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Die Sonne stand bereits tief im Süden, da ging Icy-Wind zum Tipi von Light-Cloud, der kurz zuvor erschöpft von der Suche nach Dark-Night dort eingetroffen war. Icy-Wind war prächtig gekleidet, als gelte es, einen großen Empfang zu geben. Breitbeinig baute er sich vor dem Eingang auf, sein Gewehr lässig in der Hand, und rief herausfordernd nach Light-Cloud. Das nächste Tipi, außer dem von Großmutter, war etwa 80 große Schritte entfernt; man konnte seine Stimme bis dorthin hören.
„He, du Sohn einer räudigen Hündin! Deine Mutter taugte schon nichts, und du bist ihr Ebenbild! Die Reste meiner Frau liegen im Canyon, wenn sie nicht schon dort herausgekrochen ist wie eine Kröte aus dem Schlamm!“ Mit diesen Worten warf er das grüne Band von Dark-Night, das sie immer in ihren Haaren trug, gegen die Klappe des Tipis. Light-Cloud war bereits nach seinen ersten Worten heraus gekommen. Während er jetzt das Band ergriff, schnauzte Icy-Wind: „Damit kannst du deine Tränen trocknen!“
Wie erstarrt betrachtete der jüngere Mann zuerst das Band und dann den Peiniger seiner Liebsten.
„Das ist meine Antwort auf ihre Ehrlosigkeit! Doch es ist noch nicht zu Ende. Du hast meine Ehre beschmutzt, und dafür sollst du ebenfalls büßen“, rief Icy-Wind so laut und deutlich, dass jeder, der sich in der Nähe aufhielt, es hören musste. Dann schritt er erhobenen Hauptes wieder fort.
Light-Cloud starrte ihm immer noch nach, obwohl er schon nicht mehr zu sehen war. Unwillkürlich ballten sich seine Hände zu Fäusten. Dann ging ihm auf, was soeben passiert war. Die Entscheidung – sie war gefallen und es gab kein Zurück mehr.
Storm-Rider, gerade auf dem Weg zu ihm, hatte alles gehört. Schon war er bei ihm, packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn heftig. Beide blickten sich kurz in die Augen; dann nickte Light-Cloud, dem alle Farbe aus dem Gesicht gewichen war. Großmutter tauchte aus ihrem in der Nähe stehenden Tipi auf. Die alte Frau verschwendete keine Zeit mit unnützen Worten – hatte sie doch die Beleidigungen ebenfalls gehört und bereits nach ihrem Pony gerufen. Augenblicke später stürmten die drei auf ihren Pferden in Richtung Canyon.
Erst nach einer gefühlten Ewigkeit kehrten sie zurück, denn sie hatten Dark-Night nicht gleich finden können. Sie lag noch immer dort, wo Icy-Wind sie verlassen hatte. Bewusstlos, mehr tot als lebendig. Jetzt hielt Light-Cloud eine schwerverletzte Dark-Night vor sich auf dem Pferd. Großmutter, mit wie zu Stein erstarrtem Gesicht, ritt hinter ihm. Storm-Rider machte den Schluss. Er hatte die Augen zusammengekniffen, seine Miene bedeutete nichts Gutes. Für ihn hatte Icy-Wind mit dieser Tat eindeutig eine Grenze überschritten. Es wäre besser gewesen, die Einladung der Krieger anzunehmen, um diese Angelegenheit mit Anstand und Ehre zu Ende zu bringen.
Die Nachricht von Dark-Nights Rückkehr und ihrem Zustand ging wie ein Lauffeuer durch das Lager, und die, die noch immer nach ihr suchten, kehrten zurück. Nur zögernd zerstreuten sich die Menschen, aber neugierig waren sie doch. Jetzt war man gespannt, was weiter passieren würde. Dass eine Entscheidung anstand, war allen klar. Die Mutmaßungen, was Dark-Night und Light-Cloud anging, wurden zur Gewissheit.
Vor Großmutters Tipi hielten die drei ihre Pferde an. Light-Cloud übergab Dark-Night in die Arme der alten Frau, dann verschwand er mit Storm-Rider zur Beratung in seinem eigenen Tipi. Viele, die ihnen auf ihrem Weg begegnet waren, sahen kurz darauf Icy-Wind in stolzer Haltung und in seinem Festgewand vor dem eigenen Tipi stehen. Noch immer fühlte er sich im Recht. Crow-Wing, die sich nicht einmal die Mühe machte, ihre Schadenfreude zu verbergen, kam gerade von einer Runde durch das Lager zurück. Auch sie wusste inzwischen von der Neuigkeit, dass man Dark-Night gefunden und in Großmutters Tipi gebracht hatte. Eifrig öffnete sie die Klappe ihres Tipis, ließ Icy-Wind vorangehen und schlüpfte nach ihm hinein.
Die Worte von Icy-Wind, die er zu Light-Cloud gesagt hatte, wanderten von Mund zu Mund. Ihm Dark-Night jetzt auszuliefern, sie zu ihm zu bringen, das konnte sich keiner hier vorstellen. So blieb nur ein Weg, den Light-Cloud betreten musste. Und das hatte Icy-Wind wohl auch bezweckt.
Gray-Wolf, obwohl er oft die dümmsten Ideen hatte, war diesmal weitsichtig genug, um den Häuptling zu informieren. Schnurstracks ritt er zum Tipi von Old-Antelope, der den Suchtrupp nicht begleiten konnte, da ihn wieder einmal sein Rheumatismus plagte.
Auf einmal tauchte Icy-Wind auf einem seiner Ponys auf, überquerte die seichte Furt bis auf die andere Seite des Flusses und ritt zur Pferdeherde. Das Pony dort gegen seinen besten Hengst, einen wunderschönen Schecken, tauschend, ritt er wieder über den Fluss zurück. Nachdem er lange in seinem Tipi verschwunden war, kam er waffenstarrend heraus. Diesmal hatte er keine Festkleidung an, sondern war wie ein Krieger, der sich einem Feind stellt, gekleidet. Er trug sein scharf geschliffenes Kriegsbeil in seinem Gürtel, ebenso steckte ein Messer mit kupfernem Griff, der dunkel wie Blut schimmerte, als ihn ein rötlicher Strahl der Abendsonne traf, daneben. Im gestreckten Galopp verschwand er im nahen Wäldchen und kam kurz darauf mit seiner Kriegslanze in der Armbeuge wieder heraus. Er ließ seinen Mustang herausfordernd nur wenige Schritte von seinem Tipi tänzeln, auf ein lautloses Kommando hin wenden und steigen. Dann wartete Icy-Wind regungslos wie ein Fels auf Light-Cloud. Nur die Mähne seines Pferdes und seine eigenen langen Haare wehten im Abendwind. Er hatte keine Aufforderung aussprechen müssen; seine Absicht lag klar auf der Hand.
Niemand erschien. Niemand wagte sich auch nur in die Nähe. Da setzte sich Icy-Wind in Bewegung. Langsam ritt er den Hauptweg hinunter, bis er etwa in Höhe von Light-Clouds Tipi war. Sein Pferd durch dichtes Gebüsch bis zum Fluss hinüber lenkend, kam er in Sichtweite von dessen Tipi. Er tat das mit einem Gesichtsausdruck, als gelte es, die ganze Welt umzubringen. Jetzt hielt er an. Im nächsten Moment galoppierte er direkt auf das Tipi zu, seine Herausforderung laut herausschreiend. „Komm schon, du Feigling, ich warte nicht länger!“ Er wollte diesen Kampf. Jetzt, sofort – nicht morgen, nicht am nächsten Tag, sondern jetzt! Und schon gar nicht wollte er sich Ort und Zeitpunkt von anderen bestimmen lassen.
Kurz vor dem Tipi riss er den Mustang zurück, ließ ihn steigen und wieder wenden; dann jagte er am Fluss entlang, einen schmalen Pfad einschlagend, zum Hauptweg zurück. Er schwang sein Kriegsbeil und stieß weiter seine herausfordernden Schreie aus. Er tat das bis zum Ende des Hauptweges, hielt dort, wo die Ebene begann, wendete und ritt wieder zurück. Zum zweiten Mal baute er sich vor Light-Clouds Zuhause auf.
Frauen hatten ihre vor den Tipis am Fluss spielenden Kinder aufgeregt hineingescheucht. Während dieser ganzen Aufregung gingen verschiedene Trockengestelle mit Fleisch zu Bruch. Kläffende Hunde stürzten sich gierig darauf und mussten weggezerrt werden. Einige Mustangs galoppierten zum Fluss hinunter. Das Durcheinander, das Icy-Wind mit seinem Auftritt angerichtet hatte, war zwar überschaubar, doch die Krieger, die jetzt auf der Bildfläche erschienen, warfen sich missbilligende Blicke zu. Es ging nicht an, dass ein einzelner Mann sich derart aufführte.
Plötzlich kam Bewegung in diejenigen, die sich inzwischen an der Flussbiegung, wo Großmutter und Light-Clouds Tipis standen, eingefunden hatten. Einige Frauen machten Platz für Old-Antelope, der aufgeschreckt, schwer atmend, von Gray-Wolf gestützt, auf der Bildfläche erschien. Der alte Häuptling trug seine besten Sachen als Zeichen der Würde. Einen Rundblick auf seine Leute werfend, erfasste er die Situation wie ein Feldherr. Er brauchte zwar etwas Zeit dazu, auch um seinen Atem wieder zu beruhigen; dann aber ging er ohne fremde Hilfe auf Icy-Wind zu.
Der erwartete ihn in hochmütiger, aufrecht sitzender Haltung. Auch einem Häuptling gegenüber musste man nicht klein beigeben. Das Recht war auf seiner Seite; alles andere zählte für ihn nicht. Beide Männer maßen sich mit herausfordernden Blicken: Icy-Wind mit erhobenem Kopf und tief heruntergezogenen Mundwinkeln; Old-Antelope mit gerunzelter Stirn, ansonsten völlig ruhig. Ohne jeden Zweifel hielt er sich nur mit Mühe zurück. Gespannt warteten alle auf das, was nun kommen würde.
Old-Antelope befand sich in einer verzwickten Lage. Um noch zwischen den beiden zu vermitteln, war es bereits zu spät. Den Mann vor ihm in die Schranken zu weisen für das, was er seiner Frau angetan hatte, kam nicht in Frage. Ihn wegen des Durcheinanders hier zur Rede zu stellen, ebenfalls nicht. Das war ohne Bedeutung. Was also sollte er tun? Machte er jetzt einen Fehler, konnte ihn das seine Häuptlingswürde kosten. Old-Antelope war ein Mann von Format. Ihn brachte so leicht nichts aus der Ruhe. Außerdem hatte Gray-Wolf ihn rechtzeitig informiert, und so hatte er Zeit gehabt, alles zu überdenken. „Du solltest dich an die Regeln halten“, rief er daher mit seiner gutturalen, wohlklingenden Stimme. Nicht böse, nicht laut, eher belehrend. Seine Augen hatten sich dabei zu Schlitzen verengt. Das gab ihm ein gerissenes Aussehen, genau so, wie er war. Sein nächster Satz traf es auf den Punkt. „Wenn du schon kämpfen musst, dann, bitte schön, nicht hier.“ Mit einer alles umfassenden Geste wies er den Fluss hinauf und hinunter. „Der Frieden darf nicht gestört werden. Such dir einen Platz außerhalb der Reichweite unserer Heimstätten.“ Damit hatte Old-Antelope Prioritäten gesetzt, ohne sich eine Blöße zu geben. Der schlaue Fuchs verstand es immer wieder, genau das Richtige zu tun. Red-Eagle, der wie die anderen gespannt zuhörte, atmete erleichtert auf. Klug gehandelt, dachte er. So etwas konnte nur Old-Antelope.
Dann passierten zwei Dinge auf einmal: Zum einen öffnete sich der Eingang von Großmutters Tipi. Aber es kam nicht Light-Cloud heraus, sondern die alte Frau in ihrem besten Kleid. Sie verschränkte die Arme und starrte Icy-Wind von dort aus an. Der stieß seinem Mustang die Fersen in die Seiten und galoppierte hart auf sie zu. Zeitgleich erschien etwa 100 Pferdelängen entfernt – unterhalb des Geröllfeldes, direkt neben einer Senke – ein rotbraunes Pferd mit heller Mähne. Auf diesem Pferd, seine Lanze herausfordernd in die Luft haltend, saß Light-Cloud. Das kam für alle so überraschend, dass ein Raunen durch die Menschen, die sich inzwischen hier versammelt hatten, ging. Sie fragten sich, wie er das hatte fertigbringen können. Wann war er aus dem Tipi gehuscht? Wie war er für alle unbemerkt bis vor das Geröllfeld gekommen? Und wann hatte er sein bestes Kriegspony holen können? Jetzt schrie er etwas, aber der Wind verschluckte seine Worte.
Icy-Wind, der sein Pferd knapp vor Großmutter zum Stehen gebracht hatte, drehte sich ahnungslos um, den erstaunten Blicken der Umstehenden folgend. Ungläubig starrte er auf Light-Cloud. Im ersten Moment brachte ihn das etwas durcheinander; schließlich war er hier derjenige, der das Überraschungsmoment auf seiner Seite wusste, dann aber blickte er mit spöttischem Gesichtsausdruck auf die vor ihm stehende alte Frau. Absichtlich ließ er die Hufe seines Mustangs unmittelbar vor ihr in den Boden stampfen. Doch Großmutter wäre nicht Großmutter, wenn sie sich dadurch hätte einschüchtern lassen. Seinen Arm ausstreckend, schrie er sie an: „Du wirst mich nicht daran hindern, das zu tun, was ich tun werde. Dieser Mann dort sollte sich besser mit seiner ehebrecherischen Hündin in einer der Höhlen verkriechen, wie schon einmal. Wenn ich mit ihm fertig bin, dann bringe ich ihn dir – aufgespießt auf meine Lanze. Die Bussarde können ihn haben, ihn und diese mexikanische Hündin.“
Seine Rede machte nicht den geringsten Eindruck auf die alte Frau. „Ich habe nicht die Absicht, dich an etwas zu hindern. Und was Light-Cloud betrifft: Noch steckt er nicht auf deiner Lanze“, meinte sie mit herablassender Miene. „Wenn Dark-Night diese Nacht übersteht, will sie mit dir nichts mehr zu tun haben.“
Icy-Wind runzelte die Stirn. Diese Antwort war eine Frechheit. „Wenn sie glaubt, eine Wahl zu haben, irrt sie sich gewaltig.“ Die Wut kochte in ihm hoch, doch er sollte besser aufpassen, was er jetzt sagte.
Großmutter blickte ihn herausfordernd von unten herauf an. „Man hat immer eine Wahl – immer. Verstehst du? Sollte sie es überstehen, wird sie sie treffen. Und sicher nicht zu deinen Gunsten. Sie kommt nicht zu dir zurück.“
In Icy-Winds Gesicht begann es zu zucken. Belustigt betrachtete er die alte Frau, fühlte sich ihr überlegen.
Großmutter hob warnend einen Zeigefinger und schleuderte ihm ihre nächsten Worte entgegen: „Sie ist mit dir fertig. Du kannst dein Lager in Zukunft mit einer Klapperschlange teilen.“
Verhaltenes Gelächter erklang bei einigen in der Nähe stehenden Frauen. Sie hielten sich die Hände vor den Mund, damit niemand sehen konnte, dass sie heimlich grinsten. Was die alte Frau da eben gesagt hatte, war gegen jede Regel. Sie wagte etwas, was noch nie dagewesen war. Doch Großmutter war eine starke Persönlichkeit. Sie hatte sich noch nie von etwas abbringen lassen, was sie sich einmal vorgenommen hatte. Ihr eigentlich gutmütiges Gesicht sah auf einmal hart und unerbittlich aus. Forsch trat sie einen Schritt auf den Mustang zu. Ohne auf das Kommando seines Reiters zu warten, machte der Schecke einige Schritte rückwärts, um mehr Platz zwischen ihnen zu lassen.
Icy-Wind starrte sie ungläubig an. Er war wütend auf die alte Frau und wütend auf seinen Hengst.
Jetzt hatte Großmutter ihn da, wo sie ihn haben wollte. Sie kannte den Mann vor ihr mit all seinen Schwächen. Wie ein Messer in eine Wunde, so stachen ihre nächsten Worte zu. „Du hast eben gesagt, Light-Cloud soll sich mit deiner ehebrecherischen Hündin in eine der Höhlen dort verkriechen? Wir haben das alle gehört. Nun ja, du willst also keine ehebrecherische Hündin in deinem Tipi haben? Das kann hier jeder verstehen“, legte sie seine Worte in ihrem Sinne aus. Sie wusste, er würde keinen klaren Gedanken mehr fassen können, denn spätestens jetzt hätte er ihr widersprechen müssen. Doch er saß nur völlig sprachlos auf seinem Mustang.
„Diese ehebrecherische Hündin wird sich ein anderes Tipi suchen – verlass dich drauf“, kam die nächste Frechheit ungerührt von Großmutters welken Lippen. Sie sprach mit erhobener Stimme, so dass jeder sie hören musste. „Alle wissen, dass du sie zum Sterben im Canyon zurückgelassen hast. Damit hast du sie ja bereits verstoßen.“
Icy-Wind wollte jetzt dagegen protestieren, sie zurechtweisen, ihr ihren Irrtum unter die Nase reiben. Außer sich vor Wut öffnete er bereits den Mund, da sah er aus den Augenwinkeln die Zustimmung in den Gesichtern der Umstehenden. Es war die Wahrheit, was Großmutter zuletzt gesagt hatte. Er verstand die Welt nicht mehr – die Alte hatte ihn übertölpelt. Wann war ihm dieser Fehler unterlaufen? Er kam sich vor wie jemand, der weder vorwärts noch rückwärts konnte. Kam er aus dieser vertrackten Situation überhaupt noch unbeschadet heraus? Diese Frage raste ihm durch den Kopf, während er beobachtete, wie Old-Antelope einen wissenden Blick mit Red-Eagle und Gray-Wolf wechselte. Jeder hier wusste, dass eine von ihrem Mann verstoßene Frau keinerlei Versorgungsansprüche mehr an ihn stellen konnte und auf sich selbst gestellt war. Im schlimmsten Fall musste sie verhungern.
Icy-Winds Gedanken überschlugen sich. Nie hatte er vorgehabt, Dark-Night zu verstoßen. Das wäre eine viel zu geringe Strafe für sie gewesen; er wollte sie leiden sehen, jeden Tag, und damit Light-Cloud treffen. Noch immer hielt er sein Kriegspony auf der Stelle. Krampfhaft suchte er nach den richtigen Worten. Zurechtweisung, Beleidigung oder gar Richtigstellung, was auch immer – er fühlte sich völlig missverstanden. Schließlich war er hierher gekommen, um Light-Cloud zum Kampf herauszufordern. Auf keinen Fall hatte er vor, dieser Alten seine Frau zu überlassen – oder dieser eine Wahl. Doch darauf schien das hier hinauszulaufen. Erbost, ungeduldig, völlig aus dem Konzept gebracht blickte er sich um. Zu seinem Verdruss kam Old-Antelope zu ihm heran. Wenn der jetzt auch noch mit dem Finger auf ihn zeigte, würde er die Beherrschung vollends verlieren. Alle schauten ihn an und schienen auf seine nächsten Worte gespannt zu sein. Er war in die Falle getappt, in die Großmutter ihn so geschickt hineingeführt hatte.
Sich in die Brust werfend, hochmütig bis in die Zehenspitzen, den schmallippigen Mund herablassend verzogen, sagte er schließlich genau das, was sie erwartet hatte. Es blieb ihm ja auch gar nichts anderes übrig.
„Die Mexikanerin interessiert mich nicht mehr. Sie ist weniger wert als ein Haufen Hundescheiße.“ Den Kopf den Umstehenden zuwendend, fixierte er einen nach dem anderen mit eng zusammenstehenden Augen. „Einen Haufen Hundescheiße spieße ich nicht einmal mit einem Stock auf. Soll sie doch verrecken. Und wenn du, alte Frau, denkst, dass ihr nach meinem Zweikampf mit Light-Cloud noch einen Versorger habt, dann täuscht ihr euch gewaltig. Sucht euch schon einmal einen Platz zum Sterben draußen in der Prärie, bei den Coyoten.“
Leicht mit den Fersen seinem Mustang gegen die Flanke tippend, drehte er ihn, jetzt triumphierend, weil ihm diese Antwort noch rechtzeitig eingefallen war, einmal um sich selbst. Doch ein bitterer Nachgeschmack blieb zurück. Er wusste, dass die alte Frau ihn hintergangen hatte, ja, mit äußerster Schläue überlistet. Wütend biss er sich auf die Lippe. Am liebsten hätte er sich auf sie gestürzt oder sie einfach mit seinem Mustang niedergeritten. Stattdessen stob er aus dem Stand heraus los. Grasbatzen stoben hinter ihm hoch. Nicht einen Augenblick länger hätte er es in der Gegenwart von Großmutter ausgehalten. Seine Hand war schon bereit gewesen, nach dem Schlachtbeil zu greifen, um ihr den alten Kopf damit zu spalten; seine Finger zuckten noch jetzt, als er an die eben erlittene Niederlage dachte.
Doch das wäre Mord gewesen – Mord, der mit seinem eigenen Ausschluss aus der Gemeinschaft geendet hätte. All das ging ihm durch den Kopf, während er auf das Geröllfeld mit dem auf ihn wartenden Light-Cloud zuritt.
Erst jetzt hörte er die Trommelschläge, die schon eine Weile von flussabwärts heraufklangen. Great-Mountain, ging ihm auf – er ruft die Geister. Kurz blickte er zurück, aber das Tipi des Friedenshäuptlings war von hier aus nicht zu sehen. Während er weiterritt – jetzt etwas langsamer, um zur Ruhe zu kommen – wippte sein nackter Rücken bei jedem Schritt, den sein Mustang machte. Seine schwarzen, schon mit grauen Strähnen durchzogenen Haare wehte ein sachter Windzug zur Seite. Er machte mit seinen einundfünfzig Wintern noch immer eine gute Figur. Unbestritten war er ein großer Krieger, voller Kraft – und hier und jetzt fest dazu entschlossen, die Schmach, die ihn schon seit vielen Wintern quälte, endlich mit Blut auszulöschen. Sun-In-The-Red-Hairs Sohn – sein Blut wollte er.
Großmutter, die unbeweglich, doch mit heftig klopfendem Herzen auf ihrem Platz ausgeharrt hatte, zog die Unterlippe nach innen und biss darauf. Sie wartete, bis sie Icy-Wind nicht mehr sehen konnte, dann verschwand sie rückwärtsgehend in ihrem Tipi. Inzwischen löste sich auch der Rest der Versammlung auf, um mit Old-Antelope zum Geröllfeld zu eilen. Großmutter atmete auf, während sie die Klappe hinter sich schloss. Wenigstens für Dark-Night, die Light-Cloud alles bedeutete, hatte sie etwas tun können. In ihrer unerschütterlichen Zuversicht glaubte sie fest, dass er sich gegen Icy-Wind behaupten würde. Und wenn nicht? Hatte er überhaupt einmal daran gedacht? Still in sich hineinlächelnd wusste sie, dass das überhaupt keine Rolle mehr spielte. Die Würfel waren gefallen. Sie war eine alte Frau – aber was würde aus Dark-Night werden? Sie brauchte ihn – jetzt noch mehr als jemals zuvor. Großmutter schaute kurz nach der Frau, die völlig apathisch auf weichen Fellen lag. Moon-Night war ebenfalls hier und kümmerte sich um sie. Sich davon überzeugend, dass sie nicht gebraucht wurde, huschte sie wieder hinaus. Eine in ihrer Nähe grasende Stute ergreifend, ritt sie in Richtung Geröllfeld.
In gebührendem Abstand zu dem von Light-Cloud ausgesuchten Kampfplatz sah sie schon von weitem eine große Anzahl älterer Männer stehen. Jüngere auf ihren Mustangs hatten sich in einem Halbkreis näher postiert. Darunter waren viele Freunde Light-Clouds. Weiter entfernt standen sogar einige jüngere Frauen um Dream-In-The-Day gruppiert – hinter Gebüsch etwas verborgen. Großmutter suchte sich einen Platz, von dem aus sie ihren Jungen beobachten konnte, sie jedoch selbst nicht zu sehen war. Plötzlich hörten die Trommelschläge auf. Auch Great-Mountain machte sich auf den Weg hierher.
Der Kampf hatte bereits begonnen. Light-Cloud, auf seinem besten Kriegspony, mit Beil und Lanze bewaffnet, schrie Icy-Wind, der ihn auf seinem Mustang in immer enger werdenden Kreisen umrundete, seine ganze Verachtung entgegen. Gerade wich er dem Schlachtbeil seines Gegners aus, indem er sich, sich nur mit einem Fuß in einer Schlinge am Pferderücken haltend, nach unten fallen ließ. Schnell kam er auf der anderen Seite wieder hoch. Das Manöver war schnell und gekonnt ausgeführt worden und brachte ihm die Bewunderung der Menge ein. Sein Kriegspony machte auf der Hinterhand kehrt und umrundete Icy-Wind, der seinem Gegner mit obszönen Handbewegungen zeigte, was er von ihm hielt. Hoch aufgerichtet im Sattel sitzend, wartete er auf eine Blöße Light-Clouds; immerhin besaß er eine größere Kampferfahrung als der Jüngere. Doch auch der konnte auf viele Kämpfe zurückblicken. Ruhig und besonnen, wenn auch innerlich völlig aufgewühlt, wartete auch er auf einen Fehler seines Gegners. Beide umkreisten sich weiter.
Etwa zwölf Schritte eine Böschung hinauf begann das Geröllfeld, auf dem Icy-Wind vor nicht allzu langer Zeit eine Blamage erlitten hatte. Dies wurmte ihn immer noch gewaltig. Johlend zeigte jetzt Light-Cloud nach oben, ihn daran erinnernd. Bisher erschien ihr Kampf eher wie ein Geplänkel zwischen Halbwüchsigen. Das änderte sich auch nicht nach dieser Provokation. Icy-Wind hatte nicht vor, sich zu einer unüberlegten Handlung hinreißen zu lassen. Das mit Großmutter hatte ihm vor Augen geführt, wie schnell man seinen Kopf verlieren konnte.
2. Kapitel
Jenseits der Senke begannen die Zuschauer inzwischen, Wetten abzuschließen. So ernst das auch alles war – davon ließen sich die wenigsten abhalten. Wetten abzuschließen, das war ein Vergnügen, dem sich kein Comanche so leicht entziehen konnte. Noch umkreisten die beiden Gegner einander und warfen sich gegenseitig Schimpfwörter zu. Es hagelte Beleidigungen der übelsten Art. Je einfallsreicher sie sich dabei anstellten, desto mehr Zustimmung erhielten sie von den Zuschauern. Noch immer machte es den Eindruck, als wäre das hier nur ein Schaukampf – ein Kräftemessen zweier Krieger, die gerade nichts Besseres zu tun hatten. Das Gegenteil war der Fall. Hier traf seit langem aufgestauter Hass auf unbezähmbare Wut. Da waren zwei Krieger, die sich nichts schuldig bleiben würden, denen es nicht nur darum ging, einander zu verletzen. Icy-Wind wollte Light-Cloud tot sehen, und auch Light-Cloud dachte nicht daran, Icy-Wind zu verschonen.
Great-Mountain drängte sich nach vorn neben Red-Eagle. Offen zeigte er seinen Zorn; alle konnten es sehen. Er missbilligte diesen Kampf aufs Schärfste. Nur mit größter Mühe gelang es dem neben ihm stehenden Kriegshäuptling, ihn daran zu hindern, nicht einfach auf den Kampfplatz zu stürmen – Regeln hin oder her. Immerhin waren sich beide darin einig, dass man das anders hätte regeln können. Great-Mountain machte sich jetzt Vorwürfe, den Einsatz der jungen Männer nicht unterstützt zu haben. Zu seiner Entschuldigung musste er sich zugute halten, dass er davon nichts gewusst hatte. Trotzdem – Great-Mountain war sehr, sehr aufgebracht.
Soeben tänzelte Light-Clouds rotbrauner Mustang auf der Stelle – ging rückwärts, dann wieder nach vorn. Mit gelangweilter Miene wog sein Reiter die Lanze in der Hand. Wachsamen Auges beobachtete er jede Bewegung des Gegners. Plötzlich – kaum dass die Zuschauer es wahrgenommen hatten – wich der gut trainierte Mustang bereits dem Ansatz eines Angriffs aus. Begeistertes Kopfnicken der umstehenden Männer folgte auf die Reaktionsschnelle des Pferdes und seines Reiters. Sie bekundeten damit Light-Cloud ihren Respekt, als ginge es hier um weiter nichts als eine Zurschaustellung seines Könnens. Erneut stürmten beide Gegner aufeinander los. Ihre Kriegsponys prallen hart zusammen, Schlachtbeile sprühten Funken. Das schabende Geräusch Stahl auf Stahl wurde nur durch das laute Schnauben der Pferde übertönt. Ein Raunen ging durch die zuschauenden Männer. In diesem Moment wurde auch dem Letzten klar, dass es sich hier nicht um ein bloßes Gerangel handelte.