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Wie fiel die offizielle Reaktion auf diese Berichte aus? Zunächst blieben beide – die Berichte ebenso wie eventuelle Reaktionen der Ordenskongregation – geheim. Erst als die Berichte 2001 an die Öffentlichkeit kamen und unter anderem vom National Catholic Reporter und der New York Times aufgegriffen wurden, gab der damalige vatikanische Pressesprecher, Joaquín Navarro-Valls, eine Erklärung ab, die sich wie folgt zusammenfassen lässt: Ja, diese Fälle wären in Rom bekannt. Allerdings wäre das Problem auf einen kleinen geographischen Raum beschränkt. Man würde daran arbeiten, die Ausbildung dort zu verbessern und einzelne Fälle zu lösen. Auch dürfe der heldenhafte Glaube der großen Mehrheit von Ordensleuten nicht vergessen werden. Viel mehr als die Herausgabe dieses Statements scheint seither nicht geschehen zu sein.
Auch wenn die gängigen Gerüchte und Witze über afrikanische Klöster zeigen, dass diese Kommunikationsstrategie, nämlich die Rede von einem „kleinen geographischen Raum“, aufgegangen zu sein scheint, spricht tatsächlich nicht viel dafür, dass Navarro-Valls mit der Behauptung der lokalen Beschränktheit des Phänomens Recht gehabt haben könnte. Denn erstens liefert er in seinem Statement keinerlei Evidenz für diese Behauptung, und zweitens werden in den Berichten immerhin Vorfälle in dreiundzwanzig Ländern genannt, darunter auch Italien, Irland, die Philippinnen, Indien, Brasilien und die Vereinigten Staaten.
Eine amerikanische Studie mit erschreckendem Befund
Navarro-Valls hätte zudem eine Studie kennen können, die einige Jahre zuvor in den Vereinigten Staaten durchgeführt worden war. Ausgangspunkt der Studie war der klinische Alltag: US-amerikanische Psychologen, die mit den Traumata sexuell missbrauchter Ordensfrauen vertraut waren, fassten Mitte der 1990er-Jahre den Entschluss, sich systematisch mit der Thematik auseinanderzusetzen. Weil die Literatur zu solchen Fällen ausgesprochen mager – um nicht zu sagen non-existent – war, brachten sie selbst eine Untersuchung zu diesem Thema auf den Weg. Sie befragten 578 Ordensfrauen aus drei verschiedenen Instituten in den USA. Im Ergebnis erwies sich sexueller Missbrauch als erschreckend normal. Von den befragten Frauen gaben 39,9 Prozent an, sexuellen Missbrauch erlebt zu haben. 29,3 Prozent sagten, sie wären während ihrer Zugehörigkeit zur jeweiligen Gemeinschaft sexuell missbraucht worden. In 39 Prozent aller berichteten Fälle kam es auch zu genitalem Kontakt.
Die häufigste Form des Missbrauchs war sexuelle Ausbeutung. Sie ist dadurch definiert, dass ein in einer professionellen Beziehung bestehendes Machtungleichgewicht vom überlegenen Part, der eigentlich zur professionellen Distanz verpflichtet wäre, dazu ausgenutzt wird, sich der ihm anvertrauten Person sexuell zu nähern. Aufgrund des bestehenden Machtungleichgewichts und der Rolle des professionellen Parts kann es in solchen Beziehungen keine einvernehmlichen sexuellen Kontakte geben. Die Forscher dazu: „Sexuelle Ausbeutung lässt sich am besten im Sinne einer Verletzung der Berufsethik definieren. Sie liegt vor, wenn eine Person in einer professionellen Verantwortungsposition die Abhängigkeit und Verwundbarkeit einer ihr anvertrauten Person ausnutzt. [...] Es ist immer die Aufgabe des Verantwortlichen, sexuelles Verhalten in diesen Beziehungen zu vermeiden, weil: (a) es eine Verletzung der Professionalität darstellt; (b) es sich um einen Missbrauch von Autorität und Macht handelt; (c) Verwundbarkeit und Abhängigkeit einer schwächeren Person ausgenutzt werden; und (d) eine sinnvolle Zustimmung unmöglich ist, da die Zustimmung zu sexuellen Handlungen nur in einer Atmosphäre der Gegenseitigkeit und Gleichheit erfolgen kann.“ Das bedeutet auch: „Ausbeutung geschieht unabhängig davon, ob der unterlegene Part glaubt, freiwillig eine sexuelle Beziehung mit dem Professionellen einzugehen oder nicht.“
Zwei Umstände ließen die Opfer tatsächlich in vielen Fällen glauben, sie hätten in die Handlungen eingestimmt: Dass der Priester durch die Taten sein eigenes Zölibatsversprechen brach, erzeugte für die Schwestern eine Illusion von Augenhöhe zwischen ihnen und dem jeweiligen Täter. Zum anderen bauten die Täter oder Täterinnen in vielen Fällen den Eindruck einer besonderen, womöglich gottgefälligen Liebesbeziehung auf. Viele Opfer realisieren erst spät, dass sie ausgenutzt und missbraucht wurden, etwa wenn die vermeintlich liebende Person ihr freundliches Gesicht ablegte, ein „Nein“ des Opfers nicht akzeptierte oder über dessen Nöte und Ängste gleichgültig oder gewaltsam hinwegging und das Machtungleichgewicht dadurch wieder im vollen Umfang spürbar wurde. Ein Schlüsselerlebnis schien für viele die Erkenntnis zu sein, dass derselbe Täter oder dieselbe Täterin auch sexuellen Umgang mit anderen Schwestern pflegte.
Wie schon angedeutet, gab es auch Täterinnen: Um die 13 Prozent der Befragten gaben an, sexuelle Ausbeutung oder Belästigung durch eine Mitschwester erlebt zu haben. In den weitaus meisten Fällen waren die Täter aber männlich und Kleriker. Meistens waren sie die Beichtväter und geistlichen Begleiter ihrer Opfer. Die Opfer nennen als Folgen der Missbrauchserfahrungen unter anderem Schuld- und Schamgefühle, eine gestörte Gottesbeziehung, Depressionen bis hin zu Suizidgedanken.
Über die Studie wurde in zwei amerikanischen Fachzeitschriften berichtet: Im Sommer 1998 erschien eine Zusammenfassung der Ergebnisse in der Review for Religious, im Dezember desselben Jahres in der Review of Religious Research. Was waren die Folgen? Was ist seither geschehen? Ein Zeitungsbericht zitiert einen der Forscher mit den Worten, die Forschergruppe hätte damals zusagen müssen, keine Pressemitteilung über die Studie herauszugeben, weil die Leadership Conference of Women Religious (LCWR) besorgt gewesen wäre, die Daten könnten sensationalistisch ausgeschlachtet werden. Der Forschungsleiter hätte den Eindruck gehabt, man wolle seine schmutzige Wäsche lieber nicht in der Öffentlichkeit waschen. Offizielle Reaktionen auf die Studie scheint es in den vergangenen zwanzig Jahren weder von der LCWR noch von einzelnen Instituten gegeben zu haben.
Fälle aus der jüngsten Vergangenheit
Leider hat es auch in der jüngsten Vergangenheit Fälle gegeben. So berichtete The Korea Times erst vor kurzem von einem Fall aus dem Jahr 2011, der im Februar 2018 öffentlich bekannt geworden war. Die koreanische Ordensfrau K. war während eines Einsatzes im Sudan von H. M., einem koreanischen Diözesanpriester, belästigt worden. Während beide im Sudan waren, „musste sie die ganze Nacht aufbleiben, weil sie befürchtete, dass H.M. ihr Zimmer einbrechen und sie vergewaltigen würde. Dieser hämmerte stundenlang bis in die Morgendämmerung auf ihre Türe ein. Eines Tages brach er das Schloss auf, kam in ihr Zimmer und sagte: ‚Ich kann meinen Körper nicht kontrollieren, also solltest du mir helfen.’ K. sagte, dass sie es kaum schaffte, aus dem Raum zu entkommen.“ Obwohl die Ordensfrau sich hilfesuchend an zwei andere Priester wandte, die dort waren, unternahmen diese nichts. Mittlerweile ist H.M. suspendiert worden.
Es gibt aber auch prominente jüngere Fälle aus Europa, wie jenen des Gründers der Johannesgemeinschaft, Marie-Dominique Philippe. Er entwickelte eine Spiritualität der geistlichen Liebe, die er (und vermutlich auch andere Patres derselben Gemeinschaft) dazu nutzte, sich jungen Schwestern und anderen jungen Frauen sexuell zu nähern. Bekannt geworden ist auch der Fall von G. C., dem Gründer der Gemeinschaft der Seligpreisungen, der über Jahre hinweg junge Ordensfrauen in sogenannten „mystischen Vereinigungen“ zum Geschlechtsverkehr zwang. Eine Zeugin dieser Vorfälle erinnert sich wie folgt: „Eines Tages begann er mir zu erklären, dass er die ‚mystische Vereinigung’ praktizierte, eine Vereinigung des Gebets, aber auch eine sexuelle Vereinigung, die ihm zufolge von der heiligen Klara mit dem heiligen Franziskus von Assisi oder von Papst Johannes Paul II. mit Schwester Faustina Kowalska vollzogen worden wäre. Er behauptete, dass das nur wahre Mystiker verstehen könnten. Lassen Sie es mich anders formulieren: Er hat die Schwestern verführt und mit ihnen geschlafen, indem er sie davon überzeugt hat, dass es der Wille des Himmels war. Ich war am Boden zerstört, als ich das erfuhr, und ich brauchte Tage, um es zu begreifen. Ich beschloss damals, es dem Leiter zu sagen, aber er glaubte mir nicht. Also habe ich in seiner Gegenwart E. am Telefon angerufen. Ich schaltete auf Lautsprecher und sprach mit E. über eine junge, psychisch fragile Schwester, mit der er regelmäßig schlief. Ich fragte ihn, was wäre, wenn sie schwanger würde. In dem Glauben, dass er mit mir allein war, antwortete E.: ‚Sie wird in die Vereinigten Staaten fliehen, das Kind auf die Welt bringen, und dann werden wir so tun, als hätte sie es adoptiert.’ Ich war sehr besorgt um diese Schwester. E. hatte in der gleichen Nacht mit ihr geschlafen, in der sie ihre Gelübde ablegte.“
Neben diesen öffentlich bekannt gewordenen Fällen gibt es eine schwer kalkulierbare Zahl (bislang) nicht öffentlich gewordener Fälle. Von letzteren können beispielsweise die Mitglieder von AVREF [Aide aux Victimes de mouvements Religieux en Europe et Familles] erzählen. Dem Verein mit Sitz in Paris, der sich um Opfer von geistlichem Missbrauch in katholischen Gemeinschaften kümmert, liegen Opferberichte vor, die darauf schließen lassen, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt. Das Muster ist immer dasselbe: Oft sehr junge Ordensfrauen werden von Priestern missbraucht, die ihre Rolle als Gründer, Beichtväter oder geistliche Begleiter ausnutzen, um die Frauen zu – bisweilen spirituell überhöhten und vermeintlich einvernehmlichen, bisweilen aber auch gewaltsam erzwungenen – sexuellen Handlungen zu nötigen. AVREF kümmert sich vor allem um die Fälle, über die wohl kaum jemals in irgendeiner Zeitung berichtet werden wird. Die meisten Opfer sind von ihren Erlebnissen so verletzt, verwirrt und nicht selten traumatisiert, dass sie schlicht nicht in der Lage sind, an die Öffentlichkeit zu gehen, wenn sie es überhaupt fertig bringen, sich jemandem anzuvertrauen. Auch das geschieht oft nur zaghaft und erst viele Jahre nach den Missbrauchserfahrungen.
Das Resümee des hier gesammelten Befundes kann nur aus zwei sehr deutlich und drängend formulierten Fragen bestehen: Wie kommt es, dass Ordensfrauen in einer so erschreckend hohen Zahl Opfer von sexuellem Missbrauch werden konnten (und vermutlich immer noch werden)? Und: Wie kommt es, dass niemand in der Kirche sich diese Frage ernsthaft zu stellen scheint?
Dass kirchliche Einrichtungen sich zwar einerseits der Schwere interner Vorfälle offensichtlich bewusst sind, aber andererseits kaum andere Maßnahmen ergreifen als diese möglichst von der Öffentlichkeit fernzuhalten, ist ein Phänomen, mit dem wir schon in den Kindesmissbrauchsfällen traurige Bekanntschaft gemacht haben. Allerdings hat die Kirche sich im Umgang mit Kindesmissbrauch erstmals gezwungen gesehen, sich trotz dieser internen Tendenz öffentlich mit den Taten und der eigenen institutionellen Verantwortung auseinanderzusetzen. Warum sollte eine solche Auseinandersetzung hier nicht auch möglich sein, wo wir Grund zur Annahme haben, dass es in mindestens dreiundzwanzig afrikanischen, asiatischen, europäischen und amerikanischen Ländern zu sexuellem Missbrauch an Ordensfrauen gekommen ist, dass dieser Missbrauch teils Todesfälle, erzwungene Abtreibungen, schwere psychische Erkrankungen und jahrzehntelanges Leid Betroffener nach sich gezogen hat, dass er womöglich um die dreißig Prozent aller Ordensfrauen betrifft und nach wie vor stattfindet?
Die eigentliche Frage ist aber nicht die nach den Ursachen des Schweigens, sondern die nach den Ursachen des Missbrauchs (wiewohl beide vermutlich eng zusammenhängen): Wie ist es möglich, dass Ordensfrauen in einer so erschreckend hohen Zahl Opfer von sexuellem Missbrauch werden konnten? Welchen Anteil haben Machtverhältnisse zwischen Oberinnen und Schwestern, zwischen Priestern und Schwestern? Welchen Anteil hat eine vielleicht spezifische Dynamik der geistlichen Begleitung zwischen zölibatär lebenden Menschen? Wie offen kann über solche Fälle in den Gemeinschaften gesprochen werden? Finden Opfer in ihren Gemeinschaften eine Atmosphäre vor, in der sie reden können, eine Atmosphäre, in der die Reputation der Gemeinschaft im Zweifelsfall nicht über dem Wohlergehen des einzelnen Mitglieds steht? Wie soll mit Tätern umgegangen werden – auch und gerade dann, wenn es sich vielleicht um angesehene Kleriker und renommierte geistliche Begleiter handelt?
Nicht zuletzt gilt es, die Frage nach der Stellung von Ordensfrauen im kirchlichen Machtgefüge zu stellen. Ist die Ignoranz gegenüber den bekannt gewordenen Missbrauchsfällen vielleicht nicht nur eine Reaktion auf den Missbrauch, sondern ebenso eine Ursache für diesen Missbrauch? In der diesjährigen Märzausgabe des Osservatore Romano haben sich mehrere Ordensfrauen zu Wort gemeldet, deren Aussagen eine solche These zumindest stützen würden. Die Ordensfrauen berichten von Ausbeutungserfahrungen. Viele Schwestern würden ohne Arbeitsvertrag und ohne vernünftige Bezahlung als Haushälterinnen oder pastorale Mitarbeiterinnen arbeiten. Schwestern würden Priestern und Bischöfen gewissermaßen zur Verfügung gestellt werden, um für sie zu putzen, die Wäsche zu waschen, ihnen das Essen zu servieren – aber sie würden bisweilen nicht einmal eingeladen, mit dem jeweiligen Würdenträger am selben Tisch zu essen. Eine Schwester wird mit den Worten zitiert: „Die Schwestern werden als Freiwillige betrachtet, über die nach Belieben verfügt werden kann. Das führt zu echtem Machtmissbrauch.“ Dass die Frauen, die in diesem Artikel zitiert werden, sich dazu entschieden haben, anonym zu bleiben, zeugt von einem Klima der Angst in der Kirche, das es von Seiten der Verantwortlichen zu überwinden gilt, indem sie diesen Frauen entgegenkommen. Es ist allerdings ein bemerkenswerter und hoffnungsvoller Schritt, dass sie sich überhaupt zu Wort gemeldet haben.
Überhaupt gibt es Anlass zur Zuversicht, dass wir uns in einem geschichtlichen Moment befinden, der günstig ist, um endlich über dieses Thema zu sprechen. Wir erleben eine anhaltende Debatte, in der Frauen weltweit über sexuellen Missbrauch sprechen und Gehör finden. Die Zeit der Aussprache hat aber im Grunde schon vor Jahrzehnten begonnen, nämlich in dem Moment, in dem M.O’D., M. und E. erstmals mit Nachdruck auf den sexuellen Missbrauch von Ordensfrauen aufmerksam gemacht haben. Und auch wenn die bekannt gewordenen Fälle lange totgeschwiegen wurden, ist seither nicht nichts passiert: Langsam und nachhaltig hat sich bei bestimmten Menschen in der Kirche ein Bewusstsein dafür etabliert, dass es solche Fälle gibt und dass es notwendig ist, darüber zu sprechen. Als ich im vergangenen Herbst einen Vortrag über geistlichen Missbrauch hielt, bei dem unter anderem geistliche Begleiter und Leiterinnen von Exerzitienhäusern aus verschiedenen deutschen Diözesen anwesend waren, war ich überrascht, wie deutlich sich einige der Anwesenden spontan in Bezug auf dieses Thema – das ja mit dem Vortragsthema nicht unmittelbar in Zusammenhang stand – zu Wort meldeten. Sie versicherten, sexueller Missbrauch wäre ein großes Thema für Ordensfrauen. In der geistlichen Begleitung und in Exerzitien würde das immer wieder angesprochen.
Wenn Opfer erst einmal eine Stimme gefunden haben, um in einem geschützten Rahmen über das ihnen angetane Leid zu sprechen, haben sie damit schon den ersten Schritt zur Aufarbeitung getan. Die kirchliche Gemeinschaft und die Ordensgemeinschaften sollten ihnen nun entgegenkommen. Wir wissen mittlerweile ja nicht nur, dass die prädominante Sorge um das institutionelle Ansehen, das damit verbundene Schweigen und das Beharren auf „internen Lösungen“ nicht dazu führen, dass Missbrauch wirksam bekämpft werden kann. Wir wissen auch, dass Opfer sexuellen Missbrauchs auch nach Jahrzehnten noch unter den Taten leiden und Hilfe brauchen – und zwar nicht nur Hilfe in Form von Therapien: Opfer brauchen mindestens ebenso existenziell die offizielle Anerkennung des von ihnen erlittenen Unrechts. Sie haben außerdem ein Recht auf die Verantwortungsübernahme durch die in vielen Fällen mitschuldig gewordenen Institutionen und auf die Verfolgung der Täter. Wir wissen aber mittlerweile auch, dass die prädominante Sorge um das institutionelle Ansehen, das damit verbundene Schweigen und das Beharren auf „internen Lösungen“ nicht dazu führen, dass Missbrauch wirksam bekämpft werden kann.
Auf den erschreckenden, in diesem Buch zusammengetragenen Befund scheint es mir nur eine angemessene Reaktion von kirchlicher Seite zu geben: Die Bedingungen des Missbrauchs zu untersuchen, die Täter zu konfrontieren und zur Rechenschaft zu ziehen und wirksame Maßnahmen zur Vermeidung künftiger Fälle zu ergreifen. Zuallererst aber gilt es den Opfern die Angst vor dem Sprechen zu nehmen und ihnen Gehör zu schenken. Es ist die Aufgabe der kirchlichen Verantwortlichen, der Religiosenkongregation, der Ordensoberen, der Ortsordinarien, der Bischofsvikare für das geweihte Leben und der Ordensreferentinnen der einzelnen Diözesen, den Opfern von offizieller Seite das zuzurufen was „Schwester C. sich im Osservatore nur unter Pseudonym zu sagen traut: „Ihr habt das Recht zu reden!“
Verbrecher in Kirchengewändern
Zu „GOTTES MISSBRAUCHTE DIENERINNEN“, ARTE:
Endlich öffnet sich der Vorhang. Ein wenig nur, aber er wird nicht mehr zu schließen sein von denen, die das Leugnen und Vertuschen von Verbrechen jahrzehntelang erfolgreich betrieben haben: von den Männern an der Spitze der katholischen Kirche. Denn nun hat auch der Papst zugegeben, was der Vatikan seit Dekaden weiß: dass etliche Mönche und Priester seiner Kirche nicht nur Minderjährige, sondern auch Nonnen erpresst und vergewaltigt haben.
„Neben der Pädophilie versucht die Kirche ein weiteres Verbrechen zu vertuschen. Weltweit begehen Priester sexuellen Missbrauch an Ordensfrauen, die ihrer Autorität unterstehen.“ Umstandslos klar formulieren Eric Quintin und Marie-Pierre Raimbault den Einstieg ihres Dokumentarfilms „Gottes missbrauchte Dienerinnen“. Darin zeichnen sie die Leidenswege einiger Opfer nach und enthüllen die globale Dimension kirchlicher Kriminalität.
Im Zentrum stehen die Berichte von ehemaligen Nonnen aus Frankreich, wo der Priester D. in der von ihm gegründeten Gemeinschaft „Saint Jean“ jahrzehntelang junge Frauen vergewaltigen konnte, ohne dass die Kirchenoberen einschritten, obwohl sie von der perversen Veranlagung des Mannes wussten. Und keiner seiner Brüder im Geiste wurde während der 40 Jahres des Bestehens dieses Männerbunds, der „freundschaftliche Liebe“ predigte und erzwungenen Sex praktizierte, jemals entlassen oder verurteilt – abgesehen von einigen Pädophilen.
Die jungen Frauen werden, wie die ehemalige Nonne D. schildert (die ihre Erfahrungen auch in dem Buch „Nicht mehr ich. Die wahre Geschichte einer jungen Ordensfrau“ beschrieben hat), von den sexuellen Avancen der Priester überrascht, wähnen sie sich doch in einer Welt der Keuschheit. „Das Wort Vergewaltigung war noch nicht in meinem Kopf“, sagt eine. Die Männer wissen das auszunutzen, zumal sie nichts zu befürchten haben. Ihre Opfer wagen aus ihrem Verständnis von Gehorsam oder aus Scham nicht, sich mitzuteilen. Tun sie es doch, werden ihre Berichte unterdrückt von Äbtissinnen oder Bischöfen.
Besonders drastisch schildern das die Autoren am Beispiel von afrikanischen Ordensschwestern, die mitunter von ihren Oberinnen wie Sexsklavinnen an Priester verkauft werden. Die ärmlichen Verhältnisse, aus denen die Novizinnen oft stammen, spielen den kriminellen Tätern in die Hände: Wer etwa wegen einer Schwangerschaft aus dem Orden verstoßen wird, steht mittellos da.
Viele Frauen werden von den Verbrechern in Kutten zur Abtreibung gezwungen. Darüber haben zwei Nonnen 1994 und 1998 nach „sechs Jahren Erfahrungen in 23 Ländern auf allen fünf Kontinenten“ den Vatikan unterrichtet. Mit diesem Wissen mutet die Aussage von Papst Franziskus aus einer Rede vom vergangenen Oktober umso zynischer an. Da verurteilt er Abtreibungen, denn das sei, „als würde man sich einen Auftragsmörder suchen, um ein Problem zu beseitigen“.
Quintin und Raimbault nennen zahlreiche Belege für die Machenschaften von Priestern und Kirchenoberen und versuchen mit einer dramaturgischen Steigerung eine klare Struktur zu schaffen; die Opfer werden mit Diskretion gefilmt, die Symbolbilder, oft diese schönen alten Klosterbauten zeigend, zeichnen umso schärfer den Kontrast zwischen salbungsvollen Worten und kriminellem Tun.
Und am Ende versuchen die Autoren sogar – ungewöhnlich für Dokumentarfilmer, einzugreifen, indem sie dem Vatikan eine Begegnung zwischen dem Papst und zwei der missbrauchten ehemaligen Nonnen vorschlagen. Nach langem Zögern willigt Rom ein – doch nur für ein Treffen ohne Zeugen. Damit bestätigt die Spitze der Kirche nur, was seit je ihre unselige Praxis ist: Geheimhaltung um jeden Preis. Die Frauen lehnen ab.
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