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Kabus, der entspannt auf der Liege saß und seine Beine locker baumeln ließ, sah das aber offensichtlich ganz anders, denn mit einem breiten Grinsen und leuchtenden Augen fuchtelte er mit seinen Armen um ihren Kopf herum, versuchte sie zu streicheln und sie an sich zu ziehen, um sie zu küssen. Dabei stöhnte er ziemlich wollüstig.
Niuri aber hatte sichtlich keinen Nerv für sein Gebaren. „Lass das!“ Sie schob seine Hände, die im Begriff waren, sich auf ihren Brüsten niederzulassen, beiseite und wollte mit ihrer Arbeit fortfahren.
Kabus jedoch interessierte sich herzlich wenig für ihre ablehnende Haltung, sondern intensivierte seine Bemühungen im Gegenteil sogar noch. Sein Pech allerdings war, dass Niuri eine Art Pinzette in der Hand hatte, mit der sie abgestorbene Hautpartikel aus der Wunde entfernen wollte und als er sie an sich zog, um sie zu küssen, spürte er plötzlich einen höllischen Schmerz, der ihm sofort die Hitze durch den Körper trieb. „Aua!“ brüllte er, ließ sie los und schaute auf seine Wunde, während er versuchte den Schmerz zu ertragen.
Niuri trat einen halben Schritt zurück. Als Kabus sie vorwurfsvoll ansah, hatte sie die Pinzette erhoben und ein sanftes Grinsen auf den Lippen. „Ich hatte dich gewarnt!“
Kabus rechtes Auge verengte sich zu einem Schlitz. „Du bist ein Biest!“
Niuri grinste breiter. „Auch!“
„Und eine Schwindlerin!“
Niuris Lächeln erstarb und ihr Blick wurde ernst. „Wieso?“
„Du hast gesagt, du…!“ Kabus stoppte abrupt ab und wurde etwas verlegen. „…magst mich!“ fuhr er fort, doch war ihm klar, dass Niuri wusste, was er eigentlich hatte sagen wollen.
Die junge Frau lächelte auch nur einen Augenblick offen, dann wurde es ernster und ihre Augen leuchteten. „Mehr als das!“ erwiderte sie, hob ihre rechte Hand und streichelte sanft seine Wange.
Kabus lächelte zufrieden. „Und warum darf ich dich dann nicht küssen?“
„Weil du…!?“ Niuri blickte irritiert. „…noch immer verletzt bist und ich mich um deine Wunde kümmern muss!?“
„Geht das nicht auch später?“
Doch Niuri schüttelte mit ernster Miene den Kopf. „Jetzt!“
„Okay!“ Kabus gab sich mit einem tiefen Atemzug und verzogenen Mundwinkeln geschlagen. „Aber ich…brauche…wenigstens einen Kuss, sonst…!“ Er wartete, bis sie ihn ansah. „…werde ich wahnsinnig vor Verlangen nach dir und dann nützt mir auch ein intakter Körper nichts!“ Er grinste schief.
Jetzt verengten sich Niuris Augen und sie wollte schon zu etwas ansetzen, doch dann brummte sie nur. „Also gut! Einen Kuss!“ Sie wartete, bis Kabus nickte. „Dann kümmere ich mich um deine Wunde!“ Wieder nickte ihr Gegenüber und sie trat direkt vor ihn. Einen Augenblick später hatte er schon seine beiden Hände an ihre Wangen gelegt und sie befand sich in einem absolut leidenschaftlichen Zungenkuss. Was immer sie auch für Vorsätze gehabt haben mochte, sie brachen vollständig auseinander und tiefes Verlangen erfasste sie. Im nächsten Moment stöhnte sie wollüstig, genoss das Gefühl, das ihr Kabus gab, in vollen Zügen und vergas ihre Umgebung.
Plötzlich aber bemerkten sie Tumult außerhalb der Krankenstation. Zuerst waren es nur lautere Stimmen, doch schon einen Moment später wurden sie auch hektisch, aufgeregt und besorgt. Das reichte aus, um ihren Kuss zu beenden.
Im selben Augenblick ertönte von draußen der Schrei eines Elay. Laut und dröhnend hallte er in der Halle nach.
War eines der Tiere ausgebrochen, bevor Umuras sich mit ihm beschäftigen konnte? War der Fluch, der diese wundervollen Wesen einst befallen hatte, am Ende doch noch nicht gänzlich vergangen?
Niuri und Kabus schauten sich an und trennten sich dann. „Was mag da los sein?“ fragte Kabus.
Niuri zuckte in den Schultern. Gemeinsam gingen sie zur Tür. Sie erkannten sofort, dass sie sich nicht geirrt hatten. Mitten in der großen Halle stand, umringt von mehreren Personen – unter ihnen auch Umuras – ein Elay. Nein, nicht ein Elay, der Elay, der Jorik und die anderen vor Stunden hinauf zur Oberfläche bringen sollte!
Als Niuri und Kabus diesen Umstand realisierten, zeigte sich augenblicklich Sorge in ihren Gesichtern Sie traten ins Freie und näherten sich dem Flugwesen.
„Vorsicht!“ brüllte Umuras und schon im nächsten Moment wirbelte der Elay herum und sein ausgetreckter Schwanz schoss in Hüfthöhe waagerecht durch die Luft. Niuri und Kabus waren gerade noch weit genug entfernt, dass sie davon nicht erwischt wurden, ein Mann im mittleren Alter aber hatte kein Glück, wurde aus dem Stand nach hinten gerissen und einige Meter brüllend durch die Luft geschleudert. Allerdings landete er in einer Gruppe Zuschauer, die ihn unfreiwillig auffingen, sodass er keinen nennenswerten Schaden davontrug.
Erneut war ein wildes Brüllen des Elay zu hören und Kabus rechnete fest damit, dass das Tier komplett ausrasten würde, doch zu seiner Überraschung begann der Körper des Flugwesens plötzlich zu zittern, aus dem Brüllen wurde ein schmerzhaftes, qualvolles Stöhnen und schon im nächsten Moment sackten die Beine unter dem massigen Körper weg und der Elay krachte mit einem kläglichen Aufschrei zu Boden.
„Sie ist verletzt!“ rief Umuras und näherte sich dem Tier, obwohl es seinen Kopf drohend in seine Richtung drehte. Umuras aber ließ sich davon nicht abhalten, legte seine Hand beschwichtigend auf den Körper des Flugwesens und tatsächlich beruhigte es sich zusehends. Während es nochmals schmerzhaft aufstöhnte, konnte er die Wunden betrachten und war sichtlich besorgt. „Sehr sogar!“
„Was…?“ Kabus war mit Niuri nähergekommen. Seine Wunde war längst vergessen, einzig tiefe Besorgnis erfüllte ihn. „Was ist passiert?“
Umuras schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung!“ Er sah die beiden direkt an. „Aber um einem Elay solche Wunden zuzufügen, bedarf es schon erheblicher Gewalteinwirkung!“
„Ist sie allein?“ fragte Kabus. „Ich meine, war denn keiner bei ihr?“
Umuras wusste darauf keine Antwort, doch quasi im selben Moment kamen die beiden Männer angerannt, die in der Höhle Wache gehalten hatten, hinter der sich der gewaltige Trichter befand, der letztlich bis an die Oberfläche des Planeten führte. Als sie den Elay sahen, stoppten sie ab.
„Was ist passiert?“ fragte Umuras.
„Er war urplötzlich da! Ohne Vorwarnung!“ antwortete der ältere der beiden. „Kam aus dem Trichter in die Höhle geschossen, durchflog sie und verschwand in diese Richtung!“
„War Jemand bei ihm?“ Kabus trat einen Schritt auf den Mann zu.
Doch der schüttelte den Kopf. „Nein! Der Elay war allein!“
„Seid ihr sicher?“ hakte Niuri nach.
Jetzt nickte der Mann. „Wir haben den Trichter und den Höhleneingang abgesucht, bevor wir hierherkamen!“
„Aber…!“ Kabus Blick drückte pure Hilflosigkeit aus. „Was ist passiert?“
Niuri schaute ihn voller Mitleid an. „Das weiß niemand!“ Sie trat zu ihm und schloss ihn in die Arme.
„Das ist so nicht ganz richtig!“ erwiderte Umuras und als die beiden ihn ansahen, fügte er mit einem Nicken auf den Elay hinzu. „Sie weiß es!“
„Aber…!“ Kabus befiel Verzweiflung. „Dann soll sie uns dorthin fliegen, wo sie…!“ Er stoppte ab.
Umuras schüttelte den Kopf. „Sie ist ernsthaft verletzt. Wir müssen sie erst behandeln!“
„Wie lange wird das dauern?“ setzte Kabus nach.
Umuras schaute ihn an, dann auf die Wunde an seiner linken Seite. „Nicht länger, als bei dir!“
Kabus schaute an sich herab und musste erkennen, dass seine Wunde wieder aufgebrochen war. Frisches Blut sickerte in einem dünnen Strich in seine Taille. Mit einem Mal spürte er dort auch ein sehr unangenehmes Ziehen, das sich zu einem Brennen entwickelte. Mit großen Augen schaute er Umuras an.
„Wenn du bereit bist, ist sie…!“ Er deutete auf den Elay. „…es auch!“
„Vorausgesetzt, du tust dieses Mal, was ich dir sage!“ mahnte Niuri, doch zeigte ihr Blick, dass sie mit ihm fühlte.
„Natürlich!“ erwiderte Kabus sofort. „Lasst uns keine Zeit verlieren!“ Er schaute Umuras bittend an.
Der Alte nickte, wandte sich ab und gab einigen Umstehenden Anweisungen, Platz zu schaffen, Verbandszeug und Medikamente, sowie heißes Wasser zu holen.
Niuri zog Kabus mit sich und lächelte ihm aufmunternd zu, doch wusste er nicht, ob er ihren Optimismus wirklich teilen sollte.
III
„Wer?“ Das Wort war geschrien und hallte in dem Höhlenraum laut und beinahe krachend nach. Wut und Zorn schwangen mit und verstärkten seine Wirkung noch. Sein Verursacher war Captain Narrix. Mit von großer Wut gerötetem Kopf und schwellender Halsschlagader stand er in der Mitte des Raumes und starrte auf die sieben Personen herab, die vor ihm mit auf dem Rücken gefesselten Händen knieten und von je einem seiner Männer mit einer Schlinge drangsaliert wurden, die um ihren Hals lag und fest angezogen war, sodass alle Schwierigkeiten hatten, normal zu atmen.
Narrix Oberkörper erhob sich ein Stück, er drehte sich parallel zu den Knieenden und betrachtete jeden Einzelnen. Doch keiner von ihnen würdigte ihn eines Blickes, alle starrten nur geradeaus und waren bemüht, das Gleichgewicht nicht zu verlieren, da die Männer hinter ihnen die Stricke um ihren Hals so weit in die Höhe gezogen hatten, dass sie ihre Oberkörper weit strecken mussten, um atmen zu können, was ihre Stabilität ziemlich beeinträchtigte.
Die Nichtbeachtung seiner Person machte Narrix sichtlich noch wütender. Mit einem wilden Aufschrei trat er einen halben Schritt nach vorn, packte Kendig rüde am Hinterkopf an den Haaren und drosch zweimal mit brutaler Härte in sein Gesicht. Der hatte nicht die geringste Chance, dass zu verhindern oder irgendetwas zu tun, um die Schläge abzumildern. Mit lautem Klatschen krachte Narrix Faust auf seinen Wangenknochen, Kendig schrie erstickt auf. Blut und Speichel flogen umher. Kendig sackte zusammen, doch der Captain war unerbittlich, riss seinen Kopf wieder in die Höhe, schob sein wutverzerrtes Gesicht direkt über das seine und brüllte nochmals. „Wer?“
Doch er sollte erneut keine Antwort bekommen. So ließ er Kendig los, der daraufhin zusammensackte. Der Mann hinter ihm riss jedoch sofort an der Schlinge, die sich augenblicklich fester um seinen Hals schloss und ihm den Atem nahm. Kendigs Körper zuckte in die Höhe und er drückte ihn wieder durch, so gut es ging, rang nach Luft. Viele Kraftreserven hatte er allerdings nicht mehr, Oberschenkel und Arme zitterten bereits erbärmlich.
Rechts neben ihm, an dem einen Ende der Reihe kniete seine Frau Malawi. Ihr Gesicht war gezeichnet von einigen Misshandlungen, auch sie atmete schwer. Schweiß rann ihr über die Stirn in die Augen. Ihr Blick war auf Kendig gerichtet, tiefer Schmerz hatte ihr Herz erfasst, sie wünschte sich nichts sehnlicher, als ihm helfen zu können. Doch ihre Arme waren ebenso auf dem Rücken gefesselt, wie die aller anderen und der Zug an ihrem Hals tat sein Übriges, um sie ziemlich wehrlos zu machen. Dennoch war ihr klar, dass sie ihrem Mann helfen musste. Sie musste die Aufmerksamkeit von ihm nehmen, damit er durchatmen konnte. Echte Angst um ihn erfasste sie, ließ sie ihre eigene Angst und ihre vielfältigen Schmerzen vergessen. Einzig Liebe trieb sie an. „Wer was?“ stieß sie halb erstickt hervor – und bereute es einen Augenblick auch schon.
Denn Narrix wirbelte zu ihr herum, legte seine rechte Hand um ihre Kehle und drückte gnadenlos zu. Malawi wurde schlagartig heiß, sie konnte nicht mehr atmen und hatte das Gefühl, ihr Kehlkopf würde zerquetscht werden.
„Wer was?“ Das war Rimbo. Er befand sich links neben seiner Frau Idis, die wiederum links von Kendig kniete. Seine Stimme klang gereizt und ziemlich kraftvoll, doch schon im nächsten Moment zog der Kerl hinter ihm derart kräftig an der Schlinge, dass Rimbos Knie für einen Moment vom Boden abhoben und er röchelnd zu zappeln begann.
Narrix schien im ersten Moment nicht auf ihn reagieren zu wollen. Stattdessen weidete er sich sichtlich an Malawis Schmerz und Hilflosigkeit, so sehr, dass er grinsen musste. Plötzlich schoss sein Kopf nach vorn und er küsste sie fest auf den Mund. Malawi stöhnte auf und versuchte sich ihm zu entwinden, was ihr aber nicht wirklich gelang. Hilflos musste sie den rüden Kuss über sich ergehen lassen. Als Narrix schließlich wieder von ihr abließ war sie einer Ohnmacht sehr nahe. Wild rang sie nach Luft, spürte, wie Übelkeit in ihr aufstieg, sie röchelte und hustete Schleim hervor.
Narrix grinste sie nochmals breit an, dann wandte er sich von ihr ab und trat vor Rimbo. Ohne Vorwarnung riss er sein rechtes Bein in die Höhe und rammte es ihm in den Magen. Rimbo stöhnte, sein Gesicht wurde rot und auch er würgte hustend Schleim hervor. Narrix wartete reglos, bis er sich wieder etwas beruhigt hatte. „Wer fehlt hier?“ fragte er dann und starrte Rimbo direkt in die Augen.
„Ich…!“ Rimbo hatte Mühe durch seine zunehmend verstopfte Nase zu atmen. „…verstehe nicht! Wer zum Teufel soll denn hier fehlen?“
„Ich glaube…!“ brachte Idis mit großer Mühe hervor. Auch sie hatte große Sorgen um ihren Mann und wollte ihm helfen, indem sie die Aufmerksamkeit von ihm ablenkte. „…ich bin nicht mehr ganz bei mir!“ Im Gegensatz zu Malawi war sie auf eine ruckartige Bewegung des Captains gefasst, die auch prompt kam. Er griff rüde ihre Haare an der Stirn und drückte ihren Kopf nach hinten. „Vitaminmangel…schätze ich!“ fügte sie noch hinzu und grinste dabei sogar verzerrt.
Narrix starrte sie mit einem widerlichen Grinsen und zunehmend offener Gier an. Seine Augen leuchteten. „Du bist eine Wildkatze!“ sagte er und schon lag seine linke Hand auf ihrer rechten Brust. Idis stöhnte auf, doch nicht aus Wollust, sondern aus Ekel. Narrix aber störte sich nicht daran. Er knetete sie für einen Augenblick hart, dann drückte er mit aller Kraft zu. Wieder musste Idis stöhnen, dieses Mal jedoch aus Schmerz. „Ich liebe das!“ Er bleckte die Zähne. „Eure Männer sterben zuerst. Dann werde ich mich mit euch Frauen beschäftigen. Und wenn ich mit dir fertig bin, dann kannst du sagen, dass du nicht mehr ganz bei dir bist. Ich werde dir und deinen Freundinnen nämlich den Verstand aus dem Kopf vögeln. Erst ich…und dann meine Männer!“ Er starrte Idis direkt in die Augen, während er ihre Brust wieder knetete. „Gib zu, du freust dich schon darauf!“
Das war zu viel für Rimbo. Obwohl er wusste, dass es wehtun würde, drückte er sich auf die Beine und machte einen Schritt auf Narrix zu. Doch bevor er ihn ganz ausgeführt hatte, war der Kerl in seinem Rücken auch schon bei ihm und hämmerte ihm mit rüder Gewalt den Gewehrkolben zwischen die Schulterblätter, dass es nur so krachte. Rimbo hatte das unbedingte Gefühl, dass etwas zerbrach. Alle Kraft wich aus seinem Körper und er fiel zurück auf die Knie, wo ihm der Kerl nochmals einen derben Schlag mit dem Kolben in den Nacken versetzte, sodass er aufschreien musste. Für einen Moment verschwamm das Bild vor seinen Augen, dann spürte er widerliche Hitze in seinem Gesicht, als die Schlinge um seinen Hals wieder festgezogen und er somit zurück auf seine Ausgangsposition getrieben wurde.
„Bist du bescheuert?“ fragte Narrix in lässigem Ton wahrlich von oben herab.
„Lass sie in Ruhe!“ stieß Rimbo hervor. „Leg dich mit mir an, wenn du dich traust!“ Er blickte seinem Gegner geradewegs und mutig in die Augen.
Doch Narrix blieb ruhig und grinste sogar. „Dass du mit ihr leiert bist, habe ich schon mitbekommen! Auch, dass ihr beide…!“ Er blickte zu Kendig und Malawi. „…zusammengehört, weiß ich!“ Er drehte sich zu den drei anderen Personen, die bisher noch ungeschoren davongekommen waren. „Aber bei euch dreien bin ich mir da noch nicht so sicher!“ Er trat vor Esha, Shamos und am anderen Rand der Gruppe Jorik. In ihren ebenfalls übel zugerichteten Gesichtern, konnte man sehen, dass sie nervös wurden. Narrix hatte im Moment wirklich alle Trümpfe in seinen Händen und spielte sie absolut gnadenlos aus. Allen war klar, dass er brandgefährlich war und ihr aller Leben am seidenen Faden hing. „Ich muss das aber wissen!“ Narrix Stimme klang beinahe entschuldigend. „Damit ich weiß, wessen Partner hier fehlt!“ Er schaute alle drei direkt an. „Denn das einer fehlt, ist klar!“ Plötzlich veränderte sich seine entspannte Miene, er verzog die Mundwinkel, blickte erst säuerlich, dann zornig und schon im nächsten Moment brüllte er fast hysterisch. „Denn diese Mistsau hat uns bei euren Freunden verraten und mich ein verdammtes Schiff gekostet!“ Ohne Vorwarnung zuckte seine rechte Faust nach vorn und schon verpasste er jedem der drei einen knallharten Schlag ins Gesicht, dass es nur so klatschte. Alle stöhnten, Esha schrie zusätzlich erstickt auf. Doch keiner von ihnen zeigte weitere Reaktionen, geschweige denn Blickkontakt. Shamos zerriss es innerlich beinahe, dass er mit ansehen musste, wie Esha litt, doch war ihm spätestens nach diesen Worten des Captains klar, was Jorik geschehen würde, wenn sich herausstellte, dass seine Marivar die Informantin ihrer Freunde gewesen war, denn nur sie konnte es doch gewesen sein.
Jorik sah man an, dass sich in seine Furcht vor den Konsequenzen auch so etwas wie Freude gemischt hatte, denn letztlich bewies dies alles doch auch, dass Marivar noch immer lebte – eine Ungewissheit, die ihm bisher schwer zu schaffen gemacht hatte.
Narrix beruhigte sich wieder etwas, zumindest schien es so. Er stand mit gesenktem Kopf der Gruppe abgewandt. Es waren tiefe Atemzüge zu hören, während seine Hände sich immer wieder zur Faust ballten und dann wieder öffneten. Sein Gesicht war eine zornige Grimasse, seine Augen funkelten irr, er schwitzte. Doch das konnte keiner der anderen sehen. Erst allmählich entspannten sich seine Züge und wenige Augenblicke später erschien tatsächlich ein Lächeln auf seinen Lippen, das sogar anhielt, als er sich wieder zu der Gruppe herumdrehte. „Okay!“ Seine Stimme klang fast freundlich, doch in den Gesichtern seiner Opfer sah er Furcht, was ihn zusätzlich belustigte. „So kommen wir also nicht weiter!“ Er atmete einmal tief durch. „Dann eben auf andere Weise!“ Sein Lächeln verschwand, er schürzte die Lippen und schniefte einmal durch die Nase. Dann schaute er Esha, Shamos und Jorik für einen Moment ausdruckslos an, bevor er sich nach links wandte und auf einen seiner Männer zuging, der bisher reglos am Eingang der Höhle Posten eingenommen hatte. „Geben sie mir ihre Waffe!“ Narrix sah ihn kaum an und deutete stattdessen auf die Pistole am Gürtel des Mannes. Der war im ersten Moment etwas überrascht, dass er nicht sein Gewehr haben wollte, dass er vor der Brust hielt, doch auch ihm schien mehr als bewusst zu sein, dass der Captain gerade sehr gefährlich war und womöglich auch vor seinen eigenen Leuten nicht Halt machen würde. Also reichte er ihm die Waffe. Narrix nahm sie mit seiner linken Hand und drehte sich zu der Gruppe um. Mit einem kurzen Druck entriegelte er das Magazin der Pistole, das daraufhin zu Boden fiel. Narrix beachtete es gar nicht, sondern ließ stattdessen sogar den Schlitten einmal vor und zurückratschen, sodass mit einem leisen Pling und deutlich sichtbar, die Patrone, die sich im Lauf befunden hatte, ebenfalls zu Boden segelte. Damit war klar, dass diese Waffe vollkommen entladen war. Narrix hielt inne und betrachtete seine Opfer einen nach dem anderen. In ihren Gesichtern sah er Anspannung und wieder Furcht. Doch er ließ sich seine Freude darüber diesmal nicht anmerken. Stattdessen zog er ruckartig seine eigene Waffe aus dem Hohlster an seinem Gürtel und entriegelte mit der gleichen Bewegung ebenfalls das Magazin, das daraufhin zu Boden fiel. Wieder hielt er danach inne und schaute ausdruckslos auf Esha, Shamos und Jorik, die ihn mit immer größer werdender Nervosität anstarrten, weil ihnen bewusst war, dass sich in dieser Waffe noch immer die Kugel im Lauf befand.
Dann aber ging alles unendlich schnell:
Narrix drehte ihnen mit beiden Waffen den Rücken zu. Alles, was zu sehen war, waren seine hin und her zuckenden Arme. Dann zuckte er blitzschnell zurück, hielt beide Waffen lässig neben dem Körper, während er sie hörbar entsicherte und ging direkt auf Esha zu. Die starrte ihn mit zunehmendem Entsetzen an, weil sie ahnte, dass etwas Schlimmes passieren würde, sie aber noch nicht genau wusste, was.
Narrix konnte sich eines kurzen Lächelns nicht erwehren, dann aber wurde er wieder ernst, riss den rechten Arm in die Höhe und zielte auf Jorik.
Augenblicklich schrien Kendig, Rimbo und ihre Frauen auf, auch Shamos. Esha war nicht fähig zu einer Reaktion, sie starrte den Captain nur unvermindert an, während Tränen aus ihren Augen rannen.
Dann drückte Narrix ab!
*
Marivar schreckte aus dem Schlaf auf und richtete sich sofort kerzengerade auf. Ihr Atem ging stoßweise und unregelmäßig, kalter Schweiß lag auf ihrer Stirn. Ihre Augen waren weit geöffnet und starrten ins Leere.
Im ersten Moment wusste sie nicht, wo sie war. Sie konnte sich gerade noch vage daran erinnern, dass sie gegen ihre Müdigkeit angekämpft hatte, sie ihr letztlich aber Tribut zollen musste.
Dann waren da plötzlich Esha, Malawi und Idis. Kendig, Rimbo und Shamos. Und da war Jorik. Sie stand direkt vor ihm, wollte ihn umarmen, doch noch bevor sie ihn berühren konnte, erschlafften plötzlich all seine Gesichtszüge, er verdrehte die Augen und schon im nächsten Moment sackte er direkt vor ihr vollkommen kraftlos zu Boden, während sich auf seiner Brust ein Fleck aus frischem Blut ausbreitete. Der Schreck ließ sie erstarren und gleichzeitig aufschreien.
Ihr Blick klärte sich allmählich, sie erkannte ihre Umgebung und plötzlich dämmerte ihr, dass sie geschlafen haben musste. Nichts von dem, was sie gesehen hatte, war hier. Nicht ihre Freunde, nicht Jorik. Sie war vollkommen allein, in einem kleinen Raum voller umgestürzter Einrichtungsgegenstände auf einem notdürftig bereiteten Lager im Inneren eines Schiffswracks vor der Küste Kimuris. Plötzlich kamen all ihre Erinnerungen zurück und sie fühlte sich augenblicklich leer und hilflos.
Hinzu kam, dass ihr zwar klar wurde, dass ihr Traum nur ein Traum gewesen war, dass sie aber ebenso sicher war, dass das Gefühl, dass etwas Furchtbares mit Jorik geschehen sein musste, dennoch real war und tief in ihrem Inneren fest verankert blieb.
Und deshalb konnte sie sich absolut nicht dagegen erwehren, dass ihr die Tränen aus den Augen quollen und sie ganz erbärmlich schluchzen musste, weil sie erkannte, dass sie so unendlich weit weg von dem Menschen war, für den sie nichts mehr als einfach nur Liebe empfand.
*
Ein scharfes Klicken war zu hören – mehr jedoch…nicht!
Jorik, der Narrix die ganze Zeit über angestarrt hatte, spürte, wie eine heiße Schockwelle durch seinen Körper zuckte, die ihm fast die Besinnung raubte und seine Knie weich werden ließ. Er schluckte demonstrativ und begann dann leicht zu zittern.
Erleichterung mache sich breit, doch sie dauerte nur einen winzigen Augenblick.
Dann nämlich sagte Narrix mit fast schon obszön klingender Gleichgültigkeit. „Okay, dann eben der andere!“ Und im selben Moment riss er seinen linken Arm in die Höhe und visierte Shamos an.
Esha spürte deutlich, wie sie den Verstand verlor, weil der Kerl vor ihr ein so unfassbar widerliches Spiel mit ihnen trieb, dass ihr schlecht und schwindelig zugleich wurde und der Puls mit einer derart großen Wucht unter ihre Schädeldecke hämmerte, dass sie das Gefühl hatte, er würde sie schon im nächsten Moment durchbrechen und ihr Kopf aufplatzen.
Doch das geschah nicht und beinahe ertappte sie sich dabei, dass sie traurig deswegen war, musste sie dadurch doch diesen unmenschlichen Wahnsinn weiter miterleben, der vor ihr ablief.
Zwei Pistolen, eine Kugel.
Und eine der beiden Waffen war auf Jorik gerichtet gewesen. Schonungslos hatte Narrix abgedrückt, ein gefühlloser Henker ohne Gnade und Gewissen. Esha wollte aufschreien, doch ihr ganzer Körper war vollkommen erstarrt, sie konnte sich absolut nicht bewegen. Dann war das Klicken zu hören, als der Schlaghammer nach vorn klappte, aber nur auf die leere Trommel traf und keinen Schuss auslöste. In diesem Moment ging ein sichtbarer Ruck durch Esha und sie erzitterte heftig. Ihre Augen flackerten, sie versuchte die Dunkelheit einer Ohnmacht zu verdrängen.