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„Ich sage es!“ wiederholte Jorik, dessen Gegenwehr verebbte, unter Tränen. Narrix wandte sich zu ihm um und sein Lächeln erstarb.
„Du…!“ stieß Esha plötzlich hervor. Sie hustete und ihre Stimme klang rau. „…sagst gar nichts!“
Narrix Kopf wirbelte zu ihr zurück und er starrte sie ausdruckslos, aber mit funkelnden Augen an.
Esha erwiderte seinen Blick geradeheraus. „Hörst du?“ sagte sie. „Du bleibst stumm!“ Ihre Stimme klang sehr fest, doch innerlich zitterte sie nur so vor Angst.
Narrix musterte sie und sein rechtes Auge verengte sich zu einem Schlitz. Doch dann erschien ein breites Lächeln auf seinen Lippen. Sein Blick zuckte kurz zu dem Wachmann mit dem Seil und er nickte ihm erneut zu. Als dieser daraufhin sofort wieder fest anziehen wollte, deutete der Captain ihm jedoch mit der linken Hand an, es dieses Mal gemächlich zu machen.
Esha spürte, wie sich der Strick langsam wieder in ihren Hals drückte, ihr Kehlkopf schmerzte augenblicklich wieder. Instinktiv drückte sie sich auf die Fußballen, konnte so den Druck vermindern. Doch nur einen Moment, dann erhöhte er sich wieder, weil der Kerl den Strick weiter anzog. Esha hatte nur noch die Möglichkeit, sich auch noch auf die Zehenspritzen zu drücken, doch nur wenig Hoffnung, sie könne es damit wirklich aufhalten. Wieder versuchte sie, tief Luft zu holen, erwartete den Augenblick, indem ihre Füße den Bodenkontakt endgültig verloren.
Im allerletzten Moment aber, bevor das geschah, gab Narrix der Wache ein kurzes, unbemerktes Zeichen mit der linken Hand, den Vorgang zu stoppen.
Esha konnte sich weiterhin gerade so auf den Zehenspritzen halten, musste sich aber sehr darauf konzentrieren, nicht die Balance zu verlieren, wodurch sich ihr Körper immer mal wieder versteifte und sie aufstöhnte. Ihre Hilflosigkeit ihrem Peiniger gegenüber wurde ihr jetzt deutlich bewusst.
Und Narrix genoss es. Seine Augen funkelten gierig und ein widerwärtiges Lächeln umspielte seine Lippen.
„Hören sie auf!“ rief Jorik und rappelte sich stöhnend und schwerfällig wieder auf.
Doch Narrix beachtete ihn gar nicht. Stattdessen machte er einen Schritt auf Esha zu und stand jetzt dicht vor ihr. Die junge Frau schien etwas überrascht und starrte ihm direkt in die Augen, wo sie bereits sehen konnte, was er im nächsten Moment tun würde. Schon hob er seinen rechten Arm an, legte seine rechte Hand auf ihre linke Brust und begann sie rüde zu kneten. Eshas Körper zuckte im ersten Moment, doch wusste sie, dass sie nicht die geringste Chance hatte, sich diesem widerlichen Griff zu entziehen und ihn gewähren lassen musste. Zu allem Überfluss waren ihre Brustwarzen aufgrund der körperlichen Penetration durch den Strick hervorgetreten und hart, sodass Narrix sie fühlen und bearbeiten konnte. Sie spürte den heißen Atem des Captains auf ihrer Wange und die aufsteigende Erregung in ihm.
„Lassen sie sie!“ brüllte Jorik aus dem Rückraum. Einen Augenblick später waren Faustschläge zu hören. „Hören sie auf!“ Doch Jorik hatte keine Chance gegen den Wachmann. Ein erstickter Schrei, wieder ein Faustschlag, dann sank er stöhnend zu Boden.
Narrix nahm keine sichtbare Notiz davon. Er knetete Eshas Brust und stöhnte dabei. Dann schob er sein Gesicht neben ihres. „Du bist eine verdammte Wildkatze!“ Er grinste. „Ich werde am Ende…!“ Er stöhnte heiser auf. „…sehr viel Spaß mit dir haben!“ Und schon im nächsten Moment küsste er sie auf die linke Wange, dann schob er seine Zunge über sie hinweg bis neben das Auge, wobei er erneut stöhnte und seinen Griff um ihre Brust nochmals intensivierte.
Esha war vollkommen hilflos, musste alles über sich ergehen lassen, die Schmerzen, die durch ihre Brust und die Brustwarze fuhren und den Ekel über seine Nähe. Und sie war sicher, dass er nicht aufhören würde. Fast rechnete sie damit, dass er sie hier und jetzt in dieser Position vergewaltigen würde.
Doch plötzlich zog er sich abrupt zurück und gab für Esha wieder unbemerkt ein Zeichen an den Wachmann, der daraufhin den Strick löste. Während sie zurück auf ihre Füße sackte, die sofort zitternd nachgaben, sodass sie keuchend und nach Atem ringend auf die Knie fiel, drehte sich Narrix um und schaute ausdruckslos auf den am Boden liegenden Jorik. „Also?“ zischte er.
„Marivar!“ stieß Jorik hervor und rollte sich auf die Knie. „Ihr Name ist Marivar!“ Als er ihren Namen sagte, stellten sich wieder Gewissensbisse ein, doch es war doch eigentlich vollkommen unwichtig, ob sein Gegenüber ihren Namen kannte.
„Deine Frau?“
Jorik zögerte, doch dann nickte er.
„Miststück!“ zischte Narrix erneut. „Wo ist sie?“
„Ich weiß es nicht!“ erwiderte Jorik sofort und das war ja auch keine Lüge. „Sie wurde bei eurem Angriff auf den Elay verletzt und war bewusstlos. Ich habe sie in eine Felsspalte geschoben, damit ihr sie nicht findet!“
Narrix sah ihn mit finsterer Miene an und schien zu überlegen. „Da wir wissen, dass sie mittlerweile wieder wach ist, wird sie sich sicherlich ein anderes Versteck gesucht haben!“ Er nickte. „Aber sie hat einen Kommunikator!?“
„Nein, hat sie nicht!“ erwiderte Jorik.
„Ach? Und wie sollte sie mit euren Freundin im Flugboot Kontakt aufgenommen haben?“ Sein Blick wurde säuerlich. „Gebärdensprache, Rauchzeichen, Gedankenübertragung?“
„Ich…!“ Jorik quälte sich zurück auf die Beine. „…weiß es nicht!“
Abrupt zuckte Narrix einen Schritt nach vorn und starrte dem überraschten Jorik direkt in die Augen. „Lüg…!“ Sein Blick wurde angewidert. „…mich nicht an!“
„Aber ich lüge nicht!“ rief Jorik.
„Dein Pech!“ Narrix Kopf wirbelte herum und er gab der Wache am Seil wieder ein Zeichen, woraufhin diese sofort reagierte. Mit einem unfassbar kräftigen Zug, riss sie Esha aus der Hocke heraus in die Höhe und ließ sie hilflos in der Luft baumeln. Die junge Frau schrie erstickt auf und war so erschrocken, dass ihr ganzer Körper erbärmlich zuckte. Augenblicklich spürte sie Hitze aufsteigen, ihr Puls hämmerte unter die Schädeldecke, sie rang panisch nach Luft, die sie aber nicht fand und hörte das bedrohliche Knirschen ihres Kehlkopfes.
„Halt, nein!“ Jorik war sichtlich entsetzt über Narrix Reaktion. „Warten sie!“ Doch es geschah nichts. Esha wurde vor seinen Augen weiter stranguliert. „So warten sie doch! Ich…habe mich geirrt! Verdammt, Narrix, verdammt!“ Er brüllte aus vollem Leib und zerrte wieder an seinen Fesseln.
Der Kopf des Captains zuckte zurück zu ihm und er starrte ihn scharf an. „Letzte Chance!“ zischte er.
„Ja, sie hat einen Kommunikator! Von mir!“ sagte Jorik sofort.
Narrix musterte ihn noch einen Moment, dann wandte er sich an die Wache und gab ihr das Zeichen, Esha wieder abzulassen. Die junge Frau sank sofort auf ihre Knie und röchelte wild nach Luft, hustete, spuckte Schleim aus. Schon im nächsten Moment verdrehte sie die Augen, fiel zur Seite und schlug bewusstlos zu Boden.
Jorik wollt instinktiv zu ihr, doch er wurde zurückgehalten.
„Ich will, dass du Kontakt mit ihr aufnimmst!“ Narrix trat wieder direkt vor Jorik.
Der schien im ersten Moment ablehnen zu wollen, doch dann nickte er.
Daraufhin drehte sich Narrix zu der Wache mit dem Seil. „Schafft sie raus und kümmert euch um sie!“ Während der Mann tat, was ihm befohlen wurde, wandte sich der Captain nochmals an Jorik. „Du tust es besser, sonst werde ich sie zurückholen und dann wird sie vor deinen Augen am Strick sterben!“
*
Leira, das monströse Bärenwesen, war bisher still gewesen und hatte sich mehr darauf konzentriert, dem Admiral zuzuhören und sich ansonsten um Jovis zu kümmern. Sie verstand so ziemlich alles, was Lobos erzählte, nur manchmal kam sie nicht mehr mit. Das machte sie ein wenig wehmütig, denn früher hätte sie eigentlich so gut wie nichts von dem begriffen, was besprochen wurde. Der Krieg hatte all dies geändert und sie zwangsläufig mit menschlichen Waffen, Flugbooten und tödlichen Gefechten in Verbindung gebracht. Sie war nicht stolz auf all ihr Wissen, da das meiste aus der Hölle direkt zu kommen schien. Und doch gab es auch positive Veränderungen, seit jenem Tag, an dem die Zeitrechnung auf Santara eine andere geworden war und dazu zählte ganz sicher die Bekanntschaft der Menschen hier in diesem Raum, von denen sie einige inzwischen sehr gute Freunde nennen konnte und für die sie tatsächlich Liebe empfand, in dem Wissen, dass es umgekehrt ebenso war.
Allerdings – und im Moment hatte sie das Gefühl, dass die anderen dies vergessen zu haben schienen – gab es auch noch andere Menschen, die ihre gemeinsamen Freunde waren und die dringend ihre Hilfe brauchten. Leira jedoch schien es, als würde sich gerade alles nur um die Kamarulu und ihre Zukunft drehen. Das aber konnte sie nicht mehr mit anhören und so machte sie sich mit den ihr eigenen Brumm-, Fauch- und Stöhnlauten bemerkbar.
Lobos Kopf zuckte sofort zu ihr herum und er sah sie in einer Mischung aus Überraschung und Furcht an, denn natürlich kannte er Leira noch nicht wirklich, auch wenn ihm die anderen allesamt versichert hatten, dass in ihr ein wahrer Engel steckte.
Vilo drehte sich ebenfalls zu ihr, doch er hörte einfach nur auf das, was sie sagte. Von allen Anwesenden konnte er das Bärenwesen wohl am besten verstehen, vielleicht sogar noch besser als seine Frau Kaleena, einmal von Jovis abgesehen, der Leira eher als große Schwester, denn als tierisches Wesen betrachtete. Während sie weiter brummte und fauchte und stöhnte, lauschte Vilo aufmerksam, zog dann die Augenbrauen in die Höhe und nickte. „Du hast Recht!“ rief er mit fester Stimme. „Wir dürfen sie nicht vergessen!“
„Wen dürfen sie nicht vergessen?“ fragte Lobos und schaute Leira mit großen Augen an.
„Jorik, Shamos und all die anderen!“ Vilo drehte sich zur Gruppe und sah augenblicklich Zustimmung.
„Verdammt!“ raunte Mavis. „Das ist mir fast entfallen!“ Er schaute zu Captain Cosco.
Der Fliegerveteran nickte und sein Gesicht wurde traurig. „Was aber können wir tun?“
Für einen Augenblick war es still im Raum.
„Wir müssen zurück nach Kimuri!“ rief Kaleena mit besorgter Miene. „Wir müssen sie da rausholen!“
„Das dürfte schwer werden!“ meinte Lobos. „Keines der Flugzeuge hat den Absturz überlebt. Hier gibt es nichts mehr, was sich noch in die Lüfte erheben könnte!“
„Verdammt!“ Tibaks Miene wurde säuerlich. „Dann müssen wir sie wirklich in den Fängen dieser Psychopathen lassen?“ Er brummte missmutig.
„Nein!“ Mavis schüttelte den Kopf. „Nein, das kann nicht sein. Das darf nicht sein!“ Er schaute seine Freude an und Hoffnung, Sorge und Verzweiflung waren in seinem Blick zu erkennen. Niemand aber hatte eine zündende Idee. Mavis Blick schweifte weiter umher und plötzlich hielt er inne. Er starrte für einen Augenblick auf einen Terminal auf der linken Seite, dann kräuselten sich seine Augenbrauen, sein Blick wurde finster, er schien zu überlegen und mit einem Male erhellte sich sein Antlitz. „Und das muss es auch nicht!“ Ein kurzes Lächeln zuckte über seine Lippen, verschwand aber sofort wieder. „Wenn wir Glück haben!“
*
Jorik wurde rüde aus dem Raum gestoßen. Als er den Gang entlang blickte, konnte er sehen, dass man Esha zurück in ihre Zelle brachte. In dem Moment, da die Tür dort geöffnet wurde, war ein entsetzter Schrei zu hören. Jorik wusste nur zu genau, von wem er stammte und er spürte trotz aller Schmerzen in seinem Körper einen tiefen Stich im Herzen.
Im nächsten Moment bekam er einen herben Stoß in die rechte Seite und fand sich in der Kommunikationszentrale des Lagers wieder, wo man ihn zu einem Tisch auf der linken Seite führte, auf dem ein Funkgerät stand.
Jorik blieb vor dem Tisch stehen, doch bevor er Zeit bekam, zu überlegen, was er jetzt und vor allem, wie er es tun sollte, schlug ihm die Wache ihren Gewehrknauf zwischen die Schulterblätter und drückte ihn damit auf den Stuhl. Einen Augenblick später trat Narrix von der anderen Seite zu ihm. „Du hast genau…!“ Er wartete, bis Jorik ihn ansah. „…eine Chance, das Richtige zu tun!“ Seine Stimme klang sanft, aber dunkel. Jorik nickte ihm nach der Verzögerung einer Sekunde zu. Plötzlich zuckte ein Messer in Narrix rechter Hand hervor. Jorik erschrak, doch der Captain langte mit einem müden Lächeln in seinen Rücken und löste damit die Fesseln um seine Handgelenke.
Als seine Arme herabsanken, spürte Jorik wie seine Muskeln im Nacken und in den Schultern aufheulten und er musste stöhnen. Ebenso, als er die Arme anhob und schließlich auf den Tisch legte. Die Verspannung, verursacht durch die lange Zeit der unnatürlichen Haltung seiner Arme, brachte ihm augenblicklich Kopfschmerzen. Jorik schloss die Augen und atmete mehrmals langsam und tief durch.
„Hier!“ Narrix stellte ihm einen Becher mit Wasser vor die Nase. „Damit deine Stimme nicht zu rau klingt!“
Jorik wollte zunächst ablehnen, doch der Durst war einfach zu groß und so trank er einen großen Schluck, der das Glas zur Hälfte leerte. Im nächsten Moment schon musste er erbärmlich husten und sein Körper zuckte, doch am Ende tat das Wasser seine erfrischende Wirkung. Jorik nahm das Glas erneut und trank drei weitere, jedoch kleinere Schlucke.
„Fertig?“ fragte Narrix und ein wenig Ungeduld schwang in seiner Stimme mit.
Jorik sah ihn mit säuerlicher Miene an, doch nickte er.
Narrix betätigte einige Schalter an dem Funkgerät, es piepte einmal, dann war ein Rauschen zu hören, durch das es dann und wann knackte. Hiernach stellte er das Mikrofon vor Jorik. „Auf geht’s!“ sagte er, richtete sich auf und verschränkte die Arme vor der Brust.
*
„Haben sie es?“ fragte Mavis ungeduldig und schaute zu Lobos herüber.
Der Admiral stand drei Tische von ihm entfernt über einem Terminal gebeugt und hatte gerade einige Befehle in die Tastatur eingegeben. Jetzt schaute er gespannt auf den Bildschirm. Dort waren mehrere, kleine Quadrate abgebildet, sowie ein großes, senkrecht stehendes Rechteck auf der rechten Seite. Alles war durch feine Linien miteinander verbunden. Das Rechteck war grün, die meisten Quadrate rot, ebenso fast alle Linien. Nur wenige Quadrate waren ebenfalls grün und zu ihnen führten blaue Linien. Einen Augenblick später wurde eine der roten Linien jedoch ebenfalls blau und ein weiteres Quadrat in der linken oberen Ecke wechselte zu grün. Lobos brummte zufrieden. „Ja, alles okay!“
Jetzt war Mavis wiederum zufrieden und nickte dem Mann – einem von Lobos Leuten -, der vor ihm auf einem Stuhl vor einem weiteren, eingeschalteten Terminal saß, zu und reichte ihm den einzigen noch funktionierenden Kommunikator, den sie besaßen. Der Mann nahm ihn behutsam entgegen, öffnete ihn und steckte ihn dann in einen kleinen quadratischen Kasten, wodurch das Gerät mit dem Terminal verbunden war. Als auf dem Bildschirm einige Begriffe auftauchten, die er nicht sofort verstand, wurde Mavis etwas unsicher, doch der Mann vor ihm nickte. „Die Verbindung zur Antenne ist hergestellt und konstant!“ Er drehte sich herum und schaute dem Commander direkt an. „Sie können loslegen, sobald sie die Frequenz eingestellt haben!“ Er nickte in Richtung Kommunikator.
Mavis brummte zustimmend. Mit Verbindung zur Antenne war die Antenne auf dem Dach der Kommandozentrale gemeint, die als einzige überhaupt noch vorhanden, aber lange nicht mehr genutzt worden war. Offensichtlich aber hatte sie keinen nennenswerten Schaden genommen. Also konnte er sein Vorhaben starten, von dem er hoffte, dass es Sinn machte. Aus diesem Grunde schaute er nochmals etwas unsicher in die Runde, doch er erntete zumindest keinen Widerspruch, obwohl er den anderen noch nicht wirklich erklärt hatte, was er vorhatte. Zum Schluss sah er Melia an und als er in ihrem Blick erwartungsvolle Spannung und sogar den Hauch eines Lächelns erkennen konnte, fühlte er sich gestärkt und stellte mit einem Nicken die Frequenz ein, die ihn – hoffentlich – mit Marivars Kommunikator verbinden würde.
Wenn das geschafft war, würde er ihr erklären, wo sie waren – ohne allerdings etwas von Lobos und seinen Leuten oder der Kamarulu zu erzählen – und ihr sagen, was sie vorhatten – nämlich sich zu Fuß auf den Weg zur Küste zu machen, um dann irgendwie nach Kimuri überzusetzen und sie und ihre Freunde aus der Gewalt von Captain Narrix zu befreien. Er würde sich viel Zeit für seine Erklärungen lassen, Marivar nach ihrem Befinden befragen – jedoch nicht nach ihrem Versteck – und ihr dann lang und breit erklären, was genau sie zu tun gedachten.
Und all das nur zu einem Zweck und verbunden mit einer Hoffnung: Das Narrix den Funkverkehr abhören und ihnen dabei zuhören würde!
Und deshalb drückte Mavis jetzt die Ruftaste.
*
„Jorik an Marivar!“ Seine Stimme klang immer noch furchtbar rau und krächzend. Er musste auch kurz husten, nachdem er die Worte gesprochen hatte. Dabei schaute er zu Narrix auf, doch der Captain verzog keine Miene. „Marivar, kannst du mich hören?“ fügte er deshalb hinzu und hatte in diesem Moment nur eine Hoffnung: Dass sie nicht antworten würde!
*
Mavis hatte das erste Wort des ersten Satzes quasi schon auf der Zunge und öffnete gerade den Mund, um es herauszulassen, als er Joriks krächzende Stimme hörte. Sofort schreckte er zusammen, riss total überrascht die Augenbrauen in die Höhe und seine Augen weit auf. Instinktiv zuckte sein Finger von der Ruftaste und sein Oberkörper in die Höhe. Vollkommen perplex schaute er die anderen an, in deren Gesichter er nicht minder große Überraschung erkennen konnte, die ihn gerade selbst einnahm.
*
Nachdem ihr Schmerz vergangen war und ihre Tränen getrocknet, verspürte Marivar Hunger und Durst. Da sie am gestrigen Tage weder die Zeit noch den Nerv gehabt hatte, ihre Umgebung genauer unter die Lupe zu nehmen, beschloss sie, dies jetzt nachzuholen. Der Weg durch den Raum auf die andere Seite gestaltete sich jedoch aufgrund des Unrats aller Art, der auf dem Boden aufgetürmt war, alles andere als leicht und so wirkte sie fast wie Jemand, der durch hohen Schnee stakte. Ihr Kopf war in diesem Moment irgendwie leer, sie konzentrierte sich auf den nächsten Schritt, ihre Augen suchten nach Ausweichmöglichkeiten, um besser voran zu kommen und gleichzeitig nach Gegenständen, die für sie nützlich sein könnten. Und ihr Magen rief nach etwas Essbarem, ihr Körper nach Flüssigkeit.
Die Stimme aus dem Kommunikator hörte sie daher erst gar nicht. Erst als Jorik krächzend hustete, wurde sie aufmerksam und erstarrte im nächsten Moment quasi zur Salzsäule.
Was zum Teufel war denn das? Ihr Kopf zuckte umher und sie suchte nach der Quelle der Geräusche, denn richtige Worte hatte sie nicht verstanden.
Einen Augenblick später sprach Jorik dann aber zum zweiten Mal und nur einen winzigen Lidschlag später entglitten Marivar förmlich alle Gesichtszüge. Natürlich erkannte sie seine Stimme, erschrak beinahe bei ihrem Klang, erzitterte ob der Tatsache, dass sie ihn hörte. Wieder zuckte ihr Kopf umher auf der Suche nach der Quelle seiner Worte. In ihrer aufkommenden Hektik hätte sie dann fast den Kommunikator auf der Fensterbank vor dem Bullauge übersehen. Ihr Blick trieb schon dran vorbei, dann aber realisierte sie seine Existenz und ihr Kopf zuckte zurück.
Eigentlich hätte sie sich jetzt darüber wundern können, dass das Gerät überhaupt noch funktionierte. Schließlich hatte es ein ausgiebiges Bad im Meer genommen. Marivar hatte das Gerät mehr aus einer Laune heraus auf ein altes Handtuch auf die Fensterbank gelegt, als in der Hoffnung, es noch retten zu können.
Jetzt wusste sie, dass es nur ein Wink des Schicksals gewesen sein konnte, der sie dazu veranlasst hatte.
Und schon im nächsten Moment flog sie förmlich stöhnend und schnaufend über den Unrat hinweg zum Bullauge.
*
„Marivar, bitte melde dich!“
Während Jorik hoffte, dass seine Partnerin nicht reagierte, durchzuckte Mavis soeben ein merkwürdiger Gedanke. Doch wusste er schon einen Augenblick später, dass er gar nicht so abwegig war. Doch noch bevor er eine Entscheidung hatte treffen können, hatte der Zeigefinger seiner rechten Hand sich quasi schon selbstständig gemacht und drückte den Rufknopf.
Während er sah, dass ihn Melia irritiert anschaute, erkannte er, dass er Recht hatte und sein Blick verdunkelte sich zu einer nachdenklichen Miene.
Denn eigentlich hätte das Drücken des Rufknopfes Joriks Worte unterbrechen müssen, er war jedoch noch immer deutlich zu hören.
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Mit jeder Sekunde befiel Marivar immer größere Angst, sie könne zu spät kommen. Sie wurde daher immer hektischer, stöhnte lauter und schriller, Schweiß rann ihr über die Stirn. Dann sammelte sie all ihre Kräfte für einen finalen Sprung und schließlich hatte sie das Bullauge erreicht.
Gerade in diesem Moment sagte Jorik noch einmal: „Bitte Kommen, Marivar!“
Joriks Hoffnung wuchs. Er schaute zu Narrix, der ihn jedoch noch immer ausdruckslos ansah. „Es hat keinen Sinn. Sie hört mich nicht…oder das Gerät ist kaputt!“
Narrix lachte heiser auf. „Das könnte dir so passen, was?“ Sein Blick verdunkelte sich. „Du wirst das schön weiter versuchen! Oder soll ich deine Freundin wieder holen lassen?“
„Nein!“ Jorik erschrak bei diesem Gedanken. „Nein!“ Er hob beschwichtigend die rechte Hand und atmete kraftlos aus. „Ich versuche es weiter!“ Narrix brummte zufrieden und er wandte sich wieder dem Mikrofon zu.
Für einen kleinen Moment starrte Marivar stocksteif auf den Kommunikator, als wäre er ein Gespenst und die Worte Joriks eine Einbildung. Doch dann griff sie beherzt zu, hielt sich das Gerät vor den Mund und drückte die Sprachtaste. „Ja…!“ Ihre Stimme klang belegt und rau. Sie räusperte sich unwillkürlich. „Ja, hier ist Marivar!“
Jorik hätte beinahe aufgeschrien, als er ihre Stimme hörte. Doch nur für einen winzigen Moment aus Freude, dann hatten ihn Angst und Verzweiflung bereits gepackt. Großer Gott, warum hast du das zugelassen? Er hätte heulen können.
„Na also!“ Narrix grinste zufrieden. „Das ging ja doch schneller als ich erwartet hätte!“ Er ließ seine Arme sinken und schaute Jorik erwartungsvoll an. Als dieser aber nicht reagierte, fügte er hinzu. „Was ist? Worauf wartest du? Sag Hallo zu deinem Liebchen!“
Jorik spielte für einen Augenblick mit dem Gedanken, alles auf eine Karte zu setzen, aufzuspringen und Narrix zu attackieren. Doch er war sich nur zu bewusst, in welch beschissener körperlichen Verfassung er war. Selbst im Vollbesitz seiner Kräfte hätte er sehr viel Glück gebraucht, um den Captain zu überwältigen. Überraschungseffekt hin oder her. Nein, es hatte keinen Sinn und er nicht die geringste Chance.
Vollkommene Hoffnungslosigkeit war in seinem Gesicht zu sehen, als er antwortete: „Hallo Marivar!“
„Jorik?“ Marivars Stimme klang unsicher. „Bist du es wirklich?“
„Ja!“ Er schaute hinauf zu Narrix, der ihm andeutete schön weiter zu machen. „Ich bin es!“ Jedes Wort tat Jorik weh, trieb ihn immer weiter an den Rand der Verzweiflung.
„Oh, dem Himmel sei Dank!“ rief Marivar sichtlich erfreut. „Dann habt ihr euch befreien können!?“
Joriks Herz durchzuckte ein tiefer Schmerz, denn er wusste, dass er der Frau, die er über alles liebte, gestehen musste, dass er nicht in Freiheit war, sondern noch immer gefangen und sein Ruf an sie nur den Zweck hatte, ihr klar zu machen, dass Esha und andere sterben würden, wenn sie sich nicht in Narrix Hände begab. Und Jorik wusste, dass sie nicht zögern würde, genau das zu tun und er sie somit dem sicheren Tod hier auslieferte.
Doch die Alternative wäre der grausame Tod Eshas und der anderen gewesen – und sein eigener.
Wenn er sie jetzt hierherlockte, hatten sie zumindest aber noch etwas Zeit gewonnen – und obwohl er nicht wusste, wofür das gut sein sollte, schien es ihm die letzte Hoffnung zu sein, die es noch gab.
Doch gerade, da er ihr antworten wollte, hörte er plötzlich Mavis Stimme aus dem Äther und schon im nächsten Moment sollte sich alles ändern.
*
„Was ist mit dem Ding?“ hatte Mavis den Mann am Terminal gefragt, nachdem er die Ruftaste wieder losgelassen hatte.