Ein Fluch aus der Vergangenheit

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„Wann kann ich mit Ihrem Obduktionsbericht rechnen?“, erkundigte sich der Kommissar.
„Ich denke, gegen Abend, wenn Sie noch im Präsidium sind. Sie können mich in meinem Reich besuchen kommen“, bot Frau Kesser an.
„Bei den Kratzspuren könnten Hautpartikel vom Kampf zu finden sein.“
„Möglich, Sie können ganz sicher sein, dass ich meine Arbeit sehr gewissenhaft erledigen werde, und wenn es etwas zu finden gibt, so werde ich es finden. Ich lasse den Getöteten sofort zu mir in die Pathologie überführen“, sprach die Gerichtsmedizinerin.
„Ich wollte Sie keinesfalls beleidigen, Frau Kesser. Ich schätze Ihre korrekte Arbeit und Ihre Fachkompetenz sehr und bin mir einer gewissenhaften Arbeit Ihrerseits sicher“, gab Ullmann zurück.
„Danke für das Kompliment, dann bis heute Abend“, sprach Frau Kesser und verabschiedete sich.
Die Kriminalisten betrachteten den Tatort und schauten sich alle Zugangswege an, um Schlüsse für den eventuellen Fluchtweg zu ziehen. Die Mitarbeiter der Spurensicherung waren in weiße Ganzkörperanzüge gekleidet und suchten gründlich den Tatort ab. Hauptkommissar Ullmann ging zum Leiter der Spurensicherung, Kommissar Müller, und erkundigte sich nach dem Stand der bisherigen Ergebnisse. „Welche Spuren habt ihr gefunden?“, wollte er wissen.
„Spuren gibt es, aber ihr müsst bedenken, dass dieser Ort ein Treffpunkt für viele Bürger des Ortes ist. Leider gibt es fast keine Fußspuren, da dieses Verbundpflaster keine Abdrücke aufnimmt. Wir haben alle möglichen Dinge gefunden, Zigarettenschachteln, Cola- und Bierdosen, Kaugummi, Knöpfe aller Art und zwei Kämme. Wenn ihr den Täter ermitteln könnt, können wir möglicherweise einige Dinge zuordnen. Wir werden natürlich die gesamte Täterkartei durchforsten und mit etwas Glück können wir einen oder mehrere Verdächtige rausfiltern. Aber macht euch nicht zu viel Hoffnung. Wenn der Täter bisher nicht auffällig war, ist er nicht in unserer Kartei“, erläuterte Müller.
„Habt ihr persönliche Dinge des Mannes sicherstellen können?“
„Ja, der Mann heißt Lutz Schimmel und ist in Finowfurt beheimatet. Wir haben seinen Ausweis, die Checkkarte, die Geldbörse und weitere Dokumente gefunden.“
„Wie viel Bargeld hatte der Mann bei sich?“, erkundigte sich Ullmann.
„Er hatte etwas über vierhundert Euro dabei.“
„Dann war es mit Sicherheit kein Raubmord“, folgerte der Kommissar.
„Davon könnt ihr ausgehen.“
„Hast du weitere Erkenntnisse für uns?“, fragte der Kommissar.
„Einen Ehering trug der Mann nicht und in den neuen Ausweisen ist, im Gegensatz zu den alten, kein Familienstand eingetragen.“
„Wir werden sein Umfeld ermitteln, sein Name ist uns bekannt. Habt ihr weitere Hinweise, die für uns von Bedeutung sein könnten?“, erkundigte sich Ullmann.
„Im Augenblick nicht, aber ich werde dir heute auf jeden Fall meinen Bericht zustellen“, antwortete Herr Müller Kommissar Ullmann, den er seit vielen Jahren kannte.
„Wer hat die getötete Person gefunden?“, fragte Ullmann.
„Ein Liebespärchen. Die beiden befinden sich auf der Terrasse des Cafés“, antwortete Müller.
„Wir werden sie anschließend befragen“, legte Ullmann fest.
„Haben sich weitere Personen bei euch gemeldet, die eventuell etwas bemerkt haben?“
„Leider nicht.“
Der Kommissar verabschiedete sich vom Leiter der Spurensicherung und schaute sich die Umgebung des Tatorts an. Die Morgensonne sendete ihre ersten Strahlen und in der Umgebung erwachte allmählich das Leben. Die ersten Jogger waren bereits unterwegs und durchstreiften die Wälder der Umgebung des Mündesees. Die Strahlen der Sonne ließen wieder einen heißen Tag erwarten und der Mündesee lag ruhig und wellenlos in seinem Bett. Keine Welle brandete an die Freitreppe des Sees. Die beiden Kriminalisten sprachen kein Wort, jeder hing seinen Gedanken bezüglich der schrecklichen Tat, die Lutz Schimmel das Leben gekostet hatte, nach. Nach Minuten des Schweigens begann der Hauptkommissar das Gespräch und sagte: „Wir werden zuerst die Auffinder des Toten befragen. Ich beauftrage Jana Schubert mit der Klärung der Familienverhältnisse des Toten. Sie kann die benötigten Angaben ermitteln und wir werden anschließend weitere Festlegungen treffen.“
„Ich schlage vor, dass wir nach dem Liebespaar die Besitzer der zwei Motorboote, welche am Ufer des Sees verankert sind, befragen. Wenn hier wirklich ein heftiger Kampf stattgefunden hat, wie Frau Kesser vermutet, müssten diese Leute etwas gehört haben“, schlussfolgerte die Kommissarin Frau Meister.
„Einverstanden. Gehen wir zu den jungen Leuten.“
Die beiden Kriminalisten gingen zu dem Liebespaar und bemerkten schon von weitem ihre spürbare Aufregung, die im Auffinden des Leichnams zu begründen war. Sie stellten sich dem jungen Paar vor und versuchten, sie zu beruhigen.
„Wann haben Sie die getötete Person gefunden?“, fragte der Kommissar in väterlichem Ton.
Beide schauten ihn mit entsetztem Blick an und versuchten, die richtigen Worte finden. Der Kommissar drängte beide nicht und ließ ihnen Zeit, bis nach einigen Minuten der junge Mann seine Stimme wiederfand und sagte: „Ich habe nicht auf die Uhr geschaut, aber ich schätze, es muss gegen halb zwei gewesen sein.“
„Sie meinen 1:30 Uhr.“
„Ja.“
„Was führte Sie zum See?“, wollte Ullmann wissen.
„Wir wollten allein sein“, antwortete der junge Mann.
„Es war ein sehr schöner Abend und wir wollten noch nicht nach Hause“, ergänzte das Mädchen.
„Darf ich Ihr Alter wissen?“, fragte der Kommissar.
„Julia ist siebzehn und ich bin neunzehn Jahre.“
„Wohnen Sie zusammen?“
„Nein.“
„Sie wohnen bei Ihren Eltern?“, bohrte Ullmann nach.
„Ja, aber wir sind auf der Suche nach einer kleinen Wohnung für uns. Unsere Eltern sind damit einverstanden und unterstützen uns bei der Wohnungssuche.“
„Sie kennen sich schon länger?“
„Ja, seit zwei Jahren“, lächelte das Mädchen.
„Kennen Sie die getötete Person?“, fragte Ullmann.
„Nein, der Mann ist uns unbekannt. Wir glauben, sicher zu wissen, dass er nicht aus der näheren Umgebung stammt. Angermünde ist ein kleines Nest und im Prinzip kennen sich hier alle. Wir beide stammen aus Angermünde und bilden uns ein, fast jeden zu kennen.“
„Welchen Beruf üben Sie aus?“
„Julia hat ihre Lehre als Bürokauffrau beendet und arbeitet seit einigen Wochen in einem Anwaltsbüro. Ich versuche zurzeit, selbst auf die Beine zu kommen. Ich habe KFZ-Schlosser gelernt und würde gerne eine eigene Werkstatt eröffnen. Meine Eltern unterstützen mich nach Kräften dabei und wir haben bereits ein Objekt als Werkstattraum gefunden.“
„Haben Sie an dem Getöteten Veränderungen vorgenommen?“
„Wie meinen Sie das?“, fragte der junge Mann entsetzt.
„Haben Sie den Toten bewegt?“
„Keinesfalls, wir waren viel zu sehr vom Anblick geschockt.“
„Haben Sie ihn irgendwie angefasst?“, forschte der Kommissar weiter.
„Ich sagte doch, nein“, kam die barsche Antwort.
„Mir geht es um eventuelle Fingerabdrücke Ihrerseits an der Kleidung des Getöteten.“
„Von uns werden Sie nichts finden.“
„Was haben Sie nach der Auffindung der Person getan?“
„Wir waren maßlos erschrocken und haben längere Zeit gebraucht, um die Situation zu erfassen. Danach habe ich per Handy die Polizei informiert und diese wies uns an, am Fundort zu verweilen. Die Polizei war innerhalb von fünf Minuten bei uns und legte fest, dass wir den Ort nicht verlassen dürfen. Die Polizei hat sehr schnell alles abgesperrt und wir haben uns an diesen Tisch der Terrasse des Cafés gesetzt“, erläuterte der junge Mann.
„Haben Sie andere Personen im Umfeld des Fundortes gesehen?“
„Nein“, antwortete diesmal das Mädchen.
„Haben Sie Geräusche, vielleicht von sich entfernenden Personen, gehört?“
„Nein, wir haben weder jemanden gesehen noch gehört, wobei ich dazu sagen möchte, dass wir vor lauter Entsetzen nicht darauf geachtet haben, aber Auffälligkeiten gab es keine. Außerdem musste ich Julia beruhigen, da sie Angst hatte. Wie Sie schon vermuteten, hätte der Täter noch in der Nähe sein können, und deshalb fühlten wir uns bis zum Eintreffen der Polizei, die, wie bereits erwähnt, sehr schnell vor Ort war, selbst nicht sicher.“
„Sie haben sich völlig richtig verhalten und wir möchten uns bei Ihnen für ihre Aufmerksamkeit bedanken. Meine Kollegin wird Ihre Personalien, für eventuelle Nachfragen, aufnehmen und danach können Sie nach Hause gehen. Ich bitte Sie jedoch, Stillschweigen über das Gesehene zu wahren, möglicherweise hat der Täter Sie gesehen.“
„Sie meinen, wir sind in Gefahr?“, fragte das Mädchen entsetzt.
„Das glaube ich nicht, ich ersuche Sie dennoch, uns sofort über mögliche Auffälligkeiten in Ihrer Umgebung in den nächsten Tagen zu informieren“, sagte Ullmann und überreichte dem jungen Paar seine Visitenkarte, in der Hoffnung, nie wieder von den jungen Leuten zu hören.
Der Kommissar nickte seiner Kollegin zu und entfernte sich Richtung Freitreppe. Nachdem Kommissarin Meister die Daten der Jugendlichen erfasst hatte, ging sie zu ihren Vorgesetzten und erkundigte sich nach den weiteren Schritten der Ermittlung.
„Wir haben die Daten der toten Person, ihren Namen und ihre Wohnanschrift. Ich werde unseren Präsidenten über den Fall informieren und ihn bitten, einen Mitarbeiter zu der Frau des Mannes zu schicken, da ich davon ausgehe, dass er verheiratet ist. Außerdem glaube ich, an seinem Ringfinger einen Abdruck eines Ringes gesehen zu haben. Möglicherweise erfahren wir von seiner Frau, wieso ihr Mann an diesen Ort gekommen ist, denn er ist in Finowfurt wohnhaft.“
„Hoffentlich stimmt der Präsident zu“, zweifelte Frau Meister.
„Dessen bin ich mir sicher“, schmunzelte Ullmann.
„Befragen wir jetzt die Bootsbesitzer.“
„Ja, wir teilen uns die Aufgabe. Sie befragen die Besitzer des ersten Bootes und ich gehe zum zweiten. Ich denke, ich muss die Besitzer erst wecken“, sagte Ullmann und ging.
Beide schlenderten zu den verankerten Booten und die Kommissarin Frau Meister hatte Glück, denn soeben stieg ein Mann aus der Luke auf das Deck. Sie winkte dem Mann zu und bat ihn, auf das Boot kommen zu dürfen, da sie mit ihm sprechen wolle. Der Mann stimmte zu und half ihr über die flache Reling an Bord des wunderschönen Motorbootes. Dann bat er sie, auf einem der Stühle an Deck Platz zu nehmen, und erkundigte sich nach ihrem Anliegen, wobei er Richtung Freitreppe blickte und über die Bewegung der Mitarbeiter der Spurensicherung in ihren weißen Kombis irritiert schien.
„Wann haben Sie Ihr Boot an diesem Ort geankert?“, wollte sie wissen.
„Sind Sie von der Schifffahrtsbehörde?“, fragte der Mann skeptisch.
„Nein, entschuldigen Sie, dass ich mich nicht vorgestellt habe. Mein Name ist Meister und ich arbeite als Kommissarin bei der Mordkommission in Brandenburg.“
„Oje, ich habe nichts verbrochen“, erwiderte der Mann und schaute zu seiner Frau, die in diesem Augenblick an Deck erschien.
„Ich hoffe nicht. Also, seit wann ankern Sie vor Ort?“
„Wir haben gestern gegen achtzehn Uhr angelegt und haben die Genehmigung dazu. Sie müssen wissen: Dieser Platz ist im Sommer im Prinzip unser Stammplatz. In den Wintermonaten bringen wir unser Boot bei einer Segelschulgemeinschaft unter“, sprach der Mann.
„Wann sind Sie zu Bett gegangen?“, fragte Frau Meister.
„Das ist ja wohl unsere Sache“, knurrte die Frau.
„Es ist mir persönlich gleichgültig, aber ich befrage Sie im Rahmen der Ermittlungen eines schweren Gewaltverbrechens“, verschärfte die Kommissarin ihre Stimme.
„Es wird gegen vierundzwanzig Uhr gewesen sein. Hat ihre Frage mit den Bewegungen dieser utopisch anmutenden Leute an der Freitreppe zu tun?“, wollte der Bootsbesitzer wissen.
„Ja.“
„Wir helfen Ihnen gern, wenn wir können.“
„Haben Sie heute Nacht Geräusche oder einen Streit an der Freitreppe gesehen oder gehört?“
„Nein“, kam die schnelle Antwort.
„Sind Sie sich sicher?“
„Also, ich glaube, mir kam etwas seltsam vor“, sprach die Frau. „Ich habe heute Nacht, als ich vom Schnarchen meines Mannes aufwachte, einen Schrei gehört.“
„Ich schnarche nicht“, erboste sich ihr Mann.
„Nein, ich hatte nur Angst, du zersägst unser Boot“, lachte die Frau.
„Erzählen Sie, was Sie gehört haben wollen“, forderte sie die Kommissarin auf.
„Ich bildete mir ein, einen kurzen Schrei gehört zu haben. Es war nur ganz kurz, deshalb dachte ich, mich verhört zu haben, und bin danach gleich wieder eingeschlafen“, sprach die Frau.
„Wann glauben Sie den Schrei gehört zu haben?“
„Ich habe nicht auf die Uhr gesehen, aber ich schätze, es muss zwischen zwei und drei Uhr gewesen sein, denn wir waren noch nicht lange zu Bett gegangen, aber wie gesagt, ich möchte es nicht beschwören, es war nur ein Gefühl“, schloss die Frau ihre Aussage.
Frau Meister verabschiedete sich von den Bootseigentümern und ging an Land, wo Hauptkommissar Klaus Ullmann bereits auf sie wartete. Sie ging auf ihn zu und fragte nach seinen Ermittlungsergebnissen bei den Besitzern des anderen Bootes.
„Magere Ausbeute. Die Eltern und die Tochter wollen nichts gehört haben und ich glaube ihnen, denn ich musste sie wecken und alle waren sehr verschlafen. Sie hatten offensichtlich gestern Abend viel Alkohol zu sich genommen, denn auf dem Tisch stand eine ganze Batterie von Flaschen.“
Die Kommissarin berichtete dem Hauptkommissar von der Befragung der anderen Bootsbesitzer und brachte zum Ausdruck, dass das Ergebnis sehr mager ist, da die Aussage der Frau bezüglich des angeblich gehörten Schreies sehr zweifelhaft und nicht nachzuvollziehen sei. „Ich schlage vor, wir fahren in die Dienststelle zurück. Im Augenblick denke ich, haben wir alles ermittelt. Ich werde eine Befragung der Anwohner der Umgebung veranlassen, möglicherweise bekommen wir neue Hinweise. Die Tatortumgebung haben wir uns gründlich angesehen und eingeprägt. Der Leichnam ist in die Pathologie gebracht worden.“
In diesem Augenblick trat Herr Müller, der Chef der Spurensicherung, zu ihnen und sagte: „Ich werde jetzt mit meinen Leuten abziehen, für uns gibt es nichts mehr zu tun.“
„Wart ihr erfolgreich?“
„Kann ich nicht behaupten. Für den Augenblick gibt es keine konkreten Hinweise auf irgendwelche Täter oder einen einzelnen Täter. Das gesammelte Spurenmaterial ist sehr dürftig und wird noch genauer ausgewertet. Ich kann euch leider keinen weiterhelfenden Hinweis liefern“, schloss der Spurensicherer leicht verzweifelt.
„Ich warte auf das Protokoll“, bat Ullmann.
„Du bekommst es so schnell wie möglich, aber ich möchte mit meinen Mitarbeitern erst die vorhandene Täterkartei sichten, vielleicht ist ein Bekannter dabei“, sagte Müller und verabschiedete sich.
„Der Getötete ist in Finowfurt zu Hause, deshalb erwarte ich nicht, dass die zukünftige Befragung der Anwohner verwertbare Ergebnisse bringt“, schloss Ullmann.
Der Hauptkommissar ordnete in Übereinstimmung mit dem Chef der Spurensicherer an, die Absperrung am Tatort aufzuheben, und begab sich mit seiner Mitarbeiterin zu ihrem Dienstwagen.
Der Hauptkommissar wollte sich mit Jana Schubert und dem Polizeipräsidenten über die weiteren Ermittlungsschritte abstimmen und die entsprechenden Maßnahmen festlegen. Beide saßen später im Dienstzimmer mit Jana und der Sekretärin, Frau Schneider, zusammen und Ullmann hatte sich bereits mit dem Präsidenten abgestimmt. Frau Schneider hatte ihren berühmten Kaffee für ihre Kollegen gebrüht und die Stimmung war angesichts des schrecklichen Verbrechens sehr gedrückt. Der Hauptkommissar wollte soeben mit der Dienstbesprechung beginnen, als an die Tür zum Sekretariat geklopft wurde. Der Kommissar rief mit lauter Stimme: „Herein.“ Ein junger Mann in Polizeiuniform betrat etwas schüchtern das Sekretariat der Mordkommission und blieb zurückhaltend stehen. „Sind sie Herr Philipp Schroeder?“, wurde er von Ullmann gefragt.
„Ja“, kam es leise zurück.
„Treten Sie ein und besorgen Sie sich einen Stuhl“, wurde er vom Hauptkommissar aufgefordert.
Die Mitarbeiter der Mordkommission schauten sich verdutzt an und warfen ihrem Chef fragende Blicke zu. Der junge Mann wirkte leicht verunsichert, besorgte sich aus dem Sekretariat einen Stuhl und setzte sich an den Tisch der Mordkommission. Der Hauptkommissar schaute seine Mitarbeiter mit einem verhohlenen Lächeln an und begutachtete den eingetretenen jungen Mann. Er war mit seinem Auftreten zufrieden und der junge Mann erweckte bei ihm einen guten Eindruck. „Darf ich euch unseren neuen Mitarbeiter vorstellen?“, fragte er plötzlich und freute sich über die überraschten Gesichtausdrücke seiner Mitarbeiter.
Jana Schubert und Hannelore Meister schauten leicht verdutzt zu dem jungen Mann und Frau Schneider sagte: „Da werde ich gleich noch einen Kaffee besorgen, Sie trinken doch sicherlich welchen?“ Sie schaute den Neuen mit fragendem und zugleich warmherzigem Blick an.
„Gern, aber ich kann den Kaffee selbst besorgen“, kam die Antwort des Mannes.
„Das gehört zu meinem Aufgabengebiet“, lächelte Frau Schneider Philipp Schroeder an und es war deutlich zu sehen, dass der junge Mann das Herz von Helga Schneider in Flug erobert hatte.
Philipp Schroeder erweckte einen sehr aufgeschlossenen Eindruck und wirkte nicht überheblich. Er war fünfundzwanzig Jahre alt, 1,80 Meter groß und blauäugig, was ihm einen stets freudigen Ausdruck verlieh. Er hatte am Tisch Platz genommen und wartete auf seine Vorstellung durch seinen künftigen Vorgesetzten, der in diesem Augenblick das Wort ergriff und seine Mitarbeiter dabei aus den Augenwinkeln beobachtete.
„Ihr seid sicherlich über die personelle Aufstockung unserer Abteilung überrascht, aber ich hielt es für nicht angebracht, euch vor dem Eintreffen unseres Neuzuganges zu informieren, da ich nicht sicher war, dass unser Polizeipräsident meinem Ersuchen nach einer Aufstockung der Mordkommission nachkommt. Gleichzeitig war mir der Zeitpunkt der Vergrößerung unserer Abteilung unbekannt und ich wollte keine unnützen Hoffnungen in euch wecken, dies hätte unserer Arbeit nicht gut getan. Ich freue mich, dass unser Präsident meinem Ansinnen verhältnismäßig schnell folgen konnte. Ich habe gestern Abend, nachdem mir das heutige Eintreffen unserer Verstärkung bekannt wurde, die Personalakte von Polizeianwärter Philipp Schroeder genauestens durchgelesen und muss gestehen, dass ich von dem Lebenslauf und den Zeugnissen sehr beeindruckt bin, und hoffe, dass diese Fakten in Zukunft bei der Erledigung unserer Dienstaufgaben nicht getäuscht haben. Herr Schroeder absolviert gegenwärtig die Schulung zum Polizeianwärter und hat die besten Noten der gesamten Klasse. Nach Befragung eines möglichen Praktikums in unserer Dienststelle willigte Herr Schroeder sofort ein, deshalb die schnelle Erfüllung meines Ersuchens. Ich hoffe, wir werden zukünftig gut zusammenarbeiten. Ich würde Sie jetzt bitten, sich in kurzen Worten Ihren neuen Mitarbeitern vorzustellen“, endete der Hauptkommissar.
„Mein Name ist Philipp Schroeder. Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt, habe das Abitur in Brandenburg abgelegt und mich danach sofort für den Polizeidienst entschieden. Seit drei Jahren absolviere ich das Studium an der Polizeischule. Ich bin nicht verheiratet und wohne noch bei meinen Eltern, die ein Eigenheim besitzen und daher genügend Raum für mich zur Verfügung haben. Ich freue mich sehr, in Ihrer Abteilung arbeiten zu dürfen, und werde mich bemühen, die Aufgaben nach bestem Ermessen zu erledigen, wobei ich sicher bin, dass ich von Ihnen sehr viel lernen kann. Das schulische Wissen ist die eine Seite, aber ich weiß, dass zwischen Theorie und Praxis eine große Lücke klaffen kann“, schloss Philipp Schroeder.
„Danke, Herr Schroeder“, zeigte sich Ullmann zufrieden.
„Darf ich noch etwas ergänzen, Herr Hauptkommissar?“, fragte der junge Mann.
„Bitte sehr“, sagte Ullmann.
„Ich heiße Schroeder mit ‚oe‘ und ‚d‘ wie Dora“, sagte der Neue mit leiser Stimme.
Im Dienstzimmer herrschte für einen kurzen Moment Stille. Die übrigen Mitarbeiter der Mordkommission schauten sich verdutzt an und brachen anschließend in schallendes Gelächter aus. Philipp Schroeder ließ es ruhig über sich ergehen und musste nach kurzem Zögern gleichfalls lachen, womit das letzte Eis der Anwesenden gebrochen war. Philipp Schroeder schien eine gute Ergänzung für das Kollektiv zu werden und erweckte einen sehr positiven Eindruck.
„Ich erwähne das hauptsächlich, weil es diesbezüglich bereits mehrere Verwechslungen gegeben hat, und für die Anfertigung von Protokollen oder anderer Belege ist die richtige Namensbezeichnung von nicht unwesentlicher Bedeutung“, erwähnte Schroeder.
„Ich hoffe, bezüglich der Erweiterung unserer Mordkommission sind die wichtigsten Fragen geklärt. Ich schlage vor, dass sich Herr Schroeder einen Arbeitsplatz in eurem Zimmer einrichtet, und erwarte, dass ihr ihm dabei behilflich seid. Frau Schneider wird Ihnen das benötigte Material zur Verfügung stellen. Ihren Computer können Sie in der Abteilung Technik abholen, die Mitarbeiter wissen Bescheid. Ich werde jetzt das neueste Verbrechen mit euch besprechen. Bei diesem, der Tötung eines Mannes in Angermünde, kann es sich um ein Gewaltverbrechen oder einen Unfall mit Todesfolge handeln. Genaueres erwarte ich vom Obduktionsbericht, den uns Frau Kesser heute noch zustellen wird“, führte Ullmann aus, als die Tür zum Dienstzimmer aufging und ein Polizist Frau Schneider eine Mappe mit der Bitte zur Weitergabe an den Hauptkommissar übergab. Der Hauptkommissar blätterte in der Akte und schaute, nachdem er sie durchgelesen hatte, seine Mitarbeiter mit festem Blick an. „Diese Akte enthält genauere Angaben zur Person, die heute Nacht tot aufgefunden wurde. Der Mann ist verheiratet und in Finowfurt wohnhaft. Er ist selbstständiger Versicherungsvertreter und gegenwärtig zu einer Schulung in Angermünde angemeldet. Er ist 35 Jahre alt und gemeinsam mit drei weiteren Versicherungsvertretern im ‚Hotel am Seetor‘ als Gast eingetragen. Die vier Personen sollen befreundet sein und jährlich gemeinsam die Schulung besuchen. Frau Meister und ich haben heute Morgen den Tatort besichtigt und erste Erkenntnisse gewonnen sowie Befragungen durchgeführt, deren Ergebnisse uns nach jetzigem Erkenntnisstand nicht wesentlich weiterhelfen. Ich werde gemeinsam mit Jana nach Finowfurt zu der Ehefrau der getöteten Person fahren, wobei wir über weitere Details sprechen können. Frau Meister wird Herrn Schroeder mit ‚oe‘ in den Fall einweisen und weitere Nachforschungen zum ‚Hotel am Seetor‘ in Angermünde durchführen. Belegungszahl, Gästeliste und so weiter, Sie wissen Bescheid, Frau Meister. Ich bitte Sie, das Umfeld von Lutz Schimmel bezüglich seiner beruflichen und privaten Tätigkeit zu durchleuchten, wir müssen von diesem Mann so viel wie möglich erfahren“, schloss der Hauptkommissar die Dienstberatung und alle Mitarbeiter gingen an ihre Arbeitsplätze.
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Am gleichen Tag, als in Angermünde der Leichnam von Lutz Schimmel aufgefunden wurde, herrschte auf dem Gestüt der Familie Büttner Hochbetrieb. Das Gestüt lag in der Schorfheide nahe dem Ort Oderberg und umfasste ungefähr zweihundert Hektar. Das Gebiet der Schorfheide erstreckte sich von Eberswalde bis nach Friedrichswalde und war ein Teilgebiet des Barnimer Landes. In dem Gebiet der Schorfheide befand sich in der Nähe von Joachimsthal ein Biosphärenreservat, das nur zum Teil begehbar war. Die Schorfheide beherbergte seltene Gehölze und viele urwüchsige Pflanzen, welche nur in dieser Gegend beheimatet waren. Durch dieses Gebiet führten mehrere Rundwege, welche zum Großteil, besonderes an Wochenenden, von vielen Fahrradfahrern zu Ausflügen genutzt wurden. Es war ein zur inneren Ruhe einladendes Gebiet und zeigte besonders im Frühjahr und im Sommer seine ganze Pracht und Schönheit. Die Rundwege führten an vielen bekannten Sehenswürdigkeiten und alten Gebäuden vorbei. Eine besondere Sehenswürdigkeit war das Kloster Chorin, welches sich am Rand der Schorfheide befand. Am 2. September 1258 übereignete das markgräfliche Brüderpaar Johann I. und Otto III. dem Zisterzienserkloster Lehnin ein umfangreiches Gebiet im damaligen Barsdin, einschließlich der Burg Oderberg. Dafür sollte ein Kloster errichtet werden. Gemäß den damaligen Regeln der Zisterzienser mussten deren Klöster abseits von Siedlungen in abgeschiedenen Wald- oder Sumpfgebieten errichtet werden.





