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Nachdem die betrunkenen Offiziere das Zelt verlassen hatten, saß er noch lange grübelnd über seinem abgeschlossenen Bericht. Er hatte sich einen warmen Mantel übergezogen, denn die Nächte hier waren kalt. Eine zusätzliche Patrouille zu der eingeteilten Wache sollte die ganze Nacht hindurch das Lager umrunden. Wie eine Herde Rinder, um die die Cowboys leise ritten, ging es ihm durch den Kopf. Aber statt nach Wölfen oder Viehdieben hielten sie nach Comanchen Ausschau. Am nächsten Morgen bei hellem Tageslicht sollte die weitere Umgebung noch einmal gründlich abgesucht werden. Vielleicht fand man ja doch noch etwas – Verletzte vielleicht oder sogar Tote?
Seufzend zog er den Mantel enger um sich. Ein letzter Rundgang durch das Lager stand noch an, das war er seinen Männern schuldig. Im Grunde genommen wollte er nur sein Ansehen aufpolieren, denn er wusste wohl, welchen Eindruck er bei vielen von ihnen hinterlassen hatte.
Vier von seinen sechs Pawnee-Spähern sollten ihn dabei begleiten, obwohl er noch immer kein großes Vertrauen zu ihnen empfand. So sehr er sie auch verabscheute – die Tonkawa-Scouts, die Mackenzie immer begleiteten und die ihm dieser angeboten hatte – waren ihm noch mehr zuwider. Zu gut erinnerte er sich an die wilden Geschichten, die man über sie erzählte – haarsträubende Geschichten, die von Kannibalismus und Fressgelagen mit Teilen getöteter Gefangener handelten. Smith schüttelte sich voller Abscheu. Egal, ob das nun stimmte oder nicht – er jedenfalls glaubte es. Warum um alles in der Welt sich Mackenzie mit ihnen abgab, ja, ihnen sogar sein eigenes Leben und das seiner Männer anvertraute, blieb ihm ein Rätsel. Da verließ er sich doch lieber auf diese Pawnee-Scouts, obwohl ihm bei ihrem Anblick nicht gerade wohl war. Dass sie auf einmal wieder ihre Armeemützen trugen, weil sie nicht sofort von eventuel herumstreifenden Comanchen als Pawnee erkannt werden wollten, machte es für ihn nicht gerade besser. Und doch konnte er sich nicht über sie beklagen. Während des Ritts nach Fort Concho waren sie ihm nicht einmal zu nahe gekommen; immer hatten sie Abstand gehalten, was ihm nur recht gewesen war. Wenn auch ihre Manieren manchmal zu wünschen übrig ließen – ihm gegenüber blieben sie immer höflich. Kein Anzeichen von Feindseligkeit, während er selbst sein Misstrauen nicht ablegen konnte.
In Gedanken versunken ritt er im Schritttempo mit vier von ihnen an der Senke vor dem Geröllfeld vorbei. Der Mond beleuchtete einen Teil des unten wachsenden Gesträuchs. Die alte, knorrige Eiche warf ihren Schatten lang auf den Boden. Irgendwie sah alles hier gespenstisch aus. Gerade wollte Smith zum Fluss hin abbiegen, da machte ihn der Pawnee mit den Pockennarben auf etwas aufmerksam und hob lauschend den Kopf. Jetzt hörte er es auch. Irgendwo von dort oben, von den Felsen her, kam ein unterdrückter Schrei. Kurz danach folgte ein unheimliches Wimmern, das jäh abbrach. Mit gespannten Gesichtern lauschten sie in die Stille der Nacht. Doch da weiter nichts mehr passierte, schüttelte Smith nur den Kopf. „Vielleicht ein Raubtier? Ein Puma?“ Seine Stimme klang verhalten, als hätte er Angst, dass ihn jemand hörend könnte. In Wahrheit war ihm der Schreck durch Mark und Bein gefahren.
Die Pawnee lauschten weiter. Einer von ihnen verzog spöttisch den Mund. „Nein“, sagte Narbengesicht, „Baby. Hören an wie Baby.“
Entsetzt weiteten sich Smiths Augen. Der Pawnee nickte und wiederholte herausfordernd: „Baby. Comanchen-Balg. Píh-rau. Du nicht kennen Schrei von Puma? Ich, Pawnee-Mann, kennen gut.“
„Gehst du da jetzt hoch, um nachzusehen?“ Oberstleutnant Smith stellte diese Frage mit voller Absicht, um sich für seinen Tonfall zu rächen. Er kannte ihre Furcht vor den Comanchen ja jetzt. Der Pawnee würde das nicht wagen, davon war er überzeugt. Ein Blick aus seinen dunklen Augen ließ ihn erschauern. „Nein, ich hab nur einen Scherz gemacht“, sagte er deshalb schnell; er wollte den Scout nicht verärgern. „Ich will heute Nacht keine Alleingänge mehr“, setzte er erklärend hinzu. „Wenn dort oben noch Comanchen stecken, dann können sie nicht weg. Und ein Kind? Ein Baby? Dort oben sitzen sie in der Falle, sie können nirgendwo anders hin, als hier runter. Und Pferde werden sie wohl auch nicht dort oben haben. Hier wimmelt es nur so von unseren Männern; und sollten sie über den Wald abhauen wollen – da sind ebenfalls unsere Leute.“
„Falle gut, Pawnee passen auf.“ Wie, um seine Worte zu bekräftigen, blieb er mit verschränkten Armen auf seinem Pferd sitzen.
Smith betrachtete ihn zweifelnd. Aber dieser sture Hund meinte es tatsächlich ernst. Oben blieb es weiterhin still. Smith nickte, als würde er diesen Einfall befürworten. Langsam machte er sich mit den drei anderen Pawnee wieder auf den Weg ins Truppenlager. Leutselig, nicht mehr an den eben erlebten kleinen Zwischenfall denken wollend, unterhielt er sich mit den Männern, die noch vor ihren Zelten saßen.
Der Wache haltende Pawnee mit dem Pockennarbengesicht saß still und aufmerksam auf seinem Pferd. Das Geröllfeld über ihm lag im Dunkeln. Später, als kleine Steine herunterkullerten, suchte er zwar nach der Ursache, konnte aber nicht viel erkennen, dafür hätte er schon nach oben klettern müssen. Sich selber beruhigend, gab er sich damit zufrieden, dass es vielleicht nur der Wind gewesen war oder ein kleines Tier. Doch der Schrei klang ihm immer noch in den Ohren. Das war nicht der Wind gewesen. Misstrauisch blieb er auf seinem Posten. Das Lager vor ihm glich einem lärmenden Haufen Soldaten, die auch zu dieser späten Stunde nicht zur Ruhe kamen. Der Weiße Mann ist ein großer Dummkopf, sagte er sich. Überall brannten Feuer; man konnte die Männer ganz deutlich sehen, die sich gegenseitig zutranken oder einträchtig beieinander saßen und Karten spielten. Erzählungen, die meisten davon völlig übertriebene eigene Heldentaten gegen ihnen unterlegene Indianer – machten weiter die Runde. Oberstleutnant Smith ließ sich großmütig an manchem Feuer nieder und hörte sich diese Geschichten an. Doch, dachte er ein über das andere Mal, wenn er in die strahlenden Gesichter seiner Männer blickte – eigentlich war das hier ja gar keine Niederlage gewesen. Alles in allem vielleicht sogar ein kleiner Sieg. Schließlich war es ihnen gelungen, alle Comanchen von hier zu vertreiben. Jawohl, das hatten sie. Warum nicht einfach behaupten, dass sie ihre Toten mitgenommen haben? Der eine oder andere Augenzeuge ließ sich doch wohl finden? Wer sollte denn das Gegenteil beweisen? Vielleicht stimmte es ja sogar. Nun, er würde diesen unseligen Bericht noch einmal umschreiben – was war schon dabei? Mit den schwindelerregenden Verlustmeldungen, was die getöteten Indianer eines Custer betraf, wollte er zwar nicht mithalten, doch es würde niemandem schaden, wenn er ein wenig übertrieb. Wahrscheinlich war Mackenzie, den niemand, den er kannte, besonders schätzte, der Einzige, der die Wahrheit in seinen Berichten schrieb.
Diese Überlegungen im Kopf, ritt er zum Fluss hinunter. Die drei Pawnee-Scouts an seiner Seite, überquerte er eine flache Stelle und kam am anderen Ufer – fast ohne sich die Stiefel nass zu machen – heraus. Die Wagen und Geschütze der Artillerie hatte der Captain dicht beieinander angeordnet. Hier hatte vor kurzem noch die Pferdeherde der Comanchen gegrast, wie Smith deutlich erkennen konnte. Kaum zu glauben, wie viele es gewesen sein mussten! Er schluckte seinen Unmut hinunter. Bedauerlich, dass die ihm entwischt waren. Sein Pferd anhaltend, schaute er sich um. Die Deichseln der beiden mit Munition und Verpflegung beladenen Wagen ruhten jede quer auf einem Stein. In weitem Umkreis lagen verstreute Ausrüstungsgegenstände der Männer, die sich etwas abseits um einige Feuer versammelt hatten. Ihre Pferde grasten weiter oben. Man konnte sie nicht sehen, jedoch ihr leises Schnaufen hören. Auch hier wurden Geschichten erzählt, die nicht immer der Wahrheit entsprachen.
Smith saß ab, um sich zu ihnen zu gesellen, und prompt verstummte das Gelächter. Er sah wohl auch die Blicke, mit denen sie die drei Pawnee musterten, und schob es darauf, dass sie das für völlig übertrieben hielten – hier, inmitten seiner Männer. Deshalb schickte er zwei von ihnen auf Streife in den Canyon. Einer blieb in angemessener Entfernung von ihm auf seinem Pferd sitzen. Bald schon verschmolz seine einsame Gestalt mit der Nacht.
7. Kapitel
Summer-Rain erreichte auf ihrem Pony die ersten Tipis. Sie brauchte, genau wie Storm-Rider, nur Augenblicke, um ihre Leute zu mobilisieren. Sie waren bereits von dem ersten Kanonendonner aufgeschreckt worden. Allein dieser Einschlag in der Nähe der ersten drei Tipis hatte seine Wirkung auf alle anderen nicht verfehlt. Weiter flussaufwärts rissen Frauen bereits ihre Tipis nieder, rollten Büffelhäute zusammen, warfen hektisch Sachen auf Decken und ergriffen die Flucht. Alles war in Bewegung.
Storm-Rider schickte Späher aus, während schon die ersten beladenen Travois in Richtung Felsendurchgang unterwegs waren. Kinder griffen sich wahllos Pferde, die bis eben noch grasend in der Nähe gestanden hatten. Die Besitzverhältnisse waren egal. In Windeseile beluden sie sie mit ihren Habseligkeiten. Um ein Tipi abzubauen, brauchte eine darin geübte Frau nicht lange. Wenn ein Weißer die Zeit gestoppt hätte, wäre er auf 15-18 Minuten gekommen. Den Haushalt brachten sie in eigens dafür vorgesehenen Ledertaschen unter. Alles, was sie greifen konnten, kam dort hinein oder wurde in sämtliche Lücken des Travois gestopft. Was wie ein heilloses Durcheinander aussah, entsprang langer Übung. Kleinkinder hingen bereits in Tragewiegen sicher verstaut an der Seite der Pferde. Die letzten Behältnisse mit Vorräten und frischen Nahrungsmitteln warfen Frauen im Laufen noch den größeren Kindern zu, die sich damit auf ihre Ponys hievten. Unnütze Gegenstände blieben zurück.
Das kleine Völkchen rannte, ritt, trug, was es nur konnte, von ihren Heimstätten am Fluss zum Hauptweg hinüber, um von dort aus den Durchgang zwischen dem Canyon und dem Geröllfeld zu erreichen. Schon verschwanden die ersten Flüchtenden dort hindurch, fürsorglich sich nach den Nachfolgenden umblickend. Wenn es nur irgend ging, würde niemand zurückgelassen werden. Das alles geschah ohne Zutun der Krieger, die ihre Waffen geholt hatten und sich vor dem Geröllfeld sammelten. Manch eine Mutter rief laut nach ihren Kindern, die sich – aufgeregt durch das hektische Treiben – etwas entfernt hatten. Wo Hilfe gebraucht wurde, unterstützten sich die Frauen untereinander, griffen dort nach einem Halfter, halfen hier einer Nachbarin beim Befestigen ihres Travois. Oft fand sich ein Kind plötzlich auf dem Pony neben einem Freund, während die eigene Mutter noch nach ihm Ausschau hielt. Junge Mädchen hielten die Pferde fest, dirigierten ihre Geschwister auf zusätzliche Ponys und halfen ihren Müttern. Die halbwüchsigen Jungen ritten zur Pferdeherde hinüber und kamen mit Mustangs im Schlepp wieder zurück.
Währenddessen donnerten bereits die ersten Pferde der großen Herde durch den Canyon. An ihrer Seite ritten die Pferdejungen und weitere die Herde betreuende Männer. Wie sie es schafften, diese gewaltige Anzahl – etwa 700 – heil und geordnet durch den Canyon zu bringen, blieb ihr Geheimnis. Zwei der Männer, die sich auch sonst immer um die Herde kümmerten, kamen mit etwa 20 Mustangs über den Fluss geritten, um sie noch zusätzlich an die Frauen zu verteilen. Es waren Arrow-Head und Raven-Feather, die Haare von der Sonne ausgebleicht, hochgewachsen und von dem Leben in den Plains fast so dunkel wie Comanchen. Kurz darauf preschte auch der Rest der Herde zusammen mit ihnen durch den Canyon hinaus in die Weite.
Sie waren die Götter der Pferde – sie waren Comanchen.
Die den Frauen zugetriebenen Pferde wurden in fliegender Hast beladen. Kleine Kinder – kaum, dass sie laufen konnten – wussten schon ganz genau, was man von ihnen erwartete. Von den älteren Geschwistern unterstützt, hievten sie sich auf die Pferderücken. Summer-Rain kam denen zu Hilfe, die Hilfe brauchten, und ritt eilig von Tipi zu Tipi den Fluss entlang. Sie belud Travois und reichte kleine Kinder, die auf unerklärliche Weise von ihren Müttern getrennt worden waren, in die tröstenden Arme irgendwelcher Verwandte, brachte Nachrichten hin und her. Es wurde nicht laut geschrien, kein unnützer Lärm gemacht, keine Hektik verbreitet. Immer mehr Menschen kamen von flussabwärts, schließlich hatten die Tipis den gesamten Flussabschnitt entlang gestanden. Wer zu viel Hausrat zurücklassen musste, bekam ihn später von der Gemeinschaft ersetzt. Summer-Rain hatte ihre beiden Ersatzpferde bereits abgegeben, so dass damit zwei Travois beladen werden konnten. Das aufgelöste Lager kam im Eiltempo den ausgetretenen Hauptweg entlang. Schützende Bäume hatten sie bisher vor den Augen der Angreifer abgeschirmt.
Drei alte Männer wurden kurzerhand, ohne ihren Protest zu beachten, auf die Travois ihrer Familien gehievt. Sie alle waren geliebte Großväter, einer sogar ein Urgroßvater, die niemand als leichte Beute für die Soldaten zurücklassen wollte – schon gar nicht ihre Enkelkinder. Das alles schafften die Frauen ganz ohne männliche Hilfe. Es war ihre Aufgabe, denn die Krieger hatten anderes zu tun. Bereits als die ersten Tipis zusammenfielen, die ersten Stangen aus dem Boden gerissen wurden, griffen sie zu den Waffen und ritten auf ihren besten Kriegsponys zum Geröllfeld. Für solche Fälle hatte Red-Eagle, der bisher ihr Kriegshäuptling gewesen war, schon bei ihrem Eintreffen hier im Sommerlager Anordnungen getroffen. Jeder wusste also, was er zu tun hatte. Das waren Dinge, die notwendig waren und in die sich jeder bedingungslos fügte. Die Mustangs der Krieger tänzelten unruhig; sie wussten, was vorging. Gut ausgebildet, waren sie begierig auf den kommenden Kampf. In der kurzen Zeit, in der sich die Reiter versammelten, sah so mancher von ihnen von seinem Standplatz aus die eigene Familie flüchten. Erleichtert atmeten sie auf, wenn sie sahen, wie sie mit dem gesamten Hausrat samt Kindern den Durchgang passierten. Sie würden sich mit ihrem eigenen Leben dafür einsetzen, dass sie auch weiter in Sicherheit blieben. Die Krieger, von denen einige gerade einmal fünfzehn, sechzehn Winter zählten, ritten vor dem Geröllfeld auf und ab. Niemand von ihnen wusste, wie stark der Feind, der stetig den Fluss heraufkam, wirklich war. Sie verließen sich auf Storm-Rider. Wie selbstverständlich hatten sie alle seine Anweisungen befolgt. Flüssig, ohne zu zögern oder Unsicherheit zu zeigen, hatte er ihnen gesagt, was zu tun war. Nicht einmal absichtlich – es hatte sich einfach so ergeben.
Jetzt warteten sie hier auf ihn. Die Späher, die er gleich am Beginn des Beschusses ausgeschickt hatte, waren soeben zurückgekehrt. Red-Eagle wandte sich halb zu den Kriegern um, musterte ihre versteinerten Gesichter, die mit keiner Regung anzeigten, was sie dachten. Doch es war offensichtlich, dass sie nach seinem Sohn Ausschau hielten. Unsicher streifte sein Blick Old-Antelope, ihren betagten Häuptling, dann Great-Mountain, der sich ebenfalls auf seinem Kriegspferd eingefunden hatte, und blieb schließlich bei Storm-Rider hängen, der eben herangeritten kam.
Die vom Signalhorn ausgestoßenen grellen Töne, dieses Hoch und Runter, konnten sie bis hierher hören. Ruhig, nur ruhig, bedeutete ihnen Storm-Rider mit einer Hand und glitt von seinem Mustang, um die Meldung der unberittenen Späher entgegenzunehmen. Einschläge, noch weit weg, aber stetig näherkommend, kündeten von einem Angriff auf ihr Zuhause.
Grey-Wolf, der fürsorglich die Pferde und die Waffen der Späher mitgebracht hatte, übergab sie ihnen, ohne etwas zu sagen. Mochte er auch manchmal übermütig wie ein Kind sein – er war ein umsichtiger, weitsichtiger Mann. Die Späher ordneten sich in die Reihe der Krieger ein. Storm-Rider schwang sich in den Sattel seines Lieblingspferdes Summer-Wind. In der Armbeuge hielt er Summer-Rains Winchester, geladen mit 17 Patronen. Stumm blickten sich Vater und Sohn einen Herzschlag lang an – Gedankenübertragung. Red-Eagle nickte zuerst ihm und dann den Kriegern zu. Na los, schien er zu sagen; es ist gut so. Die Männer hatten beide nicht aus den Augen gelassen. Jeder Einzelne von ihnen traf seine Wahl – im Hinterkopf die Gefahr, die immer näher kam. Niemand brauchte noch zu überlegen, es war längst entschieden. Dann ritt der älteste der Krieger zu Storm-Rider hinüber. Weitere folgten, bis sich schließlich fast alle neben ihm auf ihren Kriegsponys einfanden. Drei zögerten noch, Icy-Wind unter ihnen; doch auch sie lösten sich nur Augenblicke später aus ihrer Starre und ritten an Storm-Riders Seite. Red-Eagle kam als Letzter. Er zog sich den Riemen, an dem die Kriegspfeife hing, über den Kopf, um damit zu zeigen, dass er die Verantwortung für die Antilopenbande an seinen Sohn weitergab. Und so war es beschlossen. Die Würde des Kriegshäuptlings war auf Storm-Rider übergegangen. Das alles hatte nicht lange gedauert.
Ein zufriedenes Murmeln hing in der Luft. Dieser Mann auf seinem Schimmelhengst hatte ihr Vertrauen. Sie würden ihm folgen, seinen Befehlen gehorchen. Solange dieser Kampf dauerte, war keiner von ihnen mehr ein Einzelkämpfer. Storm-Rider hatten sie zu ihrem Anführer gemacht, weil er schon immer jemand war, der die Bewunderung aller auf sich zog – der mit seinem starken Charakter und seinen Führungsqualitäten nicht nur die jungen Männer mit sich reißen konnte. Auch die älteren Krieger blickten zu ihm auf. Manch einer wünschte sich, einen Sohn wie ihn zu haben oder einen Schwiegersohn. Storm-Rider war ein Mann, wie ein Mann sein sollte, trotz seiner Jugend oder der Geschichten, die man sonst noch über ihn wusste. Jetzt spielte das keine Rolle mehr. Durch sein umsichtiges Handeln hier und jetzt hatte er seine Fähigkeiten längst bewiesen.
Wie als wäre das schon immer sein Platz gewesen, ritt er vor die Männer. Während der Zeit, die das dauerte, hatte er schon einen Plan entwickelt. Ohne das vor ihnen liegende Gelände noch einmal betrachten zu müssen, wusste er, was zu tun war. In seinem Kopf stand die Schlachtordnung fest – wo und wie sie angreifen mussten und wo die Schwächen des Feindes lagen. Die große Pferdeherde, ihr ganzer Stolz und ihre Lebensgrundlage, befand sich in Sicherheit, dafür hatte er bereits gesorgt. Das Geräusch der Hufe auf den Gesteinsplatten des Canyons – dort, wo das Wasser des Flusses an den Seiten darüberströmte – war das einzige Geräusch, das man noch von ihnen hörte.
Der junge Kriegshäuptling war sich durchaus seiner Verantwortung bewusst. Rasch ritt er die Reihe seine Männer ab, jeden mit einem prüfenden Blick musternd. Diese Zeit musste sein. Erst wenn er wusste, dass wirklich alle hinter ihm standen, konnte auch er ihnen voll vertrauen. Auf seinem nackten Rücken wippte der Köcher mit dem bereits eingehakten Bogen. Summer-Rains Winchester steckte jetzt griffbereit an der Seite von Summer-Wind. Die dazugehörige Patronentasche hing ihm über der Brust. Er hatte es vorhin überprüft. 17 Patronen passten hinein. Erst nach 17 Schüssen würde er nachladen müssen. Neben dem Köcher ragte der Griff des scharf geschliffenen Schlachtbeils auf seinem Rücken hervor. Er hatte das bei Icy-Wind gesehen. Wenn er unter dem Bauch seines Mustangs hindurch musste, war das praktischer, als das große Schlachtbeil im Gürtel zu tragen.
Nach dem raschen Vorbeiritt an seinen Männern hielt Summer-Wind. Wie aus Stein gemeißelt stand das treue Tier völlig still. Alle Kriegsponys ignorierten den Pulverqualm, der vom Fluss heraufwehte, ignorierten die näherkommenden Einschüsse, den Aufbruch des Volkes. Ja, sogar die ihnen völlig unbekannten schrillen Töne der Trompete. Jedes von ihnen wusste, was ihm abverlangt werden würde, noch bevor sein Reiter ihm ein Zeichen gab. Mann und Pferd bildeten eine vollkommene Einheit. Nicht umsonst verbrachten sie die meiste Zeit ihres Lebens zusammen.
Storm-Riders offene Haare flatterten im aufkommenden Wind. Genau wie die anderen Krieger trug er keinerlei Kriegsbemalung, keinen Schmuck – auch die Pferde nicht. An ihren Lanzen, wenn sie denn Zeit gehabt hatten, sie aus ihren Verstecken zu holen, wehten keine Skalps. Sie vertrauten einzig und allein auf ihre Medizin. Jeder von ihnen hatte seinen Tiergeist angerufen, um Unterstützung gebeten und – sollte er sterben – um eine freundliche Aufnahme. Jetzt blickten sie zu Storm-Rider und warteten auf sein Zeichen. Was auch immer er von ihnen verlangte, sie waren bereit, es zu tun.
Der junge Häuptling ließ Summer-Wind, sein liebstes Kriegspony, neben dem seines Vaters halten.
Stumm griff er hinüber nach der Hand seines Vaters und drückte sie kurz. Dann beugte er sich nach vorn zu Summer-Wind, löste den Zügel vom Halfter und ließ ihn auf den Boden gleiten. So würde er die Hände zum Kämpfen frei haben. Andere folgten seinem Beispiel. Sich im Sattel zu seiner vollen Größe aufrichtend, drückte er seinen Oberkörper durch, griff über den Rücken und riss sein Schlachtbeil mit einem einzigen Ruck aus der Halterung. Mit der anderen Hand führte er die Kriegspfeife an die Lippen. Der schrille Laut vermischte sich mit dem Schmettern der Trompete, wurde eins mit ihm, verklang. Noch einmal und noch einmal, aber jetzt allein die Luft zerteilend, unüberhörbar das Donnern der Kanonen überlagernd. Die Mustangs schnaubten aufgeregt, und ihre Köpfe flogen in die Höhe. Den Klang der Kriegspfeife kannten sie, waren vertraut mit jedem Signal und kaum noch zu halten. Im nächsten Moment, aus dem Stand heraus, preschten sie in einer einzigen Formation los. Und so führte Storm-Rider sie mitten hinein in die Reihen der Feinde.
Es waren ihre Frauen, ihre Kinder, ihre Eltern, ihre Großväter und -mütter, ihre Familien, die sie bereit waren, mit ihrem Leben zu beschützen. Manch eine Frau, die zu ihrem Ehemann schaute, war stolz und gleichzeitig wurde ihr weh ums Herz. Würde er noch hier sein, wenn alles vorbei war? Jedem der flüchtenden Comanchen war klar, um was es hier ging. Das Leben der Krieger – der Preis für das ihre.
Ein Ton aus der Kriegspfeife, und die Formation der Pferde löste sich auf. Vier Herzschläge später stießen sie in die Reihen der Angreifer – wie ein Raubvogel auf seine Beute. Für die Soldaten völlig überraschend, zerteilten sie deren Reihen, brachten sie durcheinander und waren wieder verschwunden. Dann kamen sie zurück. Wie der Flügelschlag eines Adlers fächerte sich die Formation in einer einzigen fließenden Bewegung zu einem umgekehrten V. Sich wie in einer Umarmung hinter der überraschten Kavallerie schließend, hinterließen sie einen ungefähren Eindruck, was es bedeutete, sich mit Comanchen-Kriegern anzulegen. Der Wind hätte nicht schneller sein können.
Das Schlachtfeld vor sich im Blick, gab Storm-Rider das nächste Zeichen. Den Rückzug ihrer Familien zu schützen, das war ihre vorrangige Aufgabe. Hier ging es nicht um Töten oder Skalps – nicht um Ruhm, nicht um Ehre. Es ging um das Überleben ihres Volkes. Wie ein Sturm, der über die Ebene fegt, kamen sie über die Soldaten. Ihr Ziel war es, den Feind aufzuhalten. Und das taten sie. Mit waghalsigen Wendemanövern und todesverachtenden Einsätzen verhinderten sie immer wieder, dass der ihnen zahlenmäßig weit überlegene Feind vorrücken konnte.
Die Lippen fest aufeinandergepresst, ihre Angst niederkämpfend, hatte Summer-Rain endlich Großmutter gefunden. Jetzt war alles gut. Aufatmend rutschte sie von ihrem Pony. Überall herrschte hektisches Treiben. Immer noch trieben Frauen ihre beladenen Pferde mit den Travois im Schlepp durch den Felsenüberhang zwischen dem Geröllfeld und dem Canyon. Jetzt waren sie am verwundbarsten. Niemand schaute zurück – auch Summer-Rain nicht. Sie eilte auf Großmutter zu, umarmte die alte Frau und lehnte sich an ihre schmale, knorrige Schulter. Kurz dachte sie an Storm-Rider, sah ihn wieder vor sich, sah, wie er auf sie zukam. Seinen ihr so vertrauten Gang, die Art, wie er den Kopf hob, sein schiefes Lächeln – alles. Sie hätte ihn aus Tausenden herausgefunden.
Großmutter, dachte sie und fühlte ihre Knochen durch das Kleid. Angst schnürte ihr die Kehle zusammen, als sie bemerkte, wie die alte Frau zitterte. Dark-Night fiel ihr ein. Sie hatte sie bisher nicht finden können, auch Dream-In-The-Day nicht. Wo waren ihre beiden Freundinnen? Lebte Dark-Night überhaupt noch? Großmutter musste es wissen. Bevor sie sie jedoch fragen konnte, hörte sie die Männer auf ihren Kriegsponys herandonnern. Sie erkannte Gray-Wolf, Red-Eagle, Icy-Wind – sogar Great-Mountain und Old-Antelope. Dann ihren Bruder Light-Cloud. Er musste verletzt sein, registrierte sie erschrocken, denn er trug einen Verband um den Oberkörper und hielt sich seltsam gebeugt auf seinem Mustang. Da tauchte Storm-Rider in ihrem Blickfeld auf. Der Wind griff in seine Haare. Sie konnte nicht hören, was er rief, doch der Klang seiner Stimme griff ihr ans Herz – als gelte es, daraus zwei Hälften zu machen. Der Schmerz traf sie völlig unvorbereitet. Im nächsten Augenblick waren die Krieger vorbei.