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»Es gibt schon Unterschiede«, sagte Katharina Rosentreter, indem sie in Richtung des Mannes blickte, mit dem sie sich verlobt fühlte. »Auch wenn es nur den einen Gott geben sollte, so ist es doch etwas ganz anderes, ob man als Jude, Katholik, Protestant, Mohammedaner oder Buddhist durchs Leben geht. Und wer da querbeet heiratet, wird es immer bereuen.«
Weil ihm diese Bemerkung mehr als peinlich war, lenkte Aaron Silberstein das Gespräch schnell auf das Allgemeine, auf den Pantheismus, auf die Berliner Haskala, auf die Freundschaft zwischen Lessing und Moses Mendelssohn und das Modell »Nathan der Weise«.
Danach war das Souper beendet, und die Damen begaben sich in die Bibliothek, um über die neueste Mode wie die Skandale an den Berliner Bühnen zu diskutieren, während sich die Herren ins Rauchzimmer zurückzogen. Viele in Berlin, ob hoch oder niedrig, liebten es, den Duft der virginischen Blätter mit Wohlbehagen in die Lungen zu ziehen und wieder auszustoßen.
»Wo man raucht, da magst du ruhig harren, / Böse Menschen rauchen nie Zigarren«, sagte Friedrich Silberstein und hielt seinen Gästen eine Kiste hin, die er sich aus Kuba hatte kommen lassen.
Sie hatten kaum ihren Rauchgenuss beendet, da wurden sie von Sarah Silberstein in den Salon zurückgerufen. Dort hatte inzwischen Julius Linde, der Puppenspieler, seine kleine Bühne aufgebaut. Begonnen hatte er mit seinen Handpuppen und Marionetten in anrüchigen Kneipen, sich dann aber über bessere Lokale bis zu einem Engagement bei Kroll hochgearbeitet und war schließlich Direktor und Regisseur des Liebhabertheaters Amicitia im Restaurant Königsbank in der Großen Frankfurter Straße geworden. Seine größte Entdeckung war Carl Helmerding, einer der berühmtesten Schauspieler seiner Zeit. »Ick habe Helmerdingen uff de Bühne jebracht, ick hab’n anjelernt. Wat er kann und is, hat er von mich«, hatte er auch heute gesagt.
Sarah Silberstein stellte Linde nicht als Mimen, der er auch war, sondern als Puppenspieler vor. »Und er ist ein Meister darin, toten, hölzernen Figuren Bewegung und damit Leben zu geben. Mit rapider Schnelligkeit muss er sein Organ wechseln und selbst weibliche Stimmen nachahmen, um die oft drei Figuren, die er zu gleicher Zeit mit den Händen dirigiert, charakteristisch auseinanderzuhalten. Außerdem muss er den nötigen Humor mitbringen, um auf die Zurufe einzugehen, die aus dem Publikum kommen. Seine Figuren, Helden und Prinzessinnen, Teufel, Bösewichte und galante Liebhaber, fertigt er mit eigener Hand. Seine Manuskripte füllen ganze Schränke. Sagen, Märchen, Dramen, Opern und Ballette sind es, ja sogar der Doktor Faust. Heute wird er uns mit einem volkstümlichen Stück erfreuen: Aschendrödel von Dr. Grübelmeier.« Sie nahm einen Theaterzettel zur Hand. »Personen: Flötenseufzer, Hullerdebuller, der chronologische Professor Hirnbostel, der Zeremonienmeister Kriechmeier und Aschendrödel, Tochter aus erster Ehe, sanguinische Weiblichkeit und pure hölzerne Unschuld.«
Doch kaum war der Vorhang von Julius Lindes kleiner Bühne aufgegangen und hatte der Künstler die ersten Worte gesprochen, da kam Unruhe auf, denn soeben war der letzte der geladenen Gäste erschienen, der Komponist und Musiker Louis Lewandowski, und das, was er als Grund seiner Verspätung angab, war geeignet, Friedrich Silberstein jede Höflichkeit Linde gegenüber vergessen zu lassen.
»Ich komme gerade von der Sitzung«, flüsterte Lewandowski. »Sie wollen eine neue Synagoge in der Oranienburger Straße bauen, und es soll eine Ausschreibung geben.«
»Das ist die Chance meines Lebens!«, rief Friedrich Silberstein.
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