Reisen im Kongogebiet

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Die Bemühungen des Premierleutnants Kund am unteren Kongo, die ihn mit den drei machthabenden Faktoren dortselbst, der »Association internationale africaine«, dem holländischen Handelshaus und der englischen Baptistenmission in nähere Berührung geführt hatten, gaben indessen Anlaß zur Entstehung eines neuen Planes, dessen Ausführbarkeit von dem Vorsteher der englischen Mission, Revd. Comber (bekannt durch die Besteigung des Kamerunberges und die Explorationen im Gebiet von San Salvador) anerkannt wurde und zu dessen Realisierung er die weitestgehendste Unterstützung versprach. Nach diesem Plan sollte die Expedition zunächst den Kongo aufwärts gehen bis zur Grenze der Schiffbarkeit desselben, das heißt bis unterhalb der Yellalafälle, wo am linken Ufer die Mission in Tondoa (Underhill) eine Station und das holländische Haus in Ango-Ango eine Faktorei haben. Von hier aus würde die Expedition mit Trägern von San Salvador, die den Verkehr dieses Platzes (wo sich zur damaligen Zeit zwei Missions- und zwei Handelsstationen befanden) über den Strom vermitteln, sich zu dieser Residenz des alten Königreichs Kongo begeben, dessen Herrscher – nach den Erfahrungen des Mr. Comber – durch Überweisung und Überlassung von eingeborenen Leuten als Träger für das weitere Fortkommen, zum mindesten aber bis zur Stadt des großen Kiamwo am Quango, Sorge tragen würde. Mit diesem König müßten sodann, wenn die Kongoleute der Expedition nicht weiter zu folgen willens sein sollten, Verhandlungen wegen neuer Träger angeknüpft werden.
Allerdings erkannten wir schon damals die Gefahr, die durch Verzichtleistung auf ein für die Dauer der Expedition zu engagierendes festes Trägermaterial entstehen mußte, doch wurden wir von allen Seiten der Unmöglichkeit eines solchen Engagements von Küstenleuten versichert – was allerdings durch die Erfahrungen der Loango-Expedition, des Premierleutnants Schulze und des Dr. Wolff bestätigt schien – so daß schließlich die von Revd. Comber vorgeführte Möglichkeit ernstlich in Betracht genommen wurde.
Dieses war der Stand der Verhältnisse am Tage meiner Ankunft in Banana, an welchem selben Tage noch an den König von Kongo in San Salvador, durch Vermittlung der Baptistenstationen in Tondoa und in jener Residenz, Geschenke abgesandt wurden mit einem Schreiben, in dem wir um Überlassung einer Trägerkarawane baten, die die Expedition, oder einen Teil derselben, von Tondoa nach des Königs Stadt führen sollte. Derselben Sendung wurden Geschenke für den großen Kiamwo am Quango beigegeben und um deren Übermittelung an jenen Herrscher ersucht.
Herr Comber war ferner so liebenswürdig, einige Bemühungen zu machen, um uns dennoch in den Besitz einer ständigen, wenn auch wenig zahlreichen, Begleitung zu setzen. Er sendete zu dem Zwecke einen der eigenen Loangoleute nach dessen Heimat, um dort für die Expedition zwanzig Boys zu werben, die für die persönliche Bedienung der Mitglieder in Aussicht genommen waren, d.i. als Wäscher, Köche, table-boys u.s.w.
Endlich hatte Herr Comber, der zu unser aller Bedauern kurze Zeit nachher Afrika verließ, um durch einen zeitweiligen Aufenthalt in England seine sehr geschwächte Gesundheit wiederherzustellen,6 Herrn Premierleutnant Kund mit Rat für die Ausrüstung an Tauschwaren für das Inland sehr unterstützt und in höchster Liebenswürdigkeit der Expedition unbeschränkte Gastfreundschaft und Unterstützung in allen Stationen der Mission zugesichert.
Da Premierleutnant Schulze sich auch die Unterstützung der »Association internationale africaine« sichern wollte, deren Chef, zur damaligen Zeit der Colonel Sir Francis de Winton in Vivi residierte, da es ferner für uns wichtig war, den von uns in Aussicht genommenen Ausgangspunkt der Inlandreise im voraus kennen zu lernen, da endlich Premierleutnant Kund die Expeditionsinteressen in Banana eifrig wahrnahm, zudem das holländische Haus, in dem wir ein gastfreies Unterkommen gefunden hatten, mehr wie überfüllt war, so beschlossen Premierleutnant Schulze und ich selbst mit erster Gelegenheit kongoaufwärts zu gehen und in Tondoa oder Ango-Ango Nachrichten und Träger von San Salvador zu erwarten.
Banana konnte mich um so weniger zu einem längeren Aufenthalt als notwendig veranlassen, da es ein sehr ungünstiger Ort für einen Botaniker oder Zoologen ist. Die den Platz bildenden Geschäftshäuser, deren man je ein holländisches, französisches, englisches und zwei portugiesische zählte, sind auf einer schmalen Landzunge errichtet, die auf der einen Seite vom Meer, auf der anderen vom Kongo bespült wird. Die Vegetation ist beschränkt auf einiges Küsten- und Brackwasserufergestrüpp, zu dem sich nur wenige Arten von Gräsern, Hartgräsern und anderen Strandpflanzen gesellen. Stellenweise ist die im übrigen sandige Landzunge von mit jungen Mangroven bestandenen Sümpfen unterbrochen, in denen ungezählte Moskitoschwärme ihren Geburtsort und tödliche Fieberdünste ihren Ursprung haben. Ein freundlicheres Bild bietet allein die Yard des holländischen Hauses, in der man Kokospalmen, die hier sehr gut gedeihen, Spondias, Akazien, Cassien und Caesalpinien, sowie auch einige Bananenbüsche angepflanzt hat. Dieser Vegetation entsprechend ist die Tierwelt der Landzunge eine sehr beschränkte, der übrigens in Herrn Hesse, einem deutschen Angestellten des holländischen Hauses, ein eifriger Verfolger und Sammler geworden war. Der Kontrast endlich zwischen der ruhigen und gemütlichen Häuslichkeit, die ich auf der Sibangefarm genossen hatte, und dem geschäftlichen und steifen Leben in dem großen Handelshause, das in Banana allein über sechzig weiße Angestellte zählte, ließ mir die Abreise von diesem Küstenplatz nicht allzu schwer werden. Mit herzlichem Wunsch für Gesundheit und Erfolg nahm ich von Herrn Veth Abschied, und in der Hoffnung, die anderen Herren uns in kurzer Zeit stromaufwärts folgen zu sehen, gingen Premierleutnant Schulze und ich selbst, sowie David Kornelius am 19. November morgens an Bord des »Heron«, eines kleinen Dampfers der »Association internationale africaine«, hier zum ersten Male die Gastfreundschaft des späteren Kongostaates genießend. Wir fanden an Bord verschiedene Herren der Assoziation, sowie einige portugiesische Kaufleute vor, die auf ihre Posten kongoaufwärts gingen. Die Ladung des Dampfers bestand in acht Mossamedesochsen, für Vivi als Schlachtvieh bestimmt, denn im ganzen Gebiet des Kongostaates gibt es nur an wenigen Orten vereinzelte Stücke von Rindvieh, die überdies sämtlich von Süden her eingeführt sein dürften.
Nach etwa zehnstündiger Fahrt langten wir in Boma an, dem jetzigen Hauptplatz des Staates. Die Fahrt von Banana bis Boma bietet des Interessanten nur herzlich wenig; zumeist kommt nicht einmal die Größe des gewaltigen Stromes zur Geltung, da zahlreiche Inseln, zwischen denen man wie in Kanälen dahinfährt, die Breite desselben durchsetzen und das Ufer nur zuweilen als ferne Bergkette sichtbar wird. Die Inseln sind niedrig und zum Teil hübsch bewaldet, auf einigen derselben finden sich Niederlassungen der in Banana etablierten Häuser. Ein anmutiges Bild gewährt Ponta da Lenha mit seinen Faktoreien, indem die einförmige Mangroven- und Buschvegetation durch Palmen, Orangen, Mangopflaumen, selbst Laubengänge der herrlichen Marakuja unterbrochen wird. Dann schwindet das Ufergebüsch und man blickt auf die mit hohem Gras bestandene Kampine, aus der sich vereinzelt Buschwerk und Ölpalmen erheben. Der Fetischfelsen und auf den Hügelrändern zerstreute Felsblöcke lassen groteskere Uferbildungen ahnen, doch die Fahrt findet für heute ihr Ende vor den in lange Reihe sich erstreckenden Faktoreien von Boma, deren weiße Dächer schon seit fast zwei Stunden dem bewaffneten Auge sichtbar waren.
Auch in Boma zeichnet sich die Faktorei der Afrikanischen Handelsgennootschap vor den Niederlassungen der anderen Firmen durch sehr bemerkbare Gediegenheit der Ausstattung aus, wie auch die Angestellten des holländischen Hauses diejenigen anderer Nationalität, besonders aber die Portugiesen, in jeder Beziehung weit überragen. Wir fanden für die Nacht bei dem liebenswürdigen holländischen Faktoreichef gastfreie Aufnahme, für die wir indessen an dieser Stelle das Vergnügen hatten, uns dankbar zu erweisen, hatte uns doch Herr Dr. Zintgraff (der sich zur damaligen Zeit im Hause der Assoziation aufhielt, Dr. Chavannes Rückkehr von Europa erwartend, um sodann die Aufnahmen am unteren Kongo fortzusetzen) bei unserer Ankunft durch Übersendung von fünfzig Flaschen Pschorrbier erfreut, die ein bayrischer Kapitän der Association internationale unserer Expedition zum Geschenk gemacht hatte.
In Boma besuchte ich wiederum die Station der Mission du Saint Esprit und fand dort denselben musterhaften Zustand wie in Landana und Gabun.
Es befindet sich ferner dortselbst eine Gesundheitsstation, Sanatorium genannt, für die kranken Angestellten der Assoziation, doch, trotzdem die Anlage mit vielen Mitteln hergestellt worden ist, wurden wir vor einem Besuch des Instituts ernstlich gewarnt, das nur schon zu viele Weiße betreten hatten, um es erst als Leichen wieder zu verlassen.
Daß der Ruhm Bomas, am unteren Strom die zahlreichsten und blutgierigsten Moskitos zu besitzen, wohlbegründet ist, kann ich sowohl von diesem, als meinen beiden späteren Besuchen bestätigen, habe ich doch dortselbst kaum die Augen zum Schlaf geschlossen.
Am folgenden Tage, nachdem noch ein Angestellter der englischen Mission mit seinen zwanzig neugeworbenen Loangoboys an Bord gekommen war, setzten wir die Fahrt stromaufwärts fort. Die schokoladenbraunen Wasser des Kongo sind oberhalb Boma bis zu den Yellalafällen zwischen hohen Ufern eingepreßt, die, wenn auch nicht ein schönes, so doch stellenweise ein recht interessantes Bild gewähren. Hügel reiht sich an Hügel, bedeckt von Unmengen von Blöcken und scharfkantigen Steinen, in tristester Weise bekleidet von gelbem Gras und wenigem verkümmerten Gesträuch, über dem sich ab und zu eine Ölpalme oder ein gewaltiger weißrindiger Baobab mit lang herabhängenden kürbisgroßen Früchten erheben. Ein schmaler Gürtel von hochstengligen Hartgräsern, gelbblühenden Mimosen und Acacia Farnesiana, sowie einigen anderen halb unter Wasser getauchten Ufergesträuchen zieht sich unmittelbar am Fuße der Hügel entlang; nur die Talrinnen zwischen denselben, in denen zur Regenzeit Gießbäche ihren Weg zum Kongo hinunter nehmen, sind von dichterer Buschvegetation als Galeriebildungen erfüllt und durchsetzen in dunkelgrünen Stücken die gelben und öden Hügelhänge. Einen malerischen und bisweilen selbst großartigen Eindruck aber erhält man durch ganz senkrechte, zu recht bedeutender Höhe ansteigende Felswände, die in ihrer charakteristischen roten Lateritfärbung gar seltsam mit dem braunen Wasser des Stroms kontrastieren. In kurzen Windungen hat sich hier der Kongo eine schmale Rinne von 1 000 bis 2 000 Meter Breite durch das Bergland gewühlt, so daß man sich auf allen Seiten von gewaltigen Uferwänden umgeben sieht und mehrfach meinen könnte, auf einem abgeschlossenen Gebirgssee zu sein, dessen Abfluß und Zufluß man vergeblich sucht.
Bei Noki und Ango-Ango vorüber, mit welchen Namen einige Faktoreien belegt sind, über denen die holländische, französische und portugiesische Flagge wehen, und die des Dampfers Gruß, der die belgische führt, erwidern, erreichten wir nach etwa sechsstündiger Fahrt die am rechten Ufer gelegene Station der Assoziation Nkungula, wo eine hervorspringende niedrige Landzunge einen günstigen Ort für die Niederlassung gebildet hat, und kurze Zeit darauf, indem die gewaltigen Wassermassen in heftigster Strömung und in wunderbaren Strudeln und Wirbeln entgegendrängen, am rechten Ufer in Kalla-Kalla, wo die englische Großfirma Hatton und Cookson neuerdings eine Faktorei gegründet hatte, das Ende unserer Fahrt, während der »Heron« noch bis Vivi zu dampfen hatte.
Unser zahlreiches Gepäck wurde auf die zwanzig Boys der Mission verteilt und um die zweite Nachmittagsstunde des 20. November stiegen wir die Uferberge hinan, um uns über Tondoa nach Ango-Ango zu begeben, wo Premierleutnant Schulze im holländischen Handelshause Aufenthalt zu nehmen beabsichtigte. Schon nach einer halben Stunde erreichten wir bei glühender Sonne das hoch auf einem der Hügel gelegene zierliche Wohnhaus der englischen Baptistenmissionare, wo wir in ausgezeichneter Liebenswürdigkeit seitens des Vorstehers der Station, Herrn Hughes, empfangen und bald dahin bestimmt wurden, in Tondoa zu bleiben und die Gastfreundschaft der Mission anzunehmen. Wir haben unseren Entschluß gewiß nicht zu bereuen gehabt und nicht nur die in uneigennützigster und stets hilfsbereiter Gastfreundschaft genossen, sondern auch in dem Missionar von Tondoa einen Mann schätzen gelernt, der die Aufgaben seines Berufes in selten hohem Maße verstanden hatte und zu erfüllen wußte.
Die Pflichten des Chefs der Missionsanstalt von Tondoa sind übrigens recht mannigfaltiger Art. Neben der engeren Missionstätigkeit, als dem Unterricht der Kinder, der Belehrung und Schlichtung der Streitigkeiten der Erwachsenen, der Erziehung der Hauszöglinge und einer weit ausgedehnten Krankenpflege, hatte unser Gastfreund auf die Erhaltung und Verbesserung eines großen geschäftlichen Verkehres zu achten, denn die Ausbreitung der Tätigkeit seiner Berufsgenossen im Inland äußerte sich sofort in vergrößerten Anforderungen an die Station Tondoa.
Dieselbe ist Endstation für den Wasserverkehr, und hier muß die Umladung der von Europa kommenden für die Inlandstationen bestimmten Güter geschehen – eine Aufgabe, deren Sorgen und Verantwortlichkeit nur derjenige zu schätzen weiß, der selbst in der Lage gewesen ist, in Westafrika seine Güter für den Landtransport an eingeborene Träger abzugeben. Die Beschaffung der Trägerkolonnen, die Verteilung der Lasten, die Sicherstellung von Träger und Gut, die Lohnzahlungen – alles dieses sind Verhältnisse, zu deren Beherrschung außerordentliches Geschick und Erfahrung erforderlich sind. Wie für die Güter, so ist Tondoa auch Durchgangs- und Vorbereitungsstation für die an den mittleren Kongo und nach San Salvador reisenden Berufsgenossen und Gastfreunde, wodurch an den Chef eine Reihe von Anforderungen herantreten, die in der Unerfahrenheit der Reisenden und Mannigfaltigkeit ihrer Bedürfnisse ihren Ursprung nehmen. Rechnen wir endlich zu diesen Pflichten noch die gesellschaftlichen den Kaufleuten und den Vertretern der Assoziation gegenüber – denn der eine ist hier nur zu oft auf des andern Hilfe angewiesen – und die Sorgen für die nicht immer leichte Bestellung des eigenen Hauswesens, die Beschaffung der Arbeitskräfte und die Pflege der Wege, Baulichkeiten und Gartenanlagen, so gewinnt man ein ungefähres Bild von der vielseitigen Beschäftigung in diesem Missionshause am unteren Strom.
In den Tagen nach unserer Ankunft war Premierleutnant Schulze mit photographischen Aufnahmen der Umgebung beschäftigt, ich selbst aber widmete mich dem Sammeln von Pflanzen und Insekten. Die Uferberge des unteren Kongo sind aber nicht nur ein beschwerliches Terrain für den Naturforscher, sondern sie erweisen sich auch für seinen Sammeleifer als nichts weniger als ergiebig. So weit das Auge reicht, reihen sich Hügel an Hügel, getrennt durch steile und tiefe Rawinen, bedeckt mit unzähligen Mengen von scharfkantigen Steinen. Der Anblick wirkte damals um so trostloser, als wir uns kaum im Anfang der Regenzeit befanden, die Grassteppe überall verdorrt und zum Teil abgebrannt war und soeben erst neue Halme aus den toten Grasbüschelstumpfen hervorzusprießen begannen. Diese konnten freilich den gelben und steinigen Boden noch nicht mitleidig dem Blick entziehen, auf dem es fast wunder nahm, tierisches Leben nicht völlig erstorben, sondern dasselbe durch dickleibige Pillendreher und flinke Sprenksel vertreten zu sehen. Der unmittelbare Uferrand, sowie die zur Regenzeit wasserführenden Rawinen, lieferten eine bessere Ausbeute an einjährigen Pflanzen, sowie Gesträuch und Gestrüpp, auch Käfer, Schmetterlinge und andere Insekten brachte ich von hier aus heim.
Wie traurig die Vegetationsverhältnisse auf den Bergen des unteren Kongolandes beschaffen sind, zeigte uns der Garten der Mission. Früher hatten die Missionare am Fuße des Hügels unmittelbar am Strom gewohnt, bis man sich durch die dort herrschenden sehr schlechten gesundheitlichen Umstände genötigt sah, auf die Höhe zu ziehen. Um nun hier einen Garten anzulegen, war man gezwungen, von einer recht entfernten Stelle bessere Erde kistenweise durch schwarze Arbeiter antragen und bis zu einer gewissen Höhe aufschütten zu lassen, während andere beschäftigt waren, um das so gewonnene Gartenland eine Mauer zu ziehen, damit die Regen das Erdreich nicht wieder in die Tiefe führten. Durch Überdachung mit Bananenblättern mußte man die Pflanzungen vor den sengenden Sonnenstrahlen schützen, während ununterbrochen einige Boys vom Stromufer zur Höhe Wasser zu tragen und die Anlagen – auch noch in der Regenzeit – zu begießen hatten. Trotz dieser großen Mühe und Sorgfalt hatte der »Garten«, als ich nach mehreren Monaten wieder nach Tondoa kam, nur einige Kartoffeln, Tomaten und Mohrrüben geliefert.
Während unserer Anwesenheit, der Zeit der sprießenden Vegetation, hatten wir mit Herrn Hughes einige Jagdausflüge auf Antilopen, von denen man am unteren Kongo drei oder vier Arten, die eine größer als unsere Hirsche, kennt. Die Tiere stellten sich mit großer Regelmäßigkeit um Sonnenuntergang in einem nicht sehr weit entfernten Talgrunde ein, und mehrfach hatten wir das Glück eines Erfolges, obschon die Jagd auf dem unbeschreiblich steinigen Boden und bei der bis Sonnenuntergang herrschenden Hitze, dann aber bei der schnell hereinbrechenden Dunkelheit fast zu viel der Mühe kostete. Mit Höherwerden des Grases verbietet sich übrigens das Jagen in der Kampine7 bald von selbst. Das Land ist im allgemeinen recht herzlich arm an jagdbarem Wild, neben den Antilopen birgt die Kampine höchstens noch Klippschliefer8, Ratten und anderes kleines Getier; im Ufergelände des Kongo und in dem Rawinenbusch finden sich langgeschwänzte Meerkatzen, auf den Baobabs und anderen hohen Bäumen Geier und Fischadler, die indessen nicht einmal von den Schwarzen – welche sonst nicht leicht irgend eine Art mbisi, d.i. Fleisch, verachten – genossen werden, sonst auch noch Ibisse und Reiher, im Strome selbst zahlreiche Krokodile und zwar mehrere Arten, die ein etwaiges Baden zu unmittelbarer Lebensgefahr machen.
An Fischfang oder Angeln kann man bei der Schnelligkeit der Strömung gar nicht denken – trotzdem der Strom äußerst interessante Tiere bergen dürfte, ich erinnere nur an die Spring- und Kofferfische – ganz abgesehen von der Schwierigkeit, sich bei diesen Beschäftigungen der Einwirkung der Sonne und zahlreicher Moskitos zu entziehen.
Mehrfach machten wir Besuche in der Umgebung, so in Kalla-Kalla in der englischen und in Ango-Ango in der holländischen Faktorei, welche letztere einem Portugiesen unterstellt war, der einen außerordentlich lebhaften Tauschhandel betrieb (ich sah einige Male gegen 1 000 Träger dort versammelt), für welchen jetzt aber erstere Niederlassung Konkurrenz zu bieten begann. Kalla-Kalla war übrigens damals die am unteren Strome höchstgelegene Faktorei, bis die Holländer noch näher zu den Fällen am linken Ufer Fuka-Fuka und die Portugiesen am rechten Ufer zwei andere Faktoreien errichteten.
Ein anderes Mal begleiteten wir einen nach dem Stanley-pool reisenden Missionar einige Stunden bis in die Nähe der Station der amerikanischen Baptisten, Pallaballa, von wo aus wir freilich das Getöse der Yellalakatarakte hörten, dieselben indessen nicht zu Gesicht bekommen konnten.
Der Gedanke des Premierleutnant Schulze, für die Afrikanische Gesellschaft in Deutschland Terrain zu erwerben, um dort eine Station zu errichten, die als Ausgangs- und Stützpunkt für fernere Expeditionen dienen sollte, führte uns einige Male den Kongo abwärts, wo der Leutnant in einem Besitztum des Königs Ne-Moiri, zwischen Noki und Mussuka, eine günstige Gelegenheit gefunden zu haben glaubte.
Schon zur damaligen Zeit nämlich waren die Ufer des unteren Konto fast vollständig in den Besitz der Assoziation, sowie der kaufmännischen Firmen und der Missionsgesellschaften übergegangen, so daß es in der Tat dem Leutnant sehr gelegen schien, als er erfuhr, daß jenes Gebiet noch Eigentum der Eingeborenen sei. Zu Boot begaben wir uns daher am 29. November zu jener Uferstelle, um dort zuerst unter einem riesigen Affenbrotbaum den Vorräten des Mr. Hughes – der uns auch für diese Entdeckungstour seine Unterstützung gewährte – tüchtig zuzusprechen, dann aber den Weg zum Dorfe Ne-Moiris anzutreten, wo wir nach etwa zweistündigem Marsche über sehr bergiges und steiniges Terrain anlangten und König und Volk in wichtiger Angelegenheit sprechen zu wollen erklärten. Man brachte uns Stühle auf den von Bananenbüschen umschatteten Dorfplatz, wo sich bald die Männer, jedweder mit langem Stab in der Hand, einzufinden begannen, während der Chief durch Trompetensignale herbeigerufen wurde. Er erschien, ein würdiger alter Mann, mit Sommerüberzieher, einem Lendentuche und einem federgeschmückten Dreimaster bekleidet, um inmitten der auf der Erde hockenden Großen seines Dorfes auf erhöhtem Sitz uns gegenüber sich niederzulassen. Nach manchem Hin- und Herreden, abgesonderten Beratungen der Eingeborenen, Geschenken an den König und die Sprecher, erhielten wir die Versicherung, daß das fragliche Terrain bisher noch nicht verkauft und man willens sei, mit uns am zweitfolgenden Tage an Ort und Stelle über die Grenzen und den Kaufpreis zu verhandeln. Während des Palawers hatten uns die Weiber Bananen und Eier gebracht, und wir hatten diese, sobald sie von den mitgenommenen Boys zubereitet waren, während der Reden der Eingeborenen verspeist. Zum Abschied erhielten wir vom Chief noch einige Hühner als Dash, wofür wir uns mit einigen rotkarierten Taschentüchern revanchierten, um dann nach lebhaftem Händeschütteln zu unserm Boot zurückzukehren, wo wir bei Sonnenuntergang ankamen und nach einer Stunde Fahrt kongoaufwärts bei Tondoa landeten.
Am festgesetzten Tage fanden unter unserem Baobab die Verhandlungen über Grenzen und Kaufpreis statt. Nach Beendigung des Palawers begaben wir uns zum jenseitigen Kongoufer und nach der Station Nkungula, um dem Chef derselben einen Besuch zu machen und ihm unser Übereinkommen mit den Eingeborenen mitzuteilen, da wir durch dasselbe Gebietsnachbarn der Assoziation wurden, doch erhielten wir hier zu unserer höchsten Überraschung die Kunde, daß das fragliche Gebiet bereits seit einiger Zeit Eigentum der Assoziation geworden sei, worüber wir in Vivi Dokumente und Auskunft erhalten könnten.
Am Dienstag den 2. Dezember begaben sich daher Mr. Hughes, Premierleutnant Schulze und ich selbst in das mit acht starken Ruderern bemannte Boot, um nach dem unfernen Vivi, dessen weißgetünchte Häuser man in Tondoa deutlich sieht, zu fahren. Die Strömung oberhalb Tondoa ist eine so gewaltige, daß es der größten Anstrengung unserer Leute bedurfte, dieselbe zu überwinden, und sie mehrfach das Boot verlassen mußten, um dasselbe durch lange um Felsen und Bäume geschlungene Taue stromaufwärts zu ziehen. Dazu entstehen oft und ganz plötzlich Wirbelströmungen, in denen das hineingeratene Boot weder Steuer noch Ruder gehorcht. In einem dieser Wirbel brach eines unserer Ruder, so daß wir in Kalla-Kalla an Land gehen und dort ein anderes leihen mußten. Glücklich kreuzten wir dann zum anderen Ufer, doch wurde hier das Steuerruder durch die gewaltige Strömung den Händen eines Kruboys entrissen, als er dasselbe in seinen Angeln gehoben hatte, um es dem Aufstoßen auf einem Felsenriff zu entziehen, und sofort durch den Strom entführt. Es war auch nicht wiederzuerlangen, trotzdem sich sogleich einige der Leute in das Wasser stürzten. Wir mußten nun auf eine Fortsetzung der Fahrt verzichten und das Ufer zu erreichen suchen, was nach einiger Zeit und großer Anstrengung gelang. Als wir endlich das Land betraten, fanden wir uns noch durch einige Berge von Vivi geschieden, wohin wir uns nun zu Fuß aufmachten und wo wir endlich vier Stunden nach der Abfahrt von Tondoa in hohem Grade erschöpft eintrafen.
Der damalige Hauptplatz der Assoziation – jetzt ist der Regierungssitz nach Boma verlegt – bestand in seiner neueren Anlage Neu-Vivi (im Gegensatze zu dem noch von Stanley gegründeten Alt-Vivi, welches man wegen der gesundheitlichen Mißverhältnisse aufzugeben gezwungen war) aus zwei oder drei Wohnhäusern und einigen Warenschuppen, in deren ersteren einem wir beim Major Parminter, einem liebenswürdigen englischen Herrn, Stärkung und Erholung fanden. Wir machten später dem Chiefadministrator Colonel Sir Francis de Winton, den wir in Hemdsärmeln antrafen, einen Besuch und erhielten von diesem die Zusicherung der möglichsten Unterstützung für die Ziele unserer Expedition. In Bezug auf das von Premierleutnant Schulze in Aussicht genommene Gebiet konnte indessen kein Abschluß erzielt werden, da nur ein Duplikat eines Kaufvertrages vorlag, welcher mit irgend einem Chief zwischen Noki und Mussukula – nicht mit Ne-Moiri – abgeschlossen war, in welchem Schriftstück aber nicht die Grenzen des gekauften Terrains angegeben waren(!). Ich will gleich hier erwähnen, daß Premierleutnant Schulze nach einer Fahrt nach Boma, um dort befindliche Papiere einzusehen, schließlich in Vivi mit der Assoziation einen Kaufvertrag abschloß – ob dieser Vertrag aber von der Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland ratifiziert worden ist, vermag ich nicht einmal zu sagen. Nach den Berliner Festsetzungen über den Kongostaat gehört übrigens das in Rede stehende Terrain noch zu dem Portugal zugesprochenen Gebiet, dessen Grenze auf dem linken Kongoufer durch den Bach von Ango-Ango gebildet wird.