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Die Eschatologie des 1Hen besteht im Zentrum also offenbar in einer apokalyptischen Ausgestaltung der Verklärungslehre, wie sie in der biblischen Tradition an der Zionserwartung hängt. Über die biblische Grundlage hinaus weist die explizite Formulierung einer Engelgestaltigkeit der verklärten Gemeinde und ihres himmlischen Repräsentanten. Schon terminologisch durchbricht 1Hen mitunter die sonst durchgehaltene Trennung von (irdischen) ‚Gerechten und Auserwählten‘ einerseits und (himmlischen) ‚Heiligen‘ andererseits.78 Damit ist deutlich, dass die normale der Schöpfungsordnung entsprechende Trennung von Mensch und Engel, himmlischer Gemeinde und irdischer Gemeinde, ja von Himmel und Erde nicht absolut gilt. Das Noahbuch nennt in 69,11 einen Grund: Die Menschen sind im Ursprung nicht anders als die Engel geschaffen worden, damit sie gerecht und rein bleiben; deswegen sollen sich die Gerechten in Engelgestalt zurückwandeln (51,4). Diese angelogische Anthropologie hat kultische Wurzeln.79 Der Himmel ist der Bereich göttlicher Heiligkeit und Reinheit; deshalb heißen die Engel ‚Heilige‘ und ‚Weiße‘ .80 Der Himmel ist für 1Hen, und wohl für das ganze antike Judentum, kultisch bebildert. Die irdische Kultgemeinde partizipiert an einem Kultort, der aus der himmlischen Heiligkeit als Sitz der Gegenwart Gottes abstrahlt. Die Teilnehmer am irdischen Kult kommen in Kontakt mit einer überirdischen, himmlischen Heiligkeit; dies ist ein gefährlicher Kontakt, sofern man als Mensch der himmlischen Heiligkeit entsprechen müsste, was man nicht kann. Daraus entsteht die Erwartung einer Verwandlung in himmlisch-engelmäßige Reinheit und Heiligkeit.
Der Kontakt zur himmlischen Heiligkeit wird zunächst brisant im Priesterdienst. Der Priester muss sich reinhalten und weiße Schutzkleidung anziehen.81 Für den Hohenpriester ist der Dienst am Versöhnungstag geradezu lebensgefährlich. Andererseits sind Schutzmaßnahmen im Grunde gewährte Anpassungen an die himmlische Reinheit. Der Priester wird durch göttliche Stiftung für seinen Dienst zugerüstet. Mal. 2,7 weiß darum, dass der Priester im Grunde מלאך Gottes ist: Die Lippen des Priesters bewahren Erkenntnis, und von seinem Munde sucht man Weisung. Auch Philo deutet Lev 16,17 als gewährte Anpassung an die himmlische Heiligkeit. Der Hohepriester muss und darf sich in einen Engel verwandeln.82 Die rabbinische Überlieferung deutet das Hinaufsteigen der Priester auf den Altarstufen als Aufstieg in den über dem Altar offenen Himmel hinein.83 Dass im Kultus die Himmlischen und damit das erste und höherwertige Glied der Schöpfung präsent ist,84 führt also einerseits zum Vorgang der Sonderung und andererseits zur Eröffnung der Möglichkeit, an der himmlischen Heiligkeit, Reinheit und Gerechtigkeit teilzubekommen. Die Vollendung dieser zweiten Möglichkeit, nämlich Glied himmlischer Reinheit, Heiligkeit und Gerechtigkeit zu werden, setzt die Überwindung aller Unreinheit, Unheiligkeit und Ungerechtigkeit voraus. Deswegen ist im 1Hen die Engelwerdung der gerechten Gemeinde an die vom Himmel ausgehende Verklärung der irdischen Schöpfung gebunden. Während der Kultus in Jerusalem durch Regression die Heiligkeit schützen musste, weiß die apokalyptische Gemeinde um die Hilfe der Himmlischen, durch welche die himmlische Reinheit und Heiligkeit gleichsam aggressiv wird und die Schöpfung in Richtung auf die Verklärung hin in Ordnung bringt.
Versucht man, von dieser kultischen Grundlage her die Engels- und Verklärungsmotive zu ordnen, so erkennt man, dass die kultische Gemeinschaft der irdischen Gemeinde und der himmlischen Engelschar das Hauptmotiv zu bilden scheint. In der Thronvision des Noah stehen die Engel und die Gerechten um den Thron Gottes (60,2). Ist in der klassischen Thronvision des Jesaja der himmlische Engelchor anwesend, so ist in 1Hen dieser die Vision einleitende Hintergrund um die Repräsentanten der irdischen Gemeinde erweitert. Entsprechend Ps 29 spricht 1Hen 36 von den großen und herrlichen Wunderwerken der Schöpfung, die die Engel und die Geister der Menschen gemeinsam erkennen und loben. Die Himmel und Erde einende Schöpfungsordnung ist das Ziel der gemeinsamen kultisch-apokalyptischen Erkenntnis und des kultischen Lobpreises der Engel und Menschen umfassenden heiligen Gemeinde.
Die kultische Grundlage der Engelgemeinschaft ist auch im Thema der Fürbitte erkennbar: Nach 39,4ff. legen die Heiligen Fürsprache für die Menschen ein. Der Kontext zeigt, dass die heiligen Engel von dem Ort aus Fürsprache halten, an dem auch die Wohnungen der Gerechten sind. Der himmlische Chor der Fürbitter besteht aus Engeln und aus verklärten Gerechten. Der irdischen Gemeinde steht nicht einfach die himmlische gegenüber, sondern beide sind dadurch vereint, dass die himmlische Gemeinde durch die Verstorbenen vergrößert wird. In 100,5 wird der Gedanke der fürbittenden Gemeinschaft so ausgedrückt, dass jeder irdische Gerechte und Heilige einen heiligen Engel als Schutzpatron bekommt, der sein Geschick bewahrt.85 Die kultische Erkenntnis-, Lobpreis- und Fürbittgemeinschaft zwischen irdischer und himmlischer Gemeinde ergibt zwangsläufig die Erwartung einer tatsächlichen Vereinigung an einem gemeinsamen Wohnort. Dieser Wohnort ist im 1Hen das Paradies, in dem die Gerechten und Auserwählten wohnen und in dem der Baum der Weisheit steht (32,2f.; 60,8). Nach 48,1f. schaut Henoch einen Brunnen der Gerechtigkeit an jenem Orte und viele Brunnen der Weisheit; daraus trinken die Glieder der himmlisch-eschatologischen Gemeinde der Gerechten, Heiligen und Auserwählten. Dieser Ort überquellenden, gesegneten Lebens liegt nach 25,4-6 am verklärten Zion. Es ist die himmlische Segensnahrung, die einst den engelähnlichen Adam im Paradies erquickte. Das Paradies ist Ort der verborgenen Schöpfungsgeheimnisse, an dem Heilige und Gerechte gemeinsam wohnen. Dies wird nach der Erwartung des 1Hen vom Zion aus zu einer Wirklichkeit der neuen Schöpfung.
Kultische Gemeinschaft mit den Himmlischen, kultische Anthropologie, die Gemeinschaft der Gerechten im Paradies und schließlich die Verklärung zur Engelgestalt vom eschatologischen Zion aus – dieses apokalyptisch ausgeformte Bild der kultisch aufeinander bezogenen Schöpfungshälften setzt voraus, dass die entscheidenden Prozesse der Sünden- und Heilsgeschichte in Korrelation von himmlischer und irdischer Ebene ablaufen, ja, dass den himmlischen Vorgängen eine Priorität zukommt. 1Hen entfaltet deshalb seit der ältesten Traditionsschicht eine Engellehre, die, ohne Gefährdung der Allmacht Gottes, sowohl Sünde als auch Erlösung der Intervention von Engeln zuschreibt.86 Die gefallenen bringen die Sünde in die Welt, indem sie die kultische Schöpfungsordnung durch Vermischung der Gattungen durcheinanderbringen. Mit dieser greuelhaften Vermischung verbunden ist die Mitteilung verbotenen himmlischen Wissens, das die Menschen magisch verwenden.87 Erlösung bedeutet von diesem Ansatz her Restituierung der kultischen Schöpfungsordnung vom Himmel aus. Es geht um Vermittlung kultischen Wissens durch die Engel, Enthüllung der himmlisch-kosmischen Bedeutung des Ritus des Versöhnungstages88 und vor allem auch um die Erwählung des Auserwählten als des Repräsentanten der Gemeinde der Gerechten zu einer Position in und über der himmlischen Engelwelt.
Nach 10,16ff. ist Michael Befreier von Sünde, Gottlosigkeit und Unreinheit. Er stellt den kultisch gesegneten, ordentlichen Zustand wieder her. Kapp. 10f. bilden eine Kurzfassung des Schemas der Erlösung durch kultisch-kosmische Neuordnung, die Segen erwirkt. 69,14ff. fügen aus dem gleichen Stratum des Noah-Buches hinzu, dass die Erlösung aus der Macht der gefallenen Engel durch Verwendung des geoffenbarten, geheimen Gottesnamens geschehen kann. Kultisches Wissen, apokalyptisch offenbart, kann vollmächtig gegen verderblichen Zauber eingesetzt werden.
12,2 deutet die Entrückung Henochs so, dass er bereits während seines Lebens in ständiger Verbindung mit den Wächtern und den Heiligen stand. 46,1ff. setzen auf der himmlischen Ebene an: Der ‚andere bei Gott‘ hat ein Antlitz wie das eines Menschen und zugleich wie das eines Engels. Der ‚andere bei Gott‘ ist zugleich menschlich und engelhaft. Bei ihm liegt jedoch keine Vermischung vor wie bei den ‚Biestern‘, die aus der Verbindung der Engel mit den Menschen hervorgegangen sind. Vielmehr ist er kultisch ganz rein. Wie die Sünde durch Verunreinigung per Vermischung zustande kommt, so die Gerechtigkeit durch ein verklärendes Wunder der Neuschöpfung.
Im Noah-Buch, in dem Henoch ganz als entrückter, himmlischer Offenbarer fungiert, wird von Noah gesagt: „Gott hat deinem Namen unter den Heiligen ewige Dauer verliehen … aus deinem Samen wird eine Quelle von zahllosen Gerechten und Heiligen immerdar hervorgehen.“ (65,12) Noahs Name ist bei den himmlischen Heiligen präsent und seine Nachkommenschaft ist eine Schar von Gerechten und Heiligen. Durch den zum Kreis der Himmlischen gehörigen, reinen Urvater weiß sich die Nachkommenschaft als ebenfalls mit dem himmlischen Ursprung der Reinheit und Heiligkeit verbunden. Die von Noah überlieferte Geburtslegende in 106f. entspricht 46,1ff: Noah wird als Kind mit Attributen engelhafter Reinheit, himmlischen Lichtes und Gotteslobes geboren.89 Henoch offenbart, dass dieses Wunderkind ‚in Ordnung‘ ist und an ihm die göttliche Macht der Neuschöpfung sichtbar wird, den Menschen zu seiner ursprünglichen, engelähnlichen Gestalt zu bringen (106,15f.). Kultische Reinheit, Wissen als Erleuchtung und himmlisches Gotteslob sind deshalb Kennzeichen der Noah-Söhne. Der engelähnliche Urstand ihres Vaters ist Anbruch einer Neuschöpfung, die auch an ihnen sichtbar wird.
Das Engelmotiv gehört also in die Grundschicht der kultischen Apokalyptik der Henochtradition. Es bestimmt, noch über die klassische Priesteranthropologie von Ps 8,6 hinausgehend, den kultisch mit der himmlischen Ordnung und dem himmlischen Wissen verbundenen Menschen als engelmäßig. Die Henoch-Gemeinde erwartet, über die Begnadigung des leidenden Menschen der Psalmen hinaus, eine Restituierung zu vollkommen gesegnetem Leben, ja für ihre Glieder eine postmortale Existenz. Diese Erhöhung der auserwählten Gerechten zu engelhaftem, verklärten Leben auf einer erneuerten Erde wird vom Zions-Berg ausgehen, an dem sich Himmel und Erde zu einer Neuschöpfung verbinden.
Damit ist auch die Rolle des Auserwählten in den Grundzügen klar: Er ist Repräsentant der himmlischen Zions-Gemeinde; an ihm ist die Neuschöpfung der kultischen Heiligkeit und Reinheit real geworden. Wie die gesamte Henoch-Tradition sich am himmlischen Urgrund des Kultes festmacht und von ihm her die eschatologische Verklärung zur Neuschöpfung erwartet, so ist die Engel-Gestaltigkeit nicht an einer irdischen hochpriesterlichen Figur festgemacht, sondern an einem zur himmlischen Welt wunderbar als Engel gehörenden Menschen. Über dem Menschensohn liegt deshalb ein neuer Glanz himmlischer Heiligkeit.
Dass die Tradenten der Henoch-Überlieferung ihr apokalyptisches Wissen in Bezug auf eine kultisch orientierte Gemeinde in einer kultisch strukturierten Schöpfung verstanden haben, zeigt die vermutlich redaktionell vorgeschaltete Einleitung Kapp. 1-5;90 durch sie erscheint die ganze Apokalypse als eine Segensrede. Die visionäre Begegnung mit Gott und seinen heiligen Engeln ist vermittelt als eine kultische Anrede. Die Segensrede hat deuteronomische Anklänge und steht formgeschichtlich in der Tradition der kultischen Begehung der Bundeserneuerung.91 Schon Ps 78,2 bezeichnet die Gegenüberstellung der Heilstaten Gottes und des Undankes Israels als משל (Ψ 77,2 παραβολή) aus der Vorzeit der Väter.92 Die Vision des Henoch kommt aus dem Bereich der himmlischen Heiligen und weist voraus auf die Theophanie des großen Heiligen (1,3). Dem entspricht die aus dem Corpus entnommene, bzw. dort entfaltete, Bezeichnung der Gemeinde als ‚auserwählte Gerechte‘ (1,1), die dereinst ganz zu Gott gehören werden (1,8; 5,7). Die Einleitung zu den Bilderreden macht deutlich, dass die Weisheitsrede des Henoch vor dem Herrn der Geister vorgetragen wird. Das apokalyptische Wissen ergeht als kultische Anrede in der Gegenwart Gottes und verbindet Urvater, Nachkommen und die eschatologische Zukunft vor dem himmlischen Hintergrund der Schöpfung. Die sie verbindende Geschichte erscheint als Darstellungsfeld einer stark an räumlichen Kategorien orientierten Betrachtung.
Wir stoßen auf ein kultisches Ordnungsdenken, welches auf dem zugewiesenen Raum aller Dinge insistiert und von der Erlangung des gehörigen Raumes das Heil erwartet. Schöpfung bedeutet räumliche Einteilung, und die die Zeit heraussetzenden Lichtvorgänge in der himmlischen Welt sind ein Durchschreiten von Räumen.93
Auch die Entschlafenen gehören zur Schöpfung und finden den ihnen zugewiesenen Ort (Kap. 22). Die Auferstehung bedeutet in diesem kultapokalyptischen Kontext Verwirklichung der Teilnahme des zu seiner schöpfungsmäßigen Urgestalt zurückkehrenden Menschen an der engelartigen Reinheit der Heiligen. Ähnliche Grundzusammenhänge zeigen auch die dem Pharisäismus zugerechneten Psalmen Salomos aus der 2. Hälfte des 1. vorchristlichen Jahrhunderts.94
Im Zentrum steht hier das Bekenntnis zur βασιλεία Gottes und zu Gottes βασιλεύς-Sein. Mit diesem Bekenntnis ist verbunden die Aussage, dass Gott es ist, der ‚mich aufstellt, hinstellt, auferweckt zur δόξα‘(2,31). Gottes Handeln am Frommen bewirkt, dass er aufgestellt wird vor ihm in Kraft und dass das Gotteslob in Ewigkeit ergeht im Gegenüber seiner Knechte (2,36f.). Man muss hier an die Auferstehung als Einfügung in den Chor der lobpreisenden Engel denken. Der Fromme, dem Gott das Haus rein erklärt (3,8), weiß, dass er auferstehen wird in unvergänglichem Licht (3,11ff.)95. Auch hier schlägt Kultspirualität durch, die aber nicht den Tempelkult, sondern häusliche Reinheit unter dem Licht der himmlischen Herrlichkeit und im Glanze der himmlisch-weißen Reinheit sieht.
Charakteristisch pharisäisch sind dann auch die Aufgaben des Messias als Davidssohn: Er wird Jerusalem reinigen (17,22ff.30) und ein heiliges Volk zusammenbringen (17,26); er ist rein von Sünden, denn Gott hat ihm den Heiligen Geist gegeben (17,36); wenn er in der Volksversammlung des heiligen und reinen Gottesvolkes Recht spricht, so gleicht er einem himmlischen Erzengel und Israel den geheiligten Völkern des Himmels (17,43). Der pharisäische Fromme sieht sich und Israel vor dem Hintergrund des himmlischen Engelreiches Gottes, an dem er jetzt bereits durch seinen heiligen Lebenswandel teilnehmen darf und der ihn unter die Erwartung der Verwandlung in die himmlische δόξα und die ζωὴ αἰώνιος stellt.
Auch die Argumentation des Paulus nach Apg 23,8 und die Jesu nach Mk 12, 18-27 stützte sich auf diesen kultapokalyptischen Grundzusammenhang. Zur Kommentierung der Taktik des Paulus in seiner Rede vor dem Synhedrion fügt Lukas in Apg 23,8 ein: "Die Sadduzäer nämlich sagen, dass es keine Auferstehung gebe und auch nicht Engel und Geist, die Pharisäer jedoch bekennen sich zu beidem.“
Die Kommentare weisen darauf hin, dass die Leugnung von Engeln den Sadduzäern nicht gut möglich sei, da der מלאך יהוהsehr wohl in der Tora begegne.96 Hat Lukas also die Sadduzäer in überzeichnendem Sinne zu radikalen Skeptikern gemacht?97
L. Finkelstein98 verweist darauf, dass die spätbiblischen und intertestamentarischen Schriften, die von der Auferstehung handeln, auch eine ausgeführte Angelologie kennen;99 während die Schriften, die über das Thema ‚Auferstehung‘ mehr oder weniger hinweggehen, auch keine ausgeführte Angelologie bezeugen.100
Nach unseren Bemerkungen zu PsSal und ihrem weiteren kultapokalyptischen Hintergrund steht fest, dass Lukas hinsichtlich der Pharisäer die Zusammenhänge richtig deutet: Die Existenz von Engeln und die Teilhabe an ihrer kultischen Reinheit ist Vorausverweis auf die Auferstehung.
Man wird an die Wirksamkeit einer besonderen Anthropologie erinnert, deren Kenntnis Lukas auch in Apg 12,15 bezeugt: zum Menschen gehört sein himmlischer Genius, ein Engel, der mit ihm eine doppelgängerische Identität hat. Auch 1Hen 100,5 bezeugt, dass die den Heiligen und Gerechten zugewiesenen heiligen Wächter-Engel sie während der Zeit ihres Todesschlafs beschützen, wohl um ihre von Dämonen und Sündenträgern nicht befleckte Identität zu wahren.
Nach Mk 12,25 setzt auch Jesus voraus, dass die Seinsweise der Auferstandenen der der Engel entspricht. Gott ist Gott der Lebendigen (Ex 3,2.6 nach Mk 12,26), also ist die Grundtatsache der Auferstehung in der Tora bezeugt; der schöpfungsmäßige Rahmen aber, in dem sich die Auferstehung vollzieht, ist durch das himmlische Reich der Engel gegeben: Wie sie werden die Auferstandenen sein, rein und sündlos, ohne Befleckung durch Geschlechtsverkehr und Nahrungsaufnahme/-ausscheidung.
Da die Tradition Jesus eine Eschatologie zuweist, die von einem inneren Zusammenhang von Auferstehung und Engelsexistenz ausgeht, entsteht daraus für uns die Frage, ob Jesus nicht an dem kultapokalyptischen Hintergrund dieser Eschatologie partizipiert; diese kennt jedenfalls nicht eine rein zukünftige Transzendenz.101 Es geht hierin vielmehr um die Enthüllung der verborgenen, himmlischen Schöpfungsdimension, an der die Gerechten und Heiligen jetzt schon Anteil haben. Die visionäre Erkenntnis mündet nicht zuerst in der Bitte um raschen Vollzug, sondern in der Beracha des Herrn der wohlgeordneten Schöpfungsdimensionen (1Hen 22,14). Jesu Naherwartung der βασιλεία sprengt darum jeden Rahmen einer rein zeitlichen Verrechnung, weil sie wie die Kultapokalyptik in der Grundlage getragen ist von der Einsicht in die himmlische Dimension des Schöpfungsgeheimnisses. Die himmlische Dimension der Schöpfung, in der die βασιλεία Gottes um seinen heiligen Thron herum Wirklichkeit ist, reißt Jesus als die die Gegenwart bestimmende Kraft auf. Dies setzt voraus, dass diese himmlische Dimension ihm zugänglich ist, ja er zu ihr gehört. Sein Wirken in Tat und Wort vollzieht sich aus der himmlischen βασιλεία heraus und bezieht den irdischen Ort seiner Gegenwart in sie hinein. Er bringt ihre Reinheit und Sündlosigkeit, ihre lebensschaffenden Segenskräfte in den irdischen Teil der Schöpfung hinein und ermöglicht so die verklärende, eschatologische Neuverbindung der geschiedenen Schöpfungsräume.
Die Kultapokalyptik des 1Hen (und auch die der Pharisäer nach PsSal und Apg 23,8) hängt an der Vorgabe der Zions-Tradition. Um den möglichen Zusammenhang Jesu mit der kultapokalyptischen Zuspitzung der Zions-Tradition näher eingrenzen zu können, müssen wir sehen, welche Christologie zu dieser Tradition gehört. Mit welchen Traditionsvorgaben wurde die Erlösergestalt versehen, die das von der Kultapokalyptik als jenseits des irdischen Zion erfahrene Heil aus dem himmlischen Teil der Schöpfung zur irdisch erfahrbaren Realität hinüberführt?
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