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Der hatte ihn zunächst fragend angeschaut, doch als Mavis ihn auf den Umstand, dass sie Jorik und Marivar hören konnten, obwohl er die Ruftaste gedrückt hatte, aufmerksam gemacht hatte, zog er überrascht die Augenbrauen in die Höhe. „Ich weiß nicht…!“ sagte er. „Aber ich denke, die ganze Apparatur hat wohl doch Schaden genommen!“
Mavis sah ihn zunächst mit ernster Miene an, dann aber schob er seinen Unterkiefer nach vorn und nickte dabei. „Das ist gut!“ meinte er und ein sanftes Lächeln huschte über seinen Lippen. „Das ist sogar sehr gut!“ Während ihn der Mann irritiert anschaute, wandte sich Mavis an die anderen. „Ihr müsst jetzt still sein!“ Er blickte sehr ernst. „Richtig still!“
„Warum?“ fragte Vilo jedoch sofort. „Was zum Teufel hast du vor?“
„Ja, wie wäre es…!“ stimmte Cosco zu. „…wenn sie das mal erklären würden!?“
„Keine Zeit!“ erwiderte Mavis. „Ihr müsst mir jetzt einfach vertrauen!“ Er schaute nochmals in die Runde. „Okay?“ Er wartete, bis alle nickten. „Dann los!“ Er drehte sich zurück zum Terminal. Gerade war wieder Joriks Stimme zu hören. Sie war schwach und zittrig. „Hör mir bitte zu, Marivar, es ist nicht so, wie du denkst. Ich…!“
Nein, ihr alle hört jetzt mir zu, rief Mavis im Stillen, dann drückte er den Rufknopf, holte tief Luft und sagte: „Marivar, hallo Marivar? Bitte kommen! Marivar, bitte kommen!“ In den Augenwinkeln sah er, wie Vilo mit finsterer Miene zum Sprung auf ihn ansetzte und auch andere ganz und gar nicht einverstanden mit dem waren, was er gerade tat, doch er riss sofort mit mahnendem Blick seinen linken Arm in die Höhe, streckte seinen Zeigefinger nach oben und schüttelte den Kopf. Daraufhin erstarrten alle in ihren Bewegungen und blieben stumm. „Bitte kommen Marivar!“ fuhr er fort. „Hörst du uns, Marivar? Bist du da? Hallo Marivar. Bitte kommen! Kommen bitte!“ Dann erst nahm er den Finger vom Rufknopf.
„Was zum…?“ Narrix war bass erstaunt und starrte auf das Funkgerät, als hätte es sich eben in eine vollautomatische Waschmaschine verwandelt. „…Teufel?“
Auch Jorik war sehr überrascht. Das war eindeutig Mavis Stimme, die er da gehört hatte. Er lebte also noch! Freude durchzuckte ihn, einen Augenblick lang. Dann war ihm klar, was gleich passieren würde und Panik stieg in ihm auf, denn er wusste, dass er das nicht zulassen durfte.
„Bist du irre, Mann?“ brüllte Vilo sofort und war einen Wimpernschlag später direkt neben ihm.
„Was zur Hölle tun sie da?“ zischte auch Tibak.
„Ich denke, ich weiß es!“ sagte Melia unvermittelt und alle sahen sie an. Die junge Frau schaute zu Mavis. „Du hoffst, dass der Feind mithört!?“
Mavis konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als er nickte. „Stimmt!“ Er blickte zu Vilo. „Oder glaubst du etwa, dass Jorik und die anderen frei sind?“
Sein Freund schien zu überlegen, dann schüttelte er den Kopf. „Nein, wohl kaum!“ Er verzog die Mundwinkel.
„Eben!“ Mavis schaute auch die anderen an. „Also haltet eure Klappen und lasst mich was versuchen, verdammt!“ Er brummte missmutig und wandte sich wieder dem Kommunikator zu.
Marivar war überrascht und ganz sicher total verwirrt, dass sie im ersten Moment überhaupt nicht wusste, was sie tun sollte.
Da war noch immer die Freude darüber, eine Verbindung zu Jorik zu haben, von dem sie hoffte, dass er und die anderen sich befreit haben konnten, obwohl seine letzten Worte nicht wirklich danach klangen. Und urplötzlich hörte sie Mavis Stimme, der förmlich durch den Äther flötete, als wäre alles easy und in Butter. Zur ersten Überraschung gesellte sich ebenfalls Freude, denn das hieß ja wohl, dass auch er und die, die bei ihm waren, wohlauf waren.
Sollte sich alles einfach so in Wohlgefallen auflösen? Plötzlich wurde sie unsicher. Konnte es denn so viel Glück wohl geben?
„Mavis?“ sprach sie vorsichtig in das Mikro. „Mavis, bist du das?“
„Ja Süße, ich bin es!“ antwortete Mavis.
„Seid…!“ Sie zögerte. „Seid ihr wohlauf? Konntet ihr dem Angriff entgehen?“
Mavis verzog das Gesicht. „Nein, nicht wirklich!“ Er atmete kurz durch. „Aber wir sind mit einem blauen Auge davongekommen. Das Schiff ist hinüber, aber wir alle wohlauf!“
„Oh das ist ja wunderbar!“ Mavis konnte förmlich spüren, wie sie lächelte. „Wirklich!“ Aber er bemerkte auch noch eine gewisse Unsicherheit in ihrer Stimme.
Das musst du ändern! „Wie geht es dir?“
„Gut!“ Es schien, als sollte dies ihr einziger Kommentar sein, doch dann fügte sie hinzu. „Ich bin in Sicherheit!“
„Das ist prima!“ sagte Mavis schnell, bevor er riskierte, das Marivar preisgab, wo sie sich befand. „Und das soll auch so bleiben!“ Er hielt einen Augenblick inne, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Jetzt kommt der schwierige Teil. „Hast du etwas von Jorik und den anderen gehört?“
„Ja!“ rief Marivar sofort. „Ja, habe ich!“ Ihre Erregung war förmlich zu spüren. „Gerade eben! Hast du ihn denn nicht gehört?“
„Nein!“ Mavis verzog wieder die Mundwinkel und schaute die anderen an, in deren Gesichtern er teilweise sehen konnte, dass ihnen sein Plan allmählich dämmerte. „Tut mir leid! Was sagt er denn?“
„Er…!“ Sie stoppte, weil ihr bewusst wurde, dass Jorik eigentlich noch so gut wie nichts gesagt hatte. „Er hat nach mir gerufen! Ich denke deshalb, dass sie entkommen konnten!“
Das war zu viel.
Jorik hielt es nicht mehr auf dem Sitz. Er musste etwas unternehmen. Mit einer schnellen Bewegung zuckte sein Oberkörper nach vorn, seine rechte Hand ergriff das Mikro, während der linke Zeigefinger den Rufknopf drückte. „Da…!“ Weiter kam er nicht, denn dann spürte er einen irrsinnig harten Schlag gegen seinen Kopf und die Welt um ihn herum flammte für einen Lidschlag grell auf, bevor alles in Finsternis versank.
Narrix hatte geahnt, dass Jorik etwas versuchen würde. Dennoch hatte er einen Augenblick zu lang gebraucht, um ihn zu stoppen. Der Schlag mit dem Pistolenknauf gegen seine Schläfe war dafür umso härter ausgefallen. Wie ein gefällter Baum sackte Jorik zur Seite, schlug zu Boden und blieb bewusstlos und mit einer Platzwunde an der Schläfe liegen.
„Jorik?“ Marivar schreckte auf, als sie seine Stimme hörte. Doch warum sprach er nicht weiter? Das hörte sich an wie abgehackt. War etwas passiert? „Jorik, was ist los?“ Doch sie bekam keine Antwort.
„Marivar?“ Das war Mavis. „Bist du noch da?“
„Was?“ Unruhe stieg in ihr auf. „Ja. Ja, ich bin noch dran!“
„Ist etwas passiert?“
„Was? Ja, natürlich! Hast du es denn nicht gehört?“
Achtung! „Gehört, was?“
„Jorik!“
„Jorik?“
„Ja, er wollte etwas sagen, aber…dann war er einfach wieder weg!“ Sorge schwang in ihrer Stimme mit.
„Nein, tut mir leid! Ich kann euch auch nicht gleichzeitig hören! Das geht rein technisch gar nicht!“ Es sei denn, man hat ein defektes Gerät! fügte er im Stillen hinzu. Er hielt wieder inne und Marivars Schweigen sagte ihm, wie hilflos sie sich gerade fühlen musste. „Hör zu, Marivar!“ Jetzt der Big Point! „Ich würde nicht darauf wetten, dass Jorik in Sicherheit ist. Ich denke eher, dass es…!“
„Was? Was denkst du ist es?“
„Eine Finte!“ Mavis Gesichtsausdruck wurde hart und traurig.
„Eine.!?“ Wieder war zu spüren, wie Verzweiflung allmählich von ihr Besitz ergriff. „Oh mein Gott!“ Sie schluchzte. „Jorik!“
„Marivar?“ Keine Antwort. „Marivar?“
Wieder ein Schluchzen. „Ja?“
„Hör mir zu, Marivar!“ Keine Reaktion. „Hörst du mir zu?“ Er musste fordernder sprechen, als er es eigentlich wollte. Die Vorstellung, in welch schlimmer Situation sich Jorik und die anderen befanden, hatte ihm längst einen Kloss in den Hals getrieben.
„Ja!“ Sie schniefte durch die Nase. „Ich höre!“
„Wir kommen zu dir! Hörst du? Ich, Vilo, Kaleena, Captain Cosco und all die anderen kommen zu dir. Wir haben zwar kein Flugboot mehr, aber wir werden das schon irgendwie schaffen. Wir werden den Mioli-Fluss nutzen und seinem Lauf bis an die Küste folgen. Von dort werden wir einen Weg finden, nach Kimuri überzusetzen. Und dann werden wir dich holen und Jorik und all unsere Freunde aus den Fängen dieses…!“ Du hörst mit! Ich weiß, dass du mithörst! „…Psychopathen befreien!“
Einen Moment war Ruhe im Äther. „Ja!“ Marivars Stimme klang schwach und wenig zuversichtlich. „Tut das!“ Wieder ein Schluchzen. „Aber tut es schnell, bitte!“
„Wir machen uns sofort auf den Weg!“
„Und wie werde ich wissen, dass ihr da seid?“
„Oh, keine Sorge! Wir finden dich! Mein Wort darauf!“ Er nickte mit einem aufmunternden Lächeln, als könne Marivar ihn sehen. „Mavis Ende!“ Und damit kappte er die Verbindung.
*
Im Schiffswrack vor der Küste Kimuris ließ Marivar ihre Hand vom Kommunikator sinken. Blicklos schaute sie aus dem Bullauge auf die aufgewühlte See, über der gerade ein weiterer Gewittersturm niederging. Ihr Gesicht zeigte eine Mischung aus Hoffnungslosigkeit, Trauer, Mutlosigkeit und Überforderung.
Als sie erwacht war, war alles einfach nur schrecklich gewesen. Joriks und dann auch Mavis Meldung über Funk hatten in ihr die Hoffnung aufkeimen lassen, dass sich alles zum Guten wenden könnte. Doch jetzt war von alldem nichts mehr geblieben, sondern hatte sich wieder ins Gegenteil umgekehrt.
Sie wusste nicht, was sie jetzt tun sollte, was sie überhaupt tun konnte. Sie war allein, überfordert und am Ende ihrer Kräfte, physisch, mehr aber noch psychisch.
Tränen rannen aus ihren Augen und über ihre Wangen. Sie versuchte, sie noch zu unterdrücken, doch war da keine Spur mehr von Kraft, die sie in sich spürte. Im nächsten Moment musste sie schluchzen.
Nichts hatte sich geändert. Sie war noch immer allein und so unglaublich hilflos, dass es einfach nur schrecklich wehtat.
*
Narrix richtete sich mit einem tiefen Atemzug auf und ein immer breiter werdendes Lächeln erschien auf seinen Lippen. Das Schicksal hatte gesprochen.
Diejenigen, die er noch vor einer Stunde verloren geglaubt hatte, waren zu ihm zurückgekehrt. Und wussten nicht, dass er es wusste.
Jetzt hatte er wieder alle Trümpfe in der Hand. Marivar hierher zu locken war plötzlich nicht mehr so wichtig, denn ihm bot sich die Chance, die einzufangen, die ihm getrotzt und eines seiner Schiffe zerstört hatten.
Ja, er wusste, wie er sie finden konnte – und sie wussten nicht, dass er es wusste.
„Sergeant!“ rief er und einer seiner Männer sprang herbei.
„Ja, Sir?“
„Benachrichtigen sie Lieutenant Yunok. Er soll eines der Flugboote startklar machen!“ Er sah den Sergeanten direkt an und wieder musste er grinsen. „Ich habe einen interessanten Auftrag für ihn!“
*
„Und?“ fragte Mavis mit großen Augen.
„Und, was?“ fragte Tibak zurück.
„Wie war ich? Hättet ihr es mir abgekauft?“
„Na ja!“ meinte Vilo und verzog die Mundwinkel. „Wie man es nimmt. Als Laiendarsteller gerade noch erträglich, aber reich wirst du mit dieser Gabe sicher nicht werden!“ Er wollte gerade breit grinsen, als Melia vor die Gruppe trat.
„Unsinn!“ Sie drehte sich zu Mavis herum und wartete, bis er sie ansah. „Du warst…!“ Sie lächelte, doch es war nur ein bedingt fröhliches Lächeln, und schüttelte leicht den Kopf. „…absolut großartig!“
Mavis lachte auf, seine Anspannung löste sich. In seinem Überschwang, verbunden mit der Tatsache, dass es Melia war, die ihn gelobt hatte, trat er zu ihr, schlang seine Arme um sie und küsste sie, herzhaft und leidenschaftlich auf den Mund. Im ersten Moment war sie sichtlich überrascht, dann aber stöhnte sie leise und genoss es – ganze zwei Sekunden lang, dann schob sie ihn sanft von sich. Mavis registrierte das aber kaum, da er sich selbst gerade von ihr lösen wollte. „Geil!“ Er lachte nochmals auf. „Dann brauchen wir jetzt wohl einen Plan, was?“ Und während ihm die anderen zustimmten, löste sich Melia unbemerkt gänzlich von ihm und verließ die Kommandobrücke. In ihrem Gesicht war ein trauriges Lächeln zu sehen und ihre Augen schimmerten feucht. Einzig Leira schaute ihr nach und sie spürte, dass mit der jungen Frau etwas nicht stimmte.
VII
„Kommen sie mit oder wollen sie hier weiter die Stellung halten?“ hatte Mavis den Admiral gefragt, nachdem sie wieder zurück in den Höhlen neben der Kamarulu waren. Lobos hatte ihn zunächst unschlüssig angeschaut, doch Mavis grinste nur kurz und sagte. „Na kommen sie mal ruhig mit! Ein bisschen Abwechslung wird ihnen guttun. Und außerdem sind wir ihnen ja auch noch unsere Geschichte schuldig!“
„Ihre Geschichte?“
„Ja!“ Vilo neben ihnen lachte heiser auf. „Wir waren hier nicht gerade auf einer beschaulichen Fahrt durchs Land, als uns das Flugboot unterm Arsch wegexplodiert ist!“
„Das weiß ich doch!“ raunte Lobos gereizt.
Vilo nickte. „Aber den Grund, warum wir nach Kimuri wollten und warum unsere Freunde dort gefangen gehalten werden, den kennen sie noch nicht!“
„Hm!“ brummte der Admiral. „Ist der denn wirklich wichtig?“
„Oh ja!“ rief Mavis und lachte ebenfalls auf. „Und wie!“
Lobos brummte nochmals mit verzogenen Mundwinkeln, dann nickte er. „Aber nicht, weil ich neugierig bin!“
Mavis schaute Vilo mit hochgezogenen Augenbrauen und einem Lächeln an, dann zuckte er in den Schultern. „Sondern?“ Er blickte den Admiral an.
„Weil mir bei dem Gedanken, dass ein Angehöriger unserer Truppen seine Macht missbraucht und förmlich Amok läuft, echt die Galle hochkommt!“
Damit schien Mavis zufrieden, denn er nickte nur und ging dann davon. Der Grund war, dass er Melia ausgemacht hatte. Sie bog gerade um eine Ecke und war rund zehn Meter von ihm entfernt. Sie ging langsam, irgendwie geduckt und hatte ihren Kopf gesenkt, als würde sie nachdenken. Mavis verspürte keinen sehnlicheren Wunsch, als ihr zu folgen. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr und er musste wissen, was es war, bevor sie zu ihrer Mission zur Befreiung ihrer Freunde aufbrachen.
Doch er hatte kaum mehr als zwei Schritte getan, als sich ihm Pater Matu in den Weg stellte. „Auf ein Wort!?“ sagte der Geistliche.
Mavis wusste, er durfte seine eigenen Belange nicht über die der Sache stellen. Dazu hatten sie bisher schon viel zu viel investiert und davon hing auch einfach viel zu viel ab. Also nickte er widerwillig.
Matu zog ihn an den Rand des Stollens. Während er sprach, schaute Mavis dennoch immer wieder in die Richtung, in die Melia verschwunden war. „Wenn sie sich auf den Weg machen, um die anderen zu retten, würde ich gern mit dem Jungen…!“ Der Pater nickte an Mavis vorbei und erst jetzt fiel ihm auf, dass Chalek neben ihnen stand. Als der Junge Mavis ansah, lächelte er und nickte. „...hierbleiben und weiter versuchen zu verstehen, was es mit ihm und all dem überhaupt auf sich hat!“
Mavis hörte ihm nicht hundertprozentig zu, doch verstand er die Beweggründe des Priesters und fand sie logisch und gut. Entsprechend nickte er. „Ja! Tun sie, was nötig ist, um aus Shamos Worten am Ende Taten folgen zu lassen!“
Matu war zufrieden. „Das werde ich!“
„Passen sie gut auf den Jungen auf!“ sagte Mavis. „Er ist wahrscheinlich das kostbarste Gut, das wir noch haben!“
„Ich weiß!“
„Und haben sie...!“ Mavis Blick wurde ein wenig traurig. „...bitte auch ein Auge auf Melia!“
„Sie kommt nicht mit ihnen?“ Matu war erstaunt.
„Sie würde wohl bestimmt wollen, aber…!“ Mavis atmete einmal tief durch. „Der Junge wird nicht hierbleiben wollen, wenn sie mit mir geht!“ Er drehte sich zu Chalek und sah ihn mit großen Augen an. „Oder?“
Der Junge lächelte und schüttelte den Kopf.
„Dachte ich es mir doch!“ Mavis nickte mit verzogenen Mundwinkeln und drehte sich zurück zu Matu. „Also nutzen sie ihre Zeit, bis wir zurück sind!“
Es schien zwar so, als wäre er ein wenig traurig darüber, dass Melia jetzt nicht mit ihm kommen würde, doch das stimmte nicht. Eigentlich war er sogar froh darüber, denn er wollte sie nicht schon wieder in einer gefährlichen Situation sehen. Bei sich haben: Ja, am liebsten jetzt und für alle Zeiten. Aber nicht schon wieder in Gefahr. Sie brauchte vielleicht, vielleicht sogar ganz sicher, Ruhe, um alles, was in den letzten beiden Tagen geschehen war, zu verarbeiten. Diese Ruhe wollte er ihr gönnen und ihre Rettungsaktion bot dafür genau den richtigen Anlass. Allerdings hieß das nicht, dass er gehen würde, ohne mit ihr zu reden. Er wollte es, er musste es und deshalb würde er jetzt zu ihr gehen, komme, was da wolle.
„Mavis!“ Er hatte dieses Mal nicht einmal einen halben Schritt machen können, als Vilo neben ihm erschien.
„Was?“ raunte er.
„Du musst mitkommen!“
Er schaute seinen Freund mit finsterer Miene an. „Ich habe jetzt aber keine Zeit!“
„Was?“ Vilo zog die Augenbrauen zusammen. „Was soll das heißen? Wir müssen los, verdammt!“
„Jetzt schon?“
Vilo nickte. „Wir holen uns was aus Lobos Waffenfundus und dann müssen wir raus aus den Höhlen, rauf in die Ebene und Richtung Westen marschieren!“
„Ja, schon gut!“ Mavis nickte säuerlich. „Ich brauche…!“ Er wog mit einem gequälten Gesichtsausdruck den Kopf hin und her. „…zehn Minuten!“
Doch Vilo schüttelte den Kopf. „Wenn Narrix deine Story gefressen hat, ist womöglich schon jetzt ein Flugboot zu uns unterwegs. Und dann dauert es keine halbe Stunde, bis es hier ist!“ Vilo hatte die Augenbrauen hochgezogen und schaute Mavis direkt an. „Je näher wir dann noch den Wasserfällen und der Kamarulu sind, desto größer ist das Risiko, dass man sie entdeckt!“ Er schürzte die Lippen. „Und das willst du wohl nicht, oder?“
Mavis wusste, dass sein Freund Recht hatte, doch schmerzte die Konsequenz daraus sehr. Und so nickte er auch nur zögerlich und widerwillig. „Ich komme ja schon!“ Seine Stimme klang kraftlos.
Vilo nickte zufrieden, doch als er sich herumdrehte und einige Schritte mit Mavis in Richtung Lobos ging, der bereits ungeduldig auf sie wartete, verdunkelte sich sein Gesicht und er blickte immer wieder verstohlen zu Kaleena, die mit Leira und Jovis zusammenstand und an der sie in wenigen Augenblicken vorbeikommen würden. Seine Frau blickte ihn auch schon mit großen Augen und irgendwie erwartungsvoll an. Das versetzte ihm einen Stich in den Magen, denn ihm stand noch eine heikle Angelegenheit bevor, da er wieder versuchen würde, Kaleena davon zu überzeugen, nicht mitzukommen.
Leira hatte sie darauf aufmerksam gemacht und Kaleena hatte sich selbst eingestehen müssen, dass sie keinen Gedanken darauf verschwendet hatte. Das verursachte bei ihr ein schlechtes Gewissen. Doch sie konnte dem Bärenwesen nur Recht geben. Sie brauchte Melia nur anzusehen – und sei es nur aus der Entfernung von einigen Metern – und sie wusste, dass in der Tat mit ihr etwas nicht stimmte. Und das konnte nur wieder mit Mavis zusammenhängen.
Damals, vor sieben Jahren, waren sie und Melia sehr gute Freundinnen gewesen. Mit Ausbruch des Krieges hatten sie sich aus den Augen verloren und eigentlich nur durch einen echten Zufall vor zwei Tagen wiedergefunden. Obwohl Melia offensichtlich ihr Gedächtnis verloren hatte und sich schwertat, sich an ihre Vergangenheit und somit an Kaleena und all die anderen zu erinnern, gelang es Kaleena, diese Lücke sehr schnell wieder zu füllen. Und es dauerte nur wenige Stunden und sie empfand wieder die gleiche Liebe zu Melia, wie schon vor Jahren. Weil sie erkannte, welch wundervoller Mensch diese junge Frau damals und auch jetzt noch immer war, betrachtete sie sie auch weiterhin als sehr gute Freundin.
Das größte Problem hatte Melia mit Mavis, ihrer Vergangenheit mit ihm, ihren Erinnerungen an ihn und seinem veränderten Aussehen durch den schlimmen Unfall in Kos Korros. Allerdings schien dieses Problem allmählich gelöst zu sein.
Jetzt aber, beim traurigen, nachdenklichen Anblick ihrer Freundin, wurde ihr bewusst, dass dem wohl doch noch nicht so war.
Und Kaleena musste sich eingestehen, dass sie nur dann von wahrer Freundschaft zu ihr reden konnte, wenn sie sich jetzt um sie kümmerte – auch wenn das bedeutete, nicht mit Vilo und den anderen nach Kimuri zu gehen.
Sie teilte Leira ihren Entschluss mit und sagte ihr, dass sie dafür gehen konnte. Vilo und die anderen würden sich bestimmt freuen, das monströse Wesen bei sich zu haben. Leira konnte ihnen speziell im ersten Teil ihres Vorhabens sicherlich gute Dienste leisten.
Ihre Freundin fand den Gedanken auch gut und willigte sofort ein.
Um Jovis brauchte sich Kaleena keine Sorgen zu machen, der würde hier genügend interessante Dinge finden, mit denen er sich beschäftigen konnte. Sie würde also ausreichend Zeit haben, sich um Melia zu kümmern.
Kaum hatte sie ihren Entschluss nochmals für sich bekräftigt, da sah sie, wie Vilo mit finsterer, aber auch unsicherer Miene auf sie zukam.
„Ähm Schatz?“ Vilo trat vor sie und wartete, bis sie ihn mit großen Augen ansah. „Kann ich dich mal sprechen?“
Kaleena ahnte bereits, was er wollte und musste innerlich grinsen. „Was gibt es?“ fragte sie aber in forschem Ton und mit ernster Miene.
„Ich…ähm…!“ Er atmete einmal mit säuerlichem Blick durch. „Ich möchte, dass du hier bei Jovis bleibst!“ Er schaute sie wenig hoffnungsvoll an, sofort bereit, ihren herben Protest zu vernehmen.
Kaleena atmete hörbar ein, doch dann sagte sie. „Okay!“ und lächelte ihn an.
Vilo war sofort bass erstaunt. „Okay? Einfach so?“
„Ja, einfach so!“ Sie verzog die Mundwinkel. „Und jetzt mach verdammt nochmal keine große Sache daraus und geh schon!“ Sie beugte sich vor und küsste ihn kurz, aber leidenschaftlich. „Bringt uns unsere Freunde zurück!“ Ihr Blick wurde plötzlich ein wenig traurig und schmerzvoll.
Vilo verstand. Es war allemal ein schwieriges und gefährliches Manöver. Dies konnte wieder einmal der letzte gemeinsame Moment sein, den sie hatten. Und deshalb beugte jetzt er sich vor und küsste Kaleena nochmals kurz und leidenschaftlich. „Das werden wir!“ Er lächelte aufmunternd, aber müde. Dann ging er zu Jovis und forderte ihn auf, auf seine Mutter und Leira aufzupassen.
Doch das Bärenwesen stieß einige Laute aus und Vilo war sichtlich erstaunt. „Echt?“ Er drehte sich zu Kaleena, die jedoch lächelnd nickte. Vilo schob den Unterkiefer vor und nickte jetzt ebenfalls. „Prima!“ Er klopfte Leira gegen die Schulter. „Willkommen im Team!“
Leira grinste kurz, dann folgte sie Vilo.
Kaleena sah ihnen mit einem wehmütigen Lächeln, verbunden mit all ihren guten Wünschen und Hoffnungen, hinterher. Dann aber riss sich förmlich zusammen und wandte sich an Jovis. „Na mein Schatz, was hältst du davon, wenn wir uns hier mal ein bisschen umsehen, was?“ Sie lächelte breit und tätschelte ihm über den Kopf.
Der Junge, anfangs noch fröhlich, protestierte sofort. „Lass das Mama! Ich bin doch kein Kind mehr!“
„Was?“ Kaleena war sichtlich erstaunt und schaute ihren Sohn mit großen Augen an. Dabei verlor ihr Lächeln seine Fröhlichkeit, weil sie erkennen musste, dass er Recht hatte. Eigentlich war er nie wirklich Kind gewesen, der Krieg hatte ihm eine Chance darauf verwehrt. Plötzlich fühlte sich Kaleena schwach und hilflos und hätte am liebsten losgeheult. Jovis war jetzt fast sieben Jahre alt und wandelte bereits seit seinem ersten Atemzug durch den wahrhaftigen Alptraum der grausamsten Hölle, die man sich nur vorzustellen vermochte. Ein unvergleichlich grausamer Krieg, der ihm niemals auch nur den Hauch einer Chance gegeben hatte, Kind sein zu dürfen. Plötzlich aber verspürte Kaleena eine Kraft in sich, die ihr Mut machte. Jovis war genau der Antrieb, der sie weitermachen ließ. Anstatt zu verzweifeln, versuchten sie eine Lösung zu finden, den Krieg zu beenden, ihre Feinde zu vernichten, diesen Planeten und all seine Bewohner zu erretten. Auch damit ihr Sohn am Ende doch noch Kind sein und sein Leben in dem Wissen um das Grauen eines Krieges, aber im Angesicht einer wundervollen Welt verbringen konnte. Kaleena hockte sich vor ihn, sah ihm in die Augen, die sie groß und klar anblickten und gewann ihr Lächeln zurück. „Es tut mir leid!“ sagte sie. „Ich weiß, dass du schon groß bist. Und ich bin sehr froh, dass du hier bist, um auf mich aufzupassen!“ Sie küsste ihn auf die Stirn. „Dein Vater hat großes Vertrauen in dich und ist sehr stolz auf dich!“ Sie wartete, bis der Junge, der sich durch ein paar Geräusche neben ihnen hatte ablenken lassen, sie wieder ansah. „Und ich bin es auch!“ Jovis war sichtlich erfreut über ihre Worte und lächelte, woraufhin sie ihn fest umarmte.