Sprachen lernen in der Pubertät

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Offenbar können durch gemeinsame MedienrezeptionMedien, -rezeption, -nutzung, z.B. das Schauen eines Films oder einer Show, kommunikative InteraktionInteraktionsanlässe gegeben werden, die, je nach Zuschauerkonstellation und geltenden Regeln bei der Rezeption, starke Anreize zum Sprechen und zum Teilen von Meinungen geben können. Eine direkte Übertragung der Ergebnisse o.g. Studie zur medienbasierten parasozialen sprachlichen Interaktion, z.B. auf das Schauen eines Films im Englischunterricht, scheint zwar nicht möglich, dennoch können die herausgearbeiteten Beobachtungen Anstöße für ein Überdenken der Gestaltung mancher Rezeptionssituation, auch im schulischen Kontext, geben.3
Mit dem Blick auf InteraktionenInteraktion im Rahmen von Medienrezeptionssituationen rückt auch die Frage nach der MediennutzungMedien, -rezeption, -nutzung im Jugendalter in den Fokus. Dazu werden im Folgenden einige wichtige Befunde zusammengestellt und zwar unter besonderer Berücksichtigung der Rolle von Medien bei der Kommunikation.
2.2.4 Kommunikation und MediennutzungMedien, -rezeption, -nutzung
Seit 1998 veröffentlicht der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest (mpfs) die Ergebnisse einer in jährlichem Turnus stattfindenden Erhebung zur MediennutzungMedien, -rezeption, -nutzung von Jugendlichen im Alter von zwölf bis 19 Jahren. Die sogenannte JIM-Studie (Jugend, Information, (Multi-) Media) ermöglicht es, auf der Basis neuester Daten das Mediennutzungsverhalten von Jugendlichen einzuschätzen und durch Vergleich mit den Studien aus den Vorjahren auch Trends und EntwicklungenEntwicklung sichtbar zu machen. Die aktuelle JIM-Studie stützt sich auf Befragungsdaten, die bei einer Stichprobe von N = 1200 im Frühsommer 2015 generiert wurden.
Hinsichtlich der Ausstattung mit MedienMedien, -rezeption, -nutzung zeigt sich – und zwar ohne nennenswerte Unterschiede im Hinblick auf den Bildungshintergrund (vgl. mpfs 2015: 8) –, dass in fast allen Familien ein Handy verfügbar ist (99 %), genauer noch, 98 % der Zwölf- bis 19-Jährigen besitzen ihr eigenes Handy (vgl. mpfs 2015: 6f.) und dass „neun von zehn Jugendlichen […] vom eigenen Zimmer aus […] ins Internet gehen“ können (mpfs 2015: 7). In der täglichen Nutzung steht das Handy an oberster Stelle, „neun von zehn Jugendlichen nutzen ihr Mobiltelefon täglich“ (mpfs 2015: 11). Die subjektiv dem Handy beigemessene Wichtigkeit nimmt über das Jugendalter hinweg zu (vgl. mpfs 2015: 15). Eine Zunahme zeichnet sich auch im Hinblick auf die Zeit ab, die Jugendliche online sind: 80 % sind täglich online (vgl. mpfs 2015: 29), „die Zwölf- bis 13-Jährigen im Schnitt 156 Minuten“, die „18- bis 19-Jährigen […] 260 Minuten“ (mpfs 2015: 30).
Es kann also festgehalten werden, dass Jugendliche sehr gut mit MedienMedien, -rezeption, -nutzung ausgestattet sind, meistens ganz bequem, d.h. übers eigene Smartphone oder den Internetzugang zu Hause, oftmals mit Anschluss im eigenen Zimmer, die Möglichkeit zur medialen Kommunikation, sowohl zur interpersonalen Kommunikation als auch zur Massenkommunikation, haben. Die Studie von Calmbach et al. stellt sogar einen „Sättigungseffekt“ (2016: 465) bei Jugendlichen fest, was die Medienausstattung betrifft. Zu welchem Zweck aber nutzen Jugendliche die gute Medienausstattung, tatsächlich vorrangig zur Kommunikation?
Die JIM-Studie von 2015 bestätigt eine Entwicklung, die sich bereits in den Vorjahren zeigte: Ein „Großteil der Online-Zeit [entfällt] auf Kommunikation (40 %)“ (mpfs 2015: 56, vgl. auch 31), wobei sich hier ein gewisser Geschlechterunterschied zeigt: „Mädchen [widmen] etwa die Hälfte, Jungen […] ein Drittel ihrer Online-Nutzungungszeiten der Kommunikation“ (mpfs 2015: 31).1 Bei der Kommunikation im Internet ist übrigens WhatsApp aktuell für die Mehrheit (täglich 85 %, mehrmals pro Woche sogar 89 %) das Mittel der Wahl, gefolgt in deutlichem Abstand von Online-Communities und Facebook (vgl. mpfs 2015: 32). 44 % der Jugendlichen verschicken mehrmals pro Woche E-Mails, „ein Fünftel kommuniziert regelmäßig per Skype (21 %) […], nur jeder Zehnte wählt Twitter (10 %)“ (ebd.).
Die Prozentangaben illustrieren, dass Jugendliche nicht nur mündlich kommunizieren, sondern dass das Schriftliche ebenfalls Bedeutung für die Alltagskommunikation besitzt. Oftmals werden Schriftnachrichten knapp gehalten. Bei Belangen, die längerer Ausführungen bedürfen, weichen Jugendliche gerne auf Sprachnachrichten aus. Bemerkenswert, wenn auch nicht überraschend, ist die Tatsache, dass Jugendliche das Smartphone nicht vorrangig zum Telefonieren benutzen. Telefonieren nimmt Rang vier bei den Nutzungshäufigkeiten ein, davor platzieren sich das Surfen im Internet (Rang drei), das Abspielen von Musik (Rang zwei) und auf Rang eins das Verschicken und Empfangen von Nachrichten (vgl. mpfs 2015: 47).
MedienMedien, -rezeption, -nutzung verhindern und ersetzen nicht unbedingt zwischenmenschliche Kommunikation, sondern können diese auch auslösen und, im Falle von mediengestützter Kommunikation, ermöglichen, obschon das Moment der persönlichen Begegnung dann nicht mehr unbedingt gegeben ist. Die JIM-Studie belegt in diesem Zusammenhang aber auch, dass sich Jugendliche, genau genommen 78 %, weiterhin regelmäßig täglich oder zumindest mehrmals pro Woche mit Freundinnen und Freunden treffen (vgl. mpfs 2015: 9). Das Verabreden erfolgt oftmals auf dem Weg mediengestützter Kommunikation, was zeigt, dass „digitale Teilnahme […] Voraussetzung für soziale Teilhabe in der Peergroup“ ist (Calmbach et al. 2016: 465). Die Medienfaszination der Jugendlichen früherer Jahre gehört offenbar der Vergangenheit an (vgl. Calmbach et al. 2016: 476), Mediennutzung wird als Selbstverständlichkeit betrachtet. Unter Jugendlichen zeichnet sich sogar der Wunsch „nach Entschleunigung der technologischen Dynamik“ ab sowie Sorge darüber, dass „Kinder heute immer weniger kindgerechte analoge Erfahrungen machen“ (Calmbach et al. 2016: 476, 466).
Ob MediennutzungMedien, -rezeption, -nutzung schadet bzw. wann und in welchem Ausmaß sowie möglicherweise in Zusammenspiel mit welchen Persönlichkeitsvariablen, ist ein viel, kontrovers und vor allem medienwirksam diskutiertes Thema (vgl. u.a. Spitzer 2012, 2015). Jones/Schmidt (2014: 39) sprechen in Zusammenhang mit digitalen Spielen von „competent game use“ und führen die Diskussion, die auch bezogen auf sonstige Mediennutzung keineswegs unzutreffend erscheint, auf folgenden Punkt zusammen:
Digital games should be seen as tools that, like any other tool, allow for both proper as well as improper use. When used properly, they can promote (language and cultural) learning and skills necessary for life in the 21st century. If used improperly, they can promote asocial and addictive behavior. (ebd.)
Überlegungen und konkrete Anregungen zur Nutzung von MedienMedien, -rezeption, -nutzung und zu deren „Potenzial für interaktives und kommunikatives Fremdsprachenlernen“ (Uhl 2016: 194) finden sich in zahlreichen aktuellen Publikationen, u.a. bei Jones/Schmidt (2014), Grimm et al. (2015), Uhl (2016) und Oesterreicher (2016).
2.2.5 Zwischenfazit
Anhand der Ausführungen zu Jugendsprachen konnte gezeigt werden, dass Sprache für Heranwachsende eine hohe Relevanz besitzt. Studien zur Erforschung des Mediennutzungsverhaltens belegen, dass Jugendliche MedienMedien, -rezeption, -nutzung überwiegend für Kommunikations- und Vernetzungszwecke nutzen. Kommunikation, besonders die mit Gleichaltrigen, spielt eine große Rolle im Leben von Jugendlichen. Dabei wird Sprache zum Ausdruck der Identität und Zugehörigkeit sowie zur Abgrenzung genutzt. Vor diesem Hintergrund wird besser nachvollziehbar, warum manche Heranwachsende Hemmungen zeigen, vor der Klasse in einer Fremdsprache zu sprechen und warum manche zu einer verdeutschten AusspracheAussprache im Fremdsprachenunterricht neigen (vgl. 3.2.1).
Eine Bewusstmachung der Attraktivität von Fremdsprachenkenntnissen, die in den Augen Jugendlicher im Besonderen darin bestehen kann, auch mit jungen Menschen kommunizieren zu können, die kein Deutsch sprechen, kann die Bereitschaft zum Fremdsprachenlernen im Jugendalter erhöhen. Für Englisch liegen die Argumente des Nutzwertes für grenzüberschreitende, oftmals medial vermittelte Kommunikation besonders klar auf der Hand, zumal Englisch auch die Sprache des Internets ist.
Einen Ansatzpunkt zur Erhöhung der Bereitschaft, sich der Fremdsprache nicht zu verschließen, kann das im Feld von popular culture verortete Thema „Jugendsprachen“ bilden, denn, wie gesagt, Jugendsprachen sind kein auf Deutschland beschränktes Phänomen, sondern z.B. auch in englischen Zielsprachenländern zu finden. Die Bewusstwerdung darüber, dass auch englischsprachige Jugendliche eigene Sprechweisen entwickeln, ein Betrachten einiger sprachlicher Merkmale, wie z.B. Wortkürzungen im Englischen (bro für brother) oder „metaphorischer Bedeutungen: epic (gewaltig, super, z.B. an epic fail)“ (Hutz 2014: 47, kursiv durch die Herausgeber) kann für die jugendlichen Sprachenlerner interessant sein, sie zum Nachdenken über Sprache, sprachliche Identitätsbildung und Sprachenvielfalt anregen.1
Ausgewählte Literaturhinweise
Bildungshaus Schulbuchverlage (Hrsg.) (2014). Praxis Englisch. Popular culture. Explored and embraced. (Themenheft)
Marossek, D. (2016). Kommst du Bahnhof oder hast du Auto? Warum wir reden, wie wir neuerdings reden. Berlin: Hanser.
Wiese, H. (2012). Kiezdeutsch. Ein neuer Dialekt entsteht. München: Beck.
2.3 Schweigen und Verweigerung: Innere Emigration
In diesem Abschnitt soll es nicht um allgemeine SchulmüdigkeitSchulmüdigkeit oder Schulverweigerung bzw. deren Konsequenzen gehen. Vielmehr gilt es, die zielgruppenorientierte sprachlernrelevante Kommunikation zu beleuchten, die sich altersgemäß zu verändern beginnt. Die präpubertäre kindliche Bereitschaft, nahezu jeder kommunikativen Herausforderung aufgeschlossen zu begegnen, weicht in der Regel dem eher passiven jugendlichen Kommunikationsverhalten. In der Schule wird dieser Wandel im unterrichtlichen Gesprächsverhalten deutlich. Auch im Fremdsprachenunterricht bildet sich dann ab, was Eltern zuhause vielfach erleben: Mangelnde oder eher konfrontative Kommunikationsbereitschaft. Für Jugendliche in der PubertätPubertät werden die gleichaltrigen Freunde als Gesprächspartner immer wichtiger. Dennoch versuchen Eltern wie Lehrkräfte herauszufinden, wie es den Schützlingen geht, was sie umtreibt, wie sie denken, was sie tun.
2.3.1 Sprachlicher Rückzug
Eine Art pubertätsbezogener, aber eigentlich völlig harmloser Mutismus (vgl. Margraf/Müller-Spahn 2009: 1616) ist die Folge: Jugendliche schweigen in der Regel oft gegenüber Erwachsenen, wenn durch „Ausfragen“ Druck erzeugt wird. Diese eher schwache Form des selektiven Mutismus als klinische Diagnose bezeichnet eine psychogen-neurotische SprechverweigerungSprechverweigerung gegenüber bestimmten Personen oder ist in bestimmten Situationen als Zeichen einer reflektorischen Abwehrhaltung zu deuten. Diese eigentlich klinische Ausprägung ist in der PubertätPubertät nicht krankhaft, sondern vielmehr normal. In der Familie und der peergroup, also im vertrauten Bereich, wird dagegen in der Regel gesprochen. Die Grundhaltung dabei ist die einer aktiven Verweigerung als Zeichen des Protests, um sich einer Anforderung zu entziehen oder auch, um die AufmerksamkeitAufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Dem sprachlichen Rückzug folgt auch oft ein gedanklicher, die partielle und situative IntrovertiertheitIntrovertiertheit führt zu einer Art „innerer Emigration“, der Flucht durch z.B. Tagträumen in die eigene Gedanken- und Vorstellungswelt.
Kommunikation ist ein grundlegendes Element für eine gute Erziehung allgemein und sprachliche Erziehung im Speziellen. Sie muss aufrechterhalten werden, auch wenn dies scheinbar recht einseitig verläuft.
2.3.2 Gelungene Kommunikation
Eine Grundvoraussetzung für funktionierende Gespräche zwischen Eltern und Jugendlichen bzw. Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern ist dann gegeben, wenn Letztere echtes Interesse spüren. „Wie war es denn heute in der Schule?“ mag von echtem Interesse für Eltern sein, aus Sicht Pubertierender handelt es sich vornehmlich um eine Kontrollfrage.
Für echte Kommunikation ist gerade die PubertätPubertät ein Prüfstein – Jugendliche im Alter zwischen dreizehn und sechzehn Jahren sind in ihrer Akzeptanz oder Ablehnung der Kommunikation mit erwachsenen BezugspersonenBezugspersonen ehrlich und dynamisch. Die Reaktionen auf nicht gelungene Kommunikation ist bekannt: Augenverdrehen, Aufstöhnen, beredtes Schweigen oder kurze verbale, hörbar desillusionierte Äußerungen begleiten oder beenden Monologe der erwachsenen Bezugspersonen.
Einladend zuzuhören und persönlich relevant zu fragen sind erste einfache Mittel, um das Schweigen zu vermeiden bzw. zu beenden. Der englischsprachige Smalltalk mit einfachen, zugewandten Fragen nach der Befindlichkeit und dem aktuellen Stand der Dinge bei Themen wie Hobbys etc. bietet unverbindliche Redeanlässe. Er entspricht in gewisser Weise dem sokratischen Gespräch, das von der Kenntnis des Gegenübers ausgeht und einem echten Interesse an ihm.
2.3.3 Zurück vom Rückzug
Eine fremdsprachliche Unterrichtsführung in der PubertätPubertät vermeidet das statische Question & Answer-Ritual von Wissensfragen. Sie regt vielmehr durch relevante und interessante, problemorientierte, offene Fragestellungen Interesse und MotivationMotivation an, fremdsprachliche PerformanzPerformanz zu zeigen (vgl. Kap. 5). Kollaborative, kooperative und partizipative Aufgabenformate fördern dabei zusätzlich den Austausch in der peergroup. Gezieltes Begleiten und leitendes Nachfragen regen zum eigenen Denken an. Kommunikation wird zu einem wechselseitigen Austausch und einem echten Dialog, wenn beide Kommunikationspartner am Gespräch teilnehmen, gemeinsam nachdenken und sich eine Meinung bilden können.

Schweigen und Verweigerung
2.3.4 Zwischenfazit
Um eine gelungene Kommunikation müssen sich alle an ihr Beteiligten bemühen. Zwischen Jugendlichen in der PubertätPubertät und Erwachsenen können und dürfen dies keine Gespräche mit hierarchischer Schieflage mehr sein, sondern gleichberechtigte und relevante. Das echte Interesse am Gegenüber entsteht, wenn beide Partner profitieren, Monologe sind kontraproduktiv.
Ausgewählte Literaturhinweise
Schulz von Thun, F. (1981). Miteinander reden 1 – Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation. Reinbek: Rowohlt.
Schulz von Thun, F. (2004). Klarkommen mit sich selbst und anderen: Kommunikation und soziale Kompetenz. Reden, Aufsätze, Dialoge. Reinbek: Rowohlt.
Schulz von Thun, F. (2011). Miteinander reden 2. Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung. Differenzielle Psychologie der Kommunikation. Reinbek: Rowohlt. (Die Originalausgabe erschien erstmals 1989.)
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