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„Wohin ist die Frau dann gegangen?“, fragte jetzt Klaus.
„Die ist ziemlich zügig nach links über die Straße, aus meinem Sichtfeld verschwunden und auch nicht mehr aufgetaucht. Allerdings hatte ich auch keine Veranlassung dazu, nach ihr zu schauen.“
„Ja, aber Sie haben ja immerhin die Wache angerufen um sich über den ‚Terror vor der Haustür‘, wie sie wohl gesagt haben, zu beschweren.“
„Aber natürlich“, meinte der alte Herr, jetzt ein wenig angefressen. „Das hätten Sie mal sehen und hören sollen, was der hier veranstaltet hat. Ich habe ihn ja nur im Unterbewusstsein kommen hören. Aber als der wieder wegraste, hätte sich niemand auf der Straße aufhalten dürfen. Kinder schon mal gar nicht. Und Sie müssen wissen, dass es hier jede Menge Kinder gibt. Am hinteren Ende der Weststraße ist übrigens ein großer Bolzplatz. Man darf sich nicht ausmalen, was da alles hätte passieren können, wenn der mit Vollgas um die Kurve da hinten gerast kommt und Kinder auf dem Heimweg sind. Normal müssen solche Leute aus dem Verkehr gezogen werden.“
Die beiden nickten beifällig. Ernst Schneider trat bei Klaus und Corinna förmlich offene Türen ein mit der Forderung nach Sanktionierung einer solchen Fahrweise. Zumal das gesamte Wohngebiet als 30-Zone ausgewiesen ist. Und so hatte der Mann vollkommen korrekt gehandelt mit seinem Anruf. Dass Klaus den Porschefahrer wegen eben solchen Rowdytums verfolgt hatte, das behielt er jetzt lieber für sich. Denn er wollte noch etwas ganz anderes wissen.
„Können Sie sich erinnern, wie die junge Frau aussah?“, fragte er den alten Herrn. „Welche Größe, Alter, welche Haarfarbe, was hatte sie an?“
„Ich hab‘ gewusst, dass diese Fragen kommen würden. Deshalb habe ich mir den ganzen Abend den Kopf zermartert“, entgegnete der Gefragte. „Wissen Sie, ich wusste ja bei meinem Anruf nicht, was es mit dem Fahrer auf sich hatte. Daher habe ich zunächst nur auf den Porsche und auf seine Nummer geachtet. OE-JJ 276. Die kann ich Ihnen im Schlaf aufbeten. Ach ja, noch eins. Das war mir aufgefallen, als der Wagen so rasant wieder loszog. Dem fehlte der rechte Außenspiegel.“
Corinna grinste und Klaus schaute verschämt auf seine Fingernägel.
„Okay, prima. Ääh …, ist Ihnen denn beim intensiven Nachdenken noch etwas zu der Frau eingefallen?“ Klaus wurde jetzt etwas drängender. Und hatte Erfolg.
„Ja, also, ich schätze, sie war zwischen Anfang und Mitte dreißig, dunkles, langes Haar, zu einem Pferdeschwanz gebunden, etwa einsfünfundsiebzig groß, schlank, sportlich. Sie trug eine schwarze Hose und eine offene schwarze Jacke, darunter ein weißes T-Shirt. Und sie trug Sonnenbrille. Eine wirklich hübsche Frau.“
Klaus war baff. „Das haben Sie alles auf diese Entfernung gesehen? Sie müssen ja Augen haben wie ein Luchs.“
„Und ein Fernglas“, grinste der Alte und holte einen gewaltigen Feldstecher aus einem Sideboard hervor. „Jetzt glauben Sie aber bitte nicht, Sie hätten es mit einem Spanner zu tun, meine Herrschaften. Ich benutze das Glas eher dazu, die Fischreiherkolonie drüben an der Niederhelle zu beobachten. Und die Milane über dem Seiberig. Mein Hobby ist nämlich die Ornithologie.“
‚Deshalb die vielen herrlichen asiatischen Federzeichnungen aller möglicher Vogelarten, die im Treppenhaus an den Wänden hängen‘, sinnierte Corinna. Auf zweien, die mit wunderschönen fremden Schriftzeichen verziert waren, meinte sie das Signet einer heimischen Künstlerin entdeckt zu haben – Nyu-Mie Bergner-Won. Eine tolle Frau, gebürtige Koreanerin. Sie hatte sie vor Jahren bei einer Vernissage in Bad Berleburg kennengelernt.
„Sie sitzen also den ganzen Tag hier am Fenster, schauen in die Botanik und beobachten und zählen Vögel? Gehen Sie denn nicht ab und zu mal raus?“, wollte Klaus wissen. Mehr, um noch ein wenig Konversation mit dem eigentlich sehr netten distinguierten Herrn zu machen.
„Ach wissen Sie, als Pensionär und Witwer, obendrein noch als Sportinvalide, halten sich die Freuden des Alltags doch sehr in Grenzen. Nachdem vor drei Jahren meine geliebte Frau ihren jahrelangen Kampf gegen den Krebs verloren hatte und verstorben war, wollte ich endlich wieder meinen Kopf frei kriegen und noch einmal etwas frischen Wind in mein Leben bringen. Wollte noch mal ‚Rentner-Gas‘ geben, wie die Leute so sagen. Doch der Spaß dauerte nicht lange. Zwei Monate nach meinem Start ins andere Leben hat es mich im Skiurlaub bei einem Sturz dermaßen zerlegt, dass ich dachte, das müsse es jetzt gewesen sein. Neben schweren Kopfverletzungen hat es mir das rechte Bein nahezu total zermatscht. Sechs Brüche haben die in der Klinik gezählt, alle Bänder ab, im Sprunggelenk und im Knie. Ich bin heute froh, dass ich wieder halbwegs geradeaus laufen kann mit meinen 78 Jahren. Da ist man dankbar für einen warmen Ofen und ein Fernglas. Wenn Sie wissen, was ich meine.“
„Oh ja, das weiß ich sehr genau“, entgegnete Klaiser, der schon fast versucht war, sich für seine im Nachhinein sehr dämlich wirkende Frage zu entschuldigen.
Doch da klingelte sein Smartphone. „Verzeihen Sie bitte“, entschuldigte er sich und wandte sich dem Treppenhaus zu, um ungestört telefonieren zu können. Bernd Dickel war dran.
„Hör zu. Wir haben tatsächlich ein Motorrad gefunden. Eine BMW. Oben an der K 46 zwischen Stünzel und der Sassenhäuser Höhe. Lag etwas demoliert in einer Böschung, die von der Straße her eigentlich nicht einzusehen ist. Aber weit und breit kein Fahrer, keine Zeichen von irgendwelchen Verletzungen. Nur ein Helm. Allerdings gibt es klare Anhaltspunkte dafür, dass in der Wiese unterhalb der Böschung jemand mit einem Auto mit breiten Schlappen an der Unfallstelle vorbei gefahren ist, möglicherweise sogar stehen geblieben. Es gibt auf jeden Fall Fußspuren dort. Aber im Gras ist das …, na ja, Du weißt ja selbst. Ich hab‘ schon veranlasst, den Porsche auf entsprechende Spuren untersuchen zu lassen. Der Helm ist unterwegs zur KTU.“
Klaus Klaiser war für einen Moment sprachlos. Da war die nackte Theorie der KTU-Männer also wirklich Realität geworden. „Die sind wirklich klasse“, entfuhr es ihm.
„Wer ist klasse?“ Dickel war etwas irritiert.
„Na, die KTUler. Die haben uns doch die Sache mit dem Motorrad vorausgesagt. Und jetzt haben wir‘s. Aber wo sollen wir jetzt nach dem Fahrer suchen? Oder nach der Fahrerin.“
Klaus unterbrach sein Gedankenspiel am Telefon abrupt. „Moment, warte mal eben, Bernd“, vertröstete er seinen Gesprächspartner und wandte sich dem Hausbesitzer zu. „Herr Schneider … Herr Schneider, sagen Sie bitte, könnte der schwarze Anzug, den die junge Frau trug, auch eine Motorradkombi gewesen sein?
Der ältere Herr schaute etwas nachdenklich drein und meinte dann: „Klar, wenn ich es mir recht überlege, dann war das sogar mit ziemlicher Sicherheit eine Motorradkombi. Ich hatte mich nämlich schon gewundert, was das nun wieder für eine seltsame Mode ist, so dicke Ellbogen und Knie an den Jacken und den Hosen zu tragen. T’schuldigung, daran hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht.“
„Ja Wahnsinn … Danke, Herr Schneider. … Hast Du mitgehört, Bernd?“, wandte er sich wieder an den wartenden Dickel, „ich glaube, wir haben den Fahrer bzw. die Fahrerin. Es ist mit ganz großer Wahrscheinlichkeit die Frau, die hier am Stöppel in Raumland von Herrn Schneider beim Porsche gesehen wurde“
„Ach komm, das gibt‘s doch gar nicht“, fiel ihm Dickel ins Wort. „Aber Du hast recht, wenn ich mir die Sache richtig überlege. Alles andere wäre ein unheimlicher Zufall.“
„Stimmt. Aber an Zufälle glauben wir ja nur ungern. Allerdings …, wie geht das denn nun wieder zusammen? Der Deppe redet ganz offensichtlich mit einer Frau, die er vorher über den Haufen gefahren und dann womöglich sogar im Auto mitgenommen hat!?!“
„Kann ja nicht anders gewesen sein“, schaltete sich Bernd wieder ein. Überleg‘ doch mal. Wenn es tatsächlich die Frau war, dann muss Deppe sie mitgenommen haben. Das gibt die Zeitberechnung nicht anders her. Auch wenn wir dort Luft von gut 25 Minuten haben. Vergiss nicht, Unfall und Bergung haben Zeit gekostet. Wie hätte sie denn in dieser Zeit sonst aus dieser gottverlassenen Ecke nach Raumland kommen sollen? Und warum hätte Frank Deppe sie ausgerechnet dort aufsuchen sollen, wenn es den Unfall nicht gegeben hätte?“
„Aber …“, wehrte Klaus diese Idee ab, „… der Deppe ist doch in Dotzlar alleine mit dem Porsche an mir vorbei gekommen, verdammt noch mal.“
„Na ja, vielleicht hast Du sie nur nicht gesehen, weil sie zum Beispiel auf dem herunter gedrehten Beifahrersitz lag und nicht saß“, hielt Dickel dagegen.
Klaiser gab sich geschlagen. So musste es gewesen sein. Eine andere Erklärung gab es eigentlich nicht. Vorausgesetzt, es war wirklich ein und dieselbe Frau. Und die musste mordsmäßig Schwein gehabt haben bei ihrem Sturz. Denn größere Verletzungen konnte sie ja nicht abbekommen haben. Nach allem, was man von Herrn Schneider weiß, hatte sie weder gehinkt noch sich vor Schmerz gekrümmt. „Wisst Ihr schon, wem das Motorrad gehört?“
„Keinen blassen Schimmer. Das Nummernschild war offenbar gewaltsam abgerissen worden. Wahrscheinlich hat es der Muskelmann unterwegs irgendwo aus dem Auto heraus in den Wald geworfen. Denn im Porsche war‘s nicht.“
„Okay, mein Boss“, scherzte Klaus, „dann werden wir uns jetzt noch verstärkter auf die Suche nach der Dame machen. Vielleicht gar nicht so schlecht, dass auch Corinna in zivil ist. Da könnten die Leute ja vielleicht glauben, wir seien von den Zeugen Jehovas, die da gerade unterwegs sind. Aber die werden ja auch nur ungern ins Haus gelassen.“
„Alles klar, macht das. Und meldet Euch regelmäßig. Es raucht im Moment ziemlich im Karton. Vor allem bei der SOKO. Die kommen auf keinen grünen Zweig mit dem Deppe. Und von Bernd Mönkemann gibt es nicht den Hauch einer Spur. Seine Familie ängstigt sich zu Tode. Der Mann hat eine Frau und zwei noch recht kleine Kinder. Da kannst Du Dir vorstellen, was da abgeht. Kein Mensch weiß, ob der Mann noch lebt – und, falls ja, wo und wie.“
Klaus verabschiedete sich und wollte das Telefonat beenden, als Bernd meinte: „Übrigens, es gibt auch noch Positives zu berichten, hätte ich fast vergessen. Hendrik Schlemper, Dein Nuttenprinz von gestern Morgen, ist den Kollegen in Weidenau wie geplant ins Netz gegangen. Festnahme ohne Gegenwehr. Er ist voll geständig und hatte wohl noch die gesamte Kohle dabei. Bis auf das, was er für das Taxi und für ein Frühstück irgendwo am Bahnhof ausgegeben hat.“
„Na, dann hat sich das frühe Aufstehen ja wenigstens gelohnt“, lachte der Hauptkommissar und drückte den Dienststellenleiter auf dem Smartphone weg.
Corinna Lauber hatte sich während dieses Gesprächs angeregt mit Ernst Schneider unterhalten und nur wenig von Klaus‘ Telefonat mitbekommen. Er würde sie später sicher ausgiebig informieren.
Schneider hatte ihr aus seinem Leben erzählt. Seither hatte die junge Frau richtiggehend Ehrfurcht vor dem alten Herrn. Der stammte ursprünglich aus Birkelbach, war sechstes von acht Kindern einer nicht gerade begüterten Familie mit drei Kühen und einem Schwein im Stall und fünfzehn Morgen Land. Das waren etwas mehr als vier Hektar. Damals schon ein Nebenerwerbsbetrieb, der allenfalls das Nötigste zur Versorgung der Familie abwarf. Der Vater und drei seiner Brüder waren vor allem aber Sägewerksarbeiter gewesen, die leidlich Geld heran schafften. Immerhin aber konnte Ernst eine höhere Schule besuchen und später sogar Jura studieren. Bald war er Staatsanwalt und einige Jahre danach Richter geworden und konnte so seinen alten Eltern finanziell einiges vergelten. Sie hatten ein hartes Leben gehabt.
Erst spät hatte Ernst Schneider, mittlerweile Amtsrichter in Stade, seine Frau kennengelernt und die Architektin zwei Jahre darauf geheiratet. Für Kinder war es wohl damals schon zu spät gewesen. Als sie vor elf Jahren einen der vielen Heimatbesuche in Wittgenstein machten, erlitt Dagmar, seine Frau, einen schweren Herzinfarkt. Sie kam ins Kreiskrankenhaus nach Berleburg und bald darauf zur Reha in die damalige Herz- Kreislaufklinik. Ernst, mittlerweile pensioniert, mietete sich in einer Pension ein, um in ihrer Nähe zu bleiben. Als sich aber herausstellte, dass Dagmar zwar den Herzinfarkt gut überstanden hatte, aber an Leukämie erkrankt war, verkaufte Schneider kurzerhand ihr Einfamilienhaus im Alten Land bei Hamburg und erwarb das Haus, in dem er noch heute wohnte. Und dort hatte er sie bis zu ihrem Tod gepflegt. „Sie war meine ganz große Liebe“, hatte er Corinna mit Tränen in den Augen erzählt. „Aber trotz aller Bemühungen der wirklich besten Ärzte, Rettung hat es für sie leider keine gegeben.“
Als sie sich verabschiedet und Schneiders Versprechen eingeholt hatten, seine Beobachtungen bald auf der Wache in Berleburg zu Protokoll zu geben, war es schon deutlich Mittag. „Ich rufe mal schnell bei Ute an. Mal schauen, ob wir nicht irgendwo was zusammen essen gehen können.“ Klaus kramte sein Handy aus der Jackentasche. „Klar, grüß sie schön von mir“, erwiderte Corinna, als sie den Wagen aufschloss und sich schon mal hinein setzte. Kurz darauf stieg Klaus auf der Beifahrerseite ein.
„Ich krieg‘ sie nicht. Mailbox. Hab‘ ihr was drauf gesprochen. Gehen wir irgendwo zu ’ner Frittenbude, oder willst du was Anständiges essen?“
„Ach ’ne Currywurst und ’ne Cola reichen mir auch. Ich hab‘ nicht so den großen Hunger. Der kommt sicher erst am späten Nachmittag. Hab‘ ja noch Dienst bis abends um sieben.“
Klaus schaute sie wohl etwas dämlich fragend an. „Ja, ja, Doppelschicht heute. Freiwillig. Guck nicht so, Mann. Ich wollte sehen, wie das hier weiter geht. Und vor allem wollte ich wissen, wie´s Dir geht. Ich hatte gestern Abend am Telefon meine liebe Not, Ute gefühlsmäßig ein bisschen aufzufangen.“
Die durchaus attraktive Kollegin machte sich also Gedanken um ihn, den Mann ihrer besten Freundin. Wow. War da vielleicht etwas, was er nicht bemerkt hatte? ‚Ach, Blödsinn‘, dachte Klaus‚ ‚so ist das eben unter Kollegen. Extra-Dienst hätte ich wegen ihr auch gemacht. Außerdem ist Corinna in festen Händen.’
Simon hieß er. Simon Klingbeil, Oberleutnant der Luftwaffe und nebenbei ein recht erfolgreicher Fußballer in Erndtebrück. Ein richtig netter Bursche. Und intelligent obendrein. Klaus und Ute hatten ihn erst vor ein paar Wochen mit Corinna zusammen bei einem Konzert auf dem Berleburger Marktplatz erlebt und so ein wenig kennen gelernt. „The Natives“ hatten gespielt, eine richtig gute Coverband. Hatte Spaß gemacht, auch dem jungen Offizier und Regionalliga-Fußballer. Der war nur deshalb mal zu diesem für ihn sonst seltenen Genuss gekommen, weil er an Krücken ging. „Irgendwas mit dem linken Innenband“ zwang ihn zu Spielund Trainingspause. „Während der Saison und in der Vorbereitung kannst du solche Events normal knicken“, hatte Simon fast bedauernd gesagt. Leistungssport und schönes Leben – irgendwie passt das nicht zusammen.
„Also gut, wohin denn nun, mein Guter?“ Corinna war schon mal bis vor zur Kreuzung mit Südstraße und Hinterstöppel gefahren, um in Richtung Berleburg umdrehen zu können. Die vom Regen nasse Straße dampfte jetzt richtig unter der warmen Mittagssonne. Da rief Ute zurück. Nein, Zeit für ein gemeinsames Essen habe sie nicht, aber eine interessante Info. Die könne vielleicht hilfreich sein. Ein Kollege habe aus der Zeitung von der Mönkemann-Entführung gelesen und behaupte nun steif und fest, den Mönkemann schon häufiger mal in Wittgenstein gesehen zu haben. Meist auf Schützenfesten. Immer zusammen mit derselben Frau. Knapp über 30 Jahre alt, groß, schlank, dunkelhaarig mit Pferdeschwanz und richtig hübsch. Eine, die einem Mann sofort auffalle. Daher habe er sich auch den Typen bei ihr so gut merken können. Und in der Zeitung sofort wieder erkannt.
„Ja hat er denn eine Ahnung, wer diese Frau ist und wo sie wohnt?“, wollte Klaus wissen.
„Nee, da hapert‘s bei ihm“, gab Ute zurück. „Aber wenn Du willst, kannst du Dich ja mal persönlich mit ihm unterhalten. Ich geb‘ Dir seine Handynummer.“
Klaus klemmte das Smartphone zwischen Ohr und Schulter, pulte einen Kuli aus dem Inneren seine Jacketts und friemelte einen post-it-Block von der Mittelkonsole los. „Gut, bin schreibbereit. Und gib mir bitte noch seinen kompletten Namen und seine Privatadresse, falls Du sie kennst.“
Er begann eifrig zu schreiben, nuschelte noch ein paar liebe Worte in den Apparat und beendete das Gespräch.
„Grüße von Ute. Ich glaube, wir sind einen Schritt weiter, was die ominöse junge Frau betrifft.“ Und dann erzählte er Corinna von den Beobachtungen des Klinik-Mitarbeiters.
„Okay“, sagte sie. „Aber wir haben keine Ahnung, wo sie wohnt. Dass das hier in Raumland ist, das scheint mir eher fraglich. Denn Herr Schneider hat sie noch nie zuvor gesehen. Und er beobachtet mit Sicherheit mehr da draußen vor der Tür, als er zugeben will.“
„Klar, wir wissen nicht, wo sie wohnt. Aber wir wissen, dass es einen Mönkemann-Bezug zu unserer Ecke gibt. Und dem sollten wir unbedingt nachgehen.“
Minuten später hatte Klaiser SOKO-Leiter Jörg Gabriel und seinen Dienststellenleiter darüber informiert und bereits Kontakt zu Utes Kollege aufgenommen. Sie hatten vereinbart, sich bei Ruggero im Alten Bahnhof zum Essen zu treffen. Bernhard Trefz wollte um 13 Uhr dort sein.
Gabriel musste auf der anderen Seite der Leitung einen Riesensatz gemacht haben. „Ich werd‘ verrückt. Irgendwas muss an Wittgenstein dran sein, dass sie alle ausgerechnet dort hin wollen. Jetzt haben wir wenigstens einen neuen Faden. Bitte tut mir den Gefallen und versucht, den so an unsere Geschichte anzubinden, dass endlich mal etwas dabei heraus kommt. Hier ergibt sich nämlich nüscht. Dreimal nichts. Niente! Nicht in der Mönkemann-Familie, nicht in der Firma, nicht mal am Siegener Leimbachstadion. So eine verdammte Scheiße. Man könnte meinen, der Fall hätte gar nicht stattgefunden. Ich könnte kotzen. Wenn absolut nichts voran geht, kommt man sich dermaßen überflüssig vor. Und trägt dann auch noch die Verantwortung für etwas, von dem man nicht mal die Spur einer Ahnung hat. Entschuldige bitte. Aber das musste jetzt einfach mal raus.“
Der Mann saß im Café-Garten des Hotels und heulte Rotz und Wasser. Nur wenige Meter vom Ufer des Genfer Sees entfernt. Er konnte sich weder an diesem wundervollen Herbsttag ergötzen, noch an diesem herrlichen Ausblick. Matteo Rüeggli versuchte, sein Schluchzen zu unterdrücken. Denn die Leute an den Nachbartischen schauten bereits herüber. ‚Was für eine unglaubliche Scheiße‘, dachte er. ‚Schlimmer hätte es kaum mehr kommen können.’
Dabei war alles glatt gelaufen heute Morgen. Bereits um 8.55 Uhr war er pünktlich auf dem Geneve Airoport gelandet und sofort mit dem Taxi zur Bank gefahren. Dort wurde er bereits erwartet. Und die Geld-Transaktion war ohne große Umstände abgelaufen. Die gesamte Summe von 6,5 Millionen Schweizer Franken hatte er sich, wie längst telefonisch avisiert, in bar auszahlen und in einen Pilotenkoffer packen lassen. Selbst wenn ihn jemand nach Verlassen des Geldhauses hätte überfallen wollen, wäre der wohl chancenlos geblieben. Denn Rüeggli war auf der gegenüberliegenden Straßenseite spornstreichs in die nächste Bank marschiert und hatte dort 3,5 Millionen auf ein neues Nummernkonto eingezahlt und drei Millionen auf die Cayman Islands überweisen lassen.
Er war ein reicher Mann. Ohne Zweifel. Aber er war nicht glücklich. Das komplette Gegenteil hätte seinen Seelenzustand genauer beschrieben. Denn die Frau, die er so sehr geliebt hatte und die mit ihm zusammen leben wollte, war weg. Einfach abgehauen. Das gemeinsame Leben mit ihr … Asche. „Alles im Eimer“, flüsterte er vor sich hin. Immerhin noch so laut, dass eine ältere aufgeputzte Dame bei gedecktem Apfelkuchen und Schümli-Kaffee indigniert die Nase rümpfte und demonstrativ das erhobene Haupt herum riss und auf den See hinaus stierte. Alles, was er getan, was er geplant hatte, war sinnlos geworden. Und dann diese Überreaktion. Plötzlich, aus der Situation heraus. Hätte er sich doch nur nicht auf diesen Scheißplan eingelassen. Dann müsste er jetzt wenigstens keine Angst vor Polizei und Behörden haben.
Als sie im Alten Bahnhof angekommen waren und Ruggero ihnen wortreich seinen letzten Tisch für vier Personen hinten im Eck angeboten hatte, fiel Klaus ein, dass er ja keine Ahnung hatte, wie dieser Bernhard Trefz überhaupt aussah. Doch das erübrigte sich in dem Moment, in dem der Mann auftauchte. „Ehre sei Gott in der Höhe und dreizwanzig in der Breite“ hätte sein Freund Abby gesagt. Ein braungebrannter, freundlich drein schauender Riese in Jeans und weißem T-Shirt betrat die Szenerie, machte Corinna und Klaus ruckzuck als seine Gesprächspartner aus und steuerte auf sie zu. Artig stellte er sich zunächst bei ihr, dann bei ihm vor. „Hallo, ich bin der Bernhard Trefz. Ohne Letzteres wär‘s mir allerdings bedeutend lieber. Also bitte, wenn´s Euch erlaubt ist: ‚Du’ und ‚Bernhard’.“
„Klar ist das erlaubt“, lächelte Corinna, „oder?“ Etwas zweifelnd schaute sie nun zu Klaus. Immerhin könnte das ja ein wichtiger Zeuge sein, war ihr plötzlich eingefallen.
„Natürlich, natürlich. … Ich bin Klaus, angenehm. Das ist übrigens Corinna“, grinste er. Denn er hatte festgestellt, dass seine Kollegin in ihrer offensichtlichen Bewunderung für diesen hypersportlichen netten Menschen ihren Namen ganz unterschlagen hatte.
Corinnas Teint färbte sich zartrosa. Süß sah sie aus.
Nachdem sie alle in die Speisekarte geschaut und Ruggero die Bestellung aufgenommen hatte, bat Klaus ihren Gast, doch einmal zu erzählen, wieso er sich so sicher sein konnte, dass er Bernd Mönkemann und diese dunkelhaarige Frau häufiger zusammen gesehen hat.
„Also“, fing Bernhard an. „Ich bin jetzt seit knapp einem halben Jahr hier an der Klinik in Bad Berleburg. Meine Frau ließ sich 2014 von mir scheiden. Weil sie in Marburg einen Uni-Professor kennengelernt hat, mit dem ich viel zusammen arbeitete. Deshalb konnte ich es dort nicht mehr aushalten und bin weg“, begann er gestenreich zu erzählen.
„Nun gehöre ich nicht zu denen, die gerne allein sind. Daher mache ich bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Augen auf und schaue mal, was der Markt so hergibt.“ Dabei schaute er Corinna um Verzeihung bittend an. „Nicht übel nehmen bitte, das mit dem ‚Markt’. Du weißt hoffentlich, was ich meine.“
„Klar, kein Problem.“ Corinna nickte lächelnd. „Erzähl‘ weiter, bitte.“
„Das erste Mal, dass sie mir auffiel, war, glaube ich, im ‚Tonkrug‘. Ihr kennt die Kneipe in der Hochstraße oben sicherlich.“ Beide nickten. „Sie stand dort, an einen dieser Fachwerkbalken gegenüber der Theke gelehnt und unterhielt sich angeregt mit einem Mann, der mir den Rücken zugekehrt hatte. Ein Bild von einer Frau. So ein richtiger Eyecatcher – mit einer unheimlichen Ausstrahlung. Mein Interesse wuchs von Minute zu Minute. Aber plötzlich sah ich, wie sie den Mann gegenüber sehr intensiv küsste. Kurz darauf zahlte der Mann bei Rico, der sich noch einen Moment mit ihm unterhielt. Dadurch konnte ich ihn genauer ansehen und feststellen, dass der wohl nicht die schlechteste Wahl war. Dann gingen die beiden Hand in Hand an mir vorbei hinaus. Der Traum war erstmal geplatzt.
Das nächste Mal sah ich die beiden auf dem Berleburger Schützenfest. Sonntagnachmittag, es war Sauwetter. Und die beiden standen eng umschlungen in einer dieser Zelthallen auf dem Schützenplatz. Hatten einen Riesenspaß – und er ständig seine Hände irgendwo an ihrem Körper, wo´s andere eigentlich nicht hätten sehen sollen. Er hatte wohl ziemlich einen im Horn.“
Zwischenzeitlich waren ihre Getränke gekommen. Alkoholfreie, versteht sich. Sie prosteten sich dennoch zu und tranken alle einen tiefen Schluck. Denn es war recht warm im Restaurant. Am Nachbartisch wurde gerade gezahlt. ‚Ist gut, wenn die Leute gehen‘, dachte Klaus. ‚Die haben ohnehin schon ziemlich lange Ohren gehabt. Und sie müssen ja nicht unbedingt mitbekommen, wer wir sind und in welchem Zusammenhang das Gespräch geführt wird.’ Zum Glück war der Name Mönkemann noch nicht gefallen.
„Und wie geht es weiter?“, wollte er von Bernhard wissen.
„Wie gesagt, ich bin eigentlich auf der Suche nach einer neuen Partnerin. Und wo macht man das in Wittgenstein besser als auf den Festen? Ich also zwei Wochen später nach Berghausen zum Schützenfest. Zum Vogelschießen in der Krimmelsdell. Das sei ein wunderschöner Platz, hatten mir Kollegen gesagt und um diese Zeit ein Treff für Menschen aus der ganzen Umgebung. Man könne sich da auch als Fremder nach und nach mit der einen oder anderen Pils-Runde mit eingrooven, wenn man das möchte. Aber zwingend sei das nicht. Wichtig wäre nur, dass man zügig Kontakt zu den Leuten finde. In Berghausen sei das überhaupt kein Problem.