (oder nicht ausreichend geeignete Nahrung), emotionaler Stress und Traumata, geschädigter Darm sowie Umweltgifte und Infektionen. All dies vermehrt die freien Radikale, wie ich in meinem ersten Buch Autoimmunerkrankungen erfolgreich behandeln ausführlich dargestellt habe. Dort gehe ich darauf ein, wie man solche Auslöser angeht und beseitigt, damit das Immunsystem wieder ungehindert funktionieren kann. Dabei reduzieren wir automatisch auch den oxidativen Stress. Der Behandlungsplan für Arthritis konzentriert sich zunächst auf die Darmheilung, stellt die Ernährung um und erhöht das Verständnis für den Einfluss von Stress und Trauma. So können Sie oxidativen Stress und Entzündungen in den Griff bekommen und dauerhaft gesünder leben.
Umweltgifte erzeugen ebenfalls hohe Mengen freier Radikale und somit oxidativen Stress im Körper. Im Hinblick auf Autoimmunreaktionen wurden Schwermetalle, Pestizide und Rauchen bisher am intensivsten erforscht. Ob jemand aufgrund dieser Gifte Symptome oder eine Krankheit entwickelt, beruht auf dem Gleichgewicht zwischen genetischer Anfälligkeit, dem Ausmaß der Vergiftung und der Frage, wie gut man seinen hohen Bedarf an Antioxidanzien über Ernährung und Lebensweise decken kann.9 Wenn Sie also von rheumatoider Arthritis oder anderen entzündlich bedingten Arthritisformen betroffen sind, haben Sie zu viel oxidativen Stress und müssen im Rahmen der Behandlung somit auch auf die Toxinbelastung achten. Das in Kapitel 10 vorgestellte darmfreundliche Ernährungskonzept bei Arthritis trägt dazu bei, nicht nur Entzündungen und Schmerzen zu lindern, sondern auch die Belastung durch Umweltgifte zu senken. Da Toxine bei Autoimmunerkrankungen generell ein wichtiger Auslöser sind, stelle ich in Autoimmunerkrankungen erfolgreich behandeln ein ausführliches Entgiftungsprogramm vor. In diesem Buch konzentrieren wir uns stattdessen auf die Verbindung zwischen Darm und Arthritis, weil jüngste Forschungsarbeiten belegen, dass hier der wichtigste Auslösefaktor für diese Erkrankung liegt. Auf die genauen Zusammenhänge gehen wir in Kapitel 5, „Die Verbindung zwischen Darm und Gelenken“, und Kapitel 6, „Den Darm heilen“, näher ein.
An dieser Stelle möchte ich eines betonen: Wenn Sie rheumatoide Arthritis haben und rauchen, müssen Sie das Rauchen aufgeben, damit es Ihnen besser geht. Es besteht ein klarer Zusammenhang zwischen Tabakgenuss und rheumatoider Arthritis, der sich so deutlich bei keiner anderen Arthritisform und keinem anderen Toxin nachweisen lässt. Rauchen gilt als Hauptrisikofaktor für rheumatoide Arthritis, weil es viele Schadstoffe (wie das Schwermetall Kadmium) in den Körper schleust und den oxidativen Stress vermehrt. Zudem haben Studien gezeigt, dass das Rauchen von Zigaretten die Produktion eines der Antikörper anstößt, die mit rheumatoider Arthritis in Zusammenhang stehen.10 Rauchen erhöht aber nicht nur das persönliche Erkrankungsrisiko, sondern auch die Aussicht auf einen schwerwiegenderen Erkrankungsverlauf, der schlechter auf eine Behandlung anspricht.11
In der funktionellen Medizin setzt sich der behandelnde Arzt gründlich mit Ihrer Vergangenheit und Gegenwart auseinander, um die wahrscheinlichen Auslöser Ihrer Arthritis zu finden und dann einen maßgeschneiderten Therapieplan zu erstellen. Als ich dies bei June tat, erkannte ich, dass bei ihr offenbar ein geschädigter Darm, Umweltbelastungen und Stress zusammenkamen, der wiederum die Darmbakterien und die Darmschleimhaut beeinträchtigen kann. In ihrer Kindheit hatte sie zwar keine besonderen Belastungen durchgemacht, als Erwachsene jedoch durchaus. Ihr ältestes Kind hatte besondere Bedürfnisse, und ihr mittleres Kind hatte vor Jahren einen größeren operativen Eingriff benötigt. Zudem war sie als Lehrerin Stress ausgesetzt, der ihre Arthritis spürbar beeinflusste, denn die Symptome schwankten mit dem Verlauf des Schuljahrs. Als wir mit der Behandlung begannen, war das Schuljahr fast zu Ende. Im Laufe des Sommers trat eine rasche Besserung ein. Dann kam der September, und innerhalb weniger Monate flackerte die Erkrankung wieder auf. Die gute Nachricht war, dass die Krankheit nach weiteren zehn Monaten im darauffolgenden Herbst bei Schuljahresbeginn nicht wiederkehrte.
„Zwei Jahre zuvor war ich ins Klassenzimmer gehumpelt und konnte nicht einmal mehr einen Stift halten“, sagte June. „Heute kann ich laufen, meine Bücher und Vorbereitungen tragen und schmerzfrei Dinge im Klassenraum umherschieben. Das kommt mir so ungewohnt vor, dass ich immer noch auf das böse Ende warte.“ Doch das blieb aus.
Die individuellen Umstände, die zu Arthritis führen, sind immer unterschiedlich. Dennoch wissen wir, dass das wichtigste Grundproblem bei Arthritis im Darm zu suchen ist. Ein Ungleichgewicht der Darmbakterien kann zum sogenannten „Leaky-Gut-Syndrom“ führen, bei dem die Darmwand übermäßig durchlässig wird. Dies wiederum kann Autoimmunreaktionen, Entzündungsreaktionen im ganzen Körper und oxidativen Stress hervorrufen und ist für die meisten meiner Patienten ein zentrales Problem. Teil 2, „Heilung für den Darm, Heilung für die Gelenke“, befasst sich mit unserem Wissen über die Zusammenhänge zwischen Darmproblemen und Gelenkproblemen. Dort geht die Auseinandersetzung mit den Ursachen der rheumatoiden Arthritis weiter.
Rheumatoide Arthritis diagnostizieren
Bis 2010 richteten sich Rheumatologen nach Kriterien aus dem Jahr 1987 und stellten die Diagnose „Rheumatoide Arthritis“ vor allem aufgrund von Spätsymptomen wie Rheumaknoten (tastbare Knoten unter der Haut in der Nähe eines entzündeten Gelenks), Gelenkschäden und Röntgenbildern. 2010 jedoch veröffentlichten das ACR (American College of Rheumatology) sowie die EULAR (European League against Rheumatism) eine Neudefinition mit neuen Diagnosekriterien. Inzwischen beruht die Diagnose auf Laborwerten für neue Antikörper und Entzündungsmarker sowie auf Entzündungssymptomen wie Gelenkschmerzen und Schwellungen. Im Gegensatz zu 1987 müssen die Gelenke nicht bereits geschädigt sein. Dieser neue Blickwinkel erleichtert dem Arzt die Diagnosestellung. Laut einer Untersuchung der Universität Manchester gilt dies insbesondere im Frühstadium und ermöglicht so die Identifizierung der Betroffenen bis zu fünf Jahre eher als bisher.12 Die Zahl der Erkrankten scheint sich inzwischen erhöht zu haben, doch dabei lässt sich schwer feststellen, ob es tatsächlich mehr Fälle sind oder ob die Diagnose lediglich früher gestellt wird.13 Zweifellos sind die neuen Richtlinien jedoch positiv zu werten, weil sie eine Behandlung und Heilung der Arthritis gestatten, noch ehe schwere Schäden eintreten. Dies gilt für die konventionelle Behandlung ebenso wie für den in diesem Buch dargestellten Ansatz der funktionellen Medizin. Im nachfolgenden Kasten sind die Klassifizierungskriterien der ACR von 2010 aufgeführt. Falls bei Ihnen eine rheumatoide Arthritis festgestellt wurde, sollten Sie jetzt Ihren Schweregrad ermitteln. Anhand der Fragen können Sie im Verlauf des Programms objektive Fortschritte feststellen. Unser Ziel ist eine Punktzahl unter 6. Das wäre ein Zeichen, dass Ihre Arthritis in Remission ist.
Klassifizierungskriterien des American College of Rheumatology (ACR)
Sie haben rheumatoide Arthritis, wenn erstens mindestens eines Ihrer Gelenke entzündet ist, ohne dass eine andere Erkrankung dies erklären kann, und zweitens Sie nach den folgenden Diagnosekriterien 6 oder mehr Punkte erreichen.
Punktzahl Ihre Punkte Gelenke: Wählen Sie eine Antwort 1 großes Gelenk (Schulter, Ellbogen, Hüfte, Knie, Knöchel) 0 2–10 große Gelenke 1 1–3 kleine Gelenke (Handgelenk, Finger, Daumen, Zehen). In den Händen zählen hierzu die Fingergrundgelenke, das Fingergelenk, das Ihrer Hand am nächsten ist (proximal), und das Handgelenk. In den Füßen zählen hierzu die Zehengrundgelenke mit Ausnahme der Großzehe. 2 4–10 kleine Gelenke 3 Mehr als 10 kleine und große Gelenke 5 Antikörper im Serum: Wählen Sie eine Antwort Negative Ergebnisse für (1.) Rheumafaktor (RF) und für (2.) Anti-citrullinierte-Proteine-Autoantikörper (ACPA bzw. CCP-Antikörper) 0 Leicht positive Ergebnisse für RF oder ACPA 2 Stark positive Ergebnisse für RF oder ACPA* 3 Entzündungsfaktoren im Blut: Wählen Sie eine Antwort Normale Ergebnisse für C-reaktives Protein (CRP) und Erythrozytensedimentationsrate (ESR) 0 Auffällige CRP- oder ESR-Werte 1 Dauer der Symptome (Gelenkschmerzen, Schwellung, Druckschmerzempfindlichkeit): Wählen Sie eine Antwort Weniger als 6 Wochen 0 6 Wochen oder länger 1 Ihr Gesamtergebnis * Als stark positives Ergebnis für Rheumafaktor oder ACPA gilt ein Wert, der den oberen Normalwert um mehr als das Dreifache übersteigt.Auswertung
– Bei einem Gesamtergebnis von 6 oder mehr Punkten haben Sie wahrscheinlich rheumatoide Arthritis.
– Bei einem Gesamtergebnis unter 6 Punkten haben Sie keine rheumatoide Arthritis, oder die Krankheit ist in Remission.
– Auch bei einem Gesamtergebnis unter 6 Punkten kann anhand der Ergebnisse Ihrer Röntgen-, Ultraschall-, MRT- oder CT-Aufnahmen eine rheumatoide Arthritis diagnostiziert werden.
Blutuntersuchungen auf typische RA-Antikörper wie den rheumatoiden Faktor (RF) und die Antikörper gegen cyclische citrullinierte Peptide (Anti-CCP; ACPA) können Marker nachweisen, die häufig schon vorhanden sind, bevor es zu Symptomen wie Gelenkschmerzen und Schwellungen kommt. Damit kann man herausfinden, wer von einer funktionsmedizinischen Behandlung profitieren würde, ehe überhaupt derartige Symptome auftreten. Das Gegenteil ist ebenfalls zutreffend. Bei manchen Menschen fallen die Tests negativ aus, aber die Diagnose lautet dennoch rheumatoide Arthritis, weil ihre Symptome und andere Ergebnisse der Definition von 2010 entsprechen.14 Hier spricht man von einer seronegativen RA, und obwohl Rheumatologen von einem Frühstadium der Erkrankung ausgehen, verschreiben sie häufig Methotrexat (MTX). Methotrexat gehört zur Arzneimittelgruppe der krankheitsmodifizierenden oder progressionsverlangsamenden Antirheumatika (DMARD, für engl. disease-modifying anti-rheumatic drugs), die in der Basistherapie einer rheumatoiden Arthritis häufig zur Anwendung kommen. Für die Patienten ist das verwirrend, weil sie das Gefühl haben, hier würde mit Kanonen auf Spatzen geschossen.
Meine Patientin Sherry war 40 Jahre alt, als sie mich aufsuchte. Sie hatte vor kurzem von einem Rheumatologen die Diagnose „Rheumatoide Arthritis“ erhalten, weil ihr Rheumafaktor positiv war und Schmerzen und Schwellungen in vier Fußgelenken auftraten. Bei mir suchte sie eine ursächliche Behandlung ihres Problems, anstatt lediglich die Symptome mit Methotrexat zu behandeln, wie ihr Arzt es ihr geraten hatte. Ich freue mich immer sehr, wenn ich Gelegenheit bekomme, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der noch keine Medikamente einnimmt. Schließlich weiß ich, dass die Behandlung der eigentlichen Arthritisauslöser über Konzepte der Funktionsmedizin die Krankheit tatsächlich heilen und nicht nur vorübergehend Symptome lindern kann. So werden Medikamente unter Umständen von vorneherein überflüssig. In meiner Praxis wie auch bei den anderen Ärzten am Blum Center for Health geschieht dies tagtäglich. Das Gute daran: Unabhängig davon, wo jemand im Spektrum der rheumatischen Arthritis angesiedelt ist – ob die Krankheit rasant fortschreitet wie bei June oder bisher ohne bleibende Schäden und ohne medikamentöse Behandlung ist wie bei Sherry –, kann der hier geschilderte Behandlungsansatz dazu beitragen, die eigenen Ziele zu erreichen, wie Schmerzfreiheit oder die Reduzierung der Medikamentendosis. Bisher brauchte Sherry keine Medikamente.
Sie sollten unbedingt wissen, auf welcher Grundlage Ihre RA-Diagnose gestellt wird, denn anhand dieser Kriterien wird der behandelnde Arzt auch beurteilen, ob Ihre Behandlung anschlägt und ob Sie in Remission sind. Für meine Patienten lege ich die ACR-Leitlinien von 2010 zugrunde, und ich empfehle ihnen deren Lektüre.* Parallel dazu verordne ich meine Arthritiskur sowie das Vorgehen, das in diesem Buch geschildert ist. Die Hintergrundinformationen helfen bei der Einschätzung, ob Ihre rheumatoide Arthritis sich bessert und zu welchem Zeitpunkt Sie mit Ihrem Arzt eine Anpassung oder ein Absetzen der Medikation erwägen können. Dies ist jedoch kein Muss. Sie können auch einfach Ihr Allgemeinbefinden als Richtschnur nehmen.
Viele Menschen fragen sich, warum ihre Ärzte sie zum Röntgen oder zu anderen Bildgebungsverfahren für die Hände schicken, um herauszufinden, welche Form der Arthritis bei ihnen vorliegt sowie ob und wie die Therapie hilft. Röntgen, Computertomografie (CT), Magnetresonanztomographie (MRT) und Ultraschall sind sehr nützliche Methoden zur Beurteilung von Gelenkentzündungen und Gelenkschäden. So kann eine Diagnose auch unabhängig vom Vorliegen anderer ACR-2010-Kriterien gestellt werden. Ein erfahrener Radiologe kann die verschiedenen Arthritisformen allein anhand dieser Bilder erkennen, was sehr hilfreich sein kann, wenn die Blutuntersuchungen unauffällig sind.15 Die Gelenke von Menschen mit rheumatoider Arthritis unterscheiden sich auf charakteristische Weise von jenen von Personen mit anderen Arthritisformen, denn es kann in den Knochen beiderseits des Gelenks zu geringerer Knochendichte (Osteopenie), einer Verschmälerung des Gelenkspalts, Knochenerosionen sowie einem Anschwellen der Gelenkschleimhäute kommen. Bei chronischem Verlauf kann hieraus eine Fehlstellung des Gelenks erwachsen. An den Füßen erfasst die rheumatoide Arthritis in der Regel beide Zehengelenke sowie die Gelenke im Fußballen. Wenn Hände und Füße betroffen sind, tritt die Arthritis normalerweise symmetrisch auf, also auf der rechten und der linken Seite.






