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Trotz besagter Hindernisse aber gelangte der ortskundige Craven bald an die rechte Adresse, nämlich an Mister John Trehearne, den Türsteher und — wie man sagte, gelegentlichen Vertrauten Sr. Majestät, welcher den Sir alsbald wissen ließ, nur gleich mit seiner Korbe zum alten Saale herauf zu kommen.
Der Raum, wo man die kostbare Last endlich nieder T setzte, war ein düsteres, hohes und weites Gemach, das sein Licht von Norden durch drei Bogenfenster empfing, links und rechts aber verschiedene Türen hatte, so dass es schien, als bilde es die gemeinsame Verbindung aller übrigen Zimmerreihen des Geschosses.
Als Vater und Sohn in diesem Raume erschienen, ging Trehearne mit seinem goldenen Stabe in feierlicher Ruhe langsam darin auf und ab. Er gab ihnen einen stummen Wink, den Korb niederzusetzen und auszupacken.
»Verhaltet Euch ganz still, Craven! Ganz still! Se. Majestät ist noch bei Tische! Se. Hoheit, der Prinz, Mylord Villier, der Kanzler, und Se. Herrlichkeit der Herzog sind bei ihm, da ist nicht geraten, zu stören. Nehmt die Sachen auf Euren Schoß und setzt Euch ans Fenster, bis sie heraustreten.«
Dem Gebot ward peinlichst Folge geleistet. Der Korb nebst Trägern verschwanden geräuschlos. Der Hofschneider, sein Meisterwerk zierlich über dem Arm, nahm am Fenster Platz und unterhielt sich flüsternd mit Trehearne. Von links her, durch mehrere Türen gedämpft, hörte man Lachen, Geschwirr und Gläserklingen. Mister Will war mit dem Hut in der Hand an das andre Fenster getreten, und voll Beklommenheit wie Neugier zugleich streiften seine Blicke in der Halle umher und blieben plötzlich an einem fast lebensgroßen Bilde hängen, das an der Wand gegenüber befindlich war. Was in dem Erstgebornen des Hofschneiders in diesem Augenblicke vorging, hätte er um die Welt keiner lebendigen Seele vertraut. Eine Wonne und ein erschrecklich Weh, trunkene Wollust und namenlose Traurigkeit überkamen ihn mit einem Male. Das dunkle, wesenlose Rätsel seiner Träume war hier gelöst, der Inhalt seines Sehnens und Strebens. Er fühlte fortan, dass die Person, die dieses Bild darstellte, sein — Schicksal sei! Nur einer Frage bedurfte es noch, den letzten, schwachen Zweifel zu lösen. Zitternd und alle Kraft aufraffend, um sich nur nicht zu verraten, schritt er leise zu Trehearne und seinem Vater, zwang sich zu arglosem Lächeln und deutete auf das Bild.
»Wollt Ihr so gütig sein und mir sagen, Mister, wer diese Dame ist; mir däucht, ich habe sie schon I gesehen?«
»Diese Dame, junge Mann, ist niemand Geringeres als Sr. Majestät erhabne Tochter Elisabeth, Kurfürstin von der Pfalz!«
»Ich dachte es!« flüsterte der Mister.
»Ei — Du erinnerst Dich wohl?« fiel der Hofschneider lächelnd ein. »Du hast Ihro Gnaden mit Ihrem Gemahl vor drei Jahren gesehn, als die Bürgerschaft ihnen das große Bankett in der Guildhall gab! — Ihr wisst, Mister Trehearne, ich war Lordmayor der Zeit, und dieser mein ältester Sohn gab als Page die Schüsseln um. Haha, als er sie der Frau Kurfürstin reichen wollte, zitterte er vor Angst, als sie sagte: Pfui, wie kann ein so hübscher Bursch sich fürchten! – drückte ihm auf die Stirn einen höchsteigenhändigen, durchlauchtigen Kuss und denkt, — nahm ihm lachend selber die Schüssel ab! Das hat er nicht vergessen, wie Ihr seht!«
»Ich hörte von dem Spaß! Ja, ja, ’s war ganz in ihrer fröhlichen, herzgewinnenden Art; Gott helf’ ihr im fremden Deutschland, mir ist bange — gar bange um sie!«
»Weshalb, Mister Trehearne?« rief der junge Mann hastig.
»Sie sieht nämlich ihrer Großmutter, der unglückseligen holden, schuldlos geopferten Maria von Schottland bis aufs Verkennen ähnlich! — Wir haben ein Bild hier von ihr, ein ander Mal sollt Ihr’s sehn, das gleicht diesem Zug für Zug, nur dass Ihro Gnaden Elisabeth natürlich viel jünger ist. Die arme selige Königin soll auch dieselbe Manier und Fröhlichkeit wie sie gehabt haben. — Ach, wenn Elisabeth nur ein besser Geschick einst hätte! So was spricht man freilich nicht laut, aber — ’n alter treuer Diener wie Unsereins denkt doch oft dran.«
Der Mister erbleichte.
»Ich dank’ Euch, Herr«, flüsterte er und ging bewegt auf seinen Platz zurück, sich in das Abbild dieses unendlichen Frauenliebreizes versenkend.
In ihm stieg die ferne Fürstin mit ihrer Lichtgestalt selbst wieder vor seiner Erinnerung auf, wie sie als Braut in der Guildhall gesessen, und er ihr hocherrötend im Dienst genaht. Sah er dies jugendstrahlende Gesicht nicht fast leiblich wieder? Dies lustige und doch zauberisch schwimmende, nussbraune Augenpaar, dies Ringelgelock? Dieses edle Profil, halb kindlich noch und wieder so frauenhaft sinnend? Dieser weiße Hals und Nacken und diese bebende Brust? Hatte er nicht den Kuss ihrer Lippen auf seiner Stirn, ihren duftigen Atem um seine Schläfe gefühlt? Hatte er nicht in dieser einen wahnsinnigen, holden Sekunde Gift getrunken für sein langes Leben? —
Vielleicht hätte Mister William, in das Bild versenkt, bis in die Ewigkeit hinein geträumt, wäre er nicht — von gellen Lauten erweckt und durch das plötzliche Erscheinen gewichtiger Personen in sehr bittrer Weise der Wirklichkeit bewusst geworden.
Das Gläserklingen, Lachen und Geschwätz da drinnen war lauter, ausgelassener als sonst geworden, so dass selbst Trehearne, dem diese Dinge nicht fremd waren, horchend an die Tür trat, und Sir Craven sich erhob.
Plötzlich wurden heftig Stühle gerückt, man erhob sich sehr tumultuarisch, ein Sessel fiel um. Darauf ward die Tür aufgerissen, und eine Gesellschaft erschien in der Halle, die sich entschieden in einer Weinseligkeit befand, welche die Grenzen des Zeremoniells nicht mehr gebührend innehielt.
Der Allerangeheitertste und, wie es schien, derjenige, welcher auch die Kosten der Lustigkeit am meisten bestritten hatte, war der allgefürchtete Robert Carr von Rochester, Herzog von Somerset. Ihm voraus schritt Carl, Prinz von Wales, der zwar nicht so straff wie immer ging, aber trotz aller Heiterkeit doch seine gemessene Würde nicht ganz verleugnete. Lord Villier, der Mundschenk, folgte, ohnfehlbar am nüchternsten und, nach seinen schalkhaften Zügen zu urteilen, am erbautesten von der eben gehabten Unterhaltung.
Einige Herren, schien’s, blieben im Speisegemach bei der Majestät zurück.
»Was schnüffelst Du wieder, wohlweiser Trehearne?« rief Rochester. »Wenn Du nicht drei Mal zu wenig Hirn für ein Menschenkind hättest, müsste man Dir’s mit Deinem eigenen goldenen Stabe ausklopfen! Hüte die Tür, Cerberus, aber am meisten vor Deinen eigenen törichten Ohren!«
»Recht, gebt’s ihm, Mylord!« lachte Villier.
»Ich fürchte selbst, er hat auf diese Weise ein gutes Pack von Euren Gnaden Geheimnissen in der Tasche!«
»Um Vergebung, Hoheit und Mylords!« und der Türsteher trat tiefgebückt zurück. »Ich wartete mit Ihro Gnaden Erlaubnis nur das Ende der Tafel ab, um Sr. Majestät den Hofgewandschneider Sir William Craven zu melden!«
»Den Schneider?« und Rochester musterte den tiefgebückten Künstler. »Sir William Craven nennt sich das Geschöpf. Haha, welch’ ein Wappen habt Ihr denn, Sir William Feigheit, außer einer Elle und ’nem Bügeleisen, wenn’s nicht ’n laufender Hase im grünen Klee ist?!«
»Bei Gott ’n Hase! Den muss ihm der Wappenkönig geben!« rief Villier entzückt, und der Prinz lachte.
»Was hast Du, Schuft, da für ’nen himmelblauen Staat? Solltest Du nicht als Edelmann lieber ’n guten Schild am Arm und ein Schwert in der Rechten führen? Verteidige Dich, Deine Lappen und Deinen Sir, oder ich will Dich in alle Winkel des Erdballs hetzen!«
Im Augenblicke, ehe noch der Stabträger dazwischentreten konnte, hatte der tolle Herzog den Degen gezogen, gegen den Schneider eine Fechterstellung genommen und begann unter Jauchzen und Gelächter den zitternden Ritter von der Nadel in die Enge zu treiben und im Saale umherzujagen. Prinz Wales schien zwischen peinlichem Unwillen und Heiterkeit im Streite zu liegen; während Villier sich vor Lachen die Seite hielt.
In der Tat bot der Hofschneider ein unnachahmliches Bild komischen Entsetzens. In dem Wunsche, dem Streiche seines Feindes zu entgehen, hielt er demselben das neue Kunstwerk seiner Offizin vor, was schon deutliche Spuren der Verwundung zeigte. Dies innewerdend, suchte er dann wiederum das teure Kleid zu retten, gab dadurch seinen eigenen Körper bloß und vermochte nur durch krampfhafte Sprünge dem Stahl seines halbberauschten Gegners zu entgehen.
Wenige Sekunden währte nur dies ausgelassene Spiel, als es durch eine jähe und ernste Katastrophe unterbrochen wurde.
Mister William litt grenzenlos bei dieser Szene.
Die Gedanken, welche er im stillen Anschauen des Bildes der schönen Elisabeth gehegt, selbst wenn er auch betreffs seines Namens und Standes weniger empfindlich gewesen wäre, waren schlecht geeignet, solchen Anblick kalten Blutes zu ertragen. Es sah seinen Erzeuger nicht nur mit Worten insultiert, sondern auch der lächerlichsten Art der Entwürdigung anheimgegeben, die dadurch wuchs, dass der Betroffene ein wehrloser Greis war, und die hellen Augen jenes schönen, heißgeliebten Frauenbildes auf den gemarterten Sohn herniedersahen und ihn zu ermutigen schien.
Eben war der Hofschneider atemlos durch einen kolossalen Bocksprung einer neuen Attacke entgangen, als Mister William aus der Fensternische wie ein deus ex machina hervorbrach, mit kunstgerechtem Faustschlage aufs Handgelenk des Peinigers denselben entwaffnete und, ihn an der Brust packend, in die nächste Ecke schleuderte.
»Noch sind die Craven, Mylord, so feige nicht, heimlich den Freund zu vergiften, wenn sie auch ihr nied’rer Stand Eurem billigen Spotte feil gibt!«
»Um Gotteswillen, zurück!« rief Trehearne.
»Was redet der Mann da!« rief Prinz Carl, scheu zurücktretend. »Wer ist das?«
»Was wollt Ihr mit dem Vergiften sagen!«
Villier sprang herzu.
»An ihn! Lasst mich an dieses Vieh!« stöhnte wild der Herzog und suchte nach seinem Dolche.
»Ich sage, Hoheit«, wendete sich William heftig zu dem Prinzen, »dass wenn der Herzog den Ritter Oversbury im Tower vergiften lassen konnte, sein Mut wohl unter dem eines Schneiders steht!!«
»Heiliger Gott, nein! Es ist nicht wahr, ich selber tat’s nicht, ich —!!«
Rochester stand totenbleich, der Rausch war verflogen, Entsetzen lähmte ihn.
»Weil’s Franklin, der Apotheker, für Euch tat! Bei meinem Leben, es ist so!«
»Wachen her!« donnerte Prinz Carl. »Ihr seid Gefangener des goldnen Stabs, Mylord Rochester! Nimm den jungen Menschen fest, Villier, das muss untersucht werden! Still, Herzog, kein Wort, bei Eurem Haupte!«
Hellebardiere drangen ein, es herrschte augenblicklich eine unbeschreibliche Verwirrung.
»Was, was ist hier los! Verrat? Wer hat das Wort gesprochen? Wo, wie! –«
»Die Majestät«, murmelte alles und trat zurück.
Jakob I., welcher heftig und schneidend diese Frage getan, stand zitternd mitten in der Versammlung. Alle Häupter entblößten sich.
Prinz Carl trat vor und erzählte den Hergang, die Beschuldigung des Herzogs durch William Craven, und wie sich der Herzog wider Willen halb schuldig bekannt. Villier und Trehearne bestätigten mit einem Eifer, der ziemlich parteiisch aussah, die Angaben des Thronerben.
»Aber das ist doch eine schreckensvolle Geschichte, Mylords! O Herzog, Herzog, müssen Wir das von Euch denken? Fatum Bachumque! Fatum Bachumque! Aber es soll alles rechtmäßig untersucht werden, alles! Wo ist Bacon, Mylord Bacon!«
»Hier, zu Euer Majestät Befehl«, und der berühmte Rotkopf drängte sich heran.
»Vernehmt den Herzog augenblicklich in der grünen Kammer, lasst ihn gut bewachen! Villier, führt den jungen vorlauten Burschen in die hintere Galerie und haltet ihn wohl, dann kommt sogleich zu Uns. Cecil und Du, Kindlein Carl, lasst Uns aber diese vermaledeite Geschichte überlegen. Es sind schlimme Zeiten! Mors in calice! Aber Wir wollen ein strenger Richter sein! Wahre jeder indes seine Zunge!«
Damit ging der König hastig durch die aufgeregte Versammlung nach seinem Zimmer, gefolgt von den Befohlenen. Trehearne schloss es sogleich und postierte sich davor, während die äußere Tür von Leibtrabanten besetzt blieb. In demselben Augenblicke wurde der bleiche, ganz nüchtern gewordene Rochester und Mister William nach zwei verschiedenen Seiten abgeführt.
Der Hofschneider mit seinem defekten Kunstwerk aber blieb, vor Schreck, Erschöpfung und Staunen außer sich, in der Halle zurück.
Sein Sohn folgte, von Bewaffneten umgeben, indes Lord Villier gesenkten Hauptes. Wider Willen hatte er sich zum Helden des Tages gemacht, wider seine eigentliche Absicht Rochester angeklagt. Nun sein Blut kühler ward, stellte er sich alle Folgen vor Augen.
Er beschloss, sie männlich auf sich zu nehmen, und gab sich heilig das Wort, den armen Doderidge nicht in die Sache zu verwickeln.
Durch verschiedene Zimmer gelangte er endlich an eine Tür, welche Villier öffnete, den Wachen bedeutete, zurückzubleiben, und William befahl, ihm zu folgen.
Derselbe leistete stumm Gehorsam und befand sich in einer Art Galerie mit dem Höflinge allein. —
Villier hieß ihn setzen und betrachtete ihn lange mit sonderbaren Blicken.
»Sagt, Mister Craven, hat Eure Anklage wirklich ernsten Grund? Wenn Euch Eure Ohren und Eure rechte Hand lieb sind, sagt offen, was Ihr wisst, denn die verliert Ihr unfehlbar, wenn man Euch als Verleumder eines Herzogs überführt! Wie kommt Ihr zu der Sache?«
William wiederholte ihm alle Angaben, die ihm Doderidge gemacht hatte, aufs Genaueste, nur dass er dessen Namen verschwieg.
»Und wer ist der Jemand denn, der Euch das mitteilte? Ihr begreift doch, dass es ein Zeuge ist?«
»Nein, denn der Mann ist ein — Puritaner und Ihr wisst, Mylord, dass man solchem nicht Glauben beimisst. Ich sollte meinen, darauf käme aber wenig an, und der arme Bursche bliebe füglich außer Spiel. Wenn die beiden Apotheker, der Herzog, und wer noch dabei half, zum Geständnis gebracht werden, braucht’s dieses Mannes wohl nicht mehr. Zeigt sich aber, dass alles Dunst war, so bin ich allein der Verleumder und will einen Freund nicht ins Verderben ziehen. Er hat Mutter und Schwester zu ernähren, Mylord!« —
»Wahrhaftig, für ’nen Schneider habt Ihr nicht bloß Geschicklichkeit und Mut, sondern auch Ehre! Ihr seid Sir Cravens ältester Sohn?«
»Zu dienen, Mylord!«
»Was Ihr angabt, könnt Ihr doch beeiden? —«
»Dass ich es so und nicht anders gehört habe!«
»Gut, mein mutiger Held von der Elle. Wenn sich des Herzogs Schuld ausweist, werdet Ihr nicht nur viel königliche Huld empfangen, nicht nur bei vielen hohen Leuten Euer Glück machen, sondern ich werde, beim Eide eines Kavaliers, Euer ewiger Schuldner sein. Seid gewiss, dass ich den ausgezeichneten Dienst auf glänzende Art wettmachen werde, den Ihr mir heute geleistet!«
»Ich Euch, Mylord?«
»Ganz gewiss, mein allerliebster Goldkerl. Wenn Ihr Rochester stürzt, habt Ihr Villier an seine Stelle gehoben, und bei Gott, diese Schneiderarbeit soll Euch mehr einbringen, als hättet Ihr hundert Jahre den königlichen Hof mit Atlas versorgt!«
Er drückte lachend an einer Feder in der Wand, eine Tür rauschte im Getäfel auf, er verschwand, und die Öffnung schloss sich wieder. William war allein.
Wie lange er in krausen Gedanken verloren gesessen hatte, wusste er kaum, nur dass der Tag sank und die Galerie dunkel wurde. So ungewiss, so drohend ihm sein Schicksal erschien, er fühlte wenigstens, dass er wie ein Mann dem Schimpfe begegnet war, den er öffentlich im Palast erlitten. Das beruhigte ihn. War ihm doch, als habe er unter den Augen der hohen Dame selbst, die ihn einst eines Kusses gewürdigt, sich der Verachtung seines Namens und der Niedrigkeit seines Gewerbes entledigt. Jung und phantastisch, wie er war, entschädigte dies einigermaßen sein sehnsuchtsvolles Herz.
Fast war’s ganz finster in der Galerie, als die geheime Tür sich wieder öffnete. Lord Villier trat heraus, von Pagen mit Windlichtern begleitet. Er eilte lächelnd auf William zu und ergriff seine Hand.
»Es steht köstlich, alles ist entdeckt! Folgt mir, Euer Glück winkt, und vergesst ja nicht, ich bin Euer Schuldner!«
Er nahm ihn am Arm und schob ihn durch die Panele, öffnete ein zweites Pförtchen, und William stand vor König Jakob, dem Prinzen Carl, der Königin Anna und einem Kreise glänzender Herren und Frauen. Sein erster Blick fiel auf seinen Vater, der krampfhaft noch das blaue Wams im Arme hielt.
»William Cravenius, filius hominis, qui vestimentis faciendas victum quaerit, tritt her!«
Der Jüngling trat gebückt vor den Monarchen.
»Weil Du nicht bloß heute ein Beispiel Deiner mutigen Kindesliebe gegeben hast, nicht bloß der Erstgeborne eines würdigen Mannes, Unsers getreuen Dieners bist, der von Uns bei Gelegenheit der Vermählung Unserer kurfürstlichen Tochter zum Nobilis gentilis gemacht worden, und es billig ist, dass diese Ehre sich in seinem Blute fortpflanze, sondern weil Du Uns heute mannhaft zu der Entdeckung des schimpflichen, schreckvollen Mordes Sir Oversburys verholfen und Uns wie Unser Haus von diesem verbrecherisch ehrlosen Manne Rochester erlöst hast, also — knie nieder!« —
William sank verwirrt dem Könige zu Füßen.
»Denn Wir — Villier, gebt Uns Euer Schwert, — aber um Gotteswillen vorsichtig! So! — Also schlagen Wir Dich, William Craven, zum Edelmanne und Ritter, armigero, im Namen Gottes, des Sohnes und des Geistes, und befehlen, dass Du das blaue zerfetzte, für Unsern königlichen Leib bestimmte Gewand als adlig Kleid tragest, es im Schilde führen und Dich den ›blauen Kavalier‹, eques coloris caerulei fortan nennen sollst, haha!«
Er reichte ihm zum Kuss die Hand.
»Steh’ denn auf und gehe heim!«
William, nicht mehr Mister, sondern Ritter, wusste nicht, wie ihm geschah. Aber die Verwirrung musste ihm sehr artig anstehen, denn er sah sich mit einer Fülle von Huld ringsum überhäuft, die er gar nicht begriff.
Endlich traten Vater und Sohn den Heimweg an, — erst stumm genug. Bei Charingcross hielt der Alte an und fiel William um den Hals.
»Sohn, Sohn, Du bist Sir, bist Ritter! Herr du meines Lebens, der wird die Schneiderei groß machen!«

Zweites Kapitel
Der Fall des allmächtigen Rochester hatte für William anfänglich wahrhaft betäubende, für das Schicksal des Hauses Craven höchst entscheidende Folgen. Unser Held wurde nicht mehr Mister, nicht einmal bloß Sir, sondern Sir William, Ritter von Craven, am Allgemeinsten aber der »blaue Kavalier« genannt. Im ersten Staunen waren Vater und Sohn über das eigene Glück ganz verblüfft. Der Alte konnte gar nicht begreifen, was eigentlich sein Sohn für eine besondere Tat getan habe, William selbst fasste die Größe solcher Gunst nicht einmal, da er sich doch nur bewusst war, zum Schutze seines Vaters aufgetreten zu sein und seine Untertanenpflicht erfüllt zu haben, sich nur zu sehr bewusst war; wie der Zufall hierbei weit mehr als sein eigner Wille die bewegende Ursache gewesen. Dass kraftlose Fürsten gerade das zufällige Verdienst, sobald es sie nur in glücklicher Minute von einer persönlich drückenden Fessel, von den natürlichen Folgen ihrer eignen Schwäche befreit, am höchsten belohnen, ahnte er ebenso wenig, als dass solide, aus sich selbst erlangte Tüchtigkeit eines Untertans denselben selten mehr als eine zögernde, höchst laue Anerkennung abringt.
Das plötzlich entdeckte Verbrechen Lord Robert Carrs von Rochester, Herzogs von Somerset, war schwer, aber es war nicht ganz sein eignes.
Er schien mehr Mitschuldiger als eigentlicher Täter. —
Graf Essex, der Sohn des enthaupteten Lieblings Elisabeths, anfänglich König Jakobs Günstling, war durch Sir Robert Cecil, den Minister, an die schöne Franziska Howard aus dem königlichen Hause der Suffolk vermählt worden, ohne dass letztere ihn liebte. Sie lernte bei Hofe Rochester kennen.
Beide fassten eine wilde Leidenschaft füreinander, Essex’ Ehe ward hierdurch die leibhaftige Zwietracht, und die Scheidung wurde von Franziska alsbald mit den schamlosesten Mitteln betrieben. Der Ritter Oversbury, Rochesters vertrauter Freund, war hiergegen aufgetreten. Er hatte versucht, den Herzog von der Verbindung mit einer Frau abzuhalten, die weder in dem Rufe der Keuschheit noch Treue stand.
Franziska, racheerfüllt, wusste aber den schwachen Geliebten zu bestimmen, dass er Oversbury höchst hinterlistig um des Königs Gnade, ja in so schweren Verdacht brachte, dass man ihn in den Tower warf.
Dort, unter Rochesters Vorwissen, hatte Franziska durch ihre Kreaturen den Giftmord an diesem Unglücklichen verübt, und über seinem Grabe war ihre Trennung von Essex, wie die Verbindung mit dem mächtigen Günstlinge erfolgt. Hätte es im Plane des Hofes gelegen, Rochester aufrecht zu halten, sicherlich wäre William Craven, statt zum Ritter geschlagen zu werden, als Verleumder exemplarisch genug bestraft worden, und man hätte sich beeilt, alle Zeugen und Beweise für die Tat beiseite zu schaffen. Rochester, der in unumschränkter Gewalt sich nach und nach über den eignen Herrn erhoben hatte, war diesem indes längst lästig geworden. Der größte Teil des Hofes, besonders Villiers, hasste ihn und hatte an seinem Fall gearbeitet, ohne ihm beikommen zu können. Dieselbe Schwäche Jakobs, welche Robert Carr erhoben, hielt ihn auch, und die Koterien arbeiteten fruchtlos gegeneinander. William Cravens Entdeckung kam Jakob, der Königin, dem Prinzen und Villiers somit als eine Erlösung, und die summarische Hast, mit der Rochesters Prozess betrieben, möglichst bitter und beschimpfend gemacht, und somit ein Skandal, der dem Hofe selbst wenig zur Ehre gereichte, absichtlich der Öffentlichkeit preisgegeben wurde, bewies, wie sehr man froh war, den überlästig Mächtigen unterm Schilde des unparteiischen Gesetzes vernichten zu können.
Rochester und Franziska wie ihre Helfershelfer wurden von der Sternkammer zum Tode verurteilt.
Indes nicht auf strenges Gericht, sondern moralische Vernichtung, auf die Unschädlichmachung des ehemaligen Günstlings nur war’s abgesehen, denn der König begnadigte das verbrecherische Paar zum Tower; nachdem die Sache der Erinnerung der Menschen aber entrückt war, verbannte er sie auf ihre Güter.
Rochesters Sturz aber war zur Zeit für jedermann das außerordentlichste und froheste Ereignis.
Die Königin, Prinz Carl von Wales und Villiers, der seine Bahn nun frei sah, überschütteten unmittelbar nach begonnenem Prozesse den »blauen Kavalier« mit glänzenden Beweisen ihrer Gunst. Als Rochester verurteilt worden war, besuchten Mitglieder des Parlaments scharenweise des Hofschneiders Haus und gratulierten ihm zu dem furchtlosen Patriotismus seines Sohnes, der das Land wie den Thron von einem »übermütigen Bedrücker« erlöst habe, und stellten William die stolzeste Zukunft in Aussicht. Bei der Bürgerschaft und dem niederen Volke erlangte die Familie Craven aber eine Popularität, als ob ihrem Schoße ein Volksbefreier entstiegen wäre, und nie hatte Meister Craven mehr Bestellungen, als in diesem gesegneten Jahre. Solchem Übermaße von Glück war der Geist des Hofschneiders kaum gewachsen.
»Nein«, rief er mitten im Taumel dieser Tage, »nein, mein lieber Junge, der Ruhm ist zu groß für mich, meine alten Schultern können die Last der Ehre nicht mehr tragen! Ich bin ein leidlicher Lordmayor gewesen und habe in der Gilde wie vor der Stadt Robe und Barett mit gutem Anstande getragen. Aber dass unser Haus in Dir zu solcher Höh’ gelangen solle, das hat wohl Deine selige Mutter, die des Fassbinders Uleswather ehrsame Tochter gewesen, im Traume nicht gedacht! Da Du uns und die Schneiderei nun so zu Ansehen gebracht hast, ein Ritter bist, und — wie die Herren vom Parlamente, die Leute vom Hofe und wer mich nur ansieht, versichern, — Dir wer weiß welche Stellen und Würden noch bevorstehen, ja man in diesen bewegten Zeiten doch noch gar nicht wissen kann, ob Du nicht ’n mal wie der selige Osborne Herzog und Peer wirst, obwohl er nicht ’n mal ’n reicher Bürgerssohn wie Du, sondern nur ’n armer Weberjunge und Bettelschüler von St. Paul gewesen, — darum ist’s billig, dass unser Haus und die Schneiderei Dir dafür auch erkenntlich sei, zu allem Guten verhelfe und in Dich seinen größten Stolz und seine Wohlfahrt setze! So wie’s gewesen ist, kann die Sache nicht mehr bleiben! Du bist für das Geschäft zu vornehm! Sollst mir nicht mehr mit Elle und Maß in der Leute Häuser rennen, was sich auch für keinen Ritter schickt, sondern als ein Kavalier und Herr leben, wie Dir behagt, studieren und tun, was Du magst. Allenfalls in den Kontobüchern kannst Du zum Rechten sehen, denn Du bist einmal, wenn der alte Craven die Augen schließt, doch das Haupt der Familie, und ich bin sicher, Du wirst ihrer auch im höchsten Glanze nicht vergessen, wirst Deinen Geschwistern beispringen, wenn’s Not tut, und dieses alte gute Haus in Ehren halten!«