Reisen im Kongogebiet

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Auch Dom Pedros Unterstützung zu gewinnen, war nicht einfach gewesen, denn dieser argwöhnte dank portugiesischer Intervention, dass hinter Büttner doch der belgische König stünde, der trotz aller Versprechungen auch Gebietserwerbungen am linken Ufer des Kongo anstrebe. Diesen Vorwurf konnte Büttner jedoch weitgehend entkräften, sodass man nach einer kleineren Unternehmung daran ging, den weiteren Verlauf des Kwango, des Grenzflusses zu Angola, zu erkunden. Ziel war es dabei, möglichst weit nach Osten vorzudringen. Ständige Querelen mit den Trägern führten aber dazu, dass man nur bis zu dem kleinen Grenzort Kizulu kam. Von dort aus musste Büttner wieder nach M’banza Congo zurückkehren – mit der vagen Hoffnung, dort neue und bessere Träger zu finden. Dies war jedoch nicht möglich, sodass Büttner bis Banana zurückreisen musste, um die erforderliche personelle Unterstützung zu finden. Auch dort erging es ihm nicht viel besser, und Büttner war schon dazu bereit, die Unternehmung für gescheitert zu erklären, als es doch noch gelang, eine Gruppe von Trägern zu gewinnen. Am 27. Juni 1885 brach Büttner ein weiteres Mal nach Quianvo/Kiamvo auf, das weit im Landesinneren Angolas etwa auf der Höhe der Hauptstadt Luanda liegt. Von dort aus wollte er noch weiter nach Osten vordringen. Auch jetzt gelang es Büttner nur unter den größten Mühen, wenigstens das erste Ziel seiner Reise zu erreichen, nämlich die Residenz des Muata Kiamwo von Majakka am Ganga, der von rechts in den Kwango mündet (heute Angola). Auch Willy Wolff war mit einem erheblich kleineren Trupp von Trägern bis hierher vorgedrungen. Büttners Wunsch, noch weiter nach Osten vorzudringen, scheiterte jedoch an dem massiven Widerstand seiner Träger, aber auch am Argwohn der Stammesfürsten am Ganga, die in dem mundele, dem Weißen, der allen Häuptlinge neben den üblichen Gastgeschenken immer auch ein Portrait Kaiser Wilhelms I. überließ, jemanden sahen, der ihr Handelsmonopol mit Waren aus dem inneren Afrika, insbesondere mit Elfenbein und Sklaven, bedrohte. Nicht zuletzt deshalb wurden auch gezielt Gerüchte in Umlauf gesetzt, dass in diesen Gebieten noch immer Kannibalen ihr Unwesen trieben. Um seine Macht zu demonstrieren und Büttners Träger weiter zu verunsichern, ließ der wohl an Kehlkopfkrebs erkrankte Herrscher nach Belieben seine Leute opfern, um damit die Götter zu besänftigen. Deren Leichen überließ man den Tieren – insbesondere den Schweinen.
Diese Erlebnisse führten dazu, dass größere Teile von Büttners Mannschaft den Weitermarsch verweigerten und flohen oder nur noch unter Androhung von Gewalt dazu gezwungen werden konnten, ihm zu folgen. Nachdem es jedoch an Führern fehlte, die die Expedition hätten weiterbringen können, blieb Büttner nicht anderes übrig, als umzukehren. Dem Verlauf des Kwango folgend gelangte man über verschiedene Nebenflüsse zuletzt bis an eine bereits wieder aufgegebene Station der Association internationale africaine am Kongo, und von dort über den Stanley-Pool, wo man mit Kund und Tappenbeck zusammentraf, nach Léopoldville/Kinshasa, wo Büttner am 20. September 1885 eintraf. Da seine früheren Reisegefährten lange nichts von ihm gehört hatten, hatte man ihn zwischenzeitlich schon für tot erklären lassen und die Gesellschaft in Berlin entsprechend informiert. Es folgten noch zwei der naturwissenschaftlichen Forschung dienende Dampferfahrten auf dem Kongo, wovon die eine nach Equateurville/M’bandaka führte – wiederum eine Station der Association, die mangels wirtschaftlicher Bedeutung bereits kurz nach Büttners Aufbruch aus Afrika geschlossen werden sollte. Endgültig brach Büttner am 3. April 1886 wieder in seine Heimat auf, nachdem die Waffen und Gerätschaften der Expedition verkauft waren. Nach M’banza Congo, wo auch noch ein größerer Posten an Material lag, ging er jedoch nicht mehr zurück, da mittlerweile die Ergebnisse der Kongokonferenz bekannt geworden waren – und allem Anschein nach der Verdacht der Einheimischen nicht unbegründet war, Büttner verträte eben doch die politischen Interessen der belgischen Association. Den Verkauf überließ er daher seinem afrikanischen Adjutanten Kornelius, sodass man insgesamt noch einen Preis von 100 Pfund Sterling erzielen konnte. Zuletzt erreichte Büttner Rotterdam, wo er nach 21 Monaten der Abwesenheit – wie er es selbst ausdrückt – am 30. April 1886 wieder europäischen Boden betrat.
Inwieweit die Expedition einen Erfolg darstellte, lässt sich nur schwer beurteilen, da die Ergebnisse der Kongokonferenz für politische Fakten gesorgt hatten. Damit hat sicherlich auch zu tun, dass Bismarck der Afrikanischen Gesellschaft schließlich die wirtschaftliche Basis entzog. Büttners Verhalten gegenüber den Afrikanern könnte auch eine Rolle dabei gespielt haben, dass sich seine Träger insbesondere ihm gegenüber derart ablehnend verhielten, während Wolff sowie Kund und Tappenbeck mit den Leuten offenbar besser umzugehen verstanden. Auf jeden Fall dürfte Büttner, der zur Beginn der Unternehmung erst 27 Jahre alt war, mit der alleinigen Durchführung der Reise, die ja anders geplant war, persönlich überfordert gewesen sein. Kritik an seiner Art der Beschreibung zu üben, wie man dies mitunter heute findet, zeugt jedoch nicht von einem tieferen historischen Verständnis. Denn wie er schreiben auch die anderen Reisenden seiner Zeit über die Afrikaner und deren Mentalität, die sich eben grundsätzlich von der europäischen unterschied. Dies gilt etwa auch für Willy Wolff, der einen eigenen Bericht über seine Expedition veröffentlichte, die ihn von Banana nach Quianvo/Kiamvo führte. Büttner verwendet sich allerdings auch für seine Leute und begab sich etwa selbst in höchste Lebensgefahr, als er auf seinem endgültigen Rückweg an den Kongo zwei seiner Leute freikämpfte, die der Mutua Kiamwo hatte gefangennehmen lassen.
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland arbeitete Richard Büttner ab 1890 an einem Gymnasium in Berlin, um jedoch im selben Jahr wieder nach Afrika zurückzukehren, wo er in Togo bis 1891 die nicht lange zuvor gegründete Station Bismarckburg leitete. Danach ist er wieder als Lehrer in Berlin tätig, wo er 1927 verstarb. Wissenschaftlich konnte sich Büttner als Mineraloge sowie als Botaniker einen gewissen Namen machen. Er selbst sagt, dass er mit dem entsprechenden Ertrag seiner Reise vor dem Hintergrund der permanenten Schwierigkeiten doch recht zufrieden sei. So brachte er eine reiche Ausbeute an Präparaten nach Europa mit, eine ganze Reihe von Pflanzen beschrieb er zum ersten Mal – und eine Aloe-Art trägt seinen Namen. Außerdem wirkte sich der koloniale Aufbruch in Deutschland auch im Bereich der Wissenschaften aus. Im Jahr 1887 wurde an der Universität Berlin das Seminar für Orientkunde gegründet, dessen wichtigste Aufgabe der Sprach- und Kulturunterricht für die deutschen Kolonialbeamten war. Das Seminar an der vom Deutschen Reich und Preußen gemeinsam verwalteten Universität erfüllte damit auch staatliche Aufgaben. Die politischen Interessen sorgten dafür, dass ihm recht bald schon ein Lehrstuhl für afrikanische Sprachen angegliedert wurde, für dessen Einrichtung Richard Büttner einen entscheidenden Beitrag leistete und damit am Anfang einer Entwicklung steht, die 1925 in Berlin zur Gründung des Fachs Afrikanistik führte.
Historische Reiseberichte sind immer auch Dokumente der Zeit, in der sie entstanden. Autoren bedienen sich der Ausdrucksweise und der Sprache ihrer eigenen Epoche und vertreten deren Wertesystem. Reiseberichte sind damit also immer wichtige historische Quellen, zugleich aber reine Lesetexte, die zur Zeit ihrer Entstehung wie auch heute noch ihr Publikum fanden und finden. So hat Richard Büttner sein Reisetagebuch schon bald nach seiner Rückkehr überarbeitet und in ein literarisches Gewand gebracht, das 1890 unter dem Titel »Reisen im Kongolande« erschien. Dabei beweist die hohe Anzahl an ähnlichen Publikationen, dass es damals ein großes Interesse an solchen Werken gab, die über fremde Menschen, Länder und Gebräuche berichteten – Texte, die es wert sind, auch heute noch gelesen zu werden.
Lars Hoffmann, Mainz
Weiterführende Literatur:
W. BAUMGART, Europäisches Konzert und Nationale Bewegung. Internationale Beziehungen 1830–1878. 2., ergänzte und durchgesehene Aufl. Paderborn 2007.
Th. Ehrsam, K. Horlacher, M. Puhan (Hrg.), Der weiße Fleck. Die Entdeckung des Kongo 1875–1903. Mit einem Essay von Hans Christoph Buch. Zürich 2006.
F. TH. GATTER (Hrg.), Protokolle und Generalakte der Berliner Afrika-Konferenz 1884–1985. Bremen 1984.
B. HEINTZE, Deutsche Afrikareisende in Angola. Ethnographische Aneignungen zwischen Sklavenhandel, Kolonialismus und Wissenschaft. 2. Aufl. Frankfurt a. M. 2007, S. 178–189.
A. HOCHSCHILD, Schatten über dem Kongo. Die Geschichte eines der großen, fast vergessenen Menschheitsverbrechen. 3. Aufl. Stuttgart 2000.
J. SCHILDKNECHT, Bismarck, Südwestafrika und die Kongokonferenz. Münster/W. 2000.
Titel der Originalausgabe
REISEN IM KONGOLANDE
AUSGEFÜHRT IM AUFTRAGE DER AFRIKANISCHEN
GESELLSCHAFT IN DEUTSCHLAND
Von
Dr. Richard Büttner
Mit einer Karte von Dr. Richard Kiepert
Leipzig
J. C. Hinrichs’sche Buchhandlung
1890
VORWORT
Seit dem Eintritt des Deutschen Reiches in eine aktive Kolonialpolitik hat man es für praktisch gehalten, die staatlich unterstützte Afrikaforschung auf die unter dem Reichsschutz stehenden Gebiete zu beschränken, und die Reichsregierung hat die Förderung der Forschung selbst in die Hand genommen. Infolgedessen hat die »Afrikanische Gesellschaft in Deutschland«, die Auftraggeberin meiner in diesem Buche beschriebenen Reisen im Kongolande, bereits vor einiger Zeit ihre Auflösung beschlossen, die landesherrliche Genehmigung dazu ist im Januar dieses Jahres erfolgt, die »Mitteilungen der Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland «haben mit dem dritten Hefte des fünften Bandes im Mai ihren Abschluß gefunden und die Liquidation des Gesellschaftsvermögens ist soeben beendet worden.
Die selbständige Forschungsarbeit des Reiches ist noch zu neuerlichen Datums, als daß man schon berechtigt wäre, sie im Vergleich zu derjenigen der aufgelösten Gesellschaft zu setzen, indeßen darf wohl der Hoffnung Ausdruck gegeben werden, daß die staatlichen Gründungen in unseren westafrikanischen Schutzgebieten, denen man den Namen von wissenschaftlichen Stationen gegeben hat, die wissenschaftliche Forschung im Hinblick auf das rein Praktische nicht zu sehr in den Hintergrund treten lassen möchten.
Man erwarte aber nicht in der folgenden Beschreibung strenge Wissenschaft zu finden. Zu meinem eigenen größten Leidwesen waren die Verhältnisse während meiner Reise nicht dazu angetan, daß ich mich der wissenschaftlichen Forschung so widmen konnte, wie ich es wohl gewünscht hätte. Der Mangel an Instrumenten und die eigene Führung einer großen wandernden Expedition – beide veranlaßt durch den Umstand, daß Herr Premierleutnant Kund, statt nach San Salvador zu kommen und die Führerschaft der Gesamtexpedition zu übernehmen, es vorzog, nach dem Stanleypool zu marschieren und so unsere Trennung ständig zu machen – waren die hauptsächlichsten Ursachen einer mäßigen wissenschaftlichen Ausbeute. Im Vergleich zu anderen sogenannten Forschungsreisen in Afrika – mehr oder weniger berühmten Kilometerabschreitungen – ist freilich diese Ausbeute noch namhaft zu nennen.
Ich habe aber diesem Buche einen durchaus allgemeinen Charakter wahren wollen und deshalb habe ich die Bearbeitung des wissenschaftlichen Materials – soweit es zur damaligen Zeit vorlag – bereits im Frühjahr dieses Jahres im letzten (fünften) Band die »Mitteilungen der Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland«, Berlin 1886–1889, p. 168–271 veröffentlicht.
Doch einen andern Anspruch erhebt dieses Buch: es will eine wahre Schilderung der berührten Verhältnisse geben. Wenn nun freilich die individuelle Brille bei der Auffassung der Umstände nicht immer fortgelassen werden kann, so liegt doch in der Selbständigkeit, mit der sich die Reisenden und Forscher der aufgelösten Gesellschaft in einem uns durch keine aktiven kolonialen Beziehungen verbundenen Gebiete bewegen konnten, eine gewissen Gewähr für eine unparteiische Berichterstattung und freie Meinungsäußerung, die wir in der Art von den dort angestellten Beamten und Offizieren nicht erwarten können. Dieser Umstand muß sicherlich bei der abweichenden Darstellung derselben Verhältnisse seitens verschiedener Berichterstatter in Betracht gezogen werden. Außerdem scheint mir, daß sich derjenige größere Verdienste um eine Unternehmung erwirbt, der auch ihre Mängel und die Widerstrebungen, welchen sie ausgesetzt ist, bekannt gibt, als derjenige, der nur ihre Vorzüge und das Entgegenkommen, welches sie manchmal findet, meldet. Der Erfolg kann doch durch seine kundgewordene Schwierigkeit nur an Bedeutung gewinnen.
Andere Bemerkungen dem Buch mit auf den Weg zu geben, erachte ich als unnötig, wohl aber ist es mir eine angenehme Pflicht, noch einmal meinen Dank allen denen auszusprechen, die mir auf meiner Reise oder bei der Bearbeitung des heimgebrachten Materials ihre Unterstützung gewährt haben.
Potsdam, im November 1889
Dr. Richard Büttner
1. KAPITEL:
VON DER ELBE BIS ZUM KONGO
Am 1. August 1884 verließ ich die »deutsche Expedition zur Erforschung des südlichen Kongobeckens« an Bord des »Professor Woermann« Hamburg. Die Expedition setzte sich zusammen aus den Herren Premierleutnant Schulze als Leiter, Premierleutnant Kund, Sekundärleutnant Tappenbeck, Dr. med. M. Wolff als Arzt und meiner Wenigkeit als naturwissenschaftlichem Mitgliede. Wir hatten die Ehre gehabt, von der Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland zu Berlin, deren Vorsitz zur damaligen Zeit Admiral von Schleinitz führte, gewählt zu werden, um mitzuarbeiten am Werk der Erforschung des tropischen Afrika, welches Werk diese Gesellschaft durch ihre Reisenden und Expeditionen in so ausgezeichnetem Maße gefördert und seinem Endziele näher gebracht hat.
Der Tag der Abreise machte der unruhig bewegten Zeit der Vorbereitungen – die leider in meinem Fall nur zwei oder drei Monate betrug – ein Ende und führte die Mitglieder der Expedition, die bis dahin einander kaum bekannt waren, auf einige Wochen zusammen.
Außer uns befanden sich noch an Bord ein Missionar der Baseler Gesellschaft, der mit der Gattin auf seinen Posten nach Quitta zurückkehrte und unter deren Schutz eine junge Dame reiste, die – mit einem Missionsangestellten verlobt – dessen Leben im fernen Land zu teilen willens war. Die übrigen Herren waren Kaufleute, zum weitaus größeren Teil dem Hause Woermann angehörig, die als Neulinge dem anderen Erdteile zustrebten, oder solche, die bereits einige Jahre dort zugebracht hatten und nun nach einer Zeit der Erholung in Europa zu ihren Stellungen zurückkehrten. Zu diesen letzteren gehörte auch Herr Schmidt, Hauptagent des Woermannschen Monrovialgeschäfts und deutscher Konsul für die Negerrepublik Liberia, der die Zeit des Urlaubes sowohl zur Wiederherstellung seiner Gesundheit in der deutschen Heimat als auch zur Instandsetzung und Ausrüstung seines Hauses in Monrovia angewendet hatte, denn er beabsichtigte sofort nach der Ankunft auf seinem Posten die jugendliche Braut, eine Tochter Liberias, heimzuführen. Unter solchen Umständen war es nur natürlich, daß sich unter der Ladung unseres Dampfers auch Salonspiegel und ein Pianino befanden, dessen weiße Tasten in den Dienst der zierlichen Finger der jungen schwarzen Herrin gestellt werden sollten.
Mit gutem Wetter fuhren wir am 3. August um die Mittagszeit in den Kanal ein und konnten dort für eine gute Weile zugleich auf die beiden Küsten blicken, wobei wir aber der englischen sehr viel näher blieben und eine interessante Ausschau auf ihre weißen Kalkmauern und die zahlreichen Ortschaften hatten. Die See ging hier höher als in dem deutschen Meer, welche Veränderung sofort die unvollständige Besetzung der Tafel im Salon zur Folge hatte; das Wetter blieb indessen klar und ruhig, und am folgenden Tage verließen wir bei der Insel l’Ouessant den Kanal, um in das hohe Meer zu steuern.
Nebel hinderten uns am 6. August Kap Finisterre in Sicht zu bekommen, veranlaßten dagegen halbe Fahrgeschwindigkeit und machten das häufige Ertönen der Signalpfeife notwendig. Am 9. standen alle Passagiere schon zu früher Morgenstunde – zum Landen bis auf Stiefel, Hut und Sonnenschirm bereit – auf Deck, sehnsüchtig durch die Gläser nach der Insel Madeira schauend, wo der »Professor Woermann« in Funchal Kohlen einzunehmen hatte und uns somit die günstige Gelegenheit geboten schien, eines der schönsten Stücke der Erde kennen zu lernen. Als wir uns indessen der Reede näherten und die weißen Häuser der Stadt aus den Gärten hervortauchten, als uns schon die ersten Palmen zuzuwinken schienen und mit roten Blüten überladene Mandelbäume vom grünen Hintergrunde sich abhoben – kündigte ein uns entgegengekommenes Regierungsboot »quarantaine grande«1 an.
Als der »Professor Woermann« die gelbe Flagge hißte und weit über einen Kilometer vom Lande entfernt vor Anker ging, war eine trübe Stimmung über die Passagiere gekommen, die durch den acht- oder zehnstündigen Anblick der unerreichbaren schönen Insel durchaus nicht gehoben wurde, auch weder den uns unter Beobachtung aller Vorsichtsmaßregeln an Bord gereichten Früchten (Bananen, Pfirsichen, Erdbeeren, Pflaumen, Birnen, Trauben u.a.m.) noch den flüssigen Inhalt einiger blaugekapselter Flaschen vom Hause Blandy Brothers weichen wollte. Ohne Bedauern hörten wir am Abend die Anker heben und bald entschwand uns die Insel in der hereinbrechenden Dunkelheit.
Am folgenden Tage nahm das Schiff den Kurs zwischen Palma und Teneriffa. Der Pik letzterer Insel war am Morgen für einige Stunden sichtbar gewesen, am Abend leuchteten die Lichter der Stadt Santa Cruz zu uns herüber.
Erst am 14. kam wieder Land in Sicht, das Kap Verde mit seinen Palmbäumen und dem auf einem der Points stehenden Leuchtturm. Dahinter erschien sehr bald die Insel Gorée, auf deren Reede unsere Anker um die Mittagszeit in die Tiefe rasselten. Nach Erfüllung der Formalitäten wurde die liberté de descendre2 erteilt, von welcher Erlaubnis seitens der Passagiere sofort Gebrauch gemacht wurde, hatte sich unser aller doch eine förmliche Sehnsucht nach Land bemächtigt. Am Ufer angekommen, machten wir einen Gang durch die Stadt, die etwa 6 000 Einwohner, darunter etwa hundert Weiße, haben soll, besuchten einige Geschäfte, um uns unter anderem mit der Spezialität von Gorée, Korkhelmen, zu versehen, die Post, die Befestigungen und den Markt. Die Stadt zeigt orientalischen Charakter; in engen Straßen blickt man auf die weißen fensterlosen Fronten, während die von Veranden umgebenen Höfe einen Blick auf das häusliche Leben der Bewohner darbieten. Der Marktplatz des Ortes ist von Kokos- und Dattelpalmen, Akazien und Tamarinden beschattet: auf ihm spielte sich gerade ein Gottesdienst der Mohamedaner ab, die hier keine eigene Moschee haben.
Da die Ladung für den Platz – 1 000 Sack Reis – an diesem Tage nicht vollständig gelöscht werden konnte, so machten wir am nächsten Morgen der Insel noch einen Besuch, um erst gegen Mittag an Bord zurückzukehren, worauf sehr bald der »Professor Woermann« seine Fahrt wieder aufnahm.
Trübes Wetter gestattete während einiger Tage keine Ortsbestimmungen, und so befanden wir uns am 19. August nachmittags um etwa 100 engl. Meilen über unser nächstes Ziel, Monrovia, hinausgelaufen. Umkehrend erreichten wir abends Gran Bassa, um dort einige Boote abzusetzen. Um Mitternacht wurde der Kurs nordwärts fortgesetzt und am 20. August morgens gingen wir vor Monrovia vor Anker. Der Kapitän gestattete nur einen kurzen Aufenthalt an Land, kaum hinreichend zu einem flüchtigen Besuch in der deutschen Faktorei und einen eiligen Gang durch das Krunegerdorf und die Straßen der Stadt.
Konsul Schmidt verließ uns hier, mit ihm gingen seine prächtigen Doggen Poggie und Box, die während der dreiwöchentlichen Fahrt gute Freundschaft mit den Schiffsbewohnern gehalten hatten, wenn sie auch öfters durch unangebrachtes Apportieren das Shibble- oder Shuffelboardspiel3 gestört hatten.
Nachdem noch fünfundzwanzig Kruboys4 für den Schiffsdienst und die südlicheren Plätze an Bord genommen waren, verließen wir Monrovia, um am folgenden Tage in Ni-su die Zahl dieser besten der westafrikanischen Arbeiter zu vervollständigen.
Das unfreundliche Wetter hielt an: Regenschauer gingen mehrfach auf uns nieder und die Wärme war sehr mäßig. Das Meer zeigte sich oft fast unbewegt; durch den Kiel unseres Dampfers in Aufruhr versetzt, erglänzte es zur Nachtzeit in Millionen von Funken. Fliegende Fische sah man häufig auf unglaubliche Strecken sich aus dem Wasser erheben, Delphine, Tümmler und Haie folgten dem Schiff und ließen oft ihre Flossen über der Oberfläche des Wassers erblicken.
Am 23. langten wir vor Accra an, einem der bedeutendsten Plätze der englischen Goldküste – man sprach uns von 15 000 Einwohnern. Auf kleinen von Eingeborenen gezogenen Wagen kommt man in kurzer Zeit zu der Baseler Missionsanstalt Christiansborg, deren Handwerkstätten sich an der ganzen Westküste einer wohlverdienten Rühmlichkeit erfreuen, und deren Zöglinge, als Maurer, Tischler, Zimmerleute und Köche, auch als Schreiber, wir überall an der Küste und selbst noch auf den fernsten Stationen des Kongostaates antrafen. Eine ganze Anzahl solcher Handwerker nahm auf unserem Dampfer Passagierscheine, die meisten für Gabun, die anderen für südlichere Plätze.
Als wir den Strand von Accra betraten, wurden wir zu unserem Erstaunen von einem gentlemanmäßig gekleideten Schwarzen in deutscher Sprache angeredet, der in den Dienst unserer Expedition zu treten wünschte. Premierleutnant Schulze, nachdem er über die Persönlichkeit in den Faktoreien Erkundigungen eingezogen hatte, engagierte in der Tat den Mann, der sich David Kornelius Bardo nannte, etwa vierzig Jahre zählte und zur Zeit Besitzer zweier Häuser und eines nicht ganz unbedeutenden Geschäfts in Accra war. Kornelius stammte von Cape Coast und hatte in der Baseler Missionsanstalt eine recht gute Erziehung genossen, war auch durch diese Mission nach Europa gekommen, wo er sich in verschiedenen Ländern und Stellungen mehrere Jahre aufgehalten hatte. Zurückgekehrt nach Afrika hatte er als Lehrer der Mission gedient, später einen weißen Kaufmann auf seiner Fahrt den Niger aufwärts begleitet und endlich den Krieg der Engländer gegen die Aschantis mitgemacht.
Von der Voraussetzung ausgehend, daß ein so erfahrener Mann der Expedition von Nutzen sein müsse, in Anbetracht der nicht ungünstigen Berichte der weißen Kaufleute über ihren schwarzen Konkurrenten und im Vertrauen endlich auf das intelligente und gutmütige Gesicht, das sich mit wohlgepflegtem Schnurr- und Knebelbart nicht unbedeutend ausnahm, hatte ich dem Entschluß des Premierleutnants Schulze gern zugestimmt, und der weitere Reisebericht wird zeigen, daß jene Wahl eine in der Tat gut getroffene gewesen ist. Da Kornelius für eine voraussichtlich längere Abwesenheit die Verhältnisse seines Besitztums zu ordnen hatte, so wurde vereinbart, daß er mit dem nächsten Accra berührenden, nach Süden gehenden Dampfer dem Premierleutnant Schulze nach Ambrizette, von wo man die Expedition anzutreten beschlossen hatte, folgen sollte.
Über Adda, wo das Landen an der felsigen Küste fast zu einem Wagestück wird, und wo ich zum ersten Male in einem Kokospalmenbestand, freilich in knöcheltiefem Sande, wandelte, kamen wir nach Quitta, um hier einen Teil unserer weißen Mitpassagiere abzusetzen. Außer den Missionsleuten ging hier auch ein Angestellter und Verwandter des Bremer Hauses Vietor und Söhne an Land, welche Firma an diesem Küstenstrich eine Anzahl Faktoreien besitzt, durch die man bestrebt ist, die Ziele der Mission zu unterstützen, indem man unter anderem den Branntweinhandel untersagt und den jungen Angestellten einen möglichst christlichen Lebenswandel zur Verpflichtung gemacht hat.
Am 25. August sahen wir über dem gelben Küstenstreifen, auf dem sich in trostloser Verlassenheit eine oder zwei deutsche Faktoreien erheben, die den Namen Lomé oder Baybeach führen, die deutsche Kriegs- und Konsulatsflagge wehen. Schon in Monrovia hatten wir von dem Vorgehen Dr. Nachtigals und Dr. Buchners gehört, und mit einem gewissen Bewußtsein traten wir jetzt auf den Sand des neuen deutschen Protektoratsgebietes.