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William küsste dem Überschwänglichen bewegt die Hand.
»Das, lieber Vater, will ich gewiss und werde nie meines Ursprungs, Eurer Güte und meiner Pflichten uneingedenk bleiben. Ihr wisst ja, ich habe niemals für den Werktisch getaugt, und danke Euch recht innig, dass Ihr mich nicht länger in Fesseln schmiedet, die mein kindlicher Gehorsam doch auf die Länge nicht zu tragen vermocht hätte. Wohl sehe ich nicht ab, wie die guten Erwartungen der Leute an mir in Erfüllung gehen sollen, aber ich habe den besten Willen, den Lebenszweck, welchen Gott mir einst zuteilen mag, zu seiner wie Eurer Ehre und des Vaterlandes besten zu erfüllen.«
»Wohlgesprochen und ritterlich, mein Sohn, Gott segne Dich und uns alle!«
»Damit er’s aber tue, Vater, lasset uns auch gerecht sein. Nimmer wäre Rochester durch mich gefallen, nimmer solche Ehre an uns geschehen, wenn nicht, — ehe wir nach Whitehall gingen, Doderidge mir von dem Verbrechen Mitteilung gemacht hätte. Winwood, Franklins Genosse, wohnte ja im selbigen Hause wie seine Mutter und Schwester! Ihm hatte sich der Elende in seinem Rausche in der Nacht, da er heimkam, verraten! Wir verdanken Doderidge also unser Glück, und es ist billig, ihn zu belohnen. Da er ’n guter Arbeiter ist, obwohl ’n Puritaner, solltet Ihr ihn im Lohn und Arbeit verbessern, zumal die Seinen gar so arm sind!«
»Versteht sich, Kind, versteht sich! Alles das soll geschehen! Ich will über seine Sekte und seine Niedrigkeit ganz wegsehen, er soll die Hülle und Fülle haben! Schon deshalb, mein Junge, dass er uns wegen der Geschichte mit Rochester reinen Mund hält und Deine Verdienste vor den Leuten etwa nicht schmälert! Ruf’ ihn mir sogleich, William, Du sollst mit Deinem Alten wohl zufrieden sein.«
Infolge dieses Gesprächs erhielt Doderidge nicht nur ein namhaftes Geldgeschenk, ward nicht allein mit doppeltem Lohn unter die ersten Gehilfen aufgenommen, denen neben Edward nur Sammet, Seide und Brokat durch die Finger ging, auch des jungen Mannes Bitte, seine Schwester unter die Näherinnen des Geschäftes aufzunehmen, ward gegen das Versprechen des Schweigens erfüllt.
Alsbald erschien Jeany Doderidge, ein sanftes, blauäugiges Mädchen im Cravenhause, dem die Purpurwangen mit den Grübchen und die milchweiße Haut vortrefflich zu dem hohen, braunen Tuchmieder mit breitem, puritanischem Kragen und der schwarzen, engen Kappe passten, die ein schmaler Spitzensaum lieblich um dies Gesichtchen abschloss. Das Mädchen war von mildem, bescheidenem Ernste, höchst arbeitsam und zurückhaltend. Bei alledem sprach sich in ihrem Benehmen aber eine Bestimmtheit aus, dass man sah, die kleine dralle Person habe einen sehr entschiedenen Charakter.
Seit dem Tage ihres Erscheinens ging in Edward eine auffällige Veränderung vor. Er kleidete sich sauberer als sonst und war zu den Arbeiterinnen fortan viel höflicher. William, der »blaue Kavalier«, lebte nunmehr nach dem Willen seines Vaters höchst kavaliermäßig und ging seinem Studium wie seinen Vergnügungen mit schrankenloser Freiheit nach. Für andere junge Leute seines Schlages wäre dies leicht höchst verderblich geworden. Die Affenliebe eines splendiden Vaters hätte jeden anderen zum Verschwender und Wüstling gemacht, das allgemeine Lob und die Gunst des Hofes ihn zu dünkelvoller Anmaßung verleitet. William Craven war nicht von so windigem Stoffe. Studien wie Waffenübungen machten ihm ein wahrhaftes Vergnügen.
Sein ernster, träumerischer Sinn bekümmerte sich weit mehr um den Weltlauf und seines Vaterlandes Geschicke, als die Völlerei seiner Altersgenossen, und sein Umgang galt weit mehr gesetzteren Leuten, von denen er lernen , konnte, als leichtfertigen Genossen, die zwischen Kegelspiel, Karten, Sektflaschen und Raufhändeln ihre Muße teilten. Seine Schwärmerei für edle und hohe Taten, wodurch er einst sein Rittertum verdienen wollte, sein heißes Sehnen, des Kusses jener hohen Dame einst wert zu sein, deren Bild auf ihn herab gesehen, als er Rochester entlarvte, und die Überzeugung, zwischen ihr und ihm bestehe eine sonderbare, aber absichtliche Schicksalsverkettung, hielten ihn von allem Nichtigen und Gemeinen fern. Seine Liebe für den Vater, sein Pflichtgefühl gegen die eigene Familie; und dass er sich als das natürliche Haupt derselben ansah, machten, dass er gern das Rechnungswesen des Hofschneiders fortführte und so eine Mitregierung ausübte, die der Vater ihm selber angetragen. Ritter William fand trotz allem indes keine besondere Veranlassung, sein Glück für ungetrübt zu halten, und alle Ehre wie Unabhängigkeit vermochten nicht, die Wunden zu heilen, welche ihm der heimliche Groll und Neid seines Bruders täglich — ja stündlich schlug. War Edwards Verhältnis zu ihm vordem schon ein liebloses, bitteres gewesen, jetzt wurde es ein fast feindseliges. Nur Feigheit und Eigennutz zwangen ihn zu einer Verstellung, die allein dem blöden Auge des von sich selbst berauschten Hofschneiders entgingen. Dass sein Meisterwerk, das wundervolle blaue Wams, zerfetzt worden, und der König nun ein anderes haben müsse, war Edward schon ärgerlich genug, aber William in einen Ritter verwandelt zu sehen, sein Lob in Londons Munde zu hören, dulden zu müssen, dass derselbe über alles erhaben, der Abgott und Tonangeber des Hauses werde, ja, dass er gezwungen war, besagtes blaues Wams auch noch auszubessern und zu ändern, damit es zu seinem Grimme als adliges Prunkkleid auf dem Leibe des »blauen Kavaliers« prange, das setzte seiner Erbitterung die Krone auf. So wenig William mit dem Bruder auch im Charakter übereinstimmen mochte, liebte er ihn doch, suchte dessen Fehler vor sich selbst zu entschuldigen und belächelte einen Neid, der ihm zwar verzeihlich schien, dessen er aber an Edwards Stelle unfähig gewesen wäre. Die heimliche und berechnete Bosheit desselben jedoch, der Hohn, welchen Edward allen brüderlichen Annäherungen entgegensetzte, sein offener Widerwille, der sich bei des Vaters Erscheinen in heuchlerische Freundlichkeit zu verwandeln vermochte, fielen William schwer aufs Herz, denn Edwards ganzes Benehmen zeigte ihm, dass am Sarge des Vaters einst die Maske fallen, derselbe ihm als offener Feind gegenübertreten werde.
So ging man nebeneinander hin. Rochesters Fall wie das blaue Rittertum Williams machten bald anderen, wichtigeren Begebenheiten Platz.
Villiers, nun Herzog von Buckingham, hatte des gefallenen Günstlings Platz zum Ärger der Nation eingenommen. Die Unzufriedenheit im Lande wuchs und der Streit der Parteien.
In Deutschland aber hatte jener heillose Krieg begonnen, der unterm Banner der Religion dreißig Jahre den Kontinent nach allen Richtungen durchrasen sollte. Die protestantische Union und die Böhmen hatten sich gegen den Kaiser erhoben, Graf Thurn stand gegen Dampierre, Ernst von Mansfeld gegen Bouquoi im Felde, Kurfürst Friedrich v. von der Pfalz, Elisabeths Gemahl, hatte sich zum Haupte der Union erklärt, und von den Böhmen zum Könige erwählt, hatte der törichteste aller Fürsten zu Prag die Krone genommen.
»Elisabeth von England — Böhmens Königin!« tönte es in Williams schmerzlich bewegter Brust, weshalb, wusste er selbst nicht, wider. Ach, die hohe Frau ahnte gewiss nicht, dass überm Kanal für sie das sehnsüchtige Herz eines Schneidersprösslings schlug, und ihr munterer Kuss in der Guildhall, ihr Bild in der Residenz zu London die Magnete waren, welche den Ärmsten mit fast krankhafter Sehnsucht zu ihr zogen.
Mehr denn ein Jahr war vergangen, als der Hofschneider eines Tages den Besuch Mister Trehearnes empfing. Es war seit dem Sturze Rochesters zwar nichts Ungewöhnliches mehr, ihn im Cravenhause zu sehen, aber diesmal zeigte Sr. Majestät Türsteher schwermutsvollen Ernst, tiefe Traurigkeit. William, der sich im Comptoir über den Büchern befand, rief den Vater aus der Werkstatt.
»Ei, ei, Mister Trehearne«, sagte der Hofschneider, »das ist für Euch eine ganz ungewohnte Tageszeit. Sonst mögt Ihr um diese Stunde doch wenig abkommen? Und was für ein Gesicht! Ist’s nicht, als wenn Ihr eben zu ’ner Leiche gingt? Um Ihro Majestät die Königin könnt Ihr unmöglich so den Kopf noch hängen, ist’s doch bereits zwei Jahre, dass sie erblich, und Euer Trauerrock muss längst verschossen sein.«
»Der König ist mit dem Prinzen und Mylord Buckinghams auf ’ne Woche gen York. Sie haben den langen Evans und ihr Zwergenvolk Jeffrey Hudson und Archias mit, da hab’ ich indessen Ruh’!« —
Er setzte sich schwer atmend und starrte den blauen Kavalier an.
»Was ist Euch aber denn, Mister?« sagte dieser beunruhigt, »Ihr seid wie abwesend?« —
»Wie abwesend, ja! — Mein altes Herz ist bei der, die wohl ’ne treue Seele brauchen könnte in ihrem grenzenlosen Weh, ’n redliches, altenglisches Herz, das die Heimatlose grüßte von der Heimat!«
»Herr, ich — ich kann nicht fassen, was Ihr sagt!« stotterte William bleich.
»Von wem redet Ihr denn nur, Mann?« rief der Hofschneider.
»Erinnert Ihr Euch beide wohl noch des Tags mit dem Rochester? Des Bildes unserer lieblichen Elisabeth, die den Pfälzer nahm? Und dass ich Euch sagte, sie sei ihrer Großmutter so gar ähnlich, und wie mich das oft traurig mache? — Meine Voraussicht trog mich nicht! — Friedrich der Böhmenkönig, ist vor ’nem Monate, grade am 8. November, bei Prag am weißen Berge von Tilly geschlagen worden! Ist entthront, ist in die Kaiseracht getan, Prag und ganz Böhmen ist erobert! Der Spanier Spinola aber hat die ganze Pfalz weggenommen! Flüchtig durch Schlesien und die Mark irrte die Unselige mit Gatten und Kindern, bis sie in Holland endlich zu Reenen Zuflucht fand!«
Tränen rollten über des alten Mannes Wangen.
»Entthront?! — Beraubt?! — Heimatslos?!« schrie William auf.
»Heiliger Christ, ist das ein Unglück!«
Der Schneider schlug die Hände zusammen.
»Wo blieben denn aber die deutschen protestantischen Fürsten alle, deren Haupt Friedrich doch war?«
»Weg! Sie blieben alle weg in der Stunde der Gefahr! Die Herren von der Union hatten ja vorher schon heimlich ihren Frieden mit dem Kaiser gemacht — und ließen Friedrich nun im Stiche! Hab’ ich nicht immer gefürchtet, dass bei der deutschen Heirat nichts Gutes ’rauskommen werde?!«
»Nein, nein, Trehearne, das allein ist nicht die Schuld«, meinte der Schneider. »Hätten sie sich eben nur an der Pfalz genügen lassen, sich nicht in die Händel mit dem Kaiser gemischt und die Krone eines Volkes von halben Wilden genommen, die eine barbarische Sprache reden! König Jakob selber war dagegen, sagt man. Aber die liebe Eitelkeit und der Ehrgeiz, das ist das Ganze!«
William wollte heftig auffahren, als ihm Trehearne zuvorkam.
»Schämt Euch, Freund, schämt Euch, so von einer Tochter der königlichen Stuarts zu reden! Galt’s nicht die protestantische Lehre gegen kaiserliche Übermacht? — Freilich tat Friedrich nicht wohl daran, sich von Elisabeth aufreden zu lassen, die böhmische Krone zu nehmen, aber, lieber Gott, ist der Hang nach Größe denn einer Königstochter so unwürdig? War die Ärmste denn nicht kaum aus den Kinderschuhen, als sie in die fremde deutsche Welt hineinkam? Dazu an eines Mannes Seite, dem noch nicht der erste Flaum ums Kinn spross! Ist’s ein Wunder, wenn sie da irrte?!«
»Und königlich hat diese hohe, unglückliche Frau geirrt!« rief William eifrig. »Die Majestät wird doch gleich das Parlament versammeln, gegen den Kaiser rüsten und mit allen braven englischen Herzen ausziehn, um der beraubten Elisabeth zu ihrem Lande zu verhelfen?!«
»Ausziehn? Unser Herr? Das Parlament berufen? — Wo denkt Ihr hin, Sir? — Wisst Ihr denn nicht, wie schlimm er mit den Gemeinen steht? Dass sie ihm wohl mit den alten Forderungen und Klagen auf den Leib rücken, aber keinen Rosenoble bewilligen werden, es sei denn, er demütige sich? Dazu des Volkes Hass gegen Mylord Buckingham und dieser neue unselige Prozess Lord Bacons. Unser armer Herr kann ja nichts tun, Ihm sind die Hände überall gebunden! Hätte er aber auch Geld und Truppen, kann er denn offen gegen den Kaiser ins Feld ziehen? Würde sich denn nicht das Heiratsprojekt zwischen dem Prinzen Carl und der Infantin Maria gleich zerschlagen, das mit so vieler Mühe glücklich in Gang gekommen?!«
»Für den künftigen Vorteil des Sohnes also«, entgegnete William heftig, »lässt der König die Tochter im Elend?! O, nie hat’s ’ne herzlosere, unwürdigere Politik in England gegeben, und Schmach wie Unglück wird das Ende sein!«
»Aber Junge, Junge, was geht Dich denn das an? Kannst Du den Weltlauf ändern? Willst Du Sr. Majestät weisliches Regiment tadeln? Jeder schläft, wie er sich bettet! Ist der Kurfürst von unserem Herrn nicht gewarnt worden genug? Musste ihn denn der Teufel reiten, mit dem Kaiser anzubinden?«
»Ob der Kurfürst Recht tat oder nicht, das weiß Gott allein, er ist dafür genug gestraft, Vater! So viel aber weiß ich, dass, wenn ein Kind so in Unglück, Schmach und Trauer gekommen, wie Elisabeth, ein Vater helfen muss! Einem wahren Könige steht es wohl an, mit dem Schwerte seinem Kinde Recht zu verschaffen, statt sich hinter politische Rücksichten und jene spanische Heirat zu verkriechen, die das Volk wie die Pest hasst und verwünscht! Woher dieser Hader im Lande, der Trotz der Parteien, die man sich über den Kopf wachsen ließ, als um Günstlinge zu mästen, die da enden wie Rochester, und nun Bacon, der, groß und weise als Denker, mit greisen Haaren auf der Höhe seines Ruhms vor den Schranken der Lords zitternd bekennen muss, er sei doch nur ein Schuft und Blutsauger seines Landes gewesen?! Hatte die tote Elisabeth je Furcht vor den Gemeinen, und legte das Volk ihr nicht Gut und Blut zu Füßen, wenn’s Ehr und Glauben und eine gute Sache galt? Wenn jener Geist der Kühnheit und der Liebe, des Rittertums und Opfermuts noch wie in ihren Tagen in den Seelen unseres feigen Krämergeschlechts lebte, die Tochter Englands sollte nicht vergebens in der Fremde weinen und ihre Hände hilflos nach der Heimat strecken! Für einen Mann im Lande wenigstens steh’ ich gut!«
Damit stürmte der junge Mann hinaus. Staunend blickten ihm beide nach. —
William barg seine furchtbare Erregung in seiner einsamen Klause. Die Schlacht am weißen Berge hatte auf einmal seinem Leben die rechte Deutung, seinen nebelhaften Phantastereien ein greifbar Ziel gegeben. Durch das Unglück war ihm Elisabeth näher gerückt, menschlicher geworden. Der Wunsch, sich ihrem Dienst zu weihen, war kein fernes unbestimmtes Sehnen mehr, es war ihm Pflicht, Naturnotwendigkeit geworden. Er sah seine Liebe zu ihr, den Ritterschlag und ihr jetzig Elend als etwas Zusammengehöriges, — eine Veranstaltung Gottes an, um ihn zum Retter der Frau zu machen, welche mit ihm einen wunderbar geheimnisvollen Seelenbund geschlossen. Sein Entschluss, das Vaterhaus zu verlassen, nach Deutschland zu gehen und der Kurfürstin seinen Degen anzubieten, stand fest, er erwog nur noch die Art, das zu bewerkstelligen, und die Mittel, welche ihm hierbei zu Gebote standen.
Während dieses alles wie mit Feuerflammen noch durch sein Hirn loderte, trat der Vater bedächtig und lauernden Blickes zu ihm ein. Die Gefühlsexpektorationen seines Ältesten hatten ihn denn doch stutzig gemacht, und nach Trehearnes Weggehen sah er sich veranlasst, dahinter zu kommen, inwieweit sein Argwohn sich bewahrheite.
»Was ist denn das mit Dir, William, dass Du Worte sprichst, die sich eher für’n Puritaner, für den Pym, Elliot oder Hollis im Parlament als für’n gehorsamen Untertan schicken, den Seine Majestät obenein zum Ritter schlug?«
»Ja, zum Ritter, und ritterlich drum und treuer, als der König selbst, will ich handeln! Seit ich weiß, diese edle Frau sitzt in so namenlosem Jammern, leidet mich’s hier nicht mehr! Ich muss weg, Vater! Nach Deutschland! Und für altenglische Ehre und Stuarts Tochter das Schwert ziehen! Das ist das Rittertum, dessen ich wert bin, und das sie auf die Stirne mir geküsst hat in der Guildhall, da sie noch nicht ahnte, sie gehe lächelnd in ihr Elend!«
»Und Du glaubst, ich bin Narr genug, das ruhig anzusehen?« schrie der Hofschneider außer sich. »Ich glaube gar, er ist in sie verliebt! —Heiliger Georg, will der Mensch hinüber laufen und sich für ’ne verjagte Frau totschlagen lassen! O willst Du nicht gar auf meine Kosten ’ne ganze Rotte landloses Volk auflesen und als blauer Ritter ins Blaue reiten?«
»Warum nicht!«
»Das wirst Du bleiben lassen, Mensch!« kreischte der Alte. »Hab’ ich darum gearbeitet, darum Vermögen erworben, dass Du’s mit solcher Windbeutelei vertun darfst? Bist Du darum zu Ehre und Ansehen gekommen, um in die Welt zu rennen und wie’n deutscher Landsknecht hinter der ersten besten Hecke zu sterben, statt daheim Glück, Gunst und Gewicht zu erlangen? Wenn Dich der Ehrgeiz schon so kitzelt, gibt’s im Lande nicht genug Gelegenheit, Dich vorwärts zu bringen? Willst Du ins Parlament, sag’s, ich will Dich bei der Wahl schon durchbringen, und wenn Du halbwegs Dein Maulwerk brauchst für den König, wie vorhin gegen Trehearne, kann Dir’s nicht fehlen! Mit dem Fortlaufen in den Krieg aber bleibe mir vom Leibe, oder — so wahr ich Dich liebe, nicht ’nen Fahrding geb’ ich Dir mehr! Ich will Dir zeigen, dass Du doch noch in meiner Gewalt stehst!!«
»Ins Parlament? Ich? — Um für den König zu reden, diesen König, der sein Kind verleugnet? Der für seinen Günstling das Volk plündert? Nun, wahrhaftig, Pym und Hollis, sag’ ich Euch, würden Lämmer an Sanftmut neben mir sein! Das wäre für den — Hofschneider freilich ’n Todesstoß! Beim ewigen Gotte, dass Jakob so sein Kind verlässt, wird ihm einst fürchterlich selber heimkommen! Am eigenen Volke wird er die Untreue noch erleben, die er an Elisabeth bewiesen hat! Ich will mit ihm nichts mehr zu tun haben, will sein Ritter nicht sein! Wenn ich je durch die Tat meinem Stande und Namen Ehre mache, allein fürs Recht der verlassenen Elisabeth soll’s geschehen!«
»Schon gut, Du setzt Deinen Kopf auf! Aber ich habe auch einen, Sir, und sage Dir, Sir, bei meinem Vaterfluche, Du wirst still sitzen hier im Lande und leben, wie Du gelebt hast! Eher in den Tower wegen Deiner gotteslästerlichen Reden über die Majestät sollst Du, als dass ich so alle Hoffnungen, die ich auf Dich setzte, wie Spreu und Rauch verfliegen seh’! Das merk’ Dir. Nun tu’, was Du Lust hast!«
Der wütende Hofschneider ließ seinen verzweifelnden Sohn allein. William bestand jetzt einen Kampf mit sich, der ihn bis hart zur Narrheit führte. Nach diesem Gespräch war nur ewige Trennung vom Vater oder gehorsame Unterordnung möglich. — Die Pietät und Vernunft siegte. — Was konnte er, mittellos, verlassen von den Seinen, einer Frau nützen, die an ihrem eigenen Grame gerade genug zu tragen hatte? Was ihm vorher so hoch und heilig erschienen war, wenn er’s im Verein wackrer Herzen, von der Hoffnung des Volkes begleitet, unternahm, wie elend und lächerlich sah es nun aus, wie eine Irrfahrt, von einem einsamen, bettelhaften Abenteurer unternommen. In den Staub mit seinem brechenden Herzen sank sein nutzloses Rittertum, der hohe Minnedienst für Maria Stuarts Enkelin. —
Der Sohn des Hofschneiders beugte sich seinem Schicksale. Aber nicht leicht und willig wie ein feiger Schwächling, sondern finster, grollend über sein Geschick und mit düsterer Melancholie, die sich wie ein Bahrtuch jetzt über alle seine Wünsche legte. Teilnahmslos gegen alles, vegetierte er von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr, mit schmerzvoller Bitterkeit das Wechselspiel des Krieges in Deutschland betrachtend, und wie Georg von Baden-Durlach, Ernst von Mansfeld, der wilde Christian von Braunschweig, Graf Thurn und Christian von Dänemark vergebens den großen Ringkampf gegen Habsburg kämpften, mit jeder Niederlage, die ihnen Tillys Arm bereitete, die Hoffnung Friedrich V. von der Pfalz geringer, Elisabeths Zukunft aussichtsloser ward. Musste es ihn nicht ebenso wie die ganze englische Nation mit Verachtung erfüllen, dass Jakob mit den Summen, welche man ihm zu kriegerischer Unterstützung seiner bedrängten Kinder bewilligt hatte, die glänzenden Marmorhallen Whitehalls vollendete?
Vom Plafond des Bankettsaales, der seinesgleichen kaum in Paris hatte, blickte Rubens’ prunkvolle Apotheose des königlichen Jakob auf den Beschauer in einer Zeit herab, in der dieser Monarch die schmählichsten Beweise seiner Erbärmlichkeit und Beschränktheit als Mensch wie Monarch gab und von den Höfen zu Madrid und Wien am diplomatischen Narrenseil gelenkt wurde, um ihn politisch ganz ohnmächtig zu machen! —
Williams düstrer Seelenzustand, sein fast einsiedlerisch Abschließen, seine unverhohlene Disharmonie mit dem Vater hätten jeglichem auffallen, die Veranlassung hierzu den Insassen von Cravenhaus auch ohne weitere Auslassungen bald bekannt werden müssen. Im ersten Überwallen seines Zorns aber hatte der Hofschneider mit höchst unzarter Schwatzhaftigkeit die Pläne und Wünsche des »blauen Ritters« dem spöttischen Urteile seiner Umgebungen preisgegeben. Mit wahrer Höllenfreude stimmte Edward in den Zorn des Alten ein, begünstigte den Riss zwischen ihm und dem Bruder auf alle Weise, bemächtigte sich ganz des Vaters Vertrauens, überschüttete William bei jeder Gelegenheit mit dem spitzen Geschoss seiner Sarkasmen und demütigte das heiligste Gefühl in dessen Brust durch spießbürgerlich plumpe und lächerliche Anspielungen. Oft war William ihm gegenüber in einer Seelenverfassung, wo er des Äußersten fähig gewesen wäre, hätte nicht die Heiligkeit der Blutsverwandtschaft und das Sittengesetz in seiner Brust ihn von Dingen zurückgehalten, die nur Reue, Schmach und ewiger Bruch mit den Seinen im Gefolge haben konnten. Man lebte notgedrungen wohl zusammen, aber es war ein trauriges, liebloses Leben.
Ende des Jahres 24 trat aber ein Ereignis ein, das die drückende Schwüle zu Cravenhaus plötzlich unterbrach, seine Bewohner aufs Lebhafteste beschäftigte und das Einerlei ihres Daseins mit dem Reize des Geheimnisvollen durchflocht. Ein ziemlich zerlumpter Kerl, wie deren im Comptoir des Hofschneiders eben nicht oft gesehn wurden, trat eines Tages plötzlich in dasselbe und fragte nach Mister Craven, dem Hofschneider.
»Ihr meint Sir Craven?« entgegnete Edward trocken. »Was habt denn Ihr mit ihm zu schaffen?«
»Sir oder Mister, das ist gleich, in der Grube fault er genauso sicher, als ob er’s Hosenband am Knie hätte. Was ich von dem Hofschneider will? — Das werd’ ich ihm selber sagen.«
»Ich bin Mister Edward, sein Sohn, Freund, und das ist ebenso gut. Der Sir ist nicht für Leute Eures Schlags zu haben!«
»Hm, seht mir an! Ja, ja, beim Schneider tun’s die Kleider, aber ’s liebe Geld noch mehr. So sage ich Euch denn, dass Ihr Eurem Vater kundtut: ’n Bote von Harry Welby wolle ihn gleich sprechen! Er ist gewohnt, dass man seiner Aufforderung folgt!«
Edward machte große Augen. —
»Sir — Sir Harry Welby meint Ihr? — Den — den Esquire von Lincolnshire?«
»Na ja!«
»Den — den in der Grubstreet doch?«
»Ja doch!«
»Wartet! Seid so gut und setzt Euch! Mein Vater soll gleich zu Diensten sein!«
Damit stürzte Edward in die Werkstatt, der Bote aber lachte hell auf und machte vom ersten besten Stuhle Gebrauch.
»Vater, Vater!« eilte Edward an den Zuschneidetisch. »Denk’ nur, der reiche Esquire von Lincolnshire schickt her und will Dich sprechen!«
Alle Köpfe richteten sich staunend empor ob dieser Nachricht.
»Wer? Sir Welby, sagst Du? Der in der Grubstreet? Der reichste – lumpenhafteste Mann Londons? Schade, dass er weder ehrlich ist noch ’n adlig Haus hält, da kann er nicht viel werden. — Seit 40 Jahren, Leute, kam er nicht aus seinem alten düstern Hause. Niemand kennt ihn, doch ist er stets in aller Munde. Was in der Welt kann der mit mir haben?!« —
Der Hofschneider eilte ins Comptoir, Edward hinter sich.
»Also von Esquire Welby kommt Ihr, Freund?« redete er den Boten an. »Soll ich denn zu ihm kommen, wie?«
»Das weiß ich nicht; glaub’s kaum. Da ist ein Brief.«
Der Hofschneider erbrach hastig das Schreiben, Edward blickte ihm gespannt über die Schulter.
»Schickt mir gleich einen Eurer Söhne, den, der am besten maßnehmen, auch leidlich nähen kann, er soll bei mir arbeiten. Wie lange ich ihn brauche, weiß ich nicht, 20 Pfund auf den Tag werden wohl genug sein. Lasst es indes den Herzhaftesten sein, ’s dürfte sonst zu seinem und Eurem größten Schaden gereichen. Harry Welby.«
Vater und Sohn sahen sich starr an, lasen den Brief abermals, und ihr Staunen blieb unvermindert, ja schwankte bereits lebhaft zwischen Furcht und Begehrlichkeit. — Harry Welby war das Geheimnis von ganz London. — Man trug sich mit den schrecklichsten und zugleich abenteuerlichsten Gerüchten über ihn, die dieser Brief nur leider zu sehr zu bestätigen schien. Was dieser Mann auch Gutes oder Schlimmes getan haben oder noch tun mochte, sein ungeheurer Reichtum und seine unsichtbare Gewalt, die, wie man sagte, bis zum Throne sich erstreckte, machten ihn für die bürgerlichen Gesetze unantastbar. 20 Pfund Lohn für den Tag waren indes ein ungeheures, noch nie verdientes Geld, das sich Craven doch nicht entgehen lassen konnte. Was für ’ne Schneiderarbeit musste aber das wohl sein, welche Mut erforderte? Craven wie Edward bekamen eine gelinde Gänsehaut bei diesem Gedanken. Welby besaß jedenfalls die Mittel, der Familie Craven auf eine ebenso geheimnisvolle Art zu nützen, als zu schaden, wie es denn auch bekannt war, dass er hinter alles zu kommen verstand, was ihm eben zu erfahren beliebte.