- -
- 100%
- +
„Großmutter wird dich schon wieder zusammenflicken“, meinte Storm-Rider, um das Thema zu wechseln. Er wollte einfach nicht mehr davon sprechen, auch nicht über den Kampf mit Icy-Wind – sich keine Gedanken mehr darüber machen, was vielleicht hätte sein können.
Vom Fluss her tauchte Little-Wolf auf und ritt ihnen entgegen. Nachdem er gesehen hatte, wohin Icy-Wind verschwunden war, wollte er wissen, wie es Light-Cloud ging, und schloss sich ihnen an. Gray-Wolf und er waren im gleichen Alter. Er jedoch war sehniger, etwas größer – und seine Haut hell. Fast ein Drittel aller Comanchen waren Mischlinge oder sogar weiß. Die Mitglieder der Antilopenbande dagegen hatten – bis auf wenige Ausnahmen – eine dunkle Haut. Ein weiterer Freund, der wie Little-Wolf das Kampfgeschehen beobachtet hatte, stieß aus dem seitlichen Gebüsch zu ihnen. Er war zu Fuß, passte sich aber leicht dem ruhigen Gang der Mustangs an. Ursprünglich stammte er aus Mexiko und war jetzt einer der Pferdejungen. Storm-Rider musterte ihn kurz. Ihm war eben etwas eingefallen. Oh, dachte er verwirrt. Ja, „Swims-Through-The-River“, hieß er – „Swimmer“, nannten sie ihn nur kurz. Hatte er doch im Mond, in dem die gelben Blumen blühen, versucht, mit Summer-Rain anzubandeln. Das war nun schon etwas über einen Winter her.
Nach einem prüfenden Blick auf Light-Clouds Pferd zeigte der junge Mexikaner auf das Blut, das dem Tier die Flanken hinunterlief. „Ich werde mich um deinen Braunen kümmern“, stellte er sachkundig fest, ihm die Flanke streichelnd. „Lass mich das für dich tun, Light-Cloud; es wäre mir eine Ehre.“
Sein Lächeln ist umwerfend, stellte Storm-Rider neidlos fest. Auch gehörte er zu den angesehensten Männern und war bekannt für seine heilenden Hände, wenn es um Pferde ging – beinahe so gut wie Light-Cloud selbst. Ohne auf das Angebot einzugehen, murmelte der nur Unverständliches vor sich her. Anscheinend hatte er gerade jetzt große Schmerzen.
Statt seiner antwortete Storm-Rider für den verletzten Freund: „Er wird es nicht selber tun können, das siehst du ja. Also wäre es schön, wenn du das übernimmst.“
„Ihr braucht nicht so zu tun, als wäre ich nicht hier“, schnappte Light-Cloud, der sich damit wieder ins Leben zurückmeldete. „Ich weiß, was ihr denkt, doch dieser Mann hier hat nur ein paar Kratzer abbekommen und wird in der nächsten Zeit noch nicht sterben. Auch verkriecht er sich nicht wie ein wundgeschossener Wolf irgendwo. Also, haltet euch besser zurück!“
„Oho, gib nur nicht so an!“ Gray-Wolf lachte glucksend. Man sah es ihm an, wie froh er über den Zustand des Freundes war. Wenn er schon wieder scherzen konnte, dann würde es sicher nicht so schlimm sein. Doch Light-Clouds Lächeln war nicht echt. Storm-Rider hatte es sehr wohl bemerkt, verbiss sich jedoch jeden Kommentar.
Swimmer drängte sich neben Storm-Riders Pferd. „Ich wünschte nur, seine Schwester Summer-Rain wäre jetzt hier“, sagte er laut. Sein Gesicht bekam einen verträumten Ausdruck, während er weitersprach. „ Sie kann Wunden zusammennähen, da bleiben schnurgerade Narben zurück. Nicht solche unschönen Wülste, wie sie Great-Mountain draufhat. Hier“, damit hielt er ihm den nackten Oberarm hin. „Das hat sie mir sauber zusammengenäht – eine gerade Linie, wie du sehen kannst.“
Storm-Rider rümpfte die Nase und verzog geringschätzig den Mund. „Pah! Wenn man nichts mehr davon sehen kann, heißt das wohl, dass deine Verletzung nicht von Bedeutung war. Solche Wunden näht jedes kleine Kind gerade zusammen.“
„Nein, du weißt genau, dass das nicht stimmt. Du musst ja nicht alles gutheißen, was Summer-Rain tut. Ich weiß wirklich nicht, was du gegen sie hast. Mir ist sie nie egal gewesen. Wenn sie von ihrem Erkundungsritt zurück ist, wird sie uns bald wieder verlassen. Diesmal aber endgültig. Ich jedenfalls finde das schade – noch dazu wegen eines Cheyenne. Das hätte einfach nicht passieren dürfen. Sie ist eine Comanche und gehört hierher zu uns.“
Diese Feststellung hing drei Herzschläge lang in der Luft, bevor Storm-Rider mit hochgezogenen Brauen, die er im Gegensatz zu seinen Freunden nie auszupfte, durch einen zur Hälfte geöffneten Mundwinkel hervorstieß: „Das ist wohl so, That-Swims-Through-The-River.“ Als es heraus war, schluckte er schwer. Seine Kehle war wie ausgetrocknet.
Gray-Wolf schürzte die Lippen, bevor er ebenfalls seine Meinung kundtat. „Wer weiß denn schon mit Sicherheit, ob dieser Cheyenne überhaupt jemals zurückkommt? Auf dieses Volk war doch noch nie Verlass. Unsere Großväter haben zwar damals diesen Großen Frieden mit ihnen geschlossen, doch das heißt noch lange nicht, dass sie uns ebenbürtig sind!“ Bei dieser Verkündung blickte er triumphierend in die Runde und warf sich in Position.
Mühsam hob Light-Cloud den Kopf. Er hatte diesem Gespräch trotz seiner Schmerzen folgen können.
„Summer-Rain wird uns verlassen“, brachte er heraus, hustete und spuckte Blut. „Egal, was ihr sagt – auf den Cheyenne ist Verlass. Ihr seid wie gackernde Truthühner, die sich um einen Wurm streiten, der im Boden verschwindet. Wenn ich seiner nicht so sicher gewesen wäre, denkt ihr etwa, ich hätte sie ihm versprochen?“
Storm-Rider, der so tat, als interessierte ihn das alles nicht, sog die Wangen nach innen, während Swimmer und Little-Wolf enttäuscht vor sich hin nickten. Gray-Wolf schwieg betreten, er hatte Light-Cloud mit seinen Worten natürlich nicht beleidigen wollen.
Da meinte Light-Cloud leise, an keinen im Besonderen gewandt: „Warum eigentlich hat außer Swimmer niemand Interesse an meiner Schwester gezeigt? Da muss erst ein Fremder kommen, und jetzt beschwert ihr euch!“
Es folgte betretenes Schweigen und Schulterzucken. Nein, so war es nicht. Es gab eine einfache Erklärung, und ihrer aller Verlegenheit war Antwort genug. Eigentlich trug Summer-Rain ja an diesem Zustand selber die Schuld. Die jungen Männer befürchteten jedenfalls, von ihr abgewiesen oder was noch viel schlimmer war – lächerlich gemacht zu werden. Das wollte niemand, und so zog sich mancher bereits beim ersten Anzeichen einer Abfuhr zurück. Summer-Rain hatte eine scharfe Zunge, und deshalb überlegte man es sich reiflich, überhaupt mit ihr anzubandeln. Sie gaben lieber auf, als sich zu blamieren. Summer-Rains Stolz und ihre Unnahbarkeit schreckten sie alle ab – und die Gewissheit, dass es sowieso vergebliche Mühe wäre, seine Zeit mit ihr zu verschwenden. Das war die Wahrheit, die aber niemand sich laut zuzugeben getraute.
Storm-Rider legte schweigend eine Hand auf die blutige Flanke von Light-Clouds Braunem. Er schien mit seinen Gedanken weit weg zu sein. Trotz seines Zustandes bemerkte es Light-Cloud. Etwas an dem Gesichtsausdruck des Freundes ließ ihn jetzt stutzen. Es war nur ein kurzes Aufflackern der goldenen Sprenkel in den braunen Augen, ein kurzes Blinzeln. Die letzte Bemerkung über seine Schwester hing noch immer in der Luft. Sie schien die Männer verlegen gemacht zu haben. Jedenfalls blickten sie sich an, als wüssten sie alle außer ihm Bescheid.
„Wir waren überrascht, Light-Cloud“, ergriff Little-Wolf zögernd das Wort, „als das mit Running-Fox bekannt wurde. Das hat einige von uns schwer getroffen. Keiner konnte es so recht begreifen. Ich möchte jetzt keine Namen nennen, doch so war es.“ Ein Seufzer entrang sich ihm, und er schaute verlegen zur Seite. Natürlich hatte es alle überrascht! Summer-Rain wählte ausgerechnet einen Fremden!
„Eben war sie noch das Mädchen, an dessen Anblick man sich erfreute, ohne weiter darüber nachzudenken – und dann schnappt sie uns ein Fremder einfach vor der Nase weg“, offenbarte Little-Wolf seine Gedanken den anderen. Kurz überlegte er, zu schweigen, aber dann sprach er doch weiter, Light-Cloud einen schelmischen Blick zu werfend. „Deine Schwester kam mir immer wie ein wunderschöner Pilz vor, den man aber nicht zu essen wagt – aus Angst, sich zu vergiften. Obwohl es da nur etwas mehr Mut gebraucht hätte. Keiner von uns hat den gehabt. Naja, vielleicht von Swimmer einmal abgesehen.“
Seine Freunde prusteten los und feixten. Little-Wolf jedoch redete unbeirrt weiter, als sei er stolz darauf, das endlich laut aussprechen zu können, was andere insgeheim dachten. „Glaube mir, deine Schwester schwirrt immer noch in so manchen Köpfen herum, ohne dass sie das auch nur ahnt.“
„Naja, man sollte sich ja eigentlich vor giftigen Pilzen vorsehen“, meinte Gray-Wolf leicht belustigt.
Little-Wolf runzelte die Stirn und warf ihm einen wütenden Blick zu. „Ich habe nicht gesagt, dass sie ein giftiger Pilz ist, du Schlauer. Ich hab gesagt, dass man Angst haben könnte, sich zu vergiften – nicht dass es so ist!“ Er musterte Swimmer, der bisher geschwiegen hatte. „Ich will damit sagen“, fuhr er fort, ihn nicht aus den Augen lassend, „sie hat so eine Art, die die Männer abschreckt. Wer holt sich schon gern eine Abfuhr? Dieser Blamage setzt sich kein vernünftiger Mann gern freiwillig aus. Höchstens, er ist so verrückt, wie ich es im vergangenen Sommer war.“
Seine Stimme stockte, er biss sich auf die Unterlippe. Wollte er ihnen das wirklich jetzt hier, in aller Öffentlichkeit, erzählen? Einen Augenblick lang zögerte er, doch dann zog er die Schultern hoch und redete weiter. „Sie hat gelacht und mich verspottet, als ich ihr wie ein treuer Hund überallhin gefolgt bin. Jedes andere Mädchen hätte sich geehrt gefühlt. Glaubst du wirklich, Light-Cloud, das hält ein Mann lange durch? Ich jedenfalls hab‘s aufgegeben. Allerdings hat das einen vollen Mond lang gedauert. Und Swimmer? Frag ihn, er wollte erst mit dir, als ihrem Bruder, reden, bevor er sich eine Abfuhr holt. Natürlich hat Summer-Rain das mitgekriegt. Frag ihn – los, frag ihn danach!“
Der junge Mann, jetzt darauf angesprochen, schaute ziemlich verlegen drein. Das ganze Gespräch war ihm sichtlich unangenehm. Trotz der Schmerzen grinste Light-Cloud in sich hinein. Nein, sagte er sich – nein. Seine Schwester hatte etwas Besseres als einen dieser Männer verdient. Er suchte nach den richtigen Worten, schließlich wollte er niemanden beleidigen. Was, dachte er, hat mir meine kleine Schwester noch alles verschwiegen? Und da fielen ihm Storm-Riders Worte wieder ein. Damals, als sie miteinander von dem Geröllfeld zurückgekommen waren, als der Freund mit Gray-Wolfs Hilfe seine Dark-Night in Sicherheit gebracht hatte. Tief auf den Widerrist seines Kriegsponys gebeugt, konnte er von dieser Position aus Swimmers Gesicht nicht sehen. Aber seine Füße, die jetzt ins Stolpern gerieten. Etwas belustigt richtete er deshalb seine nächsten Worte nach unten, direkt an Swimmers Mokassins. „Ich frage dich also, Swims-Through-The-River – außer der Absicht, mir für meine Schwester Pferde zu versprechen: Was hast du denn sonst noch so getan?“
Swimmer stolperte abermals, denn er hatte den scharfen Ton in Light-Clouds Stimme wohl herausgehört. Etwas verwirrt schaute er besser auf den Weg. So hatte er gleich einen Vorwand, Light-Cloud nicht ins Gesicht sehen zu müssen. „Naja“, druckste er, „was man eben so tut.“
Gray-Wolf, der jetzt hinter ihm ritt und den er nicht sehen konnte, verkniff sich nur mühsam das Lachen.
Etwas kleinlaut kamen die nächsten Worte von Swimmer, der nicht recht wusste, ob man ihn herausfordern oder sich über ihn lustig machen wollte. „Ich hab ihr vorgeschlagen, mit mir auszureiten, ihr kleine Geschenke gemacht, die sie aber nicht angenommen hat. Solche Sachen eben, die man so tut bei einem Mädchen. Sie wollte nicht einmal bunte Bänder haben, die doch wohl keine, die etwas auf sich hält, abgelehnt hätte! Bunte Perlen wollte sie auch nicht. Zuerst hat sie mich einfach nur stehen lassen, wenn ich mit ihr reden wollte; dann, als ich nicht aufgegeben habe, ist sie wütend geworden. Natürlich war ich enttäuscht, zumal es genug Mädchen gibt, die mir schöne Augen machen. Ich bin ein guter Mann – das kann jeder bezeugen. Für sie anscheinend nicht gut genug. Immerhin hat sie mich nicht ausgelacht.“
Betreten schwieg er; die ganze Sache vor seinen Freunden auszubreiten, war ihm jetzt irgendwie peinlich.
Light-Cloud nickte. Er respektierte die Ehrlichkeit, mit der er gesprochen hatte. „Davon wusste ich nichts“, meinte er deshalb in entschuldigendem Ton. Seine Schwester hatte also auch ihre Geheimnisse gehabt – nicht nur er. „Das ist jetzt sowieso nicht mehr von Belang“, tat er das Thema ab.
Storm-Rider, der etwas zurückgefallen war, wischte sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Swimmer reckte sich zu Light-Cloud hoch und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Beide blickten sich an. „Sie wird uns verlassen“, sagte er leise, „weggehen, mit diesem Fremden.“ Swimmers Stimme klang weich und bedauernd. „Niemand wird etwas dagegen tun können; eine Frau gehört zu ihrem Mann.“
Das war richtig, und doch – plötzlich hörten sie die laute Stimme von Storm-Rider in ihrem Rücken. „Noch ist das nicht entschieden.“
„He“, meinte Light-Cloud, dem eine heiße Welle Schweiß über das Gesicht rinnen ließ, „habt ihr nichts anderes zu tun als euch über meine Schwester auszulassen?“
Erschöpft fielen ihm die Arme auf die Flanken seines Mustangs hinunter. Es wurde Zeit, dass er in die Obhut von Großmutter kam. Nur mit Mühe schaute Light-Cloud auf, blinzelte, da er jetzt alles nur wie durch einen grauen Schleier sah. „Mir fließt Blut aus dem Körper wie bei einem Topf der Tejano, in den wir Löcher geschossen haben, und ihr redet nur von meiner Schwester. Kümmert euch lieber um den, der hier wie ein angeschossenes Wild über seinem Kriegspferd hängt.“ Seine Augen waren jetzt geschlossen, sein Atem ging mühsam. Augenblicke später flankierten ihn wieder, wie zuvor schon, Gray-Wolf und Storm-Rider.
Inzwischen waren sie schon so weit an sein Tipi herangekommen, dass Großmutter sie eigentlich hören musste. Das hatte sie tatsächlich, denn sie erschien genau in diesem Moment davor. Dark-Night in ihrem eigenen Tipi gut versorgt wissend, hatte sie hier inzwischen alles für Light-Cloud vorbereitet. Sogar Fleischbrühe brodelte bereits über dem Feuer in einem Kessel. Die letzten Schritte seines treuen Pferdes bis zu seinem Tipi bekam Light-Cloud schon nicht mehr mit; er war in einen Wachtraum gefallen. Die Stimmen der Freunde verhallten in seinem Kopf wie ein abklingendes Echo. Vor seinen Augen verschwammen die Konturen des Flusses. Die Körper der Pferde auf der anderen Seite drüben im Canyon überlagerten sich. Der Blutverlust und das beginnende Fieber forderten bereits ihren Tribut. Light-Cloud glitt in eine andere Welt hinüber. Ohne dass er sein Bewusstsein wiedererlangte, brachten sie ihn in sein Tipi, wo Großmutter ihn übernahm. Später würde Moon-Night sich ebenfalls um ihn kümmern. Dark-Night musste auch gepflegt werden, und Dream-In-The-Day kam, um lange nicht mehr von ihrer Seite zu weichen.
Auch Icy-Wind war schwer verwundet. Viel schwerer als seine Verletzungen jedoch war für ihn die Erkenntnis, sich all die Zeit über nur etwas vorgemacht zu haben, was seine Gefühle für Sun-In-The-Red-Hair betraf. Sun-In-The-Red-Hair! Wenn er jetzt in der Nacht zu schlafen versuchte, erschien sie ihm immer öfter in seinen Träumen, ihre Haare rot wie der Sonnenuntergang. Ein Gesicht, so voller Sonnenspuren, dass es einem den Atem verschlug, und Augen, die ihn ansahen, flehten, baten. Anstatt sich als ihr Beschützer zu erweisen, hatte er ihr nur Gewalt angetan. Er, Icy-Wind, hätte wie Three-Bears handeln müssen. Diese Erkenntnis kam ihm viel zu spät. Doch den Hass und den Neid, den die Zeit in ihn hineingefressen hatte – den konnte dieser Mann nicht verwinden. Der Stachel, dass ihm etwas weggenommen worden war, das eigentlich ihm zugestanden hätte, egal, wessen Schuld das am Ende auch war – saß tief. Beim Anblick von Light-Clouds Haaren, dem rötlichen Schimmer darin, war alles wieder hochgekommen. Er hatte sie in ihm gesehen, Sun-In-The-Red-Hair hatte ihre Macht über ihn niemals verloren. Da begriff er die Bedeutung seines richtigen Namens, den er einst durch einen alten, weisen Mann erhalten hatte: The-One-Who-Should-Not-Look-Back. Das jedoch konnte er nicht, schon lange nicht mehr. Da gab es zu viel, das ihn immer wieder daran erinnerte. Light-Cloud, sagte er sich mit Hass im Herzen – bevor du tot bist, finde ich keine Ruhe vor den Geistern meiner Vergangenheit.
3. Kapitel
Storm-Rider besuchte Light-Cloud, wann immer es seine Zeit zuließ. Der Verwundete lag im Tipi, von Großmutter umsorgt, die viel zu viel Aufhebens um ihn machte – behauptete er selbst jedenfalls. Was sie für Dark-Night gewagt hatte, einem Mann wie Icy-Wind so mutig entgegenzutreten, ihn etwas sagen zu lassen, was er niemals sonst gesagt hätte – das rechnete er ihr hoch an. Darauf musste man erst einmal kommen. Doch das sah Großmutter ähnlich. Nie hielt sie sich zurück, wenn es um ihre beiden Lieblinge ging.
Auch Great-Mountain konnte ein Lied davon singen. Wegen Summer-Rains Wanderung nach Colorado hatte er so manches Streitgespräch mit ihr geführt. Sie hatte den alten Medizinmann und Friedenshäuptling sogar aufs Übelste beschimpft, bevor sich beide mit ihren Meinungen in der Mitte trafen. Weder Großmutter noch Great-Mountain war nachtragend. Das machte die Sache hinterher einfacher. Bei der Versorgung des verwundeten Light-Cloud lagen die Dinge etwas anders. Great-Mountain konnte zwar in ihr Tipi kommen und gehen, wie er wollte, doch wenn es darum ging, Light-Clouds Wunden zu versorgen, hatte er nichts zu sagen; das ließ sie einfach nicht zu.
Moon-Night und Dream-In-The-Day kümmerten sich inzwischen hingebungsvoll um Dark-Night. Einen Tag nach Light-Clouds Kampf war sie sicherheitshalber in Red-Eagles Tipi übergesiedelt. Dort waren zwei Männer, die ihr Schutz bieten konnten, sollte Icy-Wind seine Ansprüche auf sie erneut anmelden wollen. Ihr Zustand verbesserte sich überraschend schnell – obwohl es am Anfang so ausgesehen hatte, als würde sie das alles nicht überleben. Great-Mountain kam täglich; hier wurde er gelitten, und seine Medizin war willkommen. Dark-Nights Nase würde für immer entstellt bleiben. Ihr schönes Gesicht war zerstört. Die junge Frau, klein und zierlich, bestand nur noch aus Haut und Knochen. Sie versuchte, ihr Gesicht hinter einer breiten Binde aus grünem Stoff – Grün war schon immer ihre Farbe gewesen – zu verbergen. Und sie weigerte sich vehement, Light-Cloud zu sehen.
Es war ihm egal, wie sie aussah. Sobald er nur selbständig aufrecht stehen und gehen konnte, kam er unaufgefordert in Red-Eagles Tipi. Wütend riss er ihr die Binde von der zerstörten Nase, um ihr damit klarzumachen, dass ihr Aussehen ihm gleichgültig war. Diese Frau gehörte zu ihm – schließlich bestand sie nicht nur aus ihrem Gesicht. Er liebte sie mit jeder Faser seines Körpers, ob entstellt oder nicht.
So ging ein Mond vorüber. Light-Cloud änderte seine Meinung nicht, was Dark-Night betraf. Auf eine vorsichtige Anfrage von Old-Antelope stellte Icy-Wind keinerlei Ansprüche mehr. Nach den Gesetzen des Volkes genügte das jedoch nicht. Da machte der alte Häuptling Light-Cloud seine Aufwartung. Sie redeten lange miteinander, wie die ganze leidige Angelegenheit am besten für alle Beteiligten geregelt werden konnte. Auch Great-Mountain gesellte sich irgendwann dazu. Am Ende wurde die Beziehung zwischen Dark-Night und Light-Cloud offiziell gemacht, indem sie einen Herold mit dieser Nachricht von Tipi zu Tipi schickten.
Niemand verschwendete mehr ein Wort über das, was geschehen war. Das Vergangene musste endlich ruhen – nur so konnte man in die Zukunft blicken. Die Frauen, die noch vor einigen Monden Abstand zu Dark-Night gehalten hatten, trafen sich einen Sonnenaufgang später mit Moon-Night, Dream-In-The-Day und Großmutter. Es dauerte nur so lange, bis die Sonne direkt über ihnen stand, um alles Nötige für eine Hochzeit vorzubereiten.
Das Tipi von Light-Cloud reichte für beide aus; deshalb musste es nur noch innen etwas verschönert werden. Die formlose Hochzeit fand noch am selben Abend statt. Es gab niemanden, dem der zukünftige Ehemann Pferde als Brautgeschenk überreichen konnte, deshalb verschenkte er – dem Rat von Great-Mountain folgend – drei seiner besten an ärmere Mitglieder des Lagers. Die Hochzeitsgaben, die sich bald darauf vor ihrem Tipi stapelten, wurden, wie es Tradition war, an bedürftige Familien weitergereicht. Dark-Night behielt nur das Notwendigste. Großmutter bereitete ihnen ein Festessen zu, wie sie es schon lange nicht mehr getan hatte. Und so verschwanden gegen Abend Light-Cloud und Dark-Night ganz offiziell glücklich in ihrem Tipi. Der begehrteste Junggeselle in fortgeschrittenem Alter war vergeben. Weil er sich nicht schonte, heilten seine Wunden nur langsam, denn er ging schon bald darauf auf die Jagd. Niemand sollte Grund zum Zweifeln haben, dass er seine Lieben nicht mit Nahrung versorgen konnte.
Was Icy-Wind betraf, so nahm er seinen Platz in der Gemeinschaft wieder ein, als sei nichts gewesen. Allerdings verschwand er nach seiner Genesung für einen halben Mond von der Bildfläche. Er hatte zwar mitbekommen – wer nicht? – dass seine ehemalige Zweitfrau mit Light-Cloud glücklich war, doch das schien ihn nicht mehr zu berühren. Man merkte es ihm jedenfalls nicht an. Manch einer behauptete, dass er sogar froh war, sie los zu sein. Als er wieder auftauchte, wusste niemand, wo er gewesen war. Er kümmerte sich ausschließlich um seine eigenen Angelegenheiten. Sein Tipi musste mit Wild versorgt und Wintervorrat angeschafft werden. Seine Kriegsgeräte besserte er selber aus. Crow-Wing jedoch hatte so viel zu tun, dass sie Tag für Tag nur herumhastete, um all das zu schaffen, was sonst zwei Frauen leisten mussten. Icy-Wind sorgte mit seinen besonderen Wünschen schon dafür.
Swimmer hielt Wort und kümmerte sich indessen um Light-Clouds Braunen. Der Mustang erholte sich wieder.
Eines Tages kam Storm-Rider auf seinem liebsten Kriegspony den Fluss herunter, band es vor dem Tipi Light-Clouds an und setzte sich zu ihm und Dark-Night. Vor Light-Clouds Tipi wuchs hohes, dichtes Gebüsch, das er zu einer Laube gebunden hatte. Dort hielt er sich oft im Schatten auf, um seine Wunden zu pflegen. Auch konnte ihn hier niemand sehen, wenn Dark-Night ihm kühlende Kompressen auflegte oder er einfach nur ruhte.
Storm-Riders Achtung für Light-Cloud war enorm gestiegen. Er hatte in seinem ganzen Leben noch nie jemanden um etwas so hart kämpfen gesehen. Von klein auf gab es für ihn kaum einen Wunsch, der ihm nicht erfüllt worden wäre. Das Ansehen, das sein Vater genoss, kam ihm bei allem Unsinn, den er so trieb – und das war nicht wenig – wie ein Schutzschild zu Hilfe. Das wurde mit seinem Eintritt in die Gemeinschaft der Krieger auch nicht anders. Eigentlich hatte er das nie so gesehen, sondern immer geglaubt, seine Erfolge hätte er nur sich selbst zu verdanken. Vielleicht stimmte das ja auch zum Teil, doch da war immer der Schatten seines Vaters gewesen, der ihm vieles ermöglichte, was andere in seinem Alter erst beweisen mussten.
Doch seit dem Winter, der bereits eine große Sonne zurücklag, hatte sich alles geändert.
Je mehr er über sich nachdachte, desto einsilbiger wurde er. Für sein gutes Aussehen konnte er wahrhaftig nichts. Das schöne Gesicht seines Vaters war nur ein Erbteil. Von Moon-Night hatte er die braunen Augen mit den goldenen Sprenkeln – groß und offen, mit langen schwarzen, nach oben gebogenen Wimpern. Seine Haare ähnelten mit ihrem nachtdunklen bläulichen Schimmer dem der Ahnen seines Vaters. Zu seinem Verdruss wellten sie sich trotz aller gegenteiligen Bemühungen. Den O-beinigen Gang konnte er auf niemanden als sich selbst schieben. Das war schon so, seit er laufen konnte. Ansonsten hatte ihn hauptsächlich die Erziehung durch seinen Großvater, der einen großen Einfluss auf ihn gehabt hatte, geprägt. Dessen Wertvorstellungen waren ihm in Fleisch und Blut übergegangen und das war etwas, worauf er stolz sein konnte. Natürlich hatte auch seine Mutter einen großen Anteil an seiner Erziehung gehabt. Ihre feinfühlige Art, Dinge zu sehen, die anderen verborgen blieben, brachte ihm den Ruf ein, ein guter Schlichter zu sein. Dass seine Mutter ihn vergötterte, war kein Geheimnis. Doch sie war es auch, die ihn immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholte, wenn er zu prahlerisch oder selbstverliebt zu werden drohte und sich Eigenschaften anzueignen begann, die sie hasste. Eitelkeit gehörte dazu oder Ungerechtigkeit, auch das Übervorteilen von Schwächeren. So etwas duldete sie nicht. Von seinem Vater lernte er das Kriegshandwerk. Im Alter von dreizehn Wintern hatte er seinen ersten Feind getötet. Die Weibergeschichten, in die er laufend geriet, schadeten seinem Ruf nicht im Geringsten.