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Mit Petroleum wir unsere verschmierten Körper ab, einer dem anderen. Das beißt wie Hund. Und wir schrubben uns tüchtig mit Soda, Sand und Seife. Wir sehen aus wie gekochte Krebse. Die Tropennacht fällt hastig und schwarz aufs Schiff. Der Urwald wird von der Nacht gefressen. In Kanakertown funzeln die ersten Lichter. Die Blutsauger kommen und das Dommeln dröhnt. Wir liegen auf unseren Strohsäcken, schlafen, lesen, dösen. Die Luft im Logis ist stickig und heiß. Die geöffneten Bullaugen schneiden schwarze Scheiben aus der Nacht. Ernesto hat sich wieder erholt, er liegt unter mir in der Koje. Ich liege auf der Seite und stecke meinen Kopf über den Kojenrand. Ich frage: „Sag mal, Ernesto, glaubst du eigentlich an Gott?“ „Wie kommst du denn darauf?“ „Das will ich dir sagen. Als du wieder oben an Deck lagst und wieder Luft hattest und wieder lebtest, hab' ich mir gedacht, das muss doch irgendwer gemacht haben, der daran interessiert ist, dass du noch nicht krepieren solltest.“ Ernesto versucht sich vor der Frage zu drücken und sagt: „Es säuft keiner ab, der gehängt werden soll.“ Ich frage nochmals: „Glaubst du an Gott, Ernesto?“ Er antwortet: „Nein. Jedenfalls nicht an den alten Knaben mit dem Bart. Jedenfalls nicht an seine komische Gerechtigkeit und Güte und Liebe, die man ihm nachsagt, und die auch irgendwo geschrieben stehen soll. Das musst du doch zugeben, Valentin, wenn alle Gebete, die die Menschen aller Rassen und Farben und Nationen zu diesem Gott schicken, erhört würden, wo käme der 'arme liebe Gott' dann wohl bin?“ „Ja, es muss aber doch irgendwas geben, das uns leben lässt, oder uns das Leben gegeben hat. Dem Menschen, dem Tier, der Pflanze. Oder meinst du, das käme alles von selbst?“ „Gewiss ist irgendwas da, eine Kraft oder ein Geist. Ein unfassbares, unbegreifliches Wesen wird wohl da sein. Nur glaube ich nicht, dass dieses Wesen gerecht ist ... aber auch nicht ungerecht. Denn wir wissen ja nicht einmal, was Recht oder Unrecht ist. Weiter glaube ich nicht, dass man dieses Wesen mit Gebeten und Gesängen, mit Brand und Sühneopfern, mit Geschenken und Kasteiungen oder was weiß ich, beeinflussen kann, damit es für den jeweilig Opfernden alles zum Guten und zu seinem Nutzen wendet. Nee, daran glaube ich niemals. Und dann bezeichne ich jede Religion als ausgemachten Schwindel und als Geldschneiderei. Und ich behaupte, dass man mit der Religion gut, auf jeden Fall besser regieren kann, eben, weil die Menschen verdummt werden. Die sogenannten Vertreter der Gottheit auf Erden sind nicht bekloppt, das sind ganz abgefeimte Burschen, sage ich dir. Sie drohen mit Strafen, sie machen Versprechungen, sie sprechen von Himmel und Hölle.“ „Aber die Menschen sind doch glücklich dabei, Ernesto, und das sollte doch wohl im menschlichen Leben die Hauptsache sein. Es ist doch scheißegal, auf welche Art man glücklich wird, denn über die Höhe und Tiefe des Glücks kann man doch nicht streiten. Es kann doch niemand von sich behaupten, er sei glücklicher als der andere. Einen Messapparat für Glücksempfindungen gibt es doch bis zum heutigen Tage nicht. Sieh mal, wenn ich eine Hure belatschert habe, dass sie mit mir, ohne Geld dafür zu nehmen, schlafen geht – Geld gebe ich ihr nachher ja doch – dann bin ich glücklich. Und wenn sich Emil den Arsch so richtig vollgesoffen hat, dass er Knoten in der Zunge hat, dann ist er doch auch wohl glücklich. Ist denn nun mein Glück besser oder tiefer als seines? Und wenn Menschen in der Religion und im Gebet und in der Andacht glücklich sind ... dann ist es doch eben ihr Glück.“ „Hm“, macht Ernesto und legt sich in seine Koje zurück. „Sieh, und wenn der eine das Glück bei einer Hure findet, der andere im Schnaps und der letzte in seinem Glauben, dann ist das doch seine Sache. Die Hauptsache ist, er ist glücklich. Was siehst du denn zum Beispiel als Glück an, Ernesto?“ Ernesto richtet sich wieder auf, stützt sich auf den Ellenbogen und sieht zu mir herauf. „Nun will ich dir mal was sagen, Valentin. Glück ist Quatsch. Glück ist genau so ein Quatsch wie Liebe. Ist der Gesunde glücklich? Doch sicherlich. Wie man 's nimmt natürlich, er weiß nur nichts von seinem Glück. Aber der Kranke ist unglücklich, das weiß er, weil er Schmerzen hat. Der Gesunde müsste glücklich sein, weil er keine Schmerzen hat. Dann müsste es folglich mehr Glückliche als Unglückliche geben, weil es mehr Gesunde als Kranke gibt. Und doch ist es nicht so, die meisten Menschen sind nämlich nicht glücklich. Um auf deine Frage zu kommen, was ich unter Glück verstehe, so will ich dir sagen, dass ich überhaupt kein Glücksempfinden habe. Ich fühle mich wohl, wenn ich ein paar Flaschen Bier getrunken habe. Ich fühle mich wohl, wenn der Scheißarbeitstag vorbei ist, und ich mich auf den Sack legen kann. Soll mir nur keiner kommen und sagen, in der Arbeit findet man das Glück. Den jage ich nur für eine Stunde in den Schmutzöltank oder im Persischen Golf vor die Kessel. Ich fühle mich wohl, wenn meine Heuer in der Tasche klimpert. Aber ist das das Glück? Glück, von dem so viel geredet und gefaselt und gesungen und geschrieben wird? Ja, alle Empfindungen, wie Glück und Liebe und noch andere sind ganz große Scheiße, wie überhaupt das Leben.“ Ich lege mich zurück, ich weiß nicht, was richtig ist. - Plötzlich hören wir ein Schnurren und Knirschen an der Bordwand. Wir vernehmen Klopfen und Stimmen. Emil springt auf und läuft an Deck, kommt wenige Minuten später mit einem alten Neger und drei jungen Negerinnen in das Logis zurück. Ein Vater verkuppelt seine Töchter, ein Vater verkauft seine Töchter für eine Nacht. Ein Vater macht seine Töchter zu Huren. Und wie oft wohl schon. Drei Urwaldgewächse, jung, gut gewachsen und stinkend. Ein Pfund will der alte Gauner haben und seine Töchter morgen früh vor Tag mit dem Boot wieder abholen. Ein englisches Pfund, Gentlemen. Er kriegt sein Pfund. Über die Verteilung der Huren müssen wir uns selbst einigen und über die Reihenfolge auch. Es schläft keiner mehr, es liest keiner mehr. Drei Urwaldgewächse, für uns da, die ganze Nacht. Weiße Zähne blinken aus dunklen Gesichtern. Ich sehe nur Augen und Zähne und weiße Leinenblusen. Die Leinenblusen sind knapp und eng, und die spitzen Brüste wollen sie durchstechen. Wir atmen schwer. Wir sehen sie schon nackt. Wir sind normale Männer. Und die Mädchen kennen ihr Handwerk. Nummer eins setzt sich bei Ernesto auf den Kojenrand. Nummer zwei wird von Emil an den Tisch gezogen. Wir haben noch Rotwein und kippen ihn in die Tassen und lassen sie trinken. Emil macht das alles. Und sie zwitschern und lachen, sind freigiebig mit ihren Reizen und gar nicht prüde. Wir haben ja schon bezahlt. Ein gutes englisches Pfund ... billiger als im Puff, und frei Schiff geliefert. Ein gutes englisches Pfund, dafür können wir alles haben. Wir müssen uns nur einig sein. Billig, ein englisches Pfund, drei Mädchen und sieben Mann. Drei Mädchen, mit Brüsten und Beinen und Lenden die ganze Nacht. Die Luft im Logis ist heiß und stickig. Die Körper schwitzen, und die Mädchen stinken. Wir müssen sie unterhalten. Emil, der Impotente weiß, wie es gemacht wird. „Los, Emil, tanze!“ Emil kennt keine Hemmungen. Emil reißt sich sein schweißnasses Hemd vom Leib, steigt aus der Nietenhose und tanzt. Nackt. Wir sehen uns beim Duschen und Waschen immer nackt, wir sind unter uns, unter uns Nackten. Wir kennen keine Scham und keine Prüderie, aber jetzt ist das doch etwas anderes, jetzt badet Emil nicht, jetzt tanzt er ... tanzt nackt. Emil ist dürr und knochig und hat keine Zähne und tanzt nackt. Emil tanzt, und wir brüllen uns heiser. Die Mädchen lachen, die Urwaldgewächse, die jung und schwarz sind und stinken, und für die wir ein englisches, ein gutes englisches Pfund bezahlt haben. Emil tanzt, verrenkt die Glieder, wirbelt mit den dünnen, spinnigen, knochigen Armen, schmeißt die stakigen, mageren Beine. Die Krampfadern an seinen Beinen sehen aus wie kriechende, knorpelige hässliche Raupen und sind glasig blau. Seine Knie sind spitz wie Kegel. Bei den grotesken Verrenkungen bammelt und rotiert sein Glied wie der Klöppel einer Kuhglocke. Wir brüllen uns heiser. Die Negerweiber lachen. Emil hat keine Zähne, aber die Mädchen. Und wir saufen Rotwein, und Emil tanzt. Tanzt nach unserem Gebrüll. Ernestos Hürchen hat sich schon längst an ihn geschmiegt. Es sitzt noch auf dem Kojenrand, die Beine baumeln. Die verwaschene Leinenbluse hat Ernesto der Negerin schon ausgezogen. Ich kann das von hier oben alles gut sehen. Er hat die Bluse einfach vorne aufgeknöpft und sie nach hinten abgezogen. Die spitzen, festen jungen Brüste liegen frei, und zwischen den schwarzen Fleischkegeln glitzern Schweißperlen wie Brillantensplitter. Ernesto schiebt das Mädchen vom Kojenrand und takelt ihm den Rock ab. Das Negermädchen steht da in seiner tief dunklen Nacktheit in einem schmutzig dunklen Schmiererlogis ... und lacht. Dann kippt Ernesto das Mädchen einfach über den Kojenrand und deckt es brünstig zu. Ich kann das von hier oben ganz genau sehen. Meine Koje schwankt leicht, und Ernesto hat Schwung. Nun zieht auch Vänne ein Mädchen aus. Er mach: es mit genießenden Augen. Er macht es mit geilen Augen. Er macht es mit den Augen eines alten Lustmolches, der einer Striptease-Schau zusieht. Vänne macht es langsam und mit Bedacht. Lüstern wird Knopf für Knopf der Bluse geöffnet. Knopf für Knopf. Greift zwischendurch an die Brüste und knetet und walkt sie mit seiner schwieligen Hand. Das Negermädchen lacht, und die Bluse landet auf der Holzbank. Vännes Hand fährt nun unter den billig bunten Kattunrock, und mit der anderen Hand schiebt er den Rock nach unten. Das Mädchen hat keine Schamhaare. Das Negermädchen lacht. Nun knöpft Vänne seine Hose auf und legt seinen steifen Knüppel in die kleine, dunkle Hand des Negermädchens. Das Mädchen lacht und rollt mit den Augen und mit der Hand. Afrika steht draußen. - Afrika geht ums Schiff. Afrika umhüllt das Schiff mit seiner Hitze, mit seiner Nacht, mit seinem Atem und seiner Brunst. Afrika dringt in das Schiff, durch Eisenplatten und Schotten, durch Türen und Bullaugen. Afrika dringt in das Schiff, mit Mädchen und Moskitos, mit Gestank und Geschäft. Und das Mädchen legt sich wie selbstverständlich in Vännes Koje. Und Vänne lässt seine Nietenhose fallen und wirft sich mit einem Stöhnen auf das nackte Mädchen. Ich sage zu der Letzten: „Komm her, Mädchen!“ Und sie kommt lachend und klettert gewandt und flink wie ein Affe in meine Koje. Sie sind stur und träge, diese Negermädchen. Sie sind keine Liebeskünstlerinnen. Oder sind sie es nur bei uns nicht? Sollten sie mehr tun bei Ihresgleichen? Sollten sie unsere weiße Hautfarbe nicht mögen, oder unseren Körpergeruch nicht? Sollte in ihnen der jahrhundertlange alte Hass gegen die weißen Unterdrücker schlummern? Ich weiß es nicht. Ist mir auch scheißegal, ich werde schon fertig werden. Ich muss fertig werden. Schwer wird es werden, weil die Gummibänder noch da sind, die verdammten Gummibänder. Wohl dünn, aber noch nicht zerrissen. Ernesto ruht sich aus. Vänne fickt, und Elmar wartet mit glühendem Pfeil! Ja, sie lassen sich alles gefallen, mit ihnen kann man machen, was man will, aber aktiv sind die Negermädchen nicht. Sie ziehen sich nicht einmal aus, das muss man schon selbst besorgen. „Meine“ schob sich einfach den Rock hoch und sagte: „Come on, Mister!“ Wohl die einzigen englischen Brocken, die sie kennt ... sie genügen ja auch schließlich fürs Handwerk. „Nee nee,“ sage ich „so nicht, Mädchen, ich will dich erst einmal ausziehen!“ Die Gummibänder waren wohl dünn, aber noch nicht gerissen. Des Mädchens Brüste lege ich frei, Anschauungsunterricht habe ich ja gehabt. Den Rock strampele ich nach unten, über die Beine hinweg. Und der billige Kattunrock liegt wie eine Wurstpelle bündelig und zusammengeknautscht am Kojenfußende. Ich küsse ihre spitzen Brüste, ich sauge daran, sie schmecken nach Terpentin oder so. Die Brüste verändern sich nicht, die Warzen treten nicht aus ihren Etuis. Das Mädchen lacht. Verflucht noch mal, wenn die Weiber doch bloß mit ihrem verdammten Grinsen aufhören wollten. Das Lachen kann ich nicht mehr hören. Sie soll stöhnen, sie soll schreien und soll die Augen schließen. Ich küsse mich in Erregung. Küsse auch den Mund, so schwer es mir auch fällt. Die Haut der Negerin ist glitschig und strömt einen beißenden, ätzenden Geruch aus, nach ranzigem Fett, nach Fäulnis. Ja, den Geruch muss ich ertragen, bin ich doch an dem bezahlten englischen Pfund beteiligt. Der Spanier und der Portugiese schlafen, sie sind doch wohl schwul. Wie gesagt, nicht meine Sache. Jetzt liegt Elmar, der Pavian, auf Vännes Ableger, jetzt ist Elmar dran. Elmar hat ja auch bezahlt. Er brüllt wie ein Stier, als es bei ihm kommt. Und ich muss auch ... muss ... muss mich mit der Urwaldpflanze verkoppeln, muss sie besteigen, ... auch, damit die Gummibänder endgültig reißen. Fahre mit meiner rechten Hand, die linke presst einen Brustkegel, über den schwarzen, schlanken Körper. Streichele den Leib. Befingere ihn. Mit Verlaub gesagt, ich tue es nicht gerne, aber warum tue ich es überhaupt? Vielleicht kann ich mich von der Illusion nicht freimachen, dass auch eine Hure „reif“ und bereit sein soll. Warum eigentlich? Ich könnte doch zufrieden sein, so ich fertig geworden bin, oder nicht? Ich brauche doch das Fertigsein der Hure gar nicht, oder doch? Ich bezahle doch schließlich dafür. Scheiße, ich kann das Mädchen doch nicht geil machen, was soll ich mich da groß anstrengen ... aber ich will scharf werden. Das ist mein gutes Recht, das ist, das ist, jawohl das ist mein gutes Recht. Das Mädchen lacht. Jetzt ziehe ich meine Unterhose aus und nehme mein Glied und lege es in des Mädchens Hand, so wie ich es bei Vänne sah. Ich spüre mein Blut steigen. Steigen. Steigen. Die Beine reiße ich dem Mädchen auseinander und presse es hinein, presse es in die warme, große, trockene Öffnung. Ich stoße und stoße, stoße mit Wut... da hätte auch ein Stück Holz liegen können. Kein Widerhall. Nichts. Geschäft. Aber dampfende Körper. Ätzender Geruch. Schwirrende, blutrünstige Moskitos. Ächzende Kojen. Brünstiges Gestöhne. Und draußen steht Afrika, steht der dunkle Urwald, ist Zeugung, Kommen und Vergehen. Dacht ein tintenschwarzer Himmel, und gluckert das Wasser des Gambias am rostigen Bug der „BABITONGA“. Die Gummibänder sind gerissen, endgültig jetzt. In dieser Nacht stirbt Pepita nochmals. – Ein gutes Pfund, ein englisches, ist doch zu viel. Verdammt.
Der Morgen flimmert fahl durch die dunklen Palmen. Dorfköter kläffen heiser. Im Osten zeigt sich das erste Rot. Die Moskitos sind abgeflogen. Wir sind erst gegen Morgen eingeschlafen, da weckt uns dieses verdammte Schnurren und Klopfen. Die Mädchen werden ins Boot bugsíert. Ihre Gesichtsfarbe ist fahl, fahl von den Anstrengungen der Nacht, fahl vom grauen Schimmer des Morgens. Der Abschied ist unfreundlich, nur Ernesto wird noch mit einem langen Kuss von wulstigen Lippen bedacht. Ja, Ernesto hat einen dicken Schlag bei den Huren. Wir sind hundemüde. Der Spanier und der Portugiese haben ausgeschlafen, sie hat das Weibervolk nicht weiter berührt. Wir schlürfen den dünnen Kaffee, den der Moses eben von der Kombüse geholt hat, und sind mürrisch. Gehen bis zum Arbeitsbeginn an Deck. Der Morgen ist heller und etwas kühler, auf dem Gambia liegt leichter Nebeldunst. Es ist windstill, und aus den Elendshütten des Dorfes steigt schmutziger Rauch in den Morgen. Die grüne Mauer des Urwalds schweigt. Vom Ufer lösen sich flache Boote. Die Ladung kommt. Mit hastigen Ruderschlägen kämpfen sie gegen die Strömung. In graue Lumpen sind sie gehüllt, die Ruderer. Sie schnalzen mit der Zunge, und die Riemen ächzen. Die Ladung kommt. Endlich ist diese verdammte Liegezeit in diesem gottverdammten Nest vorbei. Die Winden rattern und rumoren wieder. Die Ladebäume schwenken und zerren in den Geien. Die schwarzen Ladungsarbeiter palavern und singen bei der Arbeit. Hiew auf Hiew wird vom Bauch des Schiffes gefressen. Hiew auf Hiew. So geht das zwei Tage und zwei Nächte. Maststrahler und Sonnenbrenner erhellen das das Schiff. Die Ladungsboote finden ihren Weg leicht. Rudern hin und her. Leer ans Ufer, voll zurück zum Schiff, und Hiew auf Hiew wird gefressen. So geht das zwei Tage und zwei Nächte. –
Die Anker lösen sich aus dem Schlick des Gambia. Das Rummeln und Poltern der Ankerkette ist an diesem Morgen ein unbarmherziger Wecker. Wir dampfen den Gambia hinab, und der blaue Südatlantik nimmt uns auf. Die Tage sind heiß, und die Wachen im Maschinenraum heißer. Aber keine Moskitos mehr. Sonnenheiße Tage und glatte See. Sternenhelle Nächte und phosphoreszierendes Bug- und Schraubenwasser. Jeden Morgen um vier Uhr, nach Wachschluss, stehen Ernesto und ich auf dem Vorschiff. Lehnen auf der Verschanzung, lassen den Schweiß aus unseren Wachklamotten vom warmen Fahrtwind trinken. Rauchen, sprechen und lassen den Morgen kommen. Die afrikanische Küste liegt in den Wehen des beginnenden Tages. „Du, Ernesto, was wissen wir Seeleute eigentlich von den Ländern, die wir besuchen, oder von den Städten in diesen Ländern?“ Ernesto sagte: „Nichts, mein lieber Freund. Absolut nichts. Aber wozu auch? Was weiß denn ein Taxifahrer von den Sehenswürdigkeiten seiner Stadt? Nichts. Ja, er kennt wohl das Rathaus und die Kirchen und sonstige Gebäude, kennt jede Straße - das ist berufsbedingt - aber die Bedeutung und die Herkunft der Namen bestimmt nicht. Interessiert ihn auch gar nicht. Was weiß denn das Zugpersonal eines Fernzuges von den Sehenswürdigkeiten der Städte, wo ihre Züge enden? Nichts, von Ausnahmen abgesehen. Kennen Artisten die Städte und Landschaften, in denen sie auftreten? Nein. Und wir, was kennen wir? Auch nichts. Den Namen der Stadt oder des Landes wissen wir. Wir kennen dafür aber die Puffs und die Kneipen, wo die Huren sind. Oder hast du schon mal einen Seefahrer kennengelernt, oder bist du mit einem gefahren, der Museen besuchte oder Kirchen besichtigte, in den Zoo oder botanischen Garten ging? Ich jedenfalls noch nicht. Aber was sollen wir auch da? Du, ich sage dir, es gibt Seefahrer, die wissen nicht einmal, in welchem Lande sie sich befinden, können es dir nicht einmal auf der Karte zeigen. Die meinen, Rotterdam läge in Belgien und Monrovia in Tunesien. Aber die Preise in den Puffs und in den Kneipen wissen sie, und die Nutten kennen sie mit Namen. Und in den Hafenstädten wissen die Taxifahrer über die Nutten und Kneipen auch Bescheid. Bist du schon mal über die Grenzen einer Hafenstadt hinaus gekommen?“ „Ich muss gestehen, dass es selten genug war.“ „Siehste. Meistens bist du in der ersten Kneipe an der Küste, wo Tingeltangel war, eine Box plärrte, oder eine Band wieherte, hängengeblieben. Oder wenn du dich in eine Taxe gesetzt hast, um nicht an der Küste hängen zu bleiben, brauchtest du dem Taxifahrer gar nicht dein Reiseziel zu sagen, er fuhr dich sowieso in den Puff. Das passiert dir in der ganzen Welt.“ Ich sage: „Das stimmt schon alles, Ernesto, aber es ist doch nicht richtig.“ „Wieso nicht richtig? Aus welchem Grund wolltest du wohl in alten Gemäuern herum krauchen, wo dir der Putz auf den Kopf fällt? Was interessieren dich Kirchen oder Tempel, wo du Gold siehst, das man den verbohrten Gläubigen aus der Nase gezogen hat? Was hast du von Museen, wo du alten, vergammelten, ausgegrabenen Plunder sehen kannst, wenn 's hoch kommt, ein paar vertrocknete Mumien, von denen du nicht weißt, ob sie echt sind? Oder denke an Gemäldeausstellungen, wo das Publikum durch rast. Irgendwann, vor zweihundert oder mehr Jahren, hat ein geiler Maler vollbusige und vollärschige Weiber gemalt, Weiber, die heute im Puff kein Mensch auch nur mit dem Arsch ansieht - jedenfalls ich nicht. Was haste von so einer Gemäldeausstellung, hm? Da gehen die feinen Leute auf die Fuchsjagd. Da steht irgendwo so 'n schwuler Lord in Positur. Da flattern goldene Engel um einen heiligen Kopf, oder ein heiliger Knabe wird von Pfeilen durchbohrt. Du siehst einen angeschnittenen roten Schinken, einen gekochten Hummer und einen toten Hasen, der seinen Rüssel über die Tischplatte hängt … und der Hintergrund ist dunkel. Du siehst in einer alten Bauernstube Leute beim Fressen oder Landsknechte beim Saufen.“ „Und wie ist es mit dem Theater?“ werfe ich ein. „Theater“, sagt Ernesto verächtlich, „das ist genau so 'n fauler Zauber. Da hopsen so ein paar Leutchen in einer Scheinwelt herum, verzapfen irgendwelchen Mist aus dem vorigen Jahrhundert oder singen sich stundenlang an.“ „Aber trotzdem. Andere Leute geben viel Geld aus, um in der Welt herumzukommen. Und ich will gar nicht mal sagen, dass es immer nur die Reichen sind. Mancher spart sich für eine Seereise das Geld mühsam zusammen, spart es sich wohl auch am Munde ab. Andere wieder haben eine Schwäche für alte Gebäude, für mittelalterliche Städte und so weiter, das kannst du doch nicht einfach als Nonsens bezeichnen. Nein, Ernesto, das kannst du nicht.“ Ernesto schnippt seine Camelkippe lässig über Bord und sagt: „Du Idiot. Hast du dir die Leute eigentlich schon einmal näher angeguckt, die da so durch die Welt reisen? So! Erstmal fragen sie den Seeleuten an Bord das Hemd vom Arsch, und wenn sie irgendwo an Land gehen, stehen sie da mit den Reiseführern vor einem Bauwerk, Prospekte in der Hand und reißen das Maul auf und mimen Erstaunen und Verstehen, manchmal auch Andacht. Mensch, dann könnt' ich ihnen in die Fresse schlagen. Abends aber sitzen sie in der Kneipe und peilen hinter dem Rücken ihrer Ehefrauen doch nach den Schönen des Landes, oder sie sind in den Puffs die Kunden, die die Preise versauen. Und ihre Erinnerungen, die sie zu Hause am Stammtisch preisgeben, drehen sich um die Weiber, um das Wetter und um den ausgezeichneten Wein oder Cognac oder was weiß ich für 'n Gesöff. Vielleicht sind nicht alle so, aber die meisten doch.“ „Ja, das ist alles schon richtig, aber was uns Seeleute angeht, da darfst du auch nicht vergessen, Ernesto, dass uns meistens die Zeit fehlt. In unseren Hafenliegezeiten arbeiten wir von morgens bis abends in Scheiß und Dreck und arbeiten schwer, das weißt du. Da hat kein Deubel mehr Lust, noch Museen oder Kirchen zu besichtigen oder ins Theater zu gehen. Dann ist man abends doch froh, dass man sich auf den Sack legen und filzen kann.“ „Faule Ausreden, stinkfaule Ausreden. Gib doch ruhig zu, dass uns das alles nicht interessiert. Wieso? Du bist ja nicht zu müde, um abends noch in eine Kneipe zu latschen oder in den Puff zu gehen, wo du ja bekanntlich auch nicht schläfst. Nee, nee, mein Lieber, wir wollen einander keinen Wind vormachen und das Kind beim richtigen Namen nennen.“ Wir schweigen. Sehen über das Wasser. Die afrikanische Küste steigt aus dem Blau, und die Sonnenscheibe schiebt sich blutrot an der Kimm empor. „Komm, Valentin, wir gehen schlafen.“ Von der Brücke glast es zwei Schläge – Fünf Uhr.
Die Wachen und Tage vergehen im Gleichmaß der Zeit. Den Äquator haben wir überquert. Sang- und klanglos. Auf einem deutschen Schiff ist das immer ein Fest, allerdings auch nur ein Grund, um sich wieder einmal anständig zu besaufen. Für mitfahrende Passagiere ein Grund, um Bier und Schnaps für die Besatzung springen zu lassen. Als Gegengeschenk wird ihnen nach der täuflichen Drangsalierung ein bunt bedruckter Taufschein überreicht, der sie mit dem Namen irgendeines Meerungeheuers bedenkt. Auf ausländischen Trampfahrern, gar noch unter der Panamaflagge, gibt es so einen Firlefanz nicht, obwohl wir einer zünftigen Sauferei und anschließendem Beischlaf mit den weiblichen Passagieren nicht abgeneigt wären. –
Wir laufen zum Bunkern für einige Stunden Kapstadt an. Bunkern Kohle, für uns eine mörderische Schinderei. Übernehmen Frischproviant, das meiste sind natürlich Konserven ... und Hammelfleisch. Landgang unmöglich. Abends sind wir wieder auf offener See, dem Indischen Ozean, Kurs Kalkutta. Diese Fahrt durch das Indische Meer hat etwas Seltsames an sich. Fast wochenlang ostwärts fahren heißt: den Sonnenaufgang überholen. Und zurück: einen Tag gewinnen. Raum fließt in Zeit und Zeit in Raum. Himmel, Wasser, runder Horizont. Reise durch die Zeit mehr als durch den Raum. Blaue Wellen unterm Steven, grauschwarze oder grüne. Hoch gekuppelter Himmel. Lämmerwolken. Wetterleuchtende Regensäcke. Landschaft aus Dunst. Fahren wir im Kreise? Kein Merkmal gibt der Raum. Allmorgendlich rückt die Zeit um fünfzehn Minuten vor. Um diese Zeit sind wir dem Sonnenaufgang näher gekommen. Wir überqueren die Linie noch einmal sang- und klanglos, diesmal nachts. Der Mond ist noch unten, aber die Sterne sind hell genug. Fettig glänzen die Wellenrücken wie flüssiges Blei. Perlmuttersplitt vorm Steven. Der Wind ist umgeschlagen, er ist unstet und unklar hier.
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