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»Na, wird’s bald? Antwort oder nicht!«
»Ja, ja!« schrak der Alte auf. — »Sag’, Edward, willst Du?«
»Jjj — nnnein! — Nein, ich nicht, Vater, so gern ich Euch sonst gehorche! — Seht, — was — was man so gewöhnlich Mut — Kriegsmut nennt, da — da ist mir der William doch voraus. Hat’s ja geübt mit seinem Fechten und Reiten. Will ich denn ’n blauer Kavalier sein? Gott behüt’ mich! Als Schneider leb’ ich und sterb’ ich! Hat er so große Lust, übers Wasser in den deutschen Krieg zu ziehen und für Frau Elisabeth seine Glieder zu wagen, wird er doch wohl für seines Vaters Beutel auch Mut genug haben, dem Esquire einmal unter die Augen zu gehen. Maßnehmen kann er, und so viel nähen am Ende auch.«
Der Bote lachte wieder. — Craven ging ganz verstört hinüber in Williams Kabinett, wo er denselben über seinen Büchern fand. Mit einer gewissen Schüchternheit, die aus dem Gefühle entsprang, den guten Willen dessen jetzt beanspruchen zu müssen, welcher mit ihm seit langer Zeit auf gespanntem Fuße stand, reichte er ihm Welbys Brief.
»Edward will nicht zu dem Esquire, er fürchtet sich. Willst Du nicht hin und mir — ausnahmsweise — das schöne Geld verdienen? ’s ist zwar unter unserer Würde, außer’m Hause zu arbeiten, und für Dich, ’nen Ritter, erst recht, aber bei ’nem Manne, der einem — so nützen und schaden kann, dacht’ ich, würdest Du’s wohl tun. Wer erfährt’s denn?«
William blickte regungslos auf die Schrift, indes der Alte in ihn liebevoll dringend hineinredete. Langsam stand er auf und blickte mit finsterem Spott auf den Vater.
»Ich gehe hin! Vielleicht trägt’s so viel ein, wie ich Euch seither gekostet habe.«
»Mein lieber Junge, wie Du so ’was nur reden kannst! — Du willst also wirklich hin? Wirklich? Sieh’ das ist schön, das macht mir Freude, Gott segne Dich!«
Damit eilte er hastig ins Comptoir zurück.
»Er geht hin, William wird gleich kommen!«
Der Bote lachte und erhob sich.
»Also in der Grubstreet, dicht bei Cripplegate, das graue hohe Haus rechter Hand. Lebt wohl.«
»Wollt Ihr denn nicht ’n Schillingsstück für den Gang nehmen? Und hört, braucht denn der Esquire kein Zeug zu dem Gewande, das er will?«
»Wer mich schickt, bezahlt mich auch. Wenn Welby bloß ’nen Schneider will, so will er kein Zeug, sonst hätt’ er’s geschrieben.«
»Aber herzhaft, Mensch, soll doch einer sein! Es – es geschieht doch nichts Gottloses da?«
»Haha, das weiß ich nicht. Wenn Euer Sohn Furcht hat, so bleibe er heim.«
William trat eben, den Brief in der Hand, ein.
»Wer spricht von Furcht? Ich habe gesagt, ich komme; das ist genug.«
»Willst Du Dir keine Waffe mitnehmen?« sagte der Hofschneider halblaut und bänglich an ihn herantretend.
»Eine Waffe? Nein. Ich gehe, um dem Esquire Dienste zu leisten, nicht mit ihm zu streiten. Ich fürchte nichts mehr im Leben, am wenigsten die Schrecken, welche mir Esquire Welby, haha, bereiten mag! Gott ist um mich überall, und dieser Mann sein Geschöpf so gut, wie ich.«
Der Bote sah William starr an.
»Hoho, Herr, habt Ihr wirklich so viel kalt’ Blut? — Desto besser, Ihr könnt es, wo Ihr hingeht, brauchen!«
»Ihr habt doch welches, da Ihr um den Esquire seid?«
»Ich um den Esquire? — Ich kenne ihn nur aus seinen Wirkungen, die aber machen Mannesseelen mürbe. Gehabt Euch wohl!«
Der Bote schritt hinaus. Der Hofschneider und Edward standen noch immer starr und träumend.
Ohne ein Wort weiter zu erwähnen, traf William seine Zurüstungen, hing den Mantel um, und dem Vater zunickend, verließ er das Haus, um dem Rufe des sonderbaren Briefes zu folgen.
Die Gedanken, mit welchen sich der Hofschneider in den ersten Stunden nach Williams Entfernung beschäftigte, waren zwischen Befürchtungen für dessen Sicherheit, der Berechnung des wahrscheinlich zu hoffenden ansehnlichen Gewinns und den Mutmaßungen geteilt, welcherlei Arbeit der reiche Sonderling wohl von seinem Ältesten verlangen könne. Edward hingegen war froh, dass er einer so fatalen Aufgabe entgangen war, und William sich durch seine trotzige Kühnheit hatte verleiten lassen, eine Weile demjenigen Gewerbe zu huldigen, für das ihn der Vater seit dem Ritterschlage zu vornehm gefunden.
Es vergingen drei, vier Tage, eine Woche, William kehrte nicht zurück. — Das Personal begann unruhig zu werden, besonders Doderidge. Man erging sich flüsternd in allerlei Mutmaßungen. Der Hofschneider begann schlecht zu schlafen und von beängstigenden Träumen gequält zu werden. Selbst Edward, der sonst nie Neigung für William hatte blicken lassen, ihm höchstens ein negatives Interesse gewidmet hatte, konnte eine steigende innere Aufregung nur mühsam unterdrücken und war einsilbig wie noch nie. War’s vielleicht eine Reaktion seiner besseren Natur, oder etwa die peinliche Erwartung einer Katastrophe, die ihn für immer von dem stolzen Erstgebornen, dem Teilhaber am väterlichen Vermögen erlöse? Er hütete jedenfalls seine Zunge und suchte eine Gleichgültigkeit zu heucheln, die niemand im Hause teilte, und welche er in Augenblicken, wo er sich nicht genug bewachte, selbst Lügen strafte. —
Die zweite Woche neigte sich ihrem Ende, und William erschien nicht wieder. Da litt es den Alten nicht länger. Eine unerklärliche Angst überfiel ihn, und er sprach laut aus, dass er nach der Guildhall oder nach Mansion-Haus gehen, in seiner Not beim Lordmayor und den Aldermans Rats holen wolle. Edward bestärkte ihn eifrig darin, und der Hofschneider machte sich auf den Weg.
Sir Baptist Hicks von Campden, der große Seidenhändler, zur Zeit mit der obersten Würde der Stadt betraut und seines menschenfreundlichen Wohltätigkeitssinns wegen berühmt, hörte die Besorgnisse Cravens mit Ruhe an und sah den Brief des Esquire.
»Dagegen, Sir, so leid mir’s tut, ist nichts zu machen. Wer mit Welby anbindet, mag sehen, wie er fertig wird. Dieser Brief ist so gut wie ein Vertrag. Trotz seiner eigenwilligen und gefahrdrohenden Bedingungen habt Ihr freiwillig Euren Sohn, großen Lohnes wegen, dem Esquire überlassen. Der junge Mann ist gleichfalls freiwillig zu ihm gegangen, hat sich also die Folgen selbst zuzuschreiben. Ihr habt auf nichts Anspruch, als das Geld, und zwar so lange, als Euer Sohn nicht in Eure vier Pfähle zurückgekehrt ist, was Euch der Esquire auch auf die erste Mahnung gewiss zahlen wird. Macht Euer Gewissen Euch darüber Vorwürfe, Freund, so kann ich wohl Eure Vaterangst mitfühlen, Euch sehr bedauern, aber weder meine richterliche Macht, noch die eines anderen Gerichtshofes reicht hin, Euch William wiederzuschaffen, wenn er nicht von selbst kommt.«
»Sagt das nicht, Mylord«, rief Craven bebend, »sagt nicht, dass ich mein Kind, den Stolz meines Hauses, das Glück meines Alters für Mammon verschachert habe! An die Sternenkammer, zum Könige selbst, will ich gehen! Mein Vaterrecht muss mir doch werden!?«
Der Lordmayor schüttelte mitleidig, ja fast verächtlich das Haupt.
»Es ist nichts damit, täuscht Euch nicht. Wollt Ihr ein Narr sein, erhebt Geschrei, so viel Ihr wollt, aber die Lords der Sternenkammer werden Euch auslachen und sagen, Esquire Welby sei ein Ehrenmann, falls es nicht gar einem seiner stillen Freunde einfällt, Euch auf Beschimpfung eines Mannes vom ältesten Adel anzuklagen. Der König weiß aber wohl am besten, dass er dem nicht an den Leib kann, der ihn in — Verlegenheit bringen und — aus Verlegenheit ziehen kann! So lange Euer Sohn nicht selbst über Gewalttat und Verletzung seiner Rechte als Engländer klagt, tut Ihr am besten, Geduld zu haben. Ich rate es Euch.«
Blass und verzweifelnd kehrte der Hofschneider in sein Haus zurück.
»Ich habe meinen Sohn verkauft, ich elender Mann! Ich habe ihn verloren, auf immer verloren! Vermaledeit alles, Glück und Wohlstand, die Zierde ist hin, die schönsten Hoffnungen, die ihm erst Wert gegeben haben!«
Tiefe Bestürzung und Ratlosigkeit herrschte im Cravenhause. Edward allein machte den eifrigen Tröster, weil er vielleicht selbst am getröstetsten war, und mit jedem neuen Tage, mit welchem die Hoffnung von Williams Wiederkehr geringer wurde, klangen Edwards Perorationen in frömmerer Zuversicht und wurden über den göttlichen Schutz beredter. Die dritte Woche begann und verrann. Alle Befürchtungen vergewisserten sich. Denn dass Welby William wirklich so lange und für 420 Pfund beschäftigen könne, war eine Verrücktheit, an die kein Schneiderkalkül glaubte.
Doderidge trat endlich tief bewegt zu dem Meister. —
»Sir, heute ist Freitag, der Tag, an dem der Herr litt, der Tag, da der Ärmste vor drei Wochen von uns wegging. Was Gott auch über Euer Haus im Zorn verhängte, nicht länger darf unsere Hand in den Schoß gelegt sein. Ich will hin und die Satansmacht, in deren Klauen er vielleicht schon unterging, zerschmeißen mit dem Worte der Kraft und die Finsternisse dieses argen Mannes Welby durchdringen! Hilft keiner uns zum Rechte, so ist eine Macht noch, die der Sternenkammer, dem Welby und dem Obersten dieser Rotte Korah noch gewachsen ist, das Parlament! Vielleicht ist der Erzfeind Williams, der ihn auf dem Gewissen hat, näher, als wir meinen!«
Doderidge schoss einen wilden, starren Blick auf Edward. Edward erbleichte und wendete sich bebend ab.
»So gehe denn, Freund, geleite Dich der Himmel! Wenn Du ihn wieder —«
Die Tür ging auf, William stand vor ihnen. Edward prallte zurück, als sähe er einen Geist.
Aufschreiend stürzte der Alte in des Wiedergekehrten Arme.
»Da? Doch da, endlich? Dir lieber, guter Junge, Du mein Herzenssohn und Kleinod? Und gesund? Wahrhaftig, und gesund ist er! Kommt her, alle, seht ihn an! Er ist wieder da! Gott sei gelobt in seiner Herrlichkeit, Amen!«
»Das sei er!« erwiderte William hellen Auges mit sanftem Lächeln. »Ihr ahnt wohl nicht, wie sehr auf mich gerade der Ausruf passt? Ja, in seiner Herrlichkeit gepriesen sei er, aber nicht jeder kann sie sehen, Vater, und das wunderbare Getriebe durchschauen, was wir Leben nennen und doch oft so wenig verstehen!«
»Aber sage mir nur, wo und weshalb bliebst Du so lange denn? Wir waren in Todesschrecken um Dich. Ich bin schon beim Lordmayor deshalb gewesen.«
»Glaubtet Ihr denn, mir könne was geschehen? Jedes Wesen hat seine abgesteckte Bahn, und aus der Welt geht keiner, der nicht das Teil erfüllt, was ihm oblag auf Erden. Wenn ich mir selber nur nichts tue, wer sollte mir dann was anhaben? Bei dem Esquire Welby bin ich gewesen, sonst nirgends. Warum so lange? — Die Arbeit, Vater, die da geübt wird«, er lächelte, »ist keine, wie Ihr hier macht, keine, die so bald fertig wird. Ich gehe drum auch wieder hin.«
»Wieder hin?« rief Edward starr. »Gott behüte mich!«
Craven faltete die Hände. »Und wann denn?«
»Wenn mich der — Esquire rufen wird!«
»Und das Geld, Junge, das Geld! Ist’s denn möglich, dass Du so viel verdient hast? Das schaffen in derselben Zeit ja die Hälfte unserer Leute nicht!«
»Ist’s Dir um das Geld, Vater, so brauchst Du nur ’ne Anweisung an Welby zu Gresham, dem Goldschmied, zu bringen, dann hast Du’s. Der Esquire meint aber, Du tätest besser, Du ließest es, bis mehr dazu kommt, dann hättest Du doch auch die Zinsen.«
»Auch die Zinsen!« echote Edward wie abwesend.
»Nein, wenn ich Dich nicht leibhaftig sähe, Willy, ich hielt’s für ’nen Traum! Welby muss Golcondas Schätze ja besitzen, wenn er das zahlen kann!?«
»Er hat mehr Schätze, als sonst das weite England fasst, verlasst Euch darauf.«
»Und welche Arbeit, beim Himmel, ist das denn?« stöhnte Edward. »Sage mir nur, Mensch, ist’s in Samt, Atlas — oder in was Kostbarem sonst ist sie denn gewesen?«
»Mein Christenwort befiehlt mir Schweigen, Bruder. Das aber glaube mir, der Stoff, den ich zur Arbeit hatte, ist der köstlichste, seltenste und zarteste, den je Menschenhand berührt. Unter rohen, gemeinen Händen wird er vernichtet. Genug, ich habe anderes mit Euch zu sprechen. Im Groll und Unmut, trübem Brüten und finsterem Trotze habe ich sonst unter Euch gelebt. Verzeih mir, Vater, Du sollst fortan ein willig Kind in allen Stücken an mir finden. Kränkte ich Dich aber jemals, Edward, vergiss es, gib mir die Hand, und — was uns am meisten Not tut, lass uns — Brüder sein.«
Er umarmte den Alten und ergriff herzlich Edwards Hand. Blöde und scheu die Augen niederschlagend, ließ dieser ihm die Rechte.
»Ich habe ja aber gar nichts wider Dich!«
Dann wendete sich Edward ab und ging wie zerschlagen in die Werkstube.
»Heiliger Dunstan, Junge, was hat der Welby denn aus Dir gemacht? ‘nen Engel!«
»Ein Engel, Vater«, lächelte William, »wird man auf Erden nicht. ’s ist schon schwer genug, ein Mensch zu werden. Nicht jeder bringt’s so weit.«

Drittes Kapitel
Die eigentümliche Gemüts- und Geistesveränderung des blauen Kavaliers übte auf alle Bewohner von Cravenhaus einen unerklärlichen Zauber. Nicht dass William nicht vorher schon ein wackerer Mann gewesen sei und die Zuneigung seiner Umgebungen verdient habe, aber alle seine guten Eigenschaften traten vordem gewissermaßen nur willenlos aus ihm heraus, so dass man sagen konnte, es sei weniger sein Verdienst, als seine Gewohnheit, gut zu sein. Dabei hatte er Schattenseiten besessen, die, wenn sie auch nicht unedel genannt werden konnten, auch nicht geradezu schädlich wirkten, ihm selber doch Schaden gebracht, ihn weniger glücklich gemacht und von der freien Entfaltung seiner eigentlichen Seelenkräfte abgehalten hatten. Das Bewusstsein, eines reichen Mannes Sohn zu sein, hatte einen gewissen Stolz in ihm befördert und den Ehrgeiz, sich über seinen Stand in Sphären zu erheben, die doch nimmer seine dauernde Heimat waren. Er hatte den Stand seines Vaters heimlich zu verachten sich gewöhnt, welcher ihm doch die Mittel bot, seinen unbürgerlichen Neigungen zu folgen. Sein vormaliges Traumleben, zumal seine phantastische Schwärmerei für Elisabeth von der Pfalz und der Ritterschlag hatten ihn umso mehr seinen angeborenen Verhältnissen entfremdet, als die eitle Liebe seines Vaters seine vornehme Abgeschlossenheit begünstigt hatte, bis endlich seine Überhebung und romantische Torheit durch die Schlacht am weißen Berge zu solch einer Höhe erwachsen war, dass wenig gefehlt hätte, ihn für immer vom Vaterhause zu trennen.
Jedenfalls war er demselben innerlich durchaus entfremdet und in einen Gemütszustand gebracht worden, der weder ihn selbst noch irgendwen in seiner Nähe beglücken konnte. Seit er von dem wunderbaren Esquire aber zurückgekehrt war, schien er ein neuer Mensch, in seinem Wesen gänzlich verwandelt zu sein. Ich sage »schien«.
Denn in Wahrheit hatte sich sein eigentliches Wesen jetzt nur voll und ganz entfaltet und durchs Bewusstsein geklärt. Sein Hirn war nun frei von hohlen Phantasten, eigensüchtigem und zugleich widersinnigem Sehnen. Die Eitelkeit seines Rittertums belächelte er jetzt ebenso sehr, als er von ihr vordem geschwellt wurde, und das peinigende Mitleid um Elisabeth, seine glühende Liebe und Vergötterung der schönen Unglücklichen waren einem ruhigen, ernsten Gefühle tiefer Verehrung, zugleich aber zu einer festen Hoffnung geworden, die gänzlich rein von eigenen Wünschen war. —
Die ganze Welt, das Vaterhaus, hatten ihm jetzt eine neue, höhere Bedeutung, er in sich selbst einen neuen, sichereren Zweck, und dies Gefühl, das zugleich Glaube und Wissen, ja eine Art höherer, geheimnisvoller Weisheit war, breitete den Schimmer froher Ruhe und gewinnender Herzlichkeit über sein ferneres Leben. An allem im Hause nahm er teil, ohne nach dem Regimente desselben zu geizen oder sich in Dinge des Geschäfts zu drängen; für welche er sonst keinen Sinn gehabt. Er war da, wo man ihn zu brauchen gesonnen war, lebte jedoch ebenso eifrig seinen Büchern und den Waffenübungen, zu welchen sein Stand ihn berechtigte. Besonders aber nahm er sich seiner kleinen Schwester Maggy an, der er sonst nur geringe Beachtung gegönnt hatte. Diesen seinen Einflüssen konnte sich denn auch keiner, der im alten Cravenhause lebte, entziehen. Der Vater, die Arbeiter vergötterten ihn, Maggy hing an ihm mit wahrer Begeisterung, und so wenig er sich auch den Anschein gab, bestimmen oder befehlen zu wollen, genügte doch seine leichteste Bemerkung, ja der Ausdruck seiner Mienen, um die Handlungsweise seiner Umgebung zu bestimmen.
Edward selbst vermochte sich nicht seinen Einwirkungen und der brüderlichen Innigkeit zu entziehen, mit der er ihm überall entgegenkam und bei diesem spröden Gemüte um Gegenliebe warb. Wenn auch noch so erzwungen, Edward musste doch seine Freundlichkeit erwidern. Der reiche Verdienst, den William so seltsam dem Säckel des Hauses zubrachte, die Art der rätselhaften Arbeit bei Welby, verbunden mit der Neugier, hinter den Schleier dieser Geldquelle und die Seltsamkeiten des grauen Hauses in der Grubstreet zu kommen, welche auf William gar so tief gewirkt hatten, verbunden mit dem Verlangen, vielleicht selber der Vorteile zu genießen, die dort unzweifelhaft zu erringen waren, vermochte geraume Zeit den Dämon der Zwietracht und des Übelwollens, die kleinlichen und doch so heftigen Leidenschaften nieder zu halten, welche in Edward lebten.
»Sag’, Willy, ist’s wirklich denn so gefährlich bei dem Esquire, dass man außergewöhnlichen Mut nötig hat? Könnte Unsereins nicht auch ’n Mal es wagen, bei ihm zu arbeiten? Scheint mir doch eher Gutes zu sein, was einem da geschieht, weil Du seitdem so gar glücklich und zufrieden geworden bist?«
»Willst Du’s mit dem Esquire versuchen?« erwiderte William lebhaft. »Mein erstes Wort bei ihm soll sein, zu bitten, dass er auch Dich bei sich arbeiten lässt! Gefährlich, in jenes Haus zu treten, ist’s ganz sicher für den, dessen Gewissen nicht rein ist. Auf ihn würden alle schrecklichen Folgen dessen fallen, was in ihm an verwerflichen Gedanken, frevlen Wünschen und giftigen Leidenschaften wohnt. Wer aber die Prüfung seines Innern erst bestand, wird nie mehr unzufrieden sein. Selbst wenn ich auch treulos geworden wäre, Edward, Dir alles zu sagen, was ich über jenen Mann weiß, den sie einen Sonderling nennen und nur seines Reichtums wegen gelten lassen, Du würdest es doch so wenig verstehen, wie etwa eine fremde Sprache. Das will gesehen, gefühlt, im Herzen erlebt sein, Edward. Ich versprech’ Dir aber, einst sollst Du sicher in dies Haus; gedulde Dich bis dahin.«
Mehr erfuhr Edward trotz aller Bemühungen nicht, und was er erfahren, war ebenso sehr geeignet, ihn zu erschrecken, als ihn nur desto lüsterner zu machen, das Dunkel zu durchdringen, welches den unbegreiflichen Welby umgab.
Mehrere Jahre gingen hin. — Zu verschiedensten Malen war William längere oder kürzere Zeit bei dem Esquire gewesen, um zu arbeiten, und seine glückliche Heiterkeit blieb sich immer gleich. So oft ihn aber auch Edward ungeduldig fragte, »wann er denn nun auch einmal dort zur Arbeit komme«, — antwortete ihm William nur: »Ich habe gefragt und zur Antwort erhalten: er wird gerufen sein, wenn — seine Zeit gekommen ist!« —
Diese Zeit schien nie kommen zu sollen. Dafür aber kam etwas anderes, Unerfreulicheres. —
Das menschliche Gemüt, durch Klugheit und eigenen Vorteil gezügelt, kann wohl eine Zeit lang sein wahres Wesen verleugnen, seine Antipathien und Gelüste zurückdrängen, aber nicht auf die Dauer. Die Spannung, welche innerer Kampf stets erzeugt, die Unnatur jeder Verstellung, der Widerstreit zwischen dem inneren Fühlen und äußeren Tun des Menschen wird endlich so groß und unerträglich, dass er alle Bande sprengt, und seine ursprüngliche Natur nur umso wilder dann hervortritt. Dies geschah mit Edward und wurde durch eine neue Leidenschaft bewirkt, die alle anderen überwucherte und seine eigene Zukunft entschied. Dass er das Haus des Esquire nicht betreten durfte, erfüllte ihn mit tiefem Misstrauen und dem alten, schlecht unterdrückten Neide zu William. Er war der Meinung, dass es gewiss nur in dessen Absicht und Vorteil liege, ihn von Welby fern zu halten, dass diese von aller Welt gepriesene, in den Himmel erhobene Sanftmut, Herzlichkeit und Liebenswürdigkeit des Bruders aber nichts sei, als eine verdammt schlaue Berechnung, um sich der Macht über alle Gemüter, über das Haus und die Erbschaft zu versichern, welche er durch seine romantischen Tollheiten schon beinahe verloren gehabt.
Edward glaubte fest, dass dieses Benehmen Williams auch die beste Manier sei, ihn bei Welby beliebt und unentbehrlich, ja sich vielleicht zum Herren des Sonderlings zu machen, indem er alle verrückten Gewohnheiten, wie die Geheimniskrämerei desselben begünstige, und es wahrscheinlich sehr gut zu Williams Plänen passe, den Ruf der Gefährlichkeit und des rätselhaften Schreckens mit verbreiten zu helfen, in welchem das Haus auf der Grubstreet stand. Die alte, tiefe Abneigung, der mühevoll bezwungene Hass gegen den Bruder kehrte mit doppelter Stärke in sein Herz zurück. Sonst hatte er ihm seines kavalieren Lebens, seiner Überhebung wegen übelgewollt, und nicht ganz ohne einen gewissen natürlichen, entschuldbaren Grund, jetzt feindete er ihn wegen seiner Vortrefflichkeit an, welche bei Williams ritterlichem Stande doppelt hochgeachtet wurde und Edwards gewöhnliche Denkungsart nur umso greller erscheinen ließ.
Ein neues Moment aber wirkte entscheidend. Vom Augenblick an, wo Jeany Doderidge Cravenhaus betrat, hatte sie tiefen Eindruck auf Edwards Herz gemacht, und er hatte ihr von Stunde an besondere Aufmerksamkeit gewidmet, soweit sich dies nämlich mit seiner Vorsicht und der Furcht vor dem Vater vertrug.
Mit höflichem Ernst hatte die Kleine solch verstohlene Galanterien hingenommen.
Ob sie Edwards Absichten merkte, war schwer zu entscheiden, aber sie war Weib genug, um einen Galan hinzuhalten, ohne ihn zu ermüden, denn das verstehen Evas Töchter alle. Edward zweifelte einige Zeit auch nicht im Entferntesten, Jeany werde freudig »Ja« sagen, sobald er es für gut finden möge, seine eigentliche Bewerbung anzubringen. Seines Vaters zweiter Sohn wusste sehr genau, was sein Ehering wert war, und wie hoch die Puritanerin mit seiner Liebe geehrt werde. Diese Siegesgewissheit hatte indes einen argen Stoß empfangen, nachdem William das erste Mal von Welby zurückgekommen, und sein Auftreten ein so verändertes war. Jeany Doderidge errötete jedes Mal, wenn William mit ihr sprach, und verriet ein Interesse, eine Ergebenheit zu demselben, die über das bloße Verhältnis der Dienstbarkeit hinaus ging, in welchem sie und ihre Genossinnen zum Cravenhause standen. William, so schien’s, sprach aber öfterer und in herzlicherer Weise als sonst mit ihr. Nur noch die Eifersucht der Liebe hatte gefehlt, Edwards Hass gegen den Bruder unversöhnlich zu machen, sobald er sich nur erst überzeugt glaubte, dass derselbe ihn, wie bisher überall, nun auch in seinem heiligsten Interesse, dem höchsten Glück seines Lebens bedrohe. Sich diese Überzeugung zu verschaffen, nahm er den Augenblick wahr, wo Jeany sich einmal im Comptoir allein befand, um unter den Stoffen und Garnituren das Passendste zu einer Robe für Lady Falkland auszusuchen. Vater und Bruder waren fort, die beiden Schreiber in Geschäften des Hauses ausgegangen und alles ringsum still.
»Ein Wort im Vertrauen, Jeany«, er stockte.
»Ich höre, Mstr. Edward.«
»Ihr wisst, Jeany, dass, seitdem Ihr in unserem Hause seid, ich Euch immer sehr höflich und zuvorkommend behandelt habe.«
»Ihr wart immer gütig, Mister.«
»Sehr zuvorkommend sogar, kann man sagen! Was ich Euch nur an Artigkeit erzeigen konnte, wie ich Euch nur bevorzugen und meinem Vater empfehlen konnte, ich tat’s.«
»Gottes Gnade möge dafür groß an Euch werden.«
»Ja, und keiner andren, glaubt mir, hätt’ ich’s getan, Jeany, obwohl Ihr ’ne Puritanerin seid und nichts herbrachtet, als Euer hübsches Gesicht und Eure geschickten Hände.«
»Das Gesicht, Mister Edward, kann Alter und Krankheit bald entstellen, diese Hand kann erlahmen und alles, was Ihr an mir lobt, dahinfallen, so gut wie dieses prachtvolle Gewebe und selbst Eures Vaters Reichtum. Es sind Dinge dieser Welt, die Motten und Rost fressen. Aber das reine Licht der Schrift, die rechte Lehre, ohne Schlacken und Zutat, das Herz in unserer Brust, kann weder gefälscht, noch alt werden, noch erlahmen in mir, und spottet des Glanzes und Hochmuts, auf den Ihr pocht.«
»Wohl, Jeany, richtig. Und ich bin diesem Eurem Glauben nicht etwa gram, obgleich es gefährlich ist, ihn zu hegen, und es Unehre bringt, ihn gar zu offen in unserm guten, ansehnlichen Hause zu bekennen. Aber das soll mich nicht abhalten, Jeany, und ich will über alles hinwegsehen, denn ich — ich — liebe Euch! Ich will Euch zu meiner Frau machen und werde meines Vaters Abneigung gegen Eure Sekte nach und nach überwinden. Einst sollt Ihr hier allein gebieten, Doderidge soll mein Bruder und Geschäftsteilhaber, Ihr werdet die reiche, geehrte Frau Edward Cravens sein, die mit niemand tauschen mag!«