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Bildgebungsverfahren können auch eine Synovitis entdecken, eine Entzündung in der Schleimhaut der Gelenkkapsel, die offenbar noch vor den ersten Symptomen einer Arthritis auftritt. Als ein Team der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg die Gelenke von Patienten mit rheumatoider Arthritis über CT und MRT abbildete, stellte sich heraus, dass eine Synovitis sehr häufig vorlag, wenn zwar Antikörper nachweisbar waren, aber keine Arthritissymptomatik. Außerdem zeigte sich dabei, dass kleine geschädigte Areale mit dem späteren Auftreten von rheumatoider Arthritis in Zusammenhang standen. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass sich die Entzündung allmählich entwickelt und schließlich zu Arthritis führt. Am Ende folgt der Schmerz, und auch der wird erst spürbar, wenn eine gewisse Entzündungsschwelle überschritten wird.16
Diese und andere Arbeiten legen nahe, dass die rheumatoide Arthritis die Spitze des Eisbergs ist. Erkennbar ist nur ein sehr kleiner Ausschnitt, der nicht widerspiegelt, was insbesondere vor dem Auftreten der Symptome und einer entsprechenden Diagnose längst unter der Oberfläche abläuft. Das unterstreicht nachdrücklich, weshalb ein Arzt solch umfassende Diagnoseverfahren einsetzen muss, wenn jemand mit Arthritis, anhaltender Abgeschlagenheit oder Entzündungsmarkern im Blut sich bei ihm vorstellt. Bei entsprechenden Blutwerten muss selbst ein schmerzfreier Patient behandelt werden, als wäre die rheumatoide Arthritis bereits eingetreten, denn man kann die Entzündung gezielt beeinflussen, bevor Symptome und dauerhafte Schäden entstehen. Das ist der optimale Zeitpunkt, um einer drohenden Arthritis über einen funktionsmedizinischen Ansatz vorzubeugen.
Frühe (seronegative) rheumatoide Arthritis
Gelenkschmerzen, Steifheit oder Schwellungen, die nicht den Diagnosekriterien einer rheumatoiden Arthritis entsprechen, sind sehr verbreitet. Viele Rheumatologen sprechen in diesem Fall von einer rheumatoiden Arthritis (RA) im Frühstadium, die sich ohne rechtzeitiges Gegensteuern wahrscheinlich verschlimmert. Seronegativ bedeutet dabei, dass im Blut keine typischen RA-Antikörper nachweisbar sind. Tatsächlich sind die Entzündungsmarker ESR und CRP bei 60 Prozent der Menschen mit früher rheumatoider Arthritis unauffällig, bei 70 Prozent sind die Rheumafaktoren normal, und 70 Prozent haben auch normale Röntgenbilder.17 Man spricht dann von einer Ausschlussdiagnose, bei der durch akribische Detektivarbeit andere mögliche Ursachen wie Viruserkrankungen, Borreliose, Gicht oder eine andere Autoimmunkrankheit ausgeschlossen werden. (Siehe Einschub auf den Seiten 45 bis 48.) Wenn nichts zu finden ist, die Symptome (in der Regel an den Fingern oder Zehen) aber dem typischen Erscheinungsbild einer rheumatoiden Arthritis entsprechen, erhält der Patient gegebenenfalls die Diagnose einer frühen oder seronegativen rheumatoiden Arthritis.
Frühe RA ist ein Grund zur Besorgnis, denn das bedeutet, dass man auf das Vollbild der Erkrankung zusteuert, wenn man nichts unternimmt. Genau das habe ich selbst erlebt. Als mir bewusst wurde, dass ich Arthritis in den Fingern hatte, obwohl alle Testwerte unauffällig waren, hielt ich die Arthritiskur vor lauter Angst, am Ende eine rheumatoide Arthritis zu entwickeln, 1 000-prozentig ein. Ich konnte meine Gelenkentzündungen heilen, indem ich meinen Darm in Ordnung brachte, Entspannungsverfahren praktizierte und mich an die darmfreundliche Arthritisdiät hielt, damit mein Schicksal niemals rheumatoide Arthritis lauten würde. Was ich im Einzelnen unternommen habe, schildere ich in Kapitel 9, „Meine Geschichte: Wie alle Elemente zusammenfanden“.
Im Frühstadium kann eine entzündlich bedingte Arthritis auf unerfindliche Weise kommen und gehen, Stunden bis Tage anhalten und von Tagen bis Monaten ohne Symptome gefolgt sein. Erkennbare Auslöser muss es dafür nicht geben. Diese Krankheitsform wird als „Palindromer Rheumatismus“ bezeichnet und gilt als Frühform der rheumatoiden Arthritis, auch wenn alle Tests unauffällig sind. Eine andere Form der seronegativen entzündlich bedingten Gelenkveränderung, die Polymyalgia rheumatica, ist der rheumatoiden Arthritis sehr ähnlich, weil hier eine Synovitis in den kleineren Gelenken der Hände und Füße vorliegt. Die Gelenkschmerzen sind jedoch deutlich erträglicher und treten in der Regel einseitig (asymmetrisch) auf. Bei diesen Patienten kommen auch erhebliche Muskelschmerzen hinzu. Menschen mit derartiger Symptomatik sollten die Arthritiskur ebenfalls befolgen.
Überblick: Arthritisdiagnose kurz und knapp
Rheumatische Gelenkerkrankungen
Rheumatoide Arthritis (RA)
● Befällt beidseits die kleinen Gelenke, meist Hände und Füße
● Erforderliche Diagnostik: Blutuntersuchungen auf Rheumafaktor (RF), Antikörper gegen cyclisch citrullinierte Peptide (CCP-Antikörper), Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) und C-reaktives Protein (CRP). Besonders spezifisch für RA sind die CCP-Antikörper (auch ACPA genannt).
Spondyloarthritis (SA)
● Umfasst Psoriasisarthritis und ankylosierende Spondylitis
● Übliche weitere Symptome: Psoriasis (Schuppenflechte), chronisch-entzündliche Darmerkrankung, Rückenschmerzen oder Spondyloarthritis in der Familie
● Erforderliche Diagnostik: Hautuntersuchung auf Psoriasis und Blutuntersuchung auf humane Leukozytenantigene (HLA-B27, ein Gentest)
Autoimmunerkrankung
● Umfasst Systemischen Lupus erythematodes (SLE), Sjögren-Syndrom (SS), Dermatomyositis, Polymyositis und Sklerodermie
● Erforderliche Diagnostik: Blutuntersuchungen auf antinukleäre Antikörper (ANA) bzw. dsDNA-Antikörper (Anti-dsDNA); beim Sjögren-Syndrom sucht man nach Anti-SSA- und Anti-SSB-Antikörpern.
(Eine Liste aller Antikörpersuchtests finden Sie auf Seite 89–90.)
Arthritis bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED)
● Bei Bauchschmerzen, Durchfällen oder Blut im Stuhl kann ein Gastroenterologe gegebenenfalls eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung feststellen.
Seronegative entzündlich bedingte Arthritis
● Auch als undifferenzierte Arthritis oder frühe RA bezeichnet
● Diese Diagnose wird gestellt, wenn die Tests auf RA und andere Arthritisformen unauffällig sind.
● Gelenkschmerzen und -entzündungen können zwar in jedem Gelenk auftreten. Eine frühe RA sieht jedoch in der Regel eine Finger- oder Zehenbeteiligung vor.
Arthrose
● Erforderliche Diagnostik: bevorzugt mithilfe von Röntgenaufnahmen
Infektionen
Viral oder bakteriell
● Dauert üblicherweise nur sechs bis acht Wochen.
● Erforderliche Diagnostik: Blutuntersuchungen auf Viren (Parvovirus, Hepatitis, Röteln, Mumps) und Bakterien (Mykoplasmen)
● Bitte weisen Sie Ihren Arzt auf kürzlich unternommene Fernreisen hin. Bestimmte Viren wie das Chikungunya-Virus werden von Moskitos übertragen und können mit Gelenkentzündungen einhergehen.
Reaktive Arthritis
● Nach einem Harnwegsinfekt oder anderen Infektionen kann es zu einer reaktiven Gelenkentzündung kommen, die üblicherweise auch Schmerzen und Schwellungen im weichen Gewebe rund um die Gelenke erzeugt.
● Erforderliche Diagnostik: Kulturen aus Urin, Blut oder Samenflüssigkeit
Lyme-Borreliose
● Borreliose ist eine Infektionskrankheit, die durch Zeckenbisse übertragen wird. Dieser Zeckenbiss verläuft allerdings häufig unbemerkt.
● Betroffen sind die Großgelenke; eine Arthritis der Finger und Zehen ist ungewöhnlich.
● Erforderliche Diagnostik: Bei neu auftretenden, arthritisähnlichen Symptomen sollten Sie Ihren Arzt auf eine mögliche Borreliose hinweisen.
Septische Arthritis
● Infiziertes Gelenk
● Erforderliche Diagnostik: Der Arzt kann das Gelenk punktieren, Gelenkflüssigkeit entnehmen, eine Kultur anlegen und den Erreger bestimmen.
Weitere Ursachen
Gicht
● Harnsäurekristalle in den Gelenken
● Erforderliche Diagnostik: Harnsäurewert im Blut bestimmen, Röntgenaufnahmen, Nachweis von Harnsäurekristallen in der Gelenkflüssigkeit
Fibromyalgie
● Keine Gelenkentzündung oder Synovitis
● Die Schmerzen sind außerhalb der Gelenke und in den Muskeln und Sehnen angesiedelt.
● Erforderliche Diagnostik: Keine spezifischen Bluttests; die Diagnose beruht auf einer körperlichen Untersuchung durch den Arzt.
Arthritis bei Sarkoidose
● Erforderliche Diagnostik: Nachweis von Angiotensin-konvertierendem Enzym (ACE oder Kininase II) im Blut und Röntgenaufnahme der Brust zum Nachweis von Sarkoidose, einer entzündlichen Erkrankung, die viele Organe befällt, vor allem die Lunge.18
Behandlung der RA
Wer dieses Buch liest, denkt nun sicher an Medikamente. Vielleicht brauchen Sie gegenwärtig Medikamente oder Sie haben eine Zeit lang welche genommen. Vielleicht denken Sie auch erst darüber nach. An dieser Stelle gebe ich einen kurzen Überblick über die am häufigsten verordneten Medikamente gegen RA. Arzneimittel stehen zwar eindeutig nicht im Zentrum meines Behandlungskonzepts, aber als Patientin oder Patient müssen Sie die verschiedenen Optionen kennen und verstehen. Wichtig ist auch, dass ich Medikamente keineswegs ablehne, denn sie haben durchaus ihre Berechtigung. Wenn Ihre Arthritis beispielsweise mit unerträglichen Schmerzen und Entzündungen einhergeht, die Schmerzen so stark aufflammen oder so chronisch anhalten, dass Ihr Alltag darunter leidet, können Medikamente dazu beitragen, diesen Zustand kurzfristig zu beseitigen. In solchen Momenten sind Medikamente richtig, und Ihr Rheumatologe wird Ihnen die passenden Behandlungsmöglichkeiten erläutern. Dennoch möchte ich parallel dazu die schwelenden tieferen Entzündungsherde ersticken, damit Sie Ihre Medikation nur so kurz wie möglich benötigen. Arzneimittel gleichen eher einem Pflaster. Sie können in der Tat die Entzündung lindern, sodass es einem besser geht. Die eigentliche Ursache wird jedoch nicht angegangen. Sobald sich die Lage beruhigt hat, kann der Ansatz der funktionellen Medizin in den Vordergrund treten.
Arzneimittel
Rheumatologen empfehlen zunächst progressionsverlangsamende Antirheumatika (DMARD), die auch als Basismedikation bezeichnet werden. Sie wirken auf das Immunsystem und sollen das Fortschreiten der Arthritis hinauszögern. Vorübergehend werden bei der Erstdiagnose oft auch Kortikosteroide (wie zum Beispiel Prednison) eingesetzt, um die Krankheit und ihre Symptome rasch unter Kontrolle zu bringen. Diese Substanzen werden jedoch möglichst schnell wieder abgesetzt und die Therapie mit einem Mittel aus der Gruppe der DMARD fortgesetzt. Im späteren Verlauf werden Kortikosteroide mitunter verordnet, um ein akutes Aufflackern einzudämmen. Langfristig können sie jedoch sehr schädlich sein. Kortikosteroide können ernste unerwünschte Wirkungen wie Osteoporose, Sarkopenie (Muskelschwund), nachlassende Nebennierenaktivität (in den Nebennieren bilden wir eigene Steroide, z. B. das Hormon Kortisol), Haarausfall, Gewichtszunahme und Immunsuppression nach sich ziehen. Deshalb ist eine zu lange Einnahme nicht wünschenswert.
Anfangs wirken diese starken Entzündungshemmer wie Wundermittel gegen den Schmerz. Der Körper kann jedoch eine Abhängigkeit entwickeln. Ich habe Patienten, die schnell ihre Steroide absetzen konnten, und ich habe solche wie June, die es zweimal erfolglos versuchten. Als sie dieses wichtige Ziel nicht erreichen konnte, ohne dass ihre Symptome wiederkehrten, waren wir uns einig, dass es angesichts ihrer beruflichen körperlichen und emotionalen Belastungen falsch wäre, zu diesem Zeitpunkt die Medikation umzustellen. Ich wusste bereits, dass sie ein Jahr später in Rente gehen wollte. Darum beschlossen wir zu warten. Nach ihrem Ruhestand gingen wir die Entwöhnung ernsthaft an. Der Eckpfeiler der RA-Behandlung ist Methotrexat (MTX), das häufigste Basismedikament, das oft bereits allein ausreicht. Zwar sind die Nebenwirkungen relativ gering, doch die Wirksamkeit des Mittels lässt meist mit der Zeit nach. Dann wird ergänzend gern ein zweites, in diesem Fall biologisches Medikament aus der Gruppe der DMARD verordnet. Methotrexat stört die Fähigkeit des Körpers, Folat zu verwerten. Dieses wichtige Vitamin der B-Gruppe stabilisiert die Psyche und ist an der Decodierung von Genen beteiligt, an Abbau und Ausscheidung von Toxinen, an der Energieerzeugung und an der Bildung roter Blutkörperchen sowie an vielen weiteren biochemischen Prozessen im Bereich der Methylierung. Daher behindert Methotrexat die Zellneubildung und trägt zum Zelltod bei. Es zielt zwar auf die Immunzellen ab, beeinträchtigt aber auch jede andere Körperzelle. Aus diesem Grund wird Patienten, die Methotrexat erhalten, immer auch Folsäure verordnet. Verbreitete Nebenwirkungen sind Läsionen im Mund, eine entzündete, brennende Zunge, Zahnfleischentzündung (Gingivitis), Übelkeit, Erbrechen und Durchfall, Appetitverlust, Halsschmerzen und Abgeschlagenheit.
Andere Wirkstoffe aus der Gruppe der DMARD sind Hydroxychloroquin, Sulfasalazin und Leflunomid. Hydroxychloroquin war ursprünglich ein Malariamittel und wird für gewöhnlich ergänzend zu Methotrexat genommen. Allein ist es wenig wirksam. Warum es die Symptome von Arthritis lindert, ist unklar. Vermutlich hemmt es Antikörperreaktionen und unterdrückt die Aktivität bestimmter Immunzellen. Es könnte auch einen positiven Einfluss auf die Darmflora haben. Normalerweise ist Hydroxychloroquin gut verträglich. Zu den möglichen Nebenwirkungen zählen Übelkeit und Erbrechen, Kopfschmerzen, Schwindel, Reizbarkeit, Muskelschwäche und potenzielle Netzhautschäden, die das Sehvermögen beeinträchtigen können, weshalb regelmäßige Augenarztbesuche erforderlich sind.
Zur zweiten Arzneimittelgeneration zählen die biologischen DMARD (Biologika oder Biosimilars). Dabei handelt es sich um gentechnisch erzeugte Stoffe, welche natürlichen Körpersubstanzen sehr ähnlich sind. Sie zielen auf Teile des Immunsystems ab, die Entzündungen fördern, darunter den Tumornekrose-Faktor (TNF)-alpha und Interleukin-2. Beispiele aus dieser Gruppe sind Rituximab und Abatacept. Biologika haben deutlich stärkere unerwünschte Wirkungen als konventionelle DMARD, weil sie aktiver in das Immunsystem eingreifen. Dadurch besteht ein erhöhtes Infektrisiko, und schlummernde Viren können reaktiviert werden, zum Beispiel das Windpockenvirus, das später eine Gürtelrose auslösen kann. Vor der Behandlung mit Biologika müssen verschiedene mögliche Infektionserkrankungen wie Tuberkulose oder eine Hepatitis B oder C ausgeschlossen werden, die dadurch wieder aktiv werden könnten. Die Therapie wird oft um Biologika ergänzt, sobald die Wirksamkeit von Methotrexat nachlässt. Untersuchungen zufolge reduziert eine derartige Kombinationstherapie bei etwa 50 Prozent der RA-Patienten die Symptome und beugt einer Verschlechterung des Gelenkzustands vor.
Bei den übrigen 50 Prozent ist sie jedoch nicht erfolgreich.19 Deshalb wird intensiv an weiteren Therapiemöglichkeiten geforscht. Die neueste Gruppe sind die Proteasom-Inhibitoren, eine Wirkstoffklasse, die auf die entzündungsfördernde Substanz NF-kappaB (engl. nuclear factor kappa B) abzielt und B-Lymphozyten im Plasma zerstört, die Immunzellen, die Antikörper erzeugen. Sie haben jedoch erhebliche Nebenwirkungen wie Taubheit und Kribbeln in Händen und Füßen, ein zahlenmäßiges Absinken der weißen Blutkörperchen, Durchfall und ein erhöhtes Risiko für schwere Infektionen. Da andere Therapien sicherer und wirksamer sind, werden sie für RA oder andere Arthritisformen derzeit noch nicht empfohlen.20
Es besteht eindeutig Bedarf für eine bessere Behandlung. Auch wenn konventionelle und biologische DMARD die Krankheit scheinbar zur Remission bringen, schwelen die Entzündungen weiterhin (wie der unsichtbare Teil des Eisbergs) in den Gelenken. Das erhöht das Rückfallrisiko. Zudem sprechen manche Patienten auf keines der genannten Mittel an. Auch sie brauchen andere Optionen. Hier setzt die funktionelle Medizin an. Inzwischen ist diese Erkenntnis auch in der Forschung angekommen, wo man sich auf die Behandlung der Darmbakterien konzentriert und Probiotika als alternative RA-Therapie einsetzt. Mehr dazu erläutere ich in Kapitel 5, „Die Verbindung zwischen Darm und Gelenken“.
Das medikamentöse Behandlungsziel: Remission
Unabhängig vom Behandlungsansatz sollte man als RA-Patient das Behandlungsziel und die Kriterien kennen, anhand derer festgestellt wird, ob jemand sich in Remission befindet. Denn daran erkennen wir, ob die Medikation reduziert oder gar abgesetzt werden kann. Laut Definition der konventionellen Medizin bedeutet „Remission“, dass die Arthritissymptome beziehungsweise die Laborwerte sich so verbessert haben, dass die Kriterien einer rheumatoiden Arthritis nicht mehr gegeben sind. Einerseits ist das großartig. Andererseits umfasst diese Definition nicht, dass die Entzündung oder die Arthritis wirklich verschwunden sind. Sie besagt lediglich, dass anhand der Kombination aus Symptomen und Blutwerten nichts mehr nachweisbar ist.
Die übliche Grundlage für die Beurteilung der Symptome, die Überwachung der Therapie und die Entscheidung, ob jemand in Remission ist, ist der DAS28. Der DAS28 (engl. Disease Activity Score) bestimmt anhand eines Punktwerts (score) die Krankheitsaktivität (disease activity) und stützt sich dazu auf drei Kriterien:
1. Die ärztliche Beurteilung der Anzahl der geschwollenen und druckschmerzhaften Gelenken in Händen, Handgelenken, Ellbogen, Schultern und Knien,
2. die allgemeine Einschätzung der Symptome durch den Patienten und
3. einen Laborwert zur Entzündungsaktivität (Erythrozytensedimentationsrate oder CRP-Wert).
Der Punktwert wird anhand einer komplexen Formel berechnet, für die glücklicherweise Onlinetools bereitstehen. Der DAS28 wird gern beim Erstgespräch als Basiswert ermittelt und dient dann bei Folgeterminen als Vergleichsgrundlage. Der einzige Nachteil daran ist, dass hierfür die Blutwerte vom Tag der körperlichen Untersuchung herangezogen werden, was mitunter schlecht zu koordinieren ist.
Je geringer die Punktzahl ist, desto besser.21 Bei Verwendung des DAS28 wird ein Wert unter 2,6 (geringe Schmerzen und normale Entzündungsmarker) als Remission definiert. Bis dieses Ziel erreicht ist, sollten Sie aus ärztlicher Sicht weiterhin Ihre jeweilige Medikation erhalten. Aber bedeutet dieser Wert tatsächlich eine Abwesenheit von Krankheit und einen gesundheitlichen Freischein? Die Antwort lautet: Nein.
Die DAS28-Ergebnisse werden (im deutschsprachigen Raum) wie folgt unterteilt:
< 2,6: klinische Remission
≥ 2,6 bis < 3,2: niedrige Krankheitsaktivität
≥ 3,2 und < 5,1: moderate Krankheitsaktivität
≥ 5,1: hohe Krankheitsaktivität
Die Universitätsklinik Erlangen-Nürnberg führte an Patienten in Remission eine randomisierte, kontrollierte Doppelblindstudie anhand der DAS28-Kriterien durch. In einer solchen Studie werden Patienten nach dem Zufallsprinzip einer von zwei Gruppen zugewiesen. Die eine Gruppe wird behandelt, die andere erhält ein Placebo, und beide werden ärztlich überwacht. Solche Studien gelten als besonders zuverlässig, weil auch die betreuenden Ärzte „blind“ sind, also nicht wissen, welcher Patient zu welcher Gruppe gehört. Diese Studie sollte ermitteln, woran man erkennen könnte, bei wem bei einer Reduzierung oder einem Absetzen der Medikation ein Rückfall zu erwarten wäre. Zwar erfüllten alle Studienteilnehmer die DAS28-Kriterien für eine Remission, doch gemäß der strengeren ACR-2010-Definition hatten 33 Prozent nach wie vor rheumatoide Arthritis. Keine Studienteilnehmer hatten zu Beginn druckschmerzempfindliche oder geschwollene Gelenke, 82,2 Prozent erhielten Methotrexat, 40,6 Prozent nahmen Methotrexat und ein biologisches Mittel aus der Gruppe der DMARD ein. Einige Patienten erhielten nun weiterhin ihre bisherige Medikation; bei anderen wurde die Dosis langsam herabgesetzt oder ganz abgesetzt. Ermittelt wurde dann in beiden Gruppen die Rückfallquote: Innerhalb von zwölf Monaten kam es bei 15 Prozent der Teilnehmer, die weiterhin ihre volle Medikation erhielten, zu einem Rückfall. Im selben Zeitraum hatten 44 Prozent derjenigen mit reduzierter oder abgesetzter Medikation einen Rückfall. Offenbar war knapp die Hälfte derjenigen, die weniger Medikamente erhielten, noch nicht wirklich weit genug geheilt. Das deutet darauf hin, dass die übliche Definition von Remission nicht mit fehlender Krankheitsaktivität gleichzusetzen ist. Bei diesen Teilnehmern schwelte die Arthritis lediglich knapp unter der Oberfläche und tauchte nach dem Absetzen der Medikamente wieder auf.
Umgekehrt jedoch blieben 56 Prozent der Studienteilnehmer auch ohne Medikamente in Remission. Das erinnert uns daran, dass es durchaus ein realistisches Ziel ist, irgendwann keine Medikamente mehr zu nehmen. Die Autoren fanden heraus, dass der ACPA-Spiegel (CCP-Antikörper) der Hauptfaktor für die Ermittlung des Rückfallrisikos ist. Das klingt nachvollziehbar, denn andere Studien zeigen, dass ein hoher Spiegel dieser Antikörper mit einem schwereren Krankheitsverlauf und Veränderungen in den Gelenken noch vor der Erstdiagnose einer RA einhergeht. Das Fazit der Autoren lautete: Das Vorliegen dieser Antikörper bei Menschen, deren RA in Remission ist, kann auf einen zugrunde liegenden, weiterhin aktiven Autoimmunprozess hindeuten, der das Bemühen, die Medikamente abzusetzen, unterminiert.22 Das heißt im Klartext, dass das Feuer bei nach wie vor hohen CCP-Antikörpern nicht gelöscht ist und man die Medikamente nicht absetzen sollte. An dieser Stelle greift das Drei-Stufen-Konzept gegen Arthritis.
In einer anderen Studie untersuchten Wissenschaftler der Autonomen Universität Barcelona MRT-Aufnahmen der Hände von Patienten mit rheumatoider Arthritis, die nach den Kriterien des DAS28 in Remission waren. Bei knapp 96 Prozent – also bei fast allen – lagen weiterhin Gelenkentzündungen vor. Aus meiner Sicht bestätigt auch dies, dass der DAS28 nicht zwangsläufig feststellt, dass keine Entzündungen mehr vorliegen, und daher nicht als Kriterium für eine Remission verwendet werden sollte. Als echte Remission sollte das völlige Fehlen von Gelenkentzündungen aufgrund von rheumatoider Arthritis betrachtet werden, also ein Nullrisiko für eine weitere Gelenkschädigung. Dieses Kriterium ist nur bei weniger als fünf Prozent der Patienten in Remission erfüllt.23 Für mich bedeutet dies, dass bei den meisten RA-Patienten, die glauben, sie wären wirklich in Remission, wenn sie mit den üblichen Medikamenten behandelt werden und übliche Remissionskriterien angelegt werden, in Wahrheit weiterhin oxidativer Stress und Gelenkentzündungen vorliegen. Ohne weitere Behandlungsmaßnahmen werden wahrscheinlich weitere Gelenkschäden eintreten. Das unterstreicht, dass wir andere Leitlinien für die Remission brauchen. Außerdem brauchen wir ein Behandlungskonzept, das nicht nur das Geschehen an der Oberfläche anspricht. Die Therapie muss das Entzündungsgeschehen an der Wurzel packen und das Feuer vollständig löschen. Letztlich müssen die Behandlungsziele und die Krankheit selbst neu definiert werden. Ärzte sollten sich auf die Behandlung von oxidativem Stress und die Ursachen der Entzündungen konzentrieren, nicht nur auf die Unterdrückung der Symptome, was die konventionelle Medikation offenbar leistet. Wir können mehr tun, als Menschen „ausreichend“ zu behandeln.
Das wohl wichtigste Kriterium ist die Selbsteinschätzung des Patienten. Der Körper weiß sehr genau, wie es ihm geht, und wenn man auf ihn hört, weiß man, ob etwas gut ist oder nicht. (Regelmäßige Meditations- oder Achtsamkeitsübungen können dazu beitragen, ein sicheres Gespür für den eigenen Körper zu entwickeln. Achtsamkeit bedeutet lediglich, ganz auf den gegenwärtigen Moment zu achten, ohne sich in Gedanken über die Vergangenheit oder die Zukunft zu verlieren. Regelmäßiges Üben wirkt beruhigend, weil man so besser wahrnimmt, was jetzt gerade im eigenen Körper vorgeht.) In der Medizin bezeichnet man die Sichtweise des Patienten und die von ihm berichteten Symptome als „Selbsteinschätzung des Patienten“. In der Forschung ist unklar, was dies über Entzündungen und Schädigungen aussagt. Es klingt jedoch nachvollziehbar, dass die Selbsteinschätzung des Patienten Aussagen über die Grundaktivität der Erkrankung und das Fortschreiten der Genesung zulässt, besonders wenn keine Laborwerte verfügbar sind. In Bezug auf die rheumatoide Arthritis kommt es insbesondere auf Patientenaussagen zu Schmerzen, psychischer Belastung, Schlafproblemen und Abgeschlagenheit sowie zu allgemeinen Einschränkungen bei der Bewältigung des häuslichen und beruflichen Alltags an.24






